Doch du wirst mir wieder ernst, ich muß schon noch ein Liedchen des alten Herrn Walthers singen:
Ich weiß nicht, wie es damit geschah,
Meinem Auge ist's noch nie geschehen,
Seit ich sie in meinem Herzen sah
Kann ich sie auch ohne Augen sehen;
Da ist doch ein Wunder mit geschehen,
Denn wer gab es, daß es ohne Augen
Sie zu aller Zeit mag sehen?
Wollt ihr wissen, was die Augen sein,
Womit ich sie sehe durch alle Land,
Es sind die Gedanken des Herzens mein
Damit schau ich durch Mauer und Wand,
Und hüten diese sie noch so gut,
Es schauen sie mit vollen Augen
Das Herz, der Wille und mein Mut.«
Marie lobte das Lied des Herrn Walther von der Vogelweide als einen guten Trost beim Scheiden; Berta bestätigte es. »Ich weiß noch einen Reim«, sagte sie lächelnd, und sang:
»Und zog sie auch weit in das Schwabenland,
Seine Augen schauen durch Mauer und Wand,
Seine Blicke bohren durch Fels und Stein,
Er schaut durch die Alb nach dem Lichtenstein!«
Als Berta noch im Nachspiel zu ihrem Liedchen begriffen war, ging die Gartenpforte; Männertritte tönten den Gang herauf, und die Mädchen standen auf, die Erwarteten zu empfangen.
»Herr von Sturmfeder«, begann Berta nach den ersten Begrüßungen, »verzeihet doch, daß ich es wagte, Euch in meines Vaters Garten einzuladen; aber meine Base Marie wünscht Euch Aufträge an eine Freundin zu geben. – Nun, und daß wir andern nicht zu kurz kommen«, setzte sie zu Herrn Kraft gewandt hinzu, »so wollen wir eines plaudern und den Abendtanz von gestern mustern.« Damit ergriff sie ihres Vetters Hand und zog ihn mit sich den Gang hinab.
Georg hatte sich zu Marie auf die Bank gesetzt. Sie lehnte sich an seine Brust und weinte heftig. Die süßesten Worte, die er ihr zuflüsterte, vermochten nicht, ihre Tränen zu stillen. »Marie«, sagte er, »du warst ja sonst so stark, wie kannst du nun gerade jetzt allen Glauben an ein besseres Geschick, alle Hoffnung aufgeben?«
»Hoffnung?« fragte sie wehmütig, »mit unserer Hoffnung, mit unserem Glück ist es für ewig aus.«
»Siehe«, antwortete Georg, »eben dies kann ich nicht glauben; ich trage die Gewißheit unserer Liebe in mir so innig, so tief, und ich sollte jemals glauben, daß sie untergehen könne?«
»Du hoffst noch? So höre mich ganz an. Ich muß dir ein tiefes Geheimnis sagen, an dem das Leben meines Vaters hängt. Mein Vater ist so sehr ein bitterer Feind des Bundes, als er ein Freund des Herzogs ist; er ist nicht nur deswegen hier, um sein Kind heimzuholen, nein, er sucht die Plane des Bundes zu erforschen und mit Geld und Rede zu verwirren. Und glaubst du, ein so bitterer Gegner des Bundes werde seine einzige Tochter einem Jüngling geben, der in unserem Verderben sich emporzuschwingen sucht? Einem, der sich an Menschen anschließt, die kein Recht, sondern nur Raub suchen?«
»Dein Eifer führt dich zu weit, Marie«, unterbrach sie der Jüngling; »du mußt wissen, daß mancher Ehrenmann in diesem Heere dient!«
»Und wenn dies wäre«, fuhr jene eifrig fort, »so sind sie betrogen und verführt, wie auch du betrogen bist.«
»Wer sagt dir dies so gewiß«, entgegnete Georg, welcher errötete, die Partei, die er ergriffen, von einem Mädchen so erniedrigt zu sehen, obgleich er ahnete, daß sie so unrecht nicht habe; »wer sagt dir dies so gewiß? kann nicht dein Vater auch verblendet und betrogen sein? Wie mag er nur mit so vielem Eifer die Sache dieses stolzen, herrschsüchtigen Mannes führen, der seine Edlen ermordet, der seine Bürger in den Staub tritt, der an seiner Tafel das Mark des Landes verpraßt und seine Bauern verschmachten läßt?«
»Ja, so schildern ihn seine Feinde,« antwortete Marie, »so spricht man von ihm in diesem Heere, aber frage dort unten an den Ufern des Neckars, ob sie ihren angestammten Fürsten nicht lieben, wenngleich seine Hand zuweilen schwer auf ihnen ruht. Frage jene Männer, die mit ihm ausgezogen sind, ob sie nicht freudig ihr Blut für den Enkel Eberhards geben, ehe sie diesem stolzen Herzog von Bayern, diesen räuberischen Edlen, diesen Städtlern ihr Land abtreten.«
Georg schwieg eine Zeitlang nachdenklich; »Aber wie entschuldigen denn diese warmen Verteidiger den Mord des Hutten?« fragte er.
»Ihr sprecht immer von Eurer Ehre«, antwortete Marie, »und wollt nicht leiden, daß ein Herzog seine Ehre verteidige? Hutten ist nicht meuchelmörderisch gefallen, wie seine Anhänger in alle Welt ausgeschrieen haben, sondern im ehrlichen Kampfe, worin der Herzog selbst sein Leben einsetzte. Ich will nicht alles verteidigen, was er tat; aber man soll nur auch bedenken, daß ein junger Herr, wie der Herzog, von schlechten Räten umgeben, nicht immer weise handeln kann. Aber er ist gewiß gut, und wenn du wüßtest, wie mild, wie leutselig er sein kann!«
»Es fehlt nur noch, daß du ihn auch den schönen Herzog nennst«, sagte Georg bitter lächelnd, »du wirst reichen Ersatz finden für den armen Georg, wenn er es der Mühe wert hält, mein Bild aus deinem Herzen zu verdrängen.«
»Wahrlich, dieser kleinlichen Eifersucht habe ich dich nicht fähig gehalten«, antwortete Marie, indem sie sich mit Tränen des Unmuts, im Gefühl gekränkter Würde abwandte. »Glaubst du denn, das Herz eines Mädchens könne nicht auch warm für die Sache ihres Vaterlandes schlagen?«
»Sei mir nicht böse«, bat Georg, der mit Reue und Beschämung einsah, wie ungerecht er sei, »gewiß, es war nur Scherz!«
»Und kannst du scherzen, wo es unser ganzes Lebensglück gilt?« entgegnete Marie; »morgen will der Vater Ulm verlassen, weil der Krieg entschieden ist; wir sehen uns vielleicht lange, lange nicht mehr, und du magst scherzen? Ach, wenn du gesehen hättest, wie ich so manche Nacht mit heißen Tränen zu Gott flehte, er möge dein Herz hinüber auf unsere Seite lenken, er möge uns vor dem Unglück bewahren, auf ewig getrennt zu sein, gewiß du könntest nicht so grausam scherzen!«
»Er hat es nicht zum Heil gelenkt«, antwortete Georg, düster vor sich hinblickend.
»Und sollte es nicht noch möglich sein«, sprach Marie, indem sie seine Hand faßte und mit dem Ausdruck bittender Zärtlichkeit, mit der gewinnenden Sanftmut eines Engels ihm ins Auge sah, »sollte es nicht noch möglich sein? Komm mit uns, Georg, wie gerne wird der Vater einen jungen Streiter seinem Herzog zuführen. Ein Schwert wiegt viel in solchen Zeiten, sagte er oft, er wird es dir hoch anschlagen, wenn du ihm folgst, an seiner Seite wirst du kämpfen, mein Herz wird dann nicht zerrissen, nicht geteilt sein, zwischen jenseits und diesseits; mein Gebet, wenn es um Glück und Sieg fleht, wird nicht zitternd zwischen beiden Heeren irren!«
»Halt ein!« rief der Jüngling und bedeckte seine Augen, denn der Sieg der Überzeugung strahlte aus ihren Blicken, die Gewalt der Wahrheit hatte sich auf ihren süßen Lippen gelagert. »Willst du mich bereden, ein Überläufer zu werden? Gestern zog ich mit dem Heere ein, heute wird der Krieg erklärt und morgen soll ich zu dem Herzog hinüberreiten? Kann dir meine Ehre so gleichgültig sein?«
»Die Ehre?« fragte Marie und Tränen entstürzten ihrem Auge; »sie ist dir also teurer als deine Liebe? wie anders klang es, als mir Georg ewige Treue schwur. Wohlan! sei glücklicher mit ihr als mit mir! Aber möge dir, wenn dich der Herzog von Bayern auf dem Schlachtfeld zum Ritter schlägt, weil du in unsern Fluren am schrecklichsten gewütet, wenn er dir ein Ehrenkettlein umhängt, weil du Württembergs Burgen am tapfersten gebrochen, möge dir der Gedanke deine Freude nicht trüben, daß du ein Herz brachst, das dich so treu, so zärtlich liebte!«
»Geliebte!« antwortete Georg, dessen Brust widerstreitende Gefühle zerrissen, »dein Schmerz läßt dich nicht sehen, wie ungerecht du bist. Doch es sei! daß du siehest, daß ich den Ruhm, der mir so freundlich winkte, der Liebe zum Opfer zu bringen weiß, so höre mich: Hinüber zu euch darf ich nicht. Aber ablassen will ich von dem Bunde, möge kämpfen und siegen wer da will – mein Kampf und Sieg war ein Traum, er ist zu Ende!«
Marie sandte einen Blick des Dankes zum Himmel und belohnte die Worte des jungen Mannes mit süßem Lohne. »O glaube mir«, sagte sie, »ich fühle, wieviel dich dieses Opfer kosten muß. Aber siehe mir nicht so traurig an dein Schwert hinunter; wer frühe entsagt, der erntet schön, sagt mein Vater, es muß uns doch auch einmal die Sonne des Glückes scheinen. Jetzt kann ich getrost von dir scheiden; denn wie auch der Krieg sich enden mag, du kannst ja frei vor meinen Vater treten, und wie wird er sich freuen, wenn ich ihm sage, welch schweres Opfer du gebracht hast!«
Bertas helle Stimme, die der Freundin ein Zeichen gab, daß der Ratsschreiber nicht mehr zurückzuhalten sei, schreckte die Liebenden auf. Schnell trocknete Marie die Spuren ihrer Tränen und trat mit Georg aus der Laube.
»Vetter Kraft will aufbrechen«, sagte Berta, »er fragt, ob der Junker ihn begleiten wolle?«
»Ich muß wohl, wenn ich den Weg nach Hause nicht verfehlen soll«, antwortete Georg; so teuer ihm die letzten Augenblicke vor einer langen Trennung von Marie gewesen wären, so kannte er doch die strenge Sitte seiner Zeit zu gut, als daß er ohne den Vetter, als Landfremder bei den Mädchen geblieben wäre.
Schweigend gingen sie den Garten hinab, nur Herr Dieterich führte das Wort, indem er in wohlgesetzten Worten seinen Jammer beschrieb, daß seine Base morgen schon Ulm verlassen werde. Aber Berta mochte in Georgs Augen gelesen haben, daß ihm noch etwas zu wünschen übrigbleibe, wobei der uneingeweihte Zeuge überflüssig war; sie zog den Vetter an ihre Seite und befragte ihn so eifrig über eine Pflanze, die gerade zu seinen Füßen mit ihren ersten Blättern aus der Erde sproßte, daß er nicht Zeit hatte, zu beobachten, was hinter seinem Rücken vorgehe.
Schnell benützte Georg diesen Augenblick, Marien noch einmal an sein Herz zu ziehen, aber das Rauschen von Mariens schwerem, seidenen Gewande, Georgs klirrendes Schwert weckten den Ratsschreiber aus seinen botanischen Betrachtungen; er sah sich um, und o Wunder! er erblickte die ernste, züchtige Base in den Armen seines Gastes.
»Das war wohl ein Gruß an die liebe Base in Franken?« fragte er, nachdem er sich von seinem Erstaunen erholt hatte.
»Nein, Herr Ratsschreiber«, antwortete Georg, »es war ein Gruß an mich selbst, und zwar von der, die ich einst heimzuführen gedenke. Ihr habt doch nichts dagegen, Vetter?«
»Gott bewahre! ich gratuliere von Herzen«, antwortete Herr Dieterich, der von dem ernsten Blick des jungen Kriegsmannes und von Mariens Tränen etwas eingeschüchtert wurde. »Aber der Tausend, das heiß ich veni, vidi, vici; ich scherwenzte schon ein Vierteljahr um die Schöne, und habe mich kaum eines Blickes erfreuen können. Und heute muß ich nun gar den Marder selbst herausführen, der mir das Täubchen vor dem Mund wegstiehlt.«
»Verzeihe den Scherz, Vetter, den wir uns mit dir machten«, fiel ihm Berta ins Wort, »sei vernünftig und laß dir die Sache erklären.« Sie sagte ihm, was er zu wissen brauchte, um gegen Mariens Vater zu schweigen. Mehr durch die freundlichen Blicke Bertas besänftigt, versprach er zu schweigen, unter der Bedingung, setzte er schalkhaft hinzu, daß sie etwa auch einen solchen Gruß an ihn bestelle.
Berta verwies ihm, wiewohl nicht allzu strenge, seine unartige Forderung, und fragte ihn neckend an der Gartentüre noch einmal um die Naturgeschichte des ersten Veilchens, das die Sonne hervorgelockt hatte. Er war gutmütig genug, eine lange und gelehrte Erklärung darüber zu geben, ohne weder durch Mariens leises Weinen, noch durch Georgs klirrendes Schwert sich unterbrechen zu lassen. Ein dankender Blick Mariens, ein freundlicher Handschlag von Berta belohnte ihn dafür beim Scheiden, und noch lange wehten die Schleier der schönen Bäschen, über den Gartenzaun hin, den Scheidenden nach.
VIII
Im stillen Klostergarten
Eine bleiche Jungfrau ging;
Der Mond beschien sie trübe,
An ihrer Wimper hing
Die Träne zarter Liebe.
L. Uhland
Ulm glich in den nächsten Tagen einem großen Lager.
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