Ich habe Dr. Goll gezwungen, mich zu heiraten. Sie haben mir befohlen, den Maler zu heiraten. Ich habe gute Miene zum bösen Spiel gemacht. – Sie kreieren Künstler, Sie protegieren Prinzen. Warum heiraten Sie nicht?
SCHÖN (wütend)
Glaubst du denn vielleicht, dass du mir im Weg stehst?!
LULU (von jetzt an bis zum Schluss triumphierend)
Wüssten Sie, wie Ihre Wut mich glücklich macht! Wie stolz ich darauf bin, dass Sie mich mit allen Mitteln demütigen! Sie erniedrigen mich so tief – so tief, wie man ein Weib erniedrigen kann, weil Sie hoffen, Sie könnten sich dann eher über mich hinwegsetzen. Aber Sie haben sich selber unsäglich weh getan durch alles, was Sie mir eben sagten. Ich sehe es Ihnen an. Sie sind schon beinahe am Ende Ihrer Fassung. Gehen Sie! Um Ihrer schuldlosen Braut willen, lassen Sie mich allein! Eine Minute noch, dann schlägt Ihre Stimmung um, und Sie machen mir eine andere Szene, die Sie jetzt nicht verantworten können!
SCHÖN
Ich fürchte dich nicht mehr.
LULU
Mich? – Fürchten Sie sich selber! – Ich bedarf Ihrer nicht. – Ich bitte Sie, gehen Sie! Geben Sie nicht mir die Schuld. Sie wissen, dass ich nicht ohnmächtig zu werden brauchte, um Ihre Zukunft zu zerstören. Sie haben ein unbegrenztes Vertrauen in meine Ehrenhaftigkeit! Sie glauben nicht nur, dass ich ein bestrickendes Menschenkind bin; Sie glauben auch, dass ich ein herzensgutes Geschöpf bin. Ich bin weder das eine, noch das andere. Das Unglück für Sie ist nur, dass Sie mich dafür halten.
SCHÖN (verzweifelt)
Lass meine Gedanken gehen! Du hast zwei Männer unter der Erde. Nimm den Prinzen, tanz’ ihn in Grund und Boden! Ich bin fertig mit dir. Ich weiß, wo der Engel bei dir zu Ende ist und der Teufel beginnt. Wenn ich die Welt nehme, wie sie geschaffen ist, so trägt der Schöpfer die Verantwortung, nicht ich! Mir ist das Leben keine Belustigung.
LULU
Dafür stellen Sie auch Ansprüche an das Leben, wie sie höher niemand stellen kann … Sagen Sie mir, wer von uns beiden ist wohl anspruchsvoller, Sie oder ich?!
SCHÖN
Schweig! Ich weiß nicht, wie und was ich denke. Wenn ich dich höre, denke ich nicht mehr. In acht Tagen bin ich verheiratet. Ich beschwöre dich – bei dem Engel, der in dir ist, komm’ mir derweil nicht mehr zu Gesicht!
LULU
Ich will meine Türe verschließen.
SCHÖN
Prahl’ noch mit dir! – Ich habe, Gott ist mein Zeuge, seit ich mit der Welt und dem Leben ringe, noch niemandem so geflucht!
LULU
Das kommt von meiner niederen Herkunft.
SCHÖN
Von deiner Verworfenheit!!
LULU
Mit tausend Freuden nehme ich die Schuld auf mich! Sie müssen sich jetzt rein fühlen. Sie müssen sich jetzt für den sittenstrengen Mustermenschen, für den Tugendbold von unerschütterlichen Grundsätzen halten – sonst können Sie das Kind in seiner bodenlosen Unerfahrenheit gar nicht heiraten …
SCHÖN
Willst du, dass ich mich an dir vergreife!
LULU (rasch)
Ja! Ja! Was muss ich sagen, damit Sie es tun? Um kein Königreich möchte ich jetzt mit dem unschuldigen Kinde tauschen! Dabei liebt das Mädchen Sie, wie noch kein Weib Sie je geliebt hat!!
SCHÖN
Schweig, Bestie! Schweig!
LULU
Heiraten Sie sie – dann tanzt sie in ihrem kindlichen Jammer vor meinen Augen, statt ich vor ihr!
SCHÖN (hebt die Faust)
Verzeih’ mir Gott …
LULU
Schlagen Sie mich! Wo haben Sie Ihre Reitpeitsche! Schlagen Sie mich an die Beine …
SCHÖN (greift sich an die Schläfen)
Fort, fort …! (Stürzt zur Türe, besinnt sich, wendet sich um.) Kann ich jetzt so vor das Kind hintreten? – Nach Hause! – Wenn ich zur Welt hinaus könnte!
LULU
Seien Sie doch ein Mann. – Blicken Sie sich einmal ins Gesicht. – Sie haben keine Spur von Gewissen. – Sie schrecken vor keiner Schandtat zurück. – Sie wollen das Mädchen, das Sie liebt, mit der größten Kaltblütigkeit unglücklich machen. – Sie erobern die halbe Welt. – Sie tun, was Sie wollen – und Sie wissen so gut wie ich – dass …
SCHÖN (ist völlig erschöpft auf dem Sessel links neben dem Mitteltisch zusammengesunken)
Schweig!
LULU
Dass Sie zu schwach sind – um sich von mir loszureißen …
SCHÖN (stöhnend)
Oh! Oh! Du tust mir weh!
LULU
Mir tut dieser Augenblick wohl – ich kann nicht sagen wie!
SCHÖN
Mein Alter! Meine Welt!
LULU
– Er weint wie ein Kind – der furchtbare Gewaltmensch! – Jetzt gehen Sie so zu Ihrer Braut und erzählen Sie ihr, was ich für eine Seele von einem Mädchen bin – keine Spur eifersüchtig!
SCHÖN (schluchzend)
Das Kind! Das schuldlose Kind!
LULU
Wie kann der eingefleischte Teufel plötzlich so weich werden. – – Jetzt gehen Sie aber bitte. Jetzt sind Sie nichts mehr für mich.
SCHÖN
Ich kann nicht zu ihr.
LULU
Hinaus mit Ihnen! Kommen Sie zu mir zurück, wenn Sie wieder zu Kräften gelangt sind.
SCHÖN
Sag’ mir um Gottes willen, was ich tun soll.
LULU (erhebt sich; ihr Mantel bleibt auf dem Sessel. Auf dem Mitteltisch die Kostüme beiseite schiebend)
Hier ist Briefpapier …
SCHÖN
Ich kann nicht schreiben …
LULU (aufrecht hinter ihm stehend, auf die Lehne seines Sessels gestützt)
Schreiben Sie! – Sehr geehrtes Fräulein …
SCHÖN (zögernd)
Ich nenne sie Adelheid …
LULU (mit Nachdruck)
Sehr geehrtes Fräulein …
SCHÖN (schreibend)
– Mein Todesurteil!
LULU
Nehmen Sie Ihr Wort zurück. Ich kann es mit meinem Gewissen – (da Schön die Feder absetzt und ihr einen flehendlichen Blick zuwirft.) Schreiben Sie Gewissen! – nicht vereinbaren, Sie an mein unseliges Los zu fesseln …
SCHÖN (schreibend)
Du hast recht. – Du hast recht.
LULU
Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich Ihrer Liebe – (da sich Schön wieder zurückwendet.) Schreiben Sie Liebe! – unwürdig bin. Diese Zeilen sind Ihnen der Beweis. Seit drei Jahren versuche ich mich loszureißen; ich habe die Kraft nicht. Ich schreibe Ihnen an der Seite der Frau, die mich beherrscht. – Vergessen Sie mich. – Doktor Ludwig Schön.
SCHÖN (aufächzend)
O Gott!
LULU (halb erschrocken)
Ja kein »O Gott«! – (Mit Nachdruck.) Doktor Ludwig Schön. – Postskriptum: Versuchen Sie nicht, mich zu retten.
SCHÖN (nachdem er zu Ende geschrieben, in sich zusammenbrechend)
Jetzt – kommt die – Hinrichtung …
Vierter Aufzug
Prachtvoller Saal in deutscher Renaissance mit schwerem Plafond in geschnitztem Eichenholz. Die Wände bis zur halben Höhe in dunklen Holzskulpturen. Darüber an beiden Seiten verblasste Gobelins. Nach hinten oben ist der Saal durch eine verhängte Galerie abgeschlossen, von der links eine monumentale Treppe bis zur halben Tiefe der Bühne herabführt. In der Mitte unter der Galerie die Eingangstür mit gewundenen Säulen und Frontispiz. An der rechten Seitenwand ein geräumiger hoher Kamin.
1 comment