Da er merkte, daß sie gut
bewaffnet und stark seien und daß es mehr auf sein Geld und sein Roß
als auf sein Leben abgesehen war, so rief er ihnen zu, daß er sich
ihnen ergeben wolle. Sie stiegen von ihren Pferden ab und banden ihm
die Füße unter dem Bauch seines Tieres zusammen; ihn selbst aber
nahmen sie in die Mitte und trabten, indem einer den Zügel seines
Pferdes ergriff, schnell mit ihm davon, ohne jedoch ein Wort zu
sprechen.
Mustapha gab sich einer dumpfen Verzweiflung hin, der Fluch seines
Vaters schien schon jetzt an dem Unglücklichen in Erfüllung zu gehen,
und wie konnte er hoffen, seine Schwester und Zoraide zu retten, wenn
er, aller Mittel beraubt, nur sein ärmliches Leben zu ihrer Befreiung
aufwenden konnte. Mustapha und seine stummen Begleiter mochten wohl
eine Stunde geritten sein, als sie in ein kleines Seitental einbogen.
Das Tälchen war von hohen Bäumen eingefaßt; ein weicher dunkelgrüner
Rasen, ein Bach, der schnell durch seine Mitte hinrollte, luden zur
Ruhe ein. Wirklich sah er auch fünfzehn bis zwanzig Zelte dort
aufgeschlagen; an den Pflöcken der Zelte waren Kamele und schöne
Pferde angebunden, aus einem der Zelte hervor tönte die lustige Weise
einer Zither und zweier schöner Männerstimmen. Meinem Bruder schien
es, als ob Leute, die ein so fröhliches Lagerplätzchen sich erwählt
hatten, nichts Böses gegen ihn im Sinne haben könnten, und er folgte
also ohne Bangigkeit dem Ruf seiner Führer, die, als sie seine Bande
gelöst hatten, ihm winkten, abzusteigen. Man führte ihn in ein Zelt,
das größer als die übrigen und im Innern hübsch, fast zierlich
aufgeputzt war. Prächtige, goldbestickte Polster, gewirkte
Fußteppiche, übergoldete Rauchpfannen hätten anderswo Reichtum und
Wohlleben verraten; hier schienen sie nur kühner Raub. Auf einem der
Polster saß ein alter kleiner Mann; sein Gesicht war häßlich, seine
Haut schwarzbraun und glänzend, und ein widriger Zug von tückischer
Schlauheit um Augen und Mund machte seinen Anblick verhaßt. Obgleich
sich dieser Mann einiges Ansehen zu geben suchte, so merkte doch
Mustapha bald, daß nicht für ihn das Zelt so reich geschmückt sei,
und die Unterredung seiner Führer schien seine Bemerkung zu
bestätigen. "Wo ist der Starke?" fragten sie den Kleinen.
"Er ist auf der kleinen Jagd", antwortete jener, "aber er hat mir
aufgetragen, seine Stelle zu versehen."
"Das hat er nicht gescheit gemacht", entgegnete einer der Räuber,
"denn es muß sich bald entscheiden, ob dieser Hund sterben oder
zahlen soll, und das weiß der Starke besser als du."
Der kleine Mann erhob sich im Gefühl seiner Würde, streckte sich lang
aus, um mit der Spitze seiner Hand das Ohr seines Gegners zu
erreichen, denn er schien Lust zu haben, sich durch einen Schlag zu
rächen, als er aber sah, daß seine Bemühung fruchtlos sei, fing er an
zu schimpfen (und wahrlich! Die anderen blieben ihm nichts schuldig),
daß das Zelt von ihrem Streit erdröhnte. Da tat sich auf einmal die
Türe des Zeltes auf, und herein trat ein hoher, stattlicher Mann,
jung und schön wie ein Perserprinz; seine Kleidung und seine Waffen
waren, außer einem reichbesetzten Dolch und einem glänzenden Säbel,
gering und einfach; aber sein ernstes Auge, sein ganzer Anstand gebot
Achtung, ohne Furcht einzuflößen.
"Wer ist's, der es wagt, in meinem Zelte Streit zu beginnen?" rief er
den Erschrockenen zu. Eine Zeitlang herrschte tiefe Stille; endlich
erzählte einer von denen, die Mustapha hergebracht hatten, wie es
gegangen sei. Da schien sich das Gesicht "des Starken", wie sie ihn
nannten, vor Zorn zu röten. "Wann hätte ich dich je an meine Stelle
gesetzt, Hassan?" schrie er mit furchtbarer Stimme dem Kleinen zu.
Dieser zog sich vor Furcht in sich selbst zusammen, daß er noch viel
kleiner aussah als zuvor, und schlich sich der Zelttüre zu. Ein
hinlänglicher Tritt des Starken machte, daß er in einem großen
sonderbaren Sprung zur Zelttüre hinausflog.
Als der Kleine verschwunden war, führten die drei Männer Mustapha vor
den Herrn des Zeltes, der sich indes auf die Polster gelegt hatte.
"Hier bringen wir den, welchen du uns zu fangen befohlen hast."
Jener blickte den Gefangenen lange an und sprach sodann: "Bassa von
Sulieika! Dein eigenes Gewissen wird dir sagen, warum du vor Orbasan
stehst."
Als mein Bruder dies hörte, warf er sich nieder vor jenem und
antwortete: "O Herr! Du scheinst im Irrtum zu sein. Ich bin ein
armer Unglücklicher, aber nicht der Bassa, den du suchst!"
Alle im Zelt waren über diese Rede erstaunt. Der Herr des Zeltes
aber sprach: "Es kann dir wenig helfen, dich zu verstellen; denn ich
will die Leute vorführen, die dich wohl kennen." Er befahl, Zuleima
vorzufahren. Man brachte ein altes Weib in das Zelt, das auf die
Frage, ob sie in meinem Bruder nicht den Bassa von Sulieika erkenne,
antwortete: "Jawohl!" Und sie schwöre es beim Grab des Propheten, es
sei der Bassa und kein anderer.
"Siehst du, Erbärmlicher, wie deine List zu Wasser geworden ist!"
begann zürnend der Starke. "Du bist mir zu elend, als daß ich meinen
guten Dolch mit deinem Blut besudeln sollte, aber an den Schweif
meines Rosses will ich dich binden, morgen, wenn die Sonne aufgeht,
und durch die Wälder mit dir jagen, bis sie scheidet hinter die Hügel
von Sulieika!"
Da sank meinem armen Bruder der Mut. "Das ist der Fluch meines
harten Vaters, der mich zum schmachvollen Tode treibt", rief er
weinend, "und auch du bist verloren, süße Schwester, auch du, Zoraide!"
"Deine Verstellung hilft dir nichts", sprach einer der Räuber, indem
er ihm die Hände auf den Rücken band, "mach, daß du aus dem Zelte
kommst! Denn der Starke beißt sich in die Lippen und blickt nach
seinem Dolch. Wenn du noch eine Nacht leben willst, so komm!"
Als die Räuber gerade meinen Bruder aus dem Zelt führen wollten,
begegneten sie drei anderen, die einen Gefangenen vor sich hintrieben.
Sie traten mit ihm ein. "Hier bringen wir den Bassa, wie du uns
befohlen hast", sprachen sie und führten den Gefangenen vor das
Polster des Starken. Als der Gefangene dorthin geführt wurde, hatte
mein Bruder Gelegenheit, ihn zu betrachten, und ihm selbst fiel die
Ähnlichkeit auf, die dieser Mann mit ihm hatte, nur war er dunkler im
Gesicht und hatte einen schwärzeren Bart.
Der Starke schien sehr erstaunt über die Erscheinung des zweiten
Gefangenen. "Wer von euch ist denn der Rechte?" sprach er, indem er
bald meinen Bruder, bald den anderen Mann ansah.
"Wenn du den Bassa von Sulieika meinst", antwortete in stolzem Ton
der Gefangene, "der bin ich!" Der Starke sah ihn lange mit seinem
ernsten, furchtbaren Blick an; dann winkte er schweigend, den Bassa
wegzuführen.
Als dies geschehen war, ging er auf meinen Bruder zu, zerschnitt
seine Bande mit dem Dolch und winkte ihm, sich zu ihm aufs Polster zu
setzen. "Es tut mir leid, Fremdling", sagte er, "daß ich dich für
jenes Ungeheuer hielt; schreibe es aber einer sonderbaren Fügung des
Himmels zu, die dich gerade in der Stunde, welche dem Untergang jenes
Verruchten geweiht war, in die Hände meiner Brüder führte." Mein
Bruder bat ihn um die einzige Gunst, ihn gleich wieder weiterreisen
zu lassen, weil jeder Aufschub ihm verderblich werden könne. Der
Starke erkundigte sich nach seinen eiligen Geschäften, und als ihm
Mustapha alles erzählt hatte, überredete ihn jener, diese Nacht in
seinem Zelt zu bleiben, er und sein Roß werden der Ruhe bedürfen; den
folgenden Tag aber wolle er ihm einen Weg zeigen, der ihn in
anderthalb Tagen nach Balsora bringe—Mein Bruder schlug ein, wurde
trefflich bewirtet und schlief sanft bis zum Morgen in dem Zelt des
Räubers.
Als er aufgewacht war, sah er sich ganz allein im Zelt; vor dem
Vorhang des Zeltes aber hörte er mehrere Stimmen zusammen sprechen,
die dem Herrn des Zeltes und dem kleinen schwarzbraunen Mann
anzugehören schienen. Er lauschte ein wenig und hörte zu seinem
Schrecken, daß der Kleine dringend den anderen aufforderte, den
Fremden zu töten, weil er, wenn er freigelassen würde, sie alle
verraten könnte.
Mustapha merkte gleich, daß der Kleine ihm gram sei, weil er die
Ursache war, daß er gestern so übel behandelt wurde; der Starke
schien sich einige Augenblicke zu besinnen. "Nein", sprach er, "er
ist mein Gastfreund, und das Gastrecht ist mir heilig; auch sieht er
mir nicht aus, als ob er uns verraten wollte."
Als er so gesprochen, schlug er den Vorhang zurück und trat ein.
"Friede sei mit dir, Mustapha!" sprach er, "laß uns den Morgentrunk
kosten, und rüste dich dann zum Aufbruch!" Er reichte meinem Bruder
einen Becher Sorbet, und als sie getrunken hatten, zäumten sie die
Pferde auf, und wahrlich, mit leichterem Herzen, als er gekommen war,
schwang sich Mustapha aufs Pferd. Sie hatten bald die Zelte im
Rücken und schlugen dann einen breiten Pfad ein, der in den Wald
führte. Der Starke erzählte meinem Bruder, daß jener Bassa, den sie
auf der Jagd gefangen hätten, ihnen versprochen habe, sie ungefährdet
in seinem Gebiete zu dulden; vor einigen Wochen aber habe er einen
ihrer tapfersten Männer aufgefangen und nach den schrecklichsten
Martern aufhängen lassen.
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