Er machte ein
bedenkliches Gesicht, denn es schien, er kenne in dieser Gegend das
Fahrwasser nicht genug, um einem Sturm mit Ruhe begegnen zu können.
Er ließ alle Segel einziehen, und wir trieben ganz langsam hin. Die
Nacht war angebrochen, war hell und kalt, und der Kapitän glaubte
schon, sich in den Anzeichen des Sturmes getäuscht zu haben. Auf
einmal schwebte ein Schiff, das wir vorher nicht gesehen hatten,
dicht an dem unsrigen vorbei. Wildes Jauchzen und Geschrei erscholl
aus dem Verdeck herüber, worüber ich mich zu dieser angstvollen
Stunde vor einem Sturm nicht wenig wunderte. Aber der Kapitän an
meiner Seite wurde blaß wie der Tod. "Mein Schiff ist verloren",
rief er, "dort segelt der Tod!"
Ehe ich ihn noch über diesen sonderbaren Ausruf befragen konnte,
stürzten schon heulend und schreiend die Matrosen herein. "Habt ihr
ihn gesehen?" schrien sie. "Jetzt ist's mit uns vorbei!"
Der Kapitän aber ließ Trostsprüche aus dem Koran vorlesen und setzte
sich selbst ans Steuerruder. Aber vergebens! Zusehends brauste der
Sturm auf, und ehe eine Stunde verging, krachte das Schiff und blieb
sitzen. Die Boote wurden ausgesetzt, und kaum hatten sich die
letzten Matrosen gerettet, so versank das Schiff vor unseren Augen,
und als ein Bettler fuhr ich in die See hinaus. Aber der Jammer
hatte noch kein Ende. Fürchterlicher tobte der Sturm; das Boot war
nicht mehr zu regieren. Ich hatte meinen alten Diener fest
umschlungen, und wir versprachen uns, nie voneinander zu weichen.
Endlich brach der Tag an. Aber mit dem ersten Anblick der Morgenröte
faßte der Wind das Boot, in welchem wir saßen, und stürzte es um.
Ich habe keinen meiner Schiffsleute mehr gesehen. Der Sturz hatte
mich betäubt; und als ich aufwachte, befand ich mich in den Armen
meines alten treuen Dieners, der sich auf das umgeschlagene Boot
gerettet und mich nachgezogen hatte. Der Sturm hatte sich gelegt.
Von unserem Schiff war nichts mehr zu sehen, wohl aber entdeckten wir
nicht weit von uns ein anderes Schiff, auf das die Wellen uns
hintrieben. Als wir näher hinzukamen, erkannte ich das Schiff als
dasselbe, das in der Nacht an uns vorbeifuhr und welches den Kapitän
so sehr in Schrecken gesetzt hatte. Ich empfand ein sonderbares
Grauen vor diesem Schiffe. Die Äußerung des Kapitäns, die sich so
furchtbar bestätigt hatte, das öde Aussehen des Schiffes, auf dem
sich, so nahe wir auch herankamen, so laut wir schrien, niemand
zeigte, erschreckten mich. Doch es war unser einziges Rettungsmittel;
darum priesen wir den Propheten, der uns so wundervoll erhalten
hatte.
Am Vorderteil des Schiffes hing ein langes Tau herab. Mit Händen und
Füßen ruderten wir darauf zu, um es zu erfassen. Endlich glückte es.
Noch einmal erhob ich meine Stimme, aber immer blieb es still auf
dem Schiff. Da klimmten wir an dem Tau hinauf, ich als der Jüngste
voran. Aber Entsetzen! Welches Schauspiel stellte sich meinem Auge
dar, als ich das Verdeck betrat! Der Boden war mit Blut gerötet,
zwanzig bis dreißig Leichname in türkischen Kleidern lagen auf dem
Boden, am mittleren Mastbaum stand ein Mann, reich gekleidet, den
Säbel in der Hand, aber das Gesicht war blaß und verzerrt, durch die
Stirn ging ein großer Nagel, der ihn an den Mastbaum heftete, auch er
war tot. Schrecken fesselte meine Schritte, ich wagte kaum zu atmen.
Endlich war auch mein Begleiter heraufgekommen. Auch ihn
überraschte der Anblick des Verdecks, das gar nichts Lebendiges,
sondern nur so viele schreckliche Tote zeigte. Wir wagten es endlich,
nachdem wir in der Seelenangst zum Propheten gefleht hatten, weiter
vorzuschreiten. Bei jedem Schritte sahen wir uns um, ob nicht etwas
Neues, noch Schrecklicheres sich darbiete; aber alles blieb, wie es
war; weit und breit nichts Lebendiges als wir und das Weltmeer.
Nicht einmal laut zu sprechen wagten wir, aus Furcht, der tote, am
Mast angespießte Kapitano möchte seine starren Augen nach uns
hindrehen oder einer der Getöteten möchte seinen Kopf umwenden.
Endlich waren wir bis an eine Treppe gekommen, die in den Schiffsraum
führte. Unwillkürlich machten wir dort halt und sahen einander an,
denn keiner wagte es recht, seine Gedanken zu äußern.
"O Herr", sprach mein treuer Diener, "hier ist etwas Schreckliches
geschehen. Doch wenn auch das Schiff da unten voll Mörder steckt, so
will ich mich ihnen doch lieber auf Gnade und Ungnade ergeben, als
längere Zeit unter diesen Toten zubringen." Ich dachte wie er; wir
faßten uns ein Herz und stiegen voll Erwartung hinunter.
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