Als erster Gedanke stieg dem Grigas auf, daß nur eine der Laumen die Anikke entführt haben könne. Denn daß diese Feen sich mit dem Wegnehmen und Auswechseln von Kindern befassen, auch lange nachdem sie getauft sind, das weiß ja selbst der Dümmste.
Aber Eve, die sonst immer seiner Meinung war, wollte ihm nicht Recht geben. Die brennende Lampe – und die Stille im Haus – und dazu kam noch eins, was sie vorhin beim Näherkommen bemerkt haben wollte: Das Fenster war geschlossen gewesen, aber in einer der Rauten hatten die Scherben gehangen.
So faßte er sich denn ein Herz und machte sich dicht vor der erleuchteten Stube zu schaffen.
Und beim Hineinschielen – was sah er da? Der alte Wickelbart lag auf dem Boden in seinem Blute, und in dem seitlich ausgestreckten Arm schlief das Kind.
Weinen und Wehklagen machen keinen Totgeschossenen wieder lebendig. Sie wußten auch gleich, wer's getan hatte: »Miks Bumbullis« sagten sie fast in einem Atemzug.
Der Miks Bumbullis war nämlich vor zwei Tagen von dem alten Hegemeister abgefaßt worden, wie er gerade ein frisch erlegtes Reh ausnahm und dazu ein »Tewe musso« betete. Denn das Vaterunser ist immer gut gegen das Abgefaßtwerden. Aber diesmal hatte es dem Miks nichts geholfen. Er hatte sogar noch seine Flinte hergeben müssen, und wenn der Alte ihn nicht gefangen mit sich führte, so geschah es nur darum, weil er genau wußte, daß sein Gefangener ihn während des Weges trotz seiner Schußwaffe überwältigen würde.
Und nun hatte er doch daran glauben müssen. Denn mit dem Miks Bumbullis war nicht zu spaßen. Wo man nachts beladen über die Grenze ging, wo dem Zamaiten das Fuhrwerk ausgespannt wurde, wo man dem Juden den Schnaps auf die Straße goß, – der Miks war überall dabei. Nun gar das verdammte Wilddieben!
Und er hätte es so gut haben können! Die Wirtstöchter weit und breit waren nach ihm aus. Auch eine junge Witfrau sogar! Und was für eine! Mit einem Hof von hundertzwanzig Morgen. – Die hatte schon zweimal den Vermittler zu ihm geschickt.
Aber er? Nun, da sah man's ja.
Der Grigas und die Eve hoben das Kind aus dem starr gewordenen Arm, und als sie ihm das blutige und tränennasse Hemdchen vom Leibe zogen, da wachte es nicht einmal auf.
Nun lag es zwischen den rotbunten Kissen und lächelte wie so ein Engelchen.
Dann wollten sie an die Arbeit gehen, den Leichnam abzuwaschen und auf die Totenbahre zu legen. Da fiel dem Grigas zur rechten Zeit noch ein, daß man jeden, der eines unnatürlichen Todes gestorben ist, liegen lassen muß, wie er gefunden wurde, bis die Herren vom Gericht dagewesen sind. Und so geschah es auch.
2
Der Miks Bumbullis war bald gefunden. Er trieb sich in den Krügen umher und erklärte in seiner Betrunkenheit jedem, der es wissen wollte, er sei von dem Hegemeister beklappt worden. Darum müsse er jetzt auf ein paar Jahre in die Kaluse. Aber von dem Morde wußte er nichts.
Dem Gendarm, der ihm Handschellen anlegte, streckte er die Zunge aus und bestand darauf, daß der Krüger sich das Geld für die Zeche selber aus der Hosentasche hole, denn er müsse die kostbaren Armbänder schonen, die der Staat ihm geschenkt habe.
Ein strammer, gedrungener Kerl war er mit einem blonden Unschuldsgesicht. Trug das Haar noch von der Soldatenzeit her glatt an der Seite gescheitelt und sah mit großen, ausgeblaßten Augen gelassen in die Runde.
Sein erstes Verhör verlief wesentlich anders, als der Untersuchungsrichter erwartet hatte. Der alte Hegemeister habe es zwar schon lange auf ihn abgesehen gehabt, im Walde Mann gegen Mann würde er auch sicherlich auf ihn abgedrückt haben, das hätte die Ehre von ihm gefordert; den Schuß durchs Fenster aber habe ein anderer getan.
Soweit war alles in Ordnung.
Wo er sich denn in der Mordnacht aufgehalten habe?
Und nun kam die merkwürdige Wendung.
Er sei irgendwo eingestiegen, sich eine neue Flinte zu beschaffen. Wo, sage er nicht.
Was er denn mit der Flinte habe anfangen wollen, da er doch sicher gewesen sei, alsbald verhaftet zu werden?
Er habe über die Grenze gehen wollen, und da drüben müsse man immer was in der Hand haben.
Der Untersuchungsrichter legte ihm ans Herz, daß, wenn er nicht angeben wolle, wo er den Einbruch verübt habe, sein Kopf sich schon als abgetan betrachten könne. Aber auch das half nichts.
Noch an demselben Tag wurde er zwischen zwei Gendarmen auf einen Bretterwagen gesetzt und die zwei Meilen weit zur Mordstätte gefahren. Das Publikum in Heydekrug sammelte sich am Weg und starrte ihn an. Das schien ihm großen Spaß zu machen.
Grigas und Eve empfingen die Gerichtskommission mit der dienstfertigen Würde des guten Gewissens, die heftig in Verlegenheit umschlug, als ihnen die näheren Umstände der frühmorgendlichen Heimkunft abgefragt wurden.
Der Tatbestand war klar. Der Bruch der Fensterscheibe schien auf einen Schrotschuß hinzuweisen, obwohl nur eine Wunde – dicht über dem Herzen – sich vorfand. Genaueres festzustellen blieb der Leichenöffnung vorbehalten. Fußspuren ließen sich nicht entdecken.
Als Miks Bumbullis vor die Leiche geführt wurde, tasteten ein halbes Dutzend Augenpaare gierig nach seinem Angesicht. Der große Augenblick, der so manches Geständnis aus der Seele reißt, verging ungenutzt. Ruhevoll – ein wenig neugierig fast – blickte Miks auf den Körper nieder und sah sich dann, als suche er irgend etwas, in der Stube um.
Die üblichen Vorhaltungen, die der Dolmetsch, ein kluger, kleiner Mann, der in der Seele des fremden Volkes zu lesen gewohnt war, noch eindrucksvoller übersetzte, verhallten ungehört.
»Ich weiß von rein gar nuscht,« blieb die einzige Antwort.
Nur als hierauf die kleine Anikke weinend hereingeführt wurde, flog ein Schein wie von plötzlicher Ermüdung über die gestrafften Züge – einen Augenblick nur –, dann war er wieder der alte.
Aus dem Kind ließ sich, wie natürlich, vor den fremden Männern nichts herausbringen. Eve trat für sie ein und berichtete, was sie im Zwiegespräch ausgeplaudert hatte.
Weil Eve nicht dagewesen sei, habe sie vor Angst nicht einschlafen können und immerzu geweint. Da sei der Großvater gekommen, habe sie aus dem Bettchen genommen und zu sich aufs Knie gesetzt.
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