Aber sofort stößt sie einen Schrei aus und zieht sie wieder zurück. Mit Gewalt steckt man die Hand in das Wasser hinein und hält sie dort fest, während die Frau jammert und stöhnt und ihr Gesicht sich ganz mit Schweiß bedeckt. Dreimal tauchte man sie unter, und jedesmal sieht man, wie die Nadel wieder ein Stück weiter gewandert ist, bis sie endlich an der Spitze des Daumens zum Vorschein kommt ... Natürlich war ihr Schreien dadurch veranlaßt worden, daß die Nadel in dem Fleische vorwärtswanderte, als wenn sie von jemand gestoßen würde, um sie herauszubekommen ... Cölestine hat niemals mehr Schmerzen gehabt, und ihre Hand hat nur eine kleine Narbe behalten zu dem einzigen Zwecke, das Werk der Heiligen Jungfrau zu zeigen.«

Diese Anekdote hatte noch mehr Wirkung als die Wunder der großartigen Heilungen. Eine Nadel, die vorwärtsdrang, gleich als wenn sie jemand gestoßen hätte! Das war eine Steigerung des Wunderbaren, das zeigte jedem Kranken seinen Schutzengel, der hinter ihm stand, bereit, ihm auf einen Wink des Himmels zu helfen. Dann wie reizend und wie kindlich war das, eine Nadel, die durch das wunderbare Wasser zum Wandern gebracht wurde, nachdem sie sieben Jahre ruhig auf einem Platze geblieben war! Und alle gaben ihrer Freude lauten Ausdruck und lachten vor Vergnügen und strahlten vor Glück, daß dem Himmel nichts unmöglich war, daß sie alle, wenn der Himmel wolle, gesund, jung und glücklich würden. Es genügte, zu glauben und innig zu beten, damit die Natur verstumme und das Unglaubliche sich verwirkliche.

»Oh, Vater, wie schön ist das!« flüsterte Marie, durch die Erregung neu belebt und stumm vor Ergriffenheit. »Du erinnerst dich noch an das, was du mir selbst erzählt hast von jener Joachine Dehaut, die aus Belgien gekommen war und ganz Frankreich durchquert hatte mit ihrem verkrüppelten, von Geschwüren bedeckten Beine. Zuerst wurde das Geschwür geheilt. Man konnte das Knie drücken, ohne daß sie etwas verspürte; es blieb nur eine leichte Röte zurück. Dann kam die Verrenkung an die Reihe. Im Wasser schrie sie, es war ihr, als ob man ihr die Knochen zerbräche, als ob man ihr das Bein herausrisse. Zur gleichen Zeit sahen sie und die Frau, die sie badete, wie der ungestaltete Fuß sich wieder geradestreckte mit der Regelmäßigkeit eines Zeigers, der über ein Zifferblatt wandert. Das Bein richtete sich wieder ein, die Muskeln dehnten sich und das Knie trat an seinen richtigen Platz unter so heftigen Schmerzen, daß Joachine schließlich ohnmächtig wurde. Als sie aber wieder zu sich kam, sprang sie gewandt und rasch auf und trug ihre Krücken in die Grotte!«

Herr von Guersaint lachte entzückt über dieses Wunder und bestätigte durch Kopfnicken diese Erzählung, die er von einem Pater von Mariä Himmelfahrt hatte. Der hätte, wie er sagte, noch zwanzig ähnliche Fälle erzählen können, von denen der eine immer ergreifender und wunderbarer als der andere gewesen war. Er forderte Pierre zum Zeugen auf, und dieser, der nicht glaubte, begnügte sich damit, den Kopf zu schütteln. Zuerst hatte er sich bemüht, um Marien nicht zu betrüben, sich zu zerstreuen, und zum Fenster hinausgesehen und die Felder, Bäume und Häuser, die vorüberflogen, betrachtet. Man durchfuhr gerade Angoulême, dessen endlos sich ausbreitende Wiesenflächen mit den langen Reihen von Pappelbäumen vor dem Wagenfenster vorüberglitten. Pierre hörte aber trotzdem, ganz gegen seinen Willen, Bruchstücke der Erzählungen und interessierte sich für diese Geschichten, die das laute Gerassel der Räder übertönten. Es war als ob die sich selbst überlassene Lokomotive sie alle in das göttliche Land der Träume geführt hätte. Man rollte dahin, man rollte weiter und weiter, und schließlich gab er es auf, hinauszublicken, und überließ sich ganz dem einschläfernden Einflüsse der drückenden Atmosphäre im Wagen, in dem die Verzückung wuchs, die wirkliche Welt aber, durch die man so raschen Laufes dahineilte, gänzlich entrückt war. Das neu belebte Gesicht Mariens erfüllte ihn mit aufrichtiger Freude. Er überließ ihr seine Hand, die sie ergriffen hatte, um ihm durch einen innigen Druck all die Hoffnungsfreudigkeit kundzutun, die in ihr eingekehrt war. Warum sollte er sie durch seinen Zweifel betrüben, da er doch ihre Heilung wünschte? Mit unendlicher Zärtlichkeit hielt er die kleine, krankhaft feuchte Hand in der seinigen fest. Von mitleidender brüderlicher Liebe erfüllt, wollte er gern an eine höhere Gnade glauben, die den Verzweifelten den Schmerz nach ihrem Ermessen zuteilt und wegnimmt.

»Pierre«, wiederholte sie, »wie ist das schön, wie ist das schön! Und welch ein Ruhm für mich, wenn sich die Heilige Jungfrau in ihrer Gnade meiner erbarmen würde ... Glauben Sie wirklich, daß ich dessen würdig bin?«

»Gewiß!« rief er laut. »Sie sind die beste und die reinste, die ganz fleckenlose Seele, und es gibt nicht genug gute Engel im Paradiese, um Ihnen als Ehrengeleit zu dienen.«

Aber das Erzählen war noch nicht zu Ende. Schwester Hyacinthe und Frau von Jonquière teilten jetzt alle Wunder mit, die sie kannten, eine lange Reihe von Wundern, die seit mehr denn dreißig Jahren in Lourdes emporblühten, wie der ununterbrochene Blütenreichtum der Rosen in einem zauberhaften Rosengarten.