Nur ja keine Schüchternheit! Zuerst werde ich euch einen Tropfen vorsetzen, wie er für Geld nirgends zu haben ist. (Er öffnet ein Schränkchen unter der Treppe.)

HUGENBERG

Wenn sie jetzt aber nicht unverzüglich angetanzt kommt, dann verhaue ich euch beide, dass ihr euch noch im Jenseits den Buckel reibt.

RODRIGO (hat sich rechts an den Tisch gesetzt)

Den stärksten Mann der Welt will das Brüderchen verhaun! (Zu Hugenberg.) Lass dir von Mutterchen erst lange Hosen anziehen.

HUGENBERG (sich links an den Tisch setzend)

Ich wünschte lieber, du borgtest mir deinen Schnurrbart.

RODRIGO

Willst du vielleicht, dass sie dich gleich zur Türe hinauswirft?

HUGENBERG

Zum Henker noch mal, wenn ich nur schon wüsste, was ich ihr sagen soll!

RODRIGO

Das weiß sie schon selber am besten.

SCHIGOLCH (setzt zwei Flaschen und drei Gläser auf den Tisch)

Die eine habe ich gestern schon angebrochen. (Er füllt die Gläser.)

RODRIGO (Hugenbergs Glas schützend)

Gib ihm nicht zu viel, sonst müssen wir beide es ausbaden.

SCHIGOLCH (sich mit beiden Händen auf die Tischplatte stützend)

Rauchen die Herren?

HUGENBERG (sein Zigarrenetui öffnend)

Da sind Habanna-Importen!

RODRIGO (sich bedienend)

Von Papa Polizeidirektor?

SCHIGOLCH (sich setzend)

Ich habe alles im Hause. Braucht nur zu befehlen.

HUGENBERG

Ich habe ihr gestern ein Gedicht gemacht.

RODRIGO

Was hast du ihr gemacht?

SCHIGOLCH

Was hat er ihr gemacht?

HUGENBERG

Ein Gedicht.

RODRIGO (zu Schigolch)

Ein Gedicht.

SCHIGOLCH

Einen Taler hat er mir versprochen, wenn ich auskundschafte, wo er mit ihr allein zusammentreffen kann.

HUGENBERG

Wer wohnt denn eigentlich hier?

RODRIGO

Hier wohnen wir!

SCHIGOLCH

Jour fix – jeden Börsentag! – Zum Wohl!

(Sie stoßen an.)

HUGENBERG

 – Soll ich es ihr vielleicht zuerst vorlesen?

SCHIGOLCH (zu Rodrigo)

Was meint er?

RODRIGO

Sein Gedicht. Er will sie gerne zuerst ein wenig auf die Folter spannen.

SCHIGOLCH (Hugenberg fixierend)

Die Augen! Die Augen!

RODRIGO

Die Augen, ja! Die haben sie seit acht Tagen um ihren Schlaf gebracht.

SCHIGOLCH (zu Rodrigo)

Du kannst dich einpökeln lassen.

RODRIGO

Wir beide können uns einpökeln lassen! Zum Wohl, Gevatter Tod.

SCHIGOLCH (anstoßend)

Zum Wohl, Springfritze! Wenn es später noch besser kommt, dann bin ich jeden Augenblick zum Aufbruch bereit; aber … aber …

Sechster Auftritt

LULU. DIE VORIGEN. Später FERDINAND.

LULU (von links, in eleganter Pariser Balltoilette, weit dekolletiert, mit Blumen vor der Brust und im Haar)

Aber Kinder, Kinder, ich erwarte Besuch!

SCHIGOLCH

Aber das kann ich euch sagen, die müssen es sich da drüben was kosten lassen!

HUGENBERG

(hat sich erhoben).

LULU (sich auf die Armlehne seines Sessels setzend)

Sie sind in eine nette Gesellschaft geraten. Ich erwarte Besuch, Kinder.

SCHIGOLCH

Da muss ich mir wohl auch was vorstecken.

(Sucht in dem Bukett, das auf dem Tische steht.)

LULU

Sehe ich gut aus?

SCHIGOLCH

Was sind das, was du da vorhast?

LULU

Orchideen. (Sich mit der Brust über Hugenberg neigend.) Riechen Sie.

RODRIGO

Sie erwarten wohl den Prinzen Escerny?

LULU (schüttelt den Kopf)

Gott bewahre!

RODRIGO

Also wieder jemand anders!

LULU

Der Prinz ist verreist.

ODRIGO

Sein Königreich auf Auktion bringen?

LULU

Er kundschaftet eine frische Völkerschaft in der Gegend von Afrika aus. (Erhebt sich, eilt die Treppe hinauf und tritt in die Galerie ein.)

RODRIGO (zu Schigolch)

 – Er habe sie nämlich ursprünglich heiraten wollen.

SCHIGOLCH (sich eine Lilie vorsteckend)

Ich habe sie ursprünglich auch heiraten wollen.

RODRIGO

Du hast sie ursprünglich heiraten wollen?

SCHIGOLCH

Hast du sie nicht auch ursprünglich heiraten wollen?

RODRIGO

Jawohl habe ich sie ursprünglich heiraten wollen!

SCHIGOLCH

Wer hat sie nicht ursprünglich heiraten wollen!!

RODRIGO

 – So gut hätte ich’s nie gekriegt!

SCHIGOLCH

Sie hat es keinen bereuen lassen, dass er sie nicht geheiratet hat.

RODRIGO

 – Sie ist also nicht dein Kind?

SCHIGOLCH

Fällt ihr nicht ein.

HUGENBERG

Wie heißt denn ihr Vater?

SCHIGOLCH

Sie hat mit mir renommiert!

HUGENBERG

Wie heißt denn ihr Vater?

SCHIGOLCH

Was meint er?

RODRIGO

Wie ihr Vater heißt.

SCHIGOLCH

Sie hat nie einen gehabt.

LULU (kommt von der Galerie und setzt sich wieder zu Hugenberg auf die Armlehne)

Was habe ich nie gehabt?

ALLE DREI

Einen Vater.

LULU

Ja gewiss, ich bin ein Wunderkind. (Zu Hugenberg.) Wie sind Sie denn mit Ihrem Vater zufrieden?

RODRIGO

Er raucht wenigstens eine anständige Zigarre, der Herr Polizeidirektor.

SCHIGOLCH

Hast oben zugeschlossen?

LULU

Da ist der Schlüssel.

SCHIGOLCH

Hättest ihn lieber stecken lassen.

LULU

Warum denn?

SCHIGOLCH

Damit man von außen nicht aufschließen kann.

RODRIGO

Ist er denn nicht auf der Börse?

LULU

O doch, aber er leidet an Verfolgungswahn.

RODRIGO

Ich nehme ihn auf die Füße und jupp – dass er oben an der Decke kleben bleibt.

LULU

Sie jagt er mit einem Viertelsseitenblick durch ein Mausloch.

RODRIGO

Was jagt er? Wen jagt er? (Seinen Arm entblößend.) Sehen Sie sich bitte den Bizeps an.

LULU

Zeigen Sie. (Geht nach rechts.)

RODRIGO (sich auf den Arm schlagend)

Granit. – Schmiedeeisen.

LULU (befühlt abwechselnd Rodrigos Oberarm und ihren eigenen)

Wenn Sie nur nicht so lange Ohren hätten …

FERDINAND (durch die Mitte eintretend)

Herr Doktor Schön.

RODRIGO (aufspringend)

Der Lumpenkerl. (Will hinter den Kaminschirm, fährt zurück.) Gott behüte einen! (Versteckt sich rechts vorn hinter den Gardinen.)

SCHIGOLCH

Gib mir den Schlüssel her! (Nimmt Lulu den Schlüssel ab und schleppt sich die Treppe zur Galerie hinauf.)

HUGENBERG

(ist vom Sessel unter den Tisch geglitten).

LULU

Ich lasse bitten.

FERDINAND

(ab).

HUGENBERG (lauscht vorn unter dem Saum der Tischdecke vor, für sich)

Er bleibt hoffentlich nicht – dann sind wir allein …

LULU

(berührt ihn mit der Fußspitze).

HUGENBERG

(verschwindet).

Siebenter Auftritt

ALWA. SCHÖN. DIE VORIGEN

FERDINAND

(lässt Alwa eintreten. Ab).

ALWA (in Soireetoilette)

Die Matinee wird, wie ich mir denke, bei brennenden Lampen stattfinden. Ich habe … (Schigolch bemerkend, der sich mühsam die Treppe hinaufschleppt.) Was ist denn das?

LULU

Ein alter Freund deines Vaters.

ALWA

Mir völlig unbekannt.

LULU

Sie haben den Feldzug zusammen mitgemacht. Es geht ihm entsetzlich …

ALWA

Ist denn mein Vater hier?

LULU

Er hat ein Glas mit ihm getrunken. Er musste auf die Börse. – Wir dejeunieren aber doch vorher?

ALWA

Wann geht es dann an?

LULU

Nach zwei. (Da Alwa Schigolch mit dem Blick folgt.) Wie findest du mich …?

SCHIGOLCH

(über die Galerie ab).

ALWA

Sollte ich dir das nicht lieber verschweigen?

LULU

Ich meine ja nur die Toilette.

ALWA

Deine Schneiderin kennt dich offenbar besser als ich – mir erlauben darf, dich zu kennen.

LULU

Als ich mich im Spiegel sah, hätte ich ein Mann sein wollen … (sich unterbrechend) mein Mann! –

ALWA

Du scheinst deinen Mann um das Glück zu beneiden, das du ihm bietest.

(Lulu links, Alwa rechts vom Mitteltisch. Er betrachtet sie mit scheuem Wohlgefallen.)

FERDINAND

(durch die Mitte mit Service, deckt den Tisch und legt zwei Kuverts auf; Flasche Pommery, Hors d’Œuvres).

ALWA

Haben Sie Zahnschmerzen?

LULU (zu Alwa hinüber)

Nicht.

FERDINAND

Herr Doktor …?

ALWA

Er scheint mir heute so weinerlich.

FERDINAND (durch die Zähne)

Man ist auch nur ein Mensch. – – (Ab. Beide setzen sich zu Tisch.)

LULU

 – Was ich immer am höchsten an dir schätzte, ist deine Charakterfestigkeit. Du bist deiner so vollkommen sicher! Wenn du auch fürchten musstest, dich deshalb mit deinem Vater zu überwerfen, du bist trotzdem immer wie ein Bruder für mich eingetreten.

ALWA

Lassen wir das. Es ist nun einmal mein Los … (Er will vorn die Tischdecke heben.)

LULU (rasch)

Das war ich.

ALWA

Nicht möglich! – Es ist nun einmal mein Los, bei den leichtsinnigsten Gedanken immer das allerbeste zu erzielen.

LULU

Du redest dir etwas ein, wenn du dich vor dir selber schlecht machst.

ALWA

Warum schmeichelst du mir so? – Es ist wahr, es lebt vielleicht kein so schlechter Mensch wie ich – der so viel Gutes zuwege gebracht hätte.

LULU

Auf jeden Fall bist du der einzige Mann auf dieser Welt, der mich beschützt hat, ohne mich vor mir selbst zu erniedrigen!

ALWA

Hältst du das für so leicht …?

Achter Auftritt

SCHÖN. DIE VORIGEN.

SCHÖN (erscheint auf der Galerie zwischen den beiden mittleren Säulen, indem er vorsichtig den Vorhang teilt. Über die Bühne wegsprechend)

Mein eigener Sohn!

ALWA

. … Mit deinen Gottesgaben macht man seine Umgebung zu Verbrechern, ohne sich’s träumen zu lassen. – Ich bin auch nur Fleisch und Blut, und wenn wir nicht wie Geschwister nebeneinander aufgewachsen wären …

LULU

Deshalb gebe ich mich auch nur dir allein ganz ohne Rückhalt. Von dir habe ich nichts zu fürchten.

ALWA

Ich versichere dir, es gibt Augenblicke, wo man gewärtig ist, sein ganzes Innere einstürzen zu sehen. – Je mehr Selbstüberwindung ein Mann sich aufbürdet, um so leichter bricht er zusammen. Darüber hilft nichts hinweg als … (er will unter den Tisch sehen.)

LULU (rasch)

Was suchst du denn?!

ALWA

Ich beschwöre dich, lass mich mein Glaubensbekenntnis für mich behalten! Als unantastbares Heiligtum warst du mir mehr, als du in deinem Leben mit all deinen Gaben irgend sonst jemandem sein konntest!

LULU

Wie denkst du darin doch so ganz anders als dein Vater!

FERDINAND

(kommt durch die Mitte, wechselt die Teller und serviert Brathähnchen mit Salat).

ALWA (zu Ferdinand)

Sind Sie krank?

LULU (zu Alwa)

Lass ihn doch!

ALWA

Er zittert wie im Fieber.

FERDINAND

Ich bin das Servieren noch nicht so gewohnt.

ALWA

Sie müssen sich was verschreiben lassen.

FERDINAND (durch die Zähne)

Ich kutschiere gewöhnlich. – – (Ab.)

SCHÖN (auf der Galerie, über die Bühne wegsprechend)

Der also auch. (Nimmt hinter der Brüstung Platz, sich nach Erfordernis mit dem Vorhang deckend.)

LULU

Was sind das für Augenblicke, von denen du sprachst, wo man gewärtig ist, sein ganzes Innere zusammenstürzen zu sehen?

ALWA

Ich wollte nicht davon sprechen. – Ich möchte nicht gern über einem Glas Champagner verscherzen, was mir während zehn Jahren mein höchstes Lebensglück gewesen.

LULU

Ich habe dir weh getan. Ich will nicht wieder davon anfangen.

ALWA

Versprichst du mir das für immer?

LULU

Meine Hand darauf.