Bald war er an einer Tür angelangt,
die nur angelehnt schien und woraus er deutliche Seufzer mit ein
wenig Geheul vernahm. Er stieß mit dem Schnabel die Türe auf, blieb
aber überrascht auf der Schwelle stehen. In dem verfallenen Gemach,
das nur durch ein kleines Gitterfenster spärlich erleuchtet war, sah
er eine große Nachteule am Boden sitzen. Dicke Tränen rollten ihr
aus den großen, runden Augen, und mit heiserer Stimme stieß sie ihre
Klagen zu dem krummen Schnabel heraus. Als sie aber den Kalifen und
seinen Wesir, der indes auch herbeigeschlichen war, erblickte, erhob
sie ein lautes Freudengeschrei. Zierlich wischte sie mit dem
braungefleckten Flügel die Tränen aus dem Auge, und zu dem größten
Erstaunen der beiden rief sie in gutem menschlichem Arabisch:
"Willkommen, ihr Störche! Ihr seid mir ein gutes Zeichen meiner
Errettung; denn durch Störche werde mir ein großes Glück kommen, ist
mir einst prophezeit worden!"
Als sich der Kalif von seinem Erstaunen erholt hatte, bückte er sich
mit seinem langen Hals, brachte seine dünnen Füße in eine zierliche
Stellung und sprach: "Nachteule! Deinen Worten nach darf ich glauben,
eine Leidensgefährtin in dir zu sehen. Aber ach! Deine Hoffnung,
daß durch uns deine Rettung kommen werde, ist vergeblich. Du wirst
unsere Hilflosigkeit selbst erkennen, wenn du unsere Geschichte hörst."
Die Nachteule bat ihn zu erzählen, was der Kalif sogleich tat.
Als der Kalif der Eule seine Geschichte vorgetragen hatte, dankte sie
ihm und sagte: "Vernimm auch meine Geschichte und höre, wie ich nicht
weniger unglücklich bin als du. Mein Vater ist der König von Indien,
ich, seine einzige unglückliche Tochter, heiße Lusa. Jener Zauberer
Kaschnur, der euch verzauberte, hat auch mich ins Unglück gestürzt.
Er kam eines Tages zu meinem Vater und begehrte mich zur Frau für
seinen Sohn Mizra. Mein Vater aber, der ein hitziger Mann ist, ließ
ihn die Treppe hinunterwerfen. Der Elende wußte sich unter einer
anderen Gestalt wieder in meine Nähe zu schleichen, und als ich einst
in meinem Garten Erfrischungen zu mir nehmen wollte, brachte er mir,
als Sklave verkleidet, einen Trank bei, der mich in diese
abscheuliche Gestalt verwandelte. Vor Schrecken ohnmächtig, brachte
er mich hierher und rief mir mit schrecklicher Stimme in die Ohren:
'Da sollst du bleiben, häßlich, selbst von den Tieren verachtet, bis
an dein Ende, oder bis einer aus freiem Willen dich, selbst in dieser
schrecklichen Gestalt, zur Gattin begehrt. So räche ich mich an dir
und deinem stolzen Vater.'
Seitdem sind viele Monate verflossen. Einsam und traurig lebe ich
als Einsiedlerin in diesem Gemäuer, verabscheut von der Welt, selbst
den Tieren ein Greuel; die schöne Natur ist vor mir verschlossen;
denn ich bin blind am Tage, und nur, wenn der Mond sein bleiches
Licht über dies Gemäuer ausgießt, fällt der verhüllende Schleier von
meinem Auge."
Die Eule hatte geendet und wischte sich mit dem Flügel wieder die
Augen aus, denn die Erzählung ihrer Leiden hatte ihr Tränen entlockt.
Der Kalif war bei der Erzählung der Prinzessin in tiefes Nachdenken
versunken. "Wenn mich nicht alles täuscht", sprach er, "so findet
zwischen unserem Unglück ein geheimer Zusammenhang statt; aber wo
finde ich den Schlüssel zu diesem Rätsel?"
Die Eule antwortete ihm: "O Herr! Auch mir ahnet dies; denn es ist
mir einst in meiner frühesten Jugend von einer weisen Frau prophezeit
worden, daß ein Storch mir ein großes Glück bringen werde, und ich
wüßte vielleicht, wie wir uns retten könnten." Der Kalif war sehr
erstaunt und fragte, auf welchem Wege sie meine. "Der Zauberer, der
uns beide unglücklich gemacht hat", sagte sie, "kommt alle Monate
einmal in diese Ruinen. Nicht weit von diesem Gemach ist ein Saal.
Dort pflegt er dann mit vielen Genossen zu schmausen. Schon oft habe
ich sie dort belauscht. Sie erzählen dann einander ihre schändlichen
Werke; vielleicht, daß er dann das Zauberwort, das ihr vergessen habt,
ausspricht."
"O, teuerste Prinzessin", rief der Kalif, "sag an, wann kommt er, und
wo ist der Saal?"
Die Eule schwieg einen Augenblick und sprach dann: "Nehmet es nicht
ungütig, aber nur unter einer Bedingung kann ich Euern Wunsch
erfüllen."
"Sprich aus! Sprich aus!" schrie Chasid. "Befiehl, es ist mir jede
recht."
"Nämlich, ich möchte auch gern zugleich frei sein; dies kann aber nur
geschehen, wenn einer von euch mir seine Hand reicht."
Die Störche schienen über den Antrag etwas betroffen zu sein, und der
Kalif winkte seinem Diener, ein wenig mit ihm hinauszugehen.
"Großwesir", sprach vor der Türe der Kalif, "das ist ein dummer
Handel; aber Ihr könntet sie schon nehmen."
"So", antwortete dieser, "daß mir meine Frau, wenn ich nach Hause
komme, die Augen auskratzt? Auch bin ich ein alter Mann, und Ihr
seid noch jung und unverheiratet und könnet eher einer jungen,
schönen Prinzessin die Hand geben."
"Das ist es eben", seufzte der Kalif, indem er traurig die Flügel
hängen ließ, "wer sagt dir denn, daß sie jung und schön ist? Das
heißt eine Katze im Sack kaufen!"
Sie redeten einander gegenseitig noch lange zu; endlich aber, als der
Kalif sah, daß sein Wesir lieber Storch bleiben als die Eule heiraten
wollte, entschloß er sich, die Bedingung lieber selbst zu erfüllen.
Die Eule war hocherfreut. Sie gestand ihnen, daß sie zu keiner
besseren Zeit hätten kommen können, weil wahrscheinlich in dieser
Nacht die Zauberer sich versammeln würden.
Sie verließ mit den Störchen das Gemach, um sie in jenen Saal zu
führen; sie gingen lange in einem finsteren Gang hin; endlich
strahlte ihnen aus einer halbverfallenen Mauer ein heller Schein
entgegen. Als sie dort angelangt waren, riet ihnen die Eule, sich
ganz ruhig zu verhalten. Sie konnten von der Lücke, an welcher sie
standen, einen großen Saal übersehen. Er war ringsum mit Säulen
geschmückt und prachtvoll verziert. Viele farbige Lampen ersetzten
das Licht des Tages. In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch,
mit vielen und ausgesuchten Speisen besetzt. Rings um den Tisch zog
sich ein Sofa, auf welchem acht Männer saßen. In einem dieser Männer
erkannten die Störche jenen Krämer wieder, der ihnen das Zauberpulver
verkauft hatte. Sein Nebensitzer forderte ihn auf, ihnen seine
neuesten Taten zu erzählen.
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