Der Kriegsrat hatte sich an diesem Morgen versammelt und unwiderruflich war der Krieg beschlossen worden. Zwölf Edelknaben waren, die Absagebriefe des Herzogs von Bayern, der Ritterschaft und gesamter Städte an ihre Lanzen geheftet, zum Gögglinger Tor hinausgejagt, um die Feindesbotschaft dem Württemberger nach Blaubeuren zu bringen. Auf den Straßen rief man einander fröhlich diese Nachricht zu, und die Freude, daß es jetzt endlich ins Feld gehen werde, stand deutlich auf allen Gesichtern geschrieben. Nur einen traf diese Kunde wie das schreckliche Machtwort seines Schicksals. Der Gram trieb ihn aus dem Kreise der fröhlichen Gesellen, die jetzt den Weinstuben zuzogen, um in lautem Jubel das Geburtsfest des Krieges zu begehen und das Los künftiger Siege im Würfelspiel zu belauschen. Ach! ihm waren ja schon die Würfel gefallen! ein blutiges Schlachtfeld dehnte sich zwischen ihm und seiner Liebe aus, sie war ihm auf lange, vielleicht auf ewig verloren.
Eilige Tritte, welche die Treppe heraufstürmten, weckten ihn aus seinem Brüten. Der Ratsschreiber steckte den Kopf in die Türe. »Glück auf, Junker!« rief er, »jetzt hebt der Tanz erst recht an. Aber Ihr wißt es vielleicht noch gar nicht? der Krieg ist angekündigt, schon vor einer Stunde sind unsere Absageboten ausgeritten.«
»Ich weiß es«, antwortete sein finsterer Gast.
»Nun, und hüpft Euch das Herz nicht freier? Habt Ihr auch gehört – nein, das könnt Ihr nicht wissen«, fuhr Dieterich fort, indem er zutraulich näher zu ihm trat, »daß die Schweizer bereits abziehen?«
»Wie, sie ziehen?« unterbrach ihn Georg, »also hat der Krieg schon ein Ende?«
»Das möchte ich nicht gerade behaupten«, fuhr der Ratsschreiber bedenklich fort, »der Herzog von Württemberg ist noch ein junger, mutiger Herr und hat noch Ritter und Dienstleute genug. Zwar wird er wohl keine offene Feldschlacht mehr wagen, aber er hat feste Städte und Burgen. Da ist einmal der Höllenstein und darin Stephan von Lichow, ein Mann wie Eisen. Da ist Göppingen, das Philipp von Rechberg auch nicht auf den ersten Stückschuß ergeben wird; da ist Schorndorf, Rothenberg und Asperg, da ist vor allem Tübingen, das er tüchtig befestigt hat. Es wird noch mancher ins Gras beißen, bis Ihr Eure Rosse im Neckar tränket.
Nun, nun!« fuhr er fort, als er sah, daß seine Nachrichten die finstere Stirne seines schweigenden Gastes nicht aufheitern konnten. »Wenn Ihr diese kriegerischen Botschaften nicht freundlich aufnehmet, so schenkt Ihr vielleicht einem friedlicheren Auftrag ein geneigtes Ohr. Sagt einmal, habt Ihr nicht irgendwo eine Base?«
»Base? ja, warum fragt Ihr?«
»Nun sehet, jetzt erst verstehe ich die verwirrten Reden, die vorhin Berta vorbrachte. Als ich aus dem Rathaus kam, winkte sie mir hinauf und befahl mir, meinen Gast heute nachmittag in ihren Garten an der Donau zu führen. Marie habe Euch etwas sehr Wichtiges an Eure Base, die sie sehr gut kenne, aufzutragen. Ihr müßt mir schon den Gefallen tun, mitzugehen. Solche Geheimnisse und Aufträge sind zwar gewöhnlich nicht weit her und ich wollte wetten, sie geben Euch ein Müsterlein für den Webstuhl oder eine Probe feiner Wolle, oder ein tiefes Geheimnis der Kochkunst, oder gar ein paar Körnlein von einer seltenen Blume mit, denn Marie ist eine große Gärtnerin – doch, wenn Ihr gestern an dem Mädchen Gefallen gefunden habt, gehet Ihr wohl selbst gerne mit.«
Mitten in den schmerzlichen Gedanken an die Scheidestunde mußte Georg über die List der Mädchen lachen; freundlich bot er dem guten Boten die Hand und schickte sich an, ihn in den Garten zu begleiten.
Dieser lag an der Donau, ungefähr zweitausend Schritte unter der Brücke; er war nicht groß, zeugte aber von Sorgfalt und Fleiß. Die schönen Obstbäume waren zwar noch nicht belaubt und die in wunderlichen Formen abgestochenen Beete hatten noch keine Blumen, aber ein langer Taxusgang, der an dem Ufer des Flusses sich hinzog, und in eine geräumige Laube endete, gab durch sein helles Grün einen lebhaften Anblick und hinlänglichen Schutz gegen die, einem weißen Hals und schönen Armen so gefährlichen Strahlen der Märzsonne. Dort, auf dem breiten bequemen Steinsitze, wo die Lücken der Laube eine freie Aussicht die Donau hinauf und hinab gewährten, hatten die Mädchen unter mancherlei Gesprächen der jungen Männer geharrt.
Marie saß traurig, in sich gekehrt; sie hatte den schönen Arm auf eine Lücke der Laube aufgestützt, und das von Gram und Tränen müde Köpfchen in die Hand gelegt. Ihr dunkles, glänzendes Haar hob die Weiße ihres Teint um so mehr heraus, als stiller Kummer ihre Wangen gebleicht, und schlaflose Nächte dem lieblichen blauen Auge seinen sonst so überraschenden Glanz geraubt und ihm einen matteren, vielleicht nur um so anziehenderen Schimmer von Melancholie gegeben hatten. Das vollendete Bild fröhlichen Lebens, saß die frische, runde, rosige Berta neben ihr. Wie ihre gelblichen Locken mit Mariens dunklen Haaren, ihr rundes, frisches Gesichtchen mit den ovalen, schärferen Formen ihrer Base, wie ihre freundlichen, beweglichen hellbraunen Augen in auffallendem Kontrast stunden mit dem sinnenden, geistvollen Blick Mariens: so wurde auch jede ihrer raschen, lebhaften Bewegungen zum Gegensatz gegen jene stille Trauer.
Berta schien ihre rosigste Laune hervorgeholt zu haben, um ihre Base zu trösten oder doch ihren großen Schmerz zu zerstreuen. Sie erzählte und schwatzte, sie lachte und ahmte die Gebärde und Sprache vieler Leute nach, sie versuchte alle jene tausend kleinen Künste, womit die Natur ihre fröhliche Tochter ausstattete; aber wir glauben, daß sie wenig ausrichtete, denn nur hie und da gleitete ein wehmütiges, schnell verschwebendes Lächeln über Mariens feine Züge hin.
Endlich ergriff sie, als gar nichts mehr helfen wollte, ihre Laute, die in der Ecke stand. Marie besaß auf diesem Instrument große Fertigkeit, und Berta hätte sich sonst nicht leicht bewegen lassen, vor der Meisterin zu spielen. Doch heute hoffte sie durch ihr Geklimper wenigstens ein Lächeln ihrer Base zu entlocken. Sie setzte sich mit großem Ernste nieder und begann:
»Fragt mich jemand, was ist Minne?
Wüßt ich gern auch darum meh(r).
Wer nun recht darüber sinne
Sag mir, warum tut sie weh?
Minne ist Liebe, tut sie wohl;
Tut sie weh, heißt sie nicht Minne.
Oh, dann weiß ich, wie sie heißen soll.«
»Wo hast du dies alte, schwäbische Liedchen her?« fragte Marie, die der einfachen Musik und dem lieblichen Text gerne ihr Ohr lieh.
»Nicht wahr, es ist hübsch? aber es kommt noch viel hübscher, wenn du hören willst«, antwortete Berta; »das hat mich in Nürnberg ein Meistersänger, Hans Sachs, gelehrt, es ist übrigens nicht von ihm, sondern von Walther von der Vogelweide, der wohl vor dreihundert Jahren gelebt und geliebt hat. Höre nur weiter:
Ob ich recht erraten könne,
Was die Minne sei? so sprecht ja;
Minne ist zweier Herzen Wonne;
Teilen sie gleich, so ist sie da.
Doch – soll ungeteilt sein,
So kann ein Herz allein sie nicht enthalten;
Willst du mir helfen, traute Jungfrau mein?
Nun hast du geteilt mit dem armen Junker?« fragte die schelmische Berta ihre errötende Base. »Vetter Kraft möchte gerne auch mit mir teilen, einstweilen kann er aber seinen ganzen Part allein tragen.
1 comment