Totenstille
war aber auch hier, und nur unsere Schritte hallten auf der Treppe.
Wir standen an der Türe der Kajüte. Ich legte mein Ohr an die Türe
und lauschte; es war nichts zu hören. Ich machte auf. Das Gemach
bot einen unordentlichen Anblick dar. Kleider, Waffen und andere
Geräte lagen untereinander. Nichts in Ordnung. Die Mannschaft oder
wenigstens der Kapitano mußten vor kurzem gezechet haben; denn es lag
alles noch umher. Wir gingen weiter von Raum zu Raum, von Gemach zu
Gemach, überall fanden wir herrliche Vorräte in Seide, Perlen, Zucker
usw. Ich war vor Freude über diesen Anblick außer mir, denn da
niemand auf dem Schiff war, glaubte ich, alles mir zueignen zu dürfen,
Ibrahim aber machte mich aufmerksam darauf, daß wir wahrscheinlich
noch sehr weit vom Lande seien, wohin wir allein und ohne menschliche
Hilfe nicht kommen könnten.
Wir labten uns an den Speisen und Getränken, die wir in reichem Maß
vorfanden, und stiegen endlich wieder aufs Verdeck. Aber hier
schauderte uns immer die Haut ob dem schrecklichen Anblick der
Leichen. Wir beschlossen, uns davon zu befreien und sie über Bord zu
werfen; aber wie schauerlich ward uns zumut, als wir fanden, daß sich
keiner aus seiner Lage bewegen ließ. Wie festgebannt lagen sie am
Boden, und man hätte den Boden des Verdecks ausheben müssen, um sie
zu entfernen, und dazu gebrach es uns an Werkzeugen. Auch der
Kapitano ließ sich nicht von seinem Mast losmachen; nicht einmal
seinen Säbel konnten wir der starren Hand entwinden. Wir brachten
den Tag in trauriger Betrachtung unserer Lage zu, und als es Nacht zu
werden anfing, erlaubte ich dem alten Ibrahim, sich schlafen zu legen,
ich selbst aber wollte auf dem Verdeck wachen, um nach Rettung
auszuspähen. Als aber der Mond heraufkam und ich nach den Gestirnen
berechnete, daß es wohl um die elfte Stunde sei, überfiel mich ein so
unwiderstehlicher Schlaf, daß ich unwillkürlich hinter ein Faß, das
auf dem Verdeck stand, zurückfiel. Doch war es mehr Betäubung als
Schlaf, denn ich hörte deutlich die See an der Seite des Schiffes
anschlagen und die Segel vom Winde knarren und pfeifen. Auf einmal
glaubte ich Stimmen und Männertritte auf dem Verdeck zu hören. Ich
wollte mich aufrichten, um danach zu schauen. Aber eine unsichtbare
Gewalt hielt meine Glieder gefesselt; nicht einmal die Augen konnte
ich aufschlagen. Aber immer deutlicher wurden die Stimmen, es war
mir, als wenn ein fröhliches Schiffsvolk auf dem Verdeck sich
umhertriebe; mitunter glaubte ich, die kräftige Stimme eines
Befehlenden zu hören, auch hörte ich Taue und Segel deutlich auf- und
abziehen. Nach und nach aber schwanden mir die Sinne, ich verfiel in
einen tieferen Schlaf, in dem ich nur noch ein Geräusch von Waffen zu
hören glaubte, und erwachte erst, als die Sonne schon hoch stand und
mir aufs Gesicht brannte. Verwundert schaute ich mich um, Sturm,
Schiff, die Toten und was ich in dieser Nacht gehört hatte, kam mir
wie ein Traum vor, aber als ich aufblickte, fand ich alles wie
gestern. Unbeweglich lagen die Toten, unbeweglich war der Kapitano
an den Mastbaum geheftet. Ich lachte über meinen Traum und stand auf,
um meinen Alten zu suchen.
Dieser saß ganz nachdenklich in der Kajüte. "O Herr!" rief er aus,
als ich zu ihm hineintrat, "ich wollte lieber im tiefsten Grund des
Meeres liegen, als in diesem verhexten Schiff noch eine Nacht
zubringen." Ich fragte ihn nach der Ursache seines Kummers, und er
antwortete mir: "Als ich einige Stunden geschlafen hatte, wachte ich
auf und vernahm, wie man über meinem Haupt hin und her lief. Ich
dachte zuerst, Ihr wäret es, aber es waren wenigstens zwanzig, die
oben umherliefen; auch hörte ich rufen und schreien. Endlich kamen
schwere Tritte die Treppe herab. Da wußte ich nichts mehr von mir,
nur hie und da kehrte auf einige Augenblicke meine Besinnung zurück,
und da sah ich dann denselben Mann, der oben am Mast angenagelt ist,
an jenem Tisch dort sitzen, singend und trinkend; aber der, der in
einem roten Scharlachkleid nicht weit von ihm am Boden liegt, saß
neben ihm und half ihm trinken." Also erzählte mir mein alter Diener.
Ihr könnt mir es glauben, meine Freunde, daß mir gar nicht wohl
zumute war; denn es war keine Täuschung, ich hatte ja auch die Toten
gar wohl gehört. In solcher Gesellschaft zu schiffen, war mir
greulich. Mein Ibrahim aber versank wieder in tiefes Nachdenken.
"Jetzt hab' ich's!" rief er endlich aus; es fiel ihm nämlich ein
Sprüchlein ein, das ihn sein Großvater, ein erfahrener, weitgereister
Mann, gelehrt hatte und das gegen jeden Geister- und Zauberspuk
helfen sollte; auch behauptete er, jenen unnatürlichen Schlaf, der
uns befiel, in der nächsten Nacht verhindern zu können, wenn wir
nämlich recht eifrig Sprüche aus dem Koran beteten.
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