Und der Jude wünscht ihnen »noch hundert Johr«!

Wären's bloß hundert Stunden gewesen, der Ansas hätt' sie brauchen können.

Da die Flasche mit dem Rosenlikör nun einmal hervorgeholt ist, wäre es unklug gewesen, sie wieder zu verstauen. Sie trinken also ab und zu einen Tropfen und werden immer glücklicher.

Noch an mancher Trift kommen sie vorbei und singen mit, was sie nur singen können, aber halten tun sie nicht mehr. Dazu ist der Rosenlikör ihnen zu schade.

Manchmal will auch der Schlaf sie befallen, aber sie wehren sich tapfer. Denn sonst – weiß Gott, auf welcher Sandbank sie dann sitzen blieben!

Nur eins darf der Ansas sich gönnen – nämlich von dem Abschlag hernieder auf die Bodenbretter zu gleiten. So kann er die Indre in seinem linken Arm halten und mit dem rechten das Steuer versehen.

Und die Indre liegt mit dem Kopf auf seiner Brust und denkt selig: »Der Endrik – und die Elske – und der Willus – und nun sind wir alle fünfe wieder eins.«

Mit einmal – sie wissen nicht wie – ist Ruß da. Sie erkennen es an dem Brionischker Schornstein, der wie ein warnender Finger zu ihnen sagt: »Paßt auf!«

Die Dzimken, die dort mit ihren Triften liegen, sind nun richtig schlafen gegangen. Auch ihr Kesselfeuer brennt nicht mehr. Aber ob die tausendmal stillschweigen, was macht es aus? Von Ruß gibt es ein hübsches Liedchen:

 

»Zwei Fischer waren,

Zwei schöne Knaben,

Aus Ruß gen Westen

Zum Haff gefahren.«

 

Das singen sie aus voller Kehle, und um hernach die Kehle anzufeuchten, wollen sie sich noch einen Schluck von dem Rosenlikör genehmigen, aber siehe da, – die Flasche ist leer.

Sie lachen furchtbar, und der Ansas wird immer zärtlicher.

»Ach, liebes Ansaschen,« bittet die Indre, »gleich kommt der große Ellenbogen, und dann geht es westwärts, bis dahin muß du hübsch artig sein.«

Ansas hört noch einmal auf sie, und da ist auch schon der blanke Szieszefluß, da wo die Krümmung beginnt. Er holt die Segelleine mehr an und steuert nach links. Es geht zwar schwer, aber es geht doch noch immer.

Bis nach Windenburg hin, die anderthalb Meilen, läuft der Strom nun so schnurgerade, wie nur die Eisenbahn läuft. Kaum daß man hinter der Mündung der Mole ein wenig auszuweichen braucht.

Bei Windenburg freilich, wo die gefährliche Stelle ist, dort, wo gerade bei Südwind der Wellendrang aus dem breiten, tiefen Haff seitlich stark einsetzt, dort muß man die Sinne doppelt beisammen halten – aber bis dahin ist noch lange, lange – – ach, wie lange Zeit!

»Indre, wenn du mir meine Sünden wirklich vergeben hast, dann mußt du's mir auch beweisen.«

»Ansaschen, du mußt aufpassen.«

»Ach was, aufpassen!« Wenn man so lange blind und verhext neben der Besten, der Schönsten, neben einer Gottestochter dahergegangen ist und die Augen sind wieder aufgetan, was heißt da aufpassen?

»Meine Indre!«

»Mein Ansaschen!« – – –

Und nun liegen sie in ruhiger Seligkeit nebeneinander, und der Kahn fährt dahin, als säße die Laime selber am Steuer.

»Ansaschen – aber nicht einschlafen!«

»Ach, wo werd' ich einschlafen.« – –

»Ansaschen – wer einschläft, den muß der andere wecken.«

»Jawohl – den – muß – der andere wecken.« – – –

»Ansaschen, du schläfst!«

»Wer so was – sagen kann, – der schläft – selber.«

»Ansaschen, wach auf!«

»Ich wach'. Wachst du?«

Und so schlafen sie ein.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die Ane Doczys hat keine Ruh in ihrem Bett. Sie weckt also ihren Mann und sagt: »Doczys, steh auf, wir wollen aufs Haff hinausfahren.«

»Warum sollen wir aufs Haff hinausfahren?« fragt der Doczys, sich den Schlaf aus den Augen reibend. »Fischen tu' ich erst morgen.«

»Die Indre hat solche Reden geführt,« sagt die Doczene, »es ist besser, wir fahren ihnen entgegen.«

Da fügt er sich mit Seufzen, zieht sich an und setzt die Segel.

Wie sie aufs Haff hinausfahren, wird es schon Tag, und der Frühnebel liegt so dicht, daß sie keine Handbreit vorauf sehen können.

»Wohin soll ich fahren?« fragt der Doczys.

»Nach Windenburg zu,« bestimmt die Doczene.

Der Südwind wirft ihnen kurze, harte Wellen entgegen, und sie müssen kreuzen.

Da, mit einemmal horcht die Doczene hoch auf.

Eine Stimme ist hilferufend aus dem Nebel gedrungen – eine Frauenstimme.

»Gerade drauf zu!« schreit die Doczene. Aber er muß ja kreuzen.

Und sie kommen schließlich doch näher – ganz nahe kommen sie.

Da finden sie die Indre auf dem Wasser liegen, wie die Wellen sie auf und nieder schaukeln.

Wie hat es zugehen können, daß sie nicht ertrunken ist?

Rechts und links von ihrer Brust ragen halb aus dem Wasser zwei Bündel von grünen Binsen, die sind mit einem Bindfaden auf dem Rücken zusammengebunden.

Sie ziehen sie in den Kahn, und sie schreit immerzu: »Rettet den Ansas! Rettet den Ansas!«

Ja – wo ist der Ansas?

Sie weiß von nichts. Zuletzt, als sie wieder hochgekommen ist, da hat sie seine Hände gefühlt, wie er wassertretend die Binsen an ihr befestigte. Und von da an weiß sie nichts mehr von ihm.

Sie rufen und suchen und rufen. Aber sie finden ihn nicht. Nur den umgeschlagenen Kahn finden sie. An dem hätte er sich wohl halten können, aber er ist ihm sicher davongeschwommen, dieweil er die Binsen an Indres Leibe befestigte.

Fünf Stunden lang suchen sie, und die Indre liegt auf den Knien und betet um ein Wunder.

Aber das Wunder ist nicht geschehen. Zwei Tage später lag er oberwärts friedlich am Strande.

 

* *

*

 

Neun Monate nach dem Tode des Ansas gebar ihm die Indre einen Sohn. Er wurde nach ihrem Wunsch in der heiligen Taufe Galas, das heißt »Abschluß« benannt. Doch weil der Name ungebräuchlich ist, hat man ihn meistens nach dem Vater gerufen. Und heute ist er ein ansehnlicher Mann.

Der Endrik hält die väterliche Wirtschaft in gutem Stande, die Elske hat einen wohlhabenden Besitzer geheiratet, und der Willus ist richtig ein Pfarrer geworden. Seine Gemeinde sieht in ihm einen Abgesandten des Herrn, und auch die Gebetsleute halten zu ihm.

Die Indre ist nun eine alte Frau und lebt im Ausgedinge bei dem ältesten Sohn. Wenn sie zur Kirche geht, neigen sich alle vor ihr. Sie weiß, daß sie nun bald im Himmel mit Ansas vereint sein wird, denn Gott ist den Sündern gnädig.

Und also gnädig sei er auch uns!

 

Miks Bumbullis

 

1

Der Grigas und die Eve waren zum Johannisfeuer gegangen, hatten sich dann beim Heimweg irgendwo im Gebüsch noch aufgehalten, wie das junger Menschenkinder gutes Recht ist, und als sie sich dem Försterhaus näherten, verschämt und verstohlen, da war es fast schon heller Tag.

Der Grigas bemerkte als erster, daß die Lampe im Wohnzimmer des Herrn noch brannte. Er winkte der Eve rasch, sich von hinten herum ins Haus zu schleichen, und tat so, als sei er schon bei der Arbeit. Er machte sich an dem Holzlager zu schaffen und warf mit großem Gepolter etliche Erlenkloben zwecklos übereinander.

Damit begehrte er die Aufmerksamkeit des alten Hegemeisters auf sich zu lenken und der Eve den heimlichen Wiedereintritt zu erleichtern.

Aber der Anruf des strengen Brotherrn, den er erwartet hatte, blieb aus.

»Wird wohl auf dem Sofa eingeschlafen sein,« dachte er und setzte erleichtert die Pfeife in Brand.

Aber da sah er, wie vom Giebelende her die Eve mit heftigen Gebärden nach ihm zu rufen schien. Er begab sich vorsichtig in ihre Nähe und erfuhr zu seinem lebhaften Erstaunen, daß sie beim Nachsehen das Bettchen der kleinen Anikke leer gefunden habe.

Anikke war das vierjährige Kind eines weitläufigen Neffen, das der Alte zu sich genommen hatte, seit der Vater verschollen und die Mutter aus Gram darüber dem Lungenhusten erlegen war.