Als Gattin werden Sie einen Mann über alles glücklich machen … Ihr ganzes Wesen ist Offenherzigkeit. – Sie wären eine schlechte Schauspielerin …

(Die elektrische Klingel tönt über der Tür.)

LULU (hat die Schnüre ihres Korsetts etwas gelockert, holt tief Atem, mit den Absätzen klirrend)

Jetzt kann ich wieder atmen. Der Vorhang geht auf. (Sie nimmt vom Mitteltisch ein Skirtdancekostüm – Plissee, hellgelbe Seide, ohne Taille, am Hals geschlossen, bis zu den Knöcheln reichend, weite Blusenärmel – und wirft es sich über.) Ich muss tanzen.

ESCERNY (erhebt sich und küsst ihr die Hand)

Erlauben Sie mir, noch ein wenig hierzubleiben.

LULU

Bitte, bleiben Sie.

ESCERNY

Ich bedarf etwas der Einsamkeit.

(Lulu ab.)

Sechster Auftritt

ESCERNY (allein)

Was ist Noblesse? – Ist es Verschrobenheit, wie bei mir? – Oder ist es leibliche und geistige Vervollkommnung, wie bei diesem Mädchen? – (Klatschen und Bravorufen wird hörbar.) Wer mir den Glauben an die Menschen zurückgibt, gibt mir mein Leben zurück. – Sollten Kinder dieser Frau nicht fürstlicher sein an Leib und Seele, als Kinder, deren Mutter nicht mehr Lebensfähigkeit in sich hat, als ich bis heute in mir fühlte? (Er setzt sich links vorn, schwärmerisch.) Der Tanz hat ihren Körper geadelt …

Siebenter Auftritt

ALWA. ESCERNY.

ALWA

Man ist keinen Moment sicher, dass nicht ein armseliger Zufall der Vorstellung den Garaus macht!

(Er wirft sich rechts neben dem Spiegel in den Armsessel, so dass die beiden Herren gerade umgekehrt wie vorher placiert sind. Beide führen die Unterhaltung etwas blasiert und apathisch.)

ESCERNY

So dankbar hat sich das Publikum aber noch nie gezeigt.

ALWA

Sie hat den Skirtdance beendet.

ESCERNY

 – Ich höre sie kommen …

ALWA

Sie kommt nicht. – Sie hat keine Zeit. – Sie wechselt das Kostüm hinter der Kulisse.

ESCERNY

Sie hat zwei Ballerinakostüme, wenn ich nicht irre?

ALWA

Ich finde, dass ihr das weiße besser steht, als das in Rosa.

ESCERNY

Finden Sie?

ALWA

Sie nicht?

ESCERNY

Ich finde, sie sieht in dem weißen Tüll zu körperlos aus.

ALWA

Ich finde, sie sieht in dem Rosatüll zu animalisch aus.

ESCERNY

Ich finde das nicht.

ALWA

Der weiße Tüll bringt mehr das Kindliche ihrer Natur zum Ausdruck!

ESCERNY

Der Rosatüll bringt mehr das Weibliche ihrer Natur zum Ausdruck!

(Die elektrische Klingel ertönt über der Tür.)

ALWA (aufspringend)

Um Gottes willen, was ist da los!

ESCERNY (sich gleichfalls erhebend)

Was ist mit Ihnen?

(Die elektrische Klingel tönt fort bis zum Schlusse der Szene.)

ALWA

Da ist was passiert …

ESCERNY

Wie können Sie gleich so erschrecken?

ALWA

Das muss eine höllische Verwirrung sein. (Ab.)

ESCERNY

(folgt ihm).

(Die Tür bleibt offen. Man hört gedämpfte Walzerklänge.)

(Pause.)

Achter Auftritt

LULU

(in langem Theatermantel, tritt ein und zieht die Tür hinter sich zu. Sie trägt ein rosa Ballettkostüm mit Blumengirlanden, geht quer über die Bühne und nimmt in dem Armsessel neben dem Spiegel Platz).

(Pause.)

Neunter Auftritt

ALWA. LULU. – Gleich darauf SCHÖN.

ALWA

Sie hatten einen Ohnmachtsanfall?

LULU

Ich bitte Sie, schließen Sie zu.

ALWA

Kommen Sie wenigstens auf die Bühne.

LULU

Haben Sie ihn gesehen?

ALWA

Wen gesehen?

LULU

Mit seiner Braut??

ALWA

Mit seiner … (Zu Schön, der eintritt.) Den Scherz hättest du dir sparen können!

SCHÖN

Was ist mit ihr? (Zu Lulu.) Wie kannst du die Szene gegen mich ausspielen!!

LULU

Ich fühle mich wie geprügelt.

SCHÖN (nachdem er die Tür verriegelt)

Du wirst tanzen – so wahr ich mir die Verantwortung für dich aufgeladen!

LULU

Vor Ihrer Braut?

SCHÖN

Hast du ein Recht, dich darum zu kümmern, vor wem? – Du bist hier engagiert. Du erhältst deine Gage …

LULU

Ist das Ihre Sache?

SCHÖN

Du tanzt vor jedem, der sein Billett löst. Mit wem ich in meiner Loge sitze, hat keine Beziehung zu deiner Tätigkeit!

ALWA

Wärest du in deiner Loge sitzengeblieben! (Zu Lulu.) Sagen Sie mir bitte, was ich tun soll. (Von außen wird gepocht.) Da ist der Direktor. (Ruft.) Gleich, gleich. Einen Augenblick. (Zu Lulu.) Sie werden uns nicht zwingen wollen, die Vorstellung abzubrechen!

SCHÖN (zu Lulu)

Auf die Bühne mit dir!

LULU

Lassen Sie mir nur einen Augenblick. Ich kann jetzt nicht. Mir ist sterbenselend.

ALWA

Hol’ der Henker den ganzen Kulissenkram!

LULU

Schalten Sie die nächste Nummer ein. Das merkt kein Mensch, ob ich jetzt tanze oder in fünf Minuten. Ich habe keine Kraft in den Füßen.

ALWA

Aber dann tanzen Sie?

LULU

So gut ich kann …

ALWA

So schlecht Sie wollen. (Da von außen gepocht wird.) Ich komme. (Ab.)

Zehnter Auftritt

SCHÖN. LULU.

LULU

Sie haben recht, dass Sie mir zeigen, wo ich hingehöre. Das konnten Sie nicht besser, als wenn Sie mich vor Ihrer Braut den Skirtdance tanzen lassen … Sie tun mir den größten Gefallen, wenn Sie mich darauf hinweisen, was meine Stellung ist.

SCHÖN (höhnisch)

Bei deiner Herkunft ist es ein Glück sondergleichen für dich, dass du noch Gelegenheit hast, vor anständigen Leuten aufzutreten!

LULU

Auch wenn sie über meine Schamlosigkeit nicht wissen, wohin sehen.

SCHÖN

Albernes Geschwätz! – Schamlosigkeit? – Mach’ aus der Tugend keine Not! – Deine Schamlosigkeit ist das, was man dir für jeden Schritt mit Gold aufwiegt. Der eine schreit Bravo, der andere schreit Pfui – das heißt für dich das Gleiche! – Kannst du dir einen glänzenderen Triumph wünschen, als wenn sich ein anständiges Mädchen kaum in der Loge zurückhalten lässt?!! Hat dein Leben denn ein anderes Ziel?! – Solang du noch einen Funken Achtung vor dir selber hast, bist du keine perfekte Tänzerin! Je fürchterlicher es den Menschen vor dir graut, um so größer stehst du in deinem Beruf da!!

LULU

Es ist mir ja auch vollkommen gleichgültig, was man von mir denkt. Ich möchte um alles nicht besser sein als ich bin. Mir ist wohl dabei.

SCHÖN (in moralischer Empörung)

Das ist deine wahre Natur! Das nenne ich aufrichtig. – Eine Korruption!!

LULU

Ich wüsste nicht, dass ich je einen Funken Achtung vor mir gehabt hätte.

SCHÖN (wird plötzlich misstrauisch)

Keine Harlekinaden …

LULU

O Gott – ich weiß sehr wohl, was aus mir geworden wäre, wenn Sie mich nicht davor bewahrt hätten.

SCHÖN

Bist du denn heute vielleicht etwas anderes??

LULU

Gott sei Dank, nein!

SCHÖN

Das ist echt!

LULU (lacht)

Und wie überglücklich ich dabei bin!

SCHÖN (spuckt aus)

Wirst du jetzt tanzen?

LULU

Wie und vor wem es ist!

SCHÖN

Also dann auf die Bühne!!

LULU (kindlich bittend)

Nur eine Minute noch. Ich bitte Sie. Ich kann mich noch nicht aufrecht halten. – Man wird klingeln.

SCHÖN

Du bist dazu geworden, trotz allem, was ich für deine Erziehung und dein Wohl geopfert habe!

LULU (ironisch)

Sie hatten Ihren veredelnden Einfluss überschätzt?

SCHÖN

Verschone mich mit deinen Witzen.

LULU

 – Der Prinz war hier.

SCHÖN

So?

LULU

Er nimmt mich mit nach Afrika.

SCHÖN

Nach Afrika?

LULU

Warum denn nicht? Sie haben mich ja zur Tänzerin gemacht, damit einer kommt und mich mitnimmt.

SCHÖN

Aber doch nicht nach Afrika!

LULU

Warum haben Sie mich denn nicht ruhig in Ohnmacht fallen lassen, und im Stillen dem Himmel dafür gedankt?

SCHÖN

Weil ich leider keinen Grund hatte, an deine Ohnmacht zu glauben!

LULU (spöttisch)

Sie hielten es unten nicht aus …?

SCHÖN

Weil ich dir zum Bewusstsein bringen muss, was du bist und zu wem du nicht aufzublicken hast!

LULU

Sie fürchteten, meine Glieder könnten doch vielleicht ernstlich Schaden genommen haben?

SCHÖN

Ich weiß zu gut, dass du unverwüstlich bist.

LULU

Das wissen Sie also doch?

SCHÖN (aufbrausend)

Sieh mich nicht so unverschämt an!!

LULU

Es hält Sie niemand hier.

SCHÖN

Ich gehe, sobald es klingelt.

LULU

Sobald Sie die Energie dazu haben! – Wo ist Ihre Energie? – Sie sind seit drei Jahren verlobt. Warum heiraten Sie nicht? – Sie kennen keine Hindernisse. Warum wollen Sie mir die Schuld geben? – Sie haben mir befohlen, Dr. Goll zu heiraten.