(Reicht ihm ihre Hand über den Tisch.)

ALWA

(ergreift sie zögernd, presst sie in der seinigen, drückt sie lang und innig an seine Lippen).

LULU

Was tust du …

RODRIGO

(steckt rechts den Kopf aus den Gardinen).

LULU

(wirft ihm über Alwa hinweg einen wütenden Blick zu).

RODRIGO

(zieht sich zurück).

SCHÖN (auf der Galerie, über die Bühne wegsprechend)

Und da ist noch einer!

ALWA (ihre Hand haltend)

Eine Seele – die sich im Jenseits den Schlaf aus den Augen reibt … O diese Hand …

LULU (harmlos)

Was findest du daran …

ALWA

Einen Arm …

LULU

Was findest du daran …

ALWA

Einen Körper …

LULU (unschuldig)

Was findest du daran …

ALWA (erregt)

Mignon!

LULU (völlig verständnislos)

Was findest du daran …

ALWA (leidenschaftlich)

Mignon! Mignon!

LULU (wirft sich auf die Ottomane)

Sieh mich nicht so an – um Gottes willen! Lass uns lieber gehen, ehe es zu spät ist. Du bist ein verworfener Mensch!

ALWA

Ich sagte dir ja, ich bin der niederträchtigste Schurke …

LULU

Das sehe ich!!

ALWA

Ich habe kein Ehrgefühl – keinen Stolz …

LULU

Du hältst mich für deinesgleichen!

ALWA

Du? – du stehst so himmelhoch über mir wie – wie die Sonne über dem Abgrund … (Kniend.) Richte mich zugrunde! – Ich bitte dich, mach’ ein Ende mit mir! – Mach’ ein Ende mit mir!

LULU

Liebst du mich denn?

ALWA

Ich bezahle dich mit allem, was mein war!

LULU

Liebst du mich?!

ALWA

Liebst du mich – Mignon …?

LULU

Ich? – Keine Seele.

ALWA

Ich liebe dich. (Birgt seinen Kopf in ihrem Schoß.)

LULU (beide Hände in seinen Locken)

 – Ich habe deine Mutter vergiftet …

RODRIGO

steckt rechts den Kopf aus den Gardinen, sieht Schön auf der Galerie sitzen und macht ihn durch Zeichen auf Lulu und Alwa aufmerksam).

SCHÖN

(richtet seinen Revolver gegen Rodrigo).

RODRIGO

(bedeutet ihn, den Revolver auf Alwa zu richten).

SCHÖN

(spannt den Revolver und zielt auf Rodrigo).

RODRIGO

(fährt hinter die Gardinen zurück).

LULU (sieht Rodrigo zurückfahren, sieht Schön auf der Galerie sitzen, erhebt sich)

Sein Vater!

SCHÖN

(erhebt sich, lässt den Vorhang vor sich nieder).

ALWA

(bleibt regungslos auf den Knien).

(Pause.)

SCHÖN (eine Zeitung in der Hand, nimmt Alwa bei der Schulter)

Alwa!

ALWA

(erhebt sich wie schlaftrunken).

SCHÖN

In Paris ist Revolution ausgebrochen.

ALWA

Nach Paris … lass mich nach Paris …

SCHÖN

Auf der Redaktion rennen sie sich den Kopf gegen die Wand. Keiner weiß, was er schreiben soll …

(Entfaltet das Zeitungsblatt, geleitet Alwa durch die Mitte hinaus.)

RODRIGO

(stürzt rechts aus den Gardinen, will die Treppe hinan).

LULU (vertritt ihm den Weg)

Sie können hier nicht hinaus.

RODRIGO

Lassen Sie mich durch!

LULU

Sie rennen ihm in die Arme.

RODRIGO

Er jagt mir sein Pistol durch den Kopf.

LULU

Er kommt.

RODRIGO (zurücktaumelnd)

Himmel, Tod und Wolkenbruch!

(Hebt die Tischdecke.)

HUGENBERG

Kein Platz!

RODRIGO

Verdammt und zugenäht! (Sieht sich um, verbirgt sich links hinter der Portiere.)

SCHÖN (durch die Mitte, verschließt die Tür, geht, den Revolver in der Hand, auf das Fenster rechts vorn zu, schlägt die Gardine in die Höhe)

 – Wo ist denn der hin?

LULU (auf den untersten Treppenstufen)

Hinaus.

SCHÖN

Über den Balkon hinunter??

LULU

Er ist Kunstturner.

SCHÖN

Das war nicht vorauszusehen. – (Sich gegen Lulu wendend.) Du Kreatur, die mich durch den Straßenkot zum Martertode schleift!

LULU

Warum hast du mich nicht besser erzogen?

SCHÖN

Du Würgengel! Du unabwendbares Verhängnis! Mörder werden oder im Schmutz ertrinken; mich einschiffen wie ein entlassener Sträfling, oder mich über dem Morast aufhängen. Du Freude meines Alters! Du Henkerstrick!

LULU (kaltblütig)

Schweig doch und bring mich um!

SCHÖN

Ich habe dir Hab und Gut verschrieben und nichts gefordert als die Achtung, die meinem Haus jeder Dienstbote zollt. Dein Kredit ist erschöpft!

LULU

Ich kann noch auf Jahre für meine Rechnung einstehen. (Von der Treppe nach vorn kommend.) Wie gefällt dir mein neues Kleid?

SCHÖN

Weg mit dir, sonst schlägt’s mir morgen über den Kopf, und mein Sohn schwimmt in seinem Blute. Du haftest mir als unheilbare Seuche an, an der ich bis in mein Grab meine Lebenszüge verächzen soll. Ich will mich heilen. Begreifst du mich? (Ihr den Revolver aufdrängend.) Das ist dein Spezifikum. – Brich nicht in die Knie! – Du sollst es dir selbst applizieren. Du oder ich, wir messen uns.

LULU (hat sich, da die Kräfte sie zu verlassen drohen, auf den Diwan niedergelassen; den Revolver hin und her drehend)

Das geht ja nicht los.

SCHÖN

Weißt du noch, wie ich dich der Korrektionspolizei aus den Krallen riss?

LULU

Du hast viel Zutrauen …

SCHÖN

Weil ich eine Dirne nicht fürchte? Soll ich dir die Hand führen? Hast du selbst kein Erbarmen mit dir? (Da Lulu den Revolver gegen ihn richtet.) Keinen blinden Lärm!

LULU

(knallt einen Schuss gegen den Plafond).

RODRIGO

(springt aus der Portiere, die Treppe hinauf, über die Galerie ah).

SCHÖN

Was war das …?

LULU (harmlos)

Nichts.

SCHÖN (die Portiere hebend)

Was kam da herausgeflattert?

LULU

Du leidest an Verfolgungswahn.

SCHÖN

 – Hältst du noch mehr Männer hier versteckt? (Ihr den Revolver entreißend.) Ist sonst noch ein Mann bei dir zu Besuch? (Nach rechts gehend.) Ich will deine Männer regalieren! (Schlägt die Fenstergardinen in die Höhe, wirft den Kaminschirm zurück, packt die Geschwitz am Kragen und schleppt sie nach vorn.) Kommen Sie durch den Rauchfang herunter?

GESCHWITZ (in Todesangst zu Lulu)

Retten Sie mich vor ihm.

SCHÖN (sie schüttelnd)

Oder sind Sie auch Kunstturner?

GESCHWITZ (wimmernd)

Sie tun mir weh.

SCHÖN (sie schüttelnd)

Jetzt müssen Sie notwendig noch zum Diner bleiben. (Schleppt sie nach links, stößt sie ins Nebenzimmer, verschließt die Tür hinter ihr.) Wir wollen keine Ausrufer. (Setzt sich neben Lulu, drängt ihr den Revolver auf.) Es ist noch genug für dich drin. – Sieh mich an! Ich kann in meinem Haus meinem Kutscher nicht helfen, mir die Stirn zu verzieren. Sieh mich an! Ich bezahle meinen Kutscher. Sieh mich an! Vergönne ich meinem Kutscher was, wenn ich den infamen Stallgeruch nicht verschnupfen kann?

LULU

Lass anspannen. Bitte. Wir fahren in die Oper.

SCHÖN

Wir fahren zum Teufel! Jetzt kutschiere ich. (Den Revolver in ihrer Hand von sich ab und auf Lulus Brust wendend.) Glaubst du, man lässt sich misshandeln, wie du mich misshandelst, und besinnt sich zwischen einer Galeerenschande von Lebensabend und dem Verdienst, die Welt von dir zu befreien? (Hält sie am Arm nieder.) Komm zu Ende. Es soll mir die glücklichste Erinnerung meines Lebens sein. Drück los!

LULU

 – Du kannst dich scheiden lassen.

SCHÖN (sich erhebend)

Das war noch übrig. Damit morgen ein Nächster seinen Zeitvertreib findet, wo ich von Abgrund zu Abgrund geschaudert, den Selbstmord im Nacken und dich vor mir. Das wagt sich dir über die Lippen? Was ich von meinem Leben in dich hineingelebt, soll ich wilden Tieren vorgeworfen sehen? Siehst du dein Bett mit dem Schlachtopfer darauf? Der Junge hat Heimweh nach dir. – Hast du dich scheiden lassen? Du hast ihn unter die Füße getreten, ihm das Gehirn ausgeschlagen, sein Blut in Goldstücken aufgefangen. Ich mich scheiden lassen! Lässt man sich scheiden, wenn die Menschen ineinander hineingewachsen und der halbe Mensch mitgeht? (Nach dem Revolver langend.) Gib her.

LULU

Erbarmen!

SCHÖN

Ich will dir die Mühe abnehmen.

LULU (reißt sich von ihm los, den Revolver niederhaltend, in entschiedenem selbstbewussten Ton)

 – Wenn sich die Menschen um meinetwillen umgebracht haben, so setzt das meinen Wert nicht herab. – Du hast so gut gewusst, weswegen du mich zur Frau nimmst, wie ich gewusst habe, weswegen ich dich zum Mann nehme. – Du hattest deine besten Freunde mit mir betrogen, du konntest nicht gut auch noch dich selber mit mir betrügen. – Wenn du mir deinen Lebensabend zum Opfer bringst, so hast du meine ganze Jugend dafür gehabt. Du verstehst dich zehnmal besser als ich darauf, was höher im Wert steht. Ich habe nie in der Welt etwas anderes scheinen wollen, als wofür man mich genommen hat, und man hat mich nie in der Welt für etwas anderes genommen, als was ich bin. – Du willst mich dazu zwingen, mir eine Kugel ins Herz zu jagen. Ich bin keine sechzehn Jahre mehr; aber um mir eine Kugel ins Herz zu jagen, dafür bin ich mir doch noch zu jung!

SCHÖN (auf sie eindringend)

Nieder, Mörderin! Nieder mit dir! In die Knie, Mörderin! (Er drängt sie bis vor die Treppe. Die Hand erhebend.) Nieder – und wage nicht wieder aufzustehn!

LULU

(ist in die Knie gesunken).

SCHÖN

Bete zu Gott, Mörderin, dass er dir Kraft gibt! Flehe zum Himmel, dass er dir die Kraft dazu verleiht!

HUGENBERG (unter dem Tisch aufspringend, den Sessel beiseite stoßend)

Hilfe!

SCHÖN

(wendet sich gegen Hugenberg, Lulu den Rücken kehrend).

LULU

feuert fünf Schüsse gegen Schön und hört nicht auf, den Revolver abzudrücken).

SCHÖN (vornüberstürzend, von Hugenberg aufgefangen, der ihn in den Sessel niederlässt)

Und – da – ist – noch – einer …

LULU (auf Schön zustürzend)

Allbarmherziger …

SCHÖN

Aus meinen Augen! – – – Alwa!

LULU (auf den Knien)

Der Einzige, den ich geliebt!

SCHÖN

Dirne! Mörderin! – Alwa! Alwa! – Wasser!

LULU

Wasser; er verdurstet. (Füllt ein Glas mit Champagner und setzt es Schön an die Lippen.)

ALWA (kommt über die Galerie, die Treppe herunter)

Mein Vater! Um Gottes willen, mein Vater!

LULU

Ich habe ihn erschossen.

HUGENBERG

Sie ist unschuldig!

SCHÖN (zu Alwa)

Du bist es. Es ist missglückt.

ALWA (will ihn aufheben)

Du musst zu Bett. Komm.

SCHÖN

Fass mich nicht so an. – Ich verdorre …

LULU

(kommt mit dem Champagnerkelch).

SCHÖN (zu Lulu)

Du bleibst dir gleich.