ELISABETH.

Edler Shrewsbury! Man zwingt mich.

SHREWSBURY.

Wer kann dich zwingen? Du bist Herrscherin,

Hier gilt es deine Majestät zu zeigen!

Gebiete Schweigen jenen rohen Stimmen,

Die sich erdreisten, deinem Königswillen

Zwang anzutun, dein Urteil zu regieren.

Die Furcht, ein blinder Wahn bewegt das Volk,

Du selbst bist außer dir, bist schwer gereizt,

Du bist ein Mensch und jetzt kannst du nicht richten.

BURLEIGH.

Gerichtet ist schon längst. Hier ist kein Urteil

Zu fällen, zu vollziehen ists.

KENT der sich bei Shrewsburys Eintritt entfernt hat, kommt zurück.

Der Auflauf wächst, das Volk ist länger nicht

Zu bändigen.

ELISABETH zu Shrewsbury.

Ihr seht, wie sie mich drängen!

SHREWSBURY.

Nur Aufschub fordr ich. Dieser Federzug

Entscheidet deines Lebens Glück und Frieden.

Du hast es Jahre lang bedacht, soll dich

Der Augenblick im Sturme mit sich führen?

Nur kurzen Aufschub. Sammle dein Gemüt,

Erwarte eine ruhigere Stunde.

BURLEIGH heftig.

Erwarte, zögre, säume, bis das Reich

In Flammen steht, bis es der Feindin endlich

Gelingt, den Mordstreich wirklich zu vollführen.

Dreimal hat ihn ein Gott von dir entfernt.

Heut hat er nahe dich berührt, noch einmal

Ein Wunder hoffen, hieße Gott versuchen.

SHREWSBURY.

Der Gott, der dich durch seine Wunderhand

Viermal erhielt, der heut dem schwachen Arm

Des Greisen Kraft gab, einen Wütenden

Zu überwältgen – er verdient Vertrauen!

Ich will die Stimme der Gerechtigkeit

Jetzt nicht erheben, jetzt ist nicht die Zeit,

Du kannst in diesem Sturme sie nicht hören.

Dies eine nur vernimm! Du zitterst jetzt

Vor dieser lebenden Maria. Nicht

Die Lebende hast du zu fürchten. Zittre vor

Der Toten, der Enthaupteten. Sie wird

Vom Grab erstehen, eine Zwietrachtsgöttin,

Ein Rachegeist in deinem Reich herumgehn,

Und deines Volkes Herzen von dir wenden.

Jetzt haßt der Brite die Gefürchtete,

Er wird sie rächen, wenn sie nicht mehr ist.

Nicht mehr die Feindin seines Glaubens, nur

Die Enkeltochter seiner Könige,

Des Hasses Opfer und der Eifersucht

Wird er in der Bejammerten erblicken!

Schnell wirst du die Veränderung erfahren.

Durchziehe London, wenn die blutge Tat

Geschehen, zeige dich dem Volk, das sonst

Sich jubelnd um dich her ergoß, du wirst

Ein andres England sehn, ein andres Volk

Denn dich umgibt nicht mehr die herrliche

Gerechtigkeit, die alle Herzen dir

Besiegte! Furcht, die schreckliche Begleitung

Der Tyrannei, wird schaudernd vor dir herziehn,

Und jede Straße, wo du gehst, veröden.

Du hast das Letzte, Äußerste getan,

Welch Haupt steht fest, wenn dieses heilge fiel!

ELISABETH.

Ach Shrewsbury! Ihr habt mir heut das Leben

Gerettet, habt des Mörders Dolch von mir

Gewendet – Warum ließet Ihr ihm nicht

Den Lauf? So wäre jeder Streit geendigt,

Und alles Zweifels ledig, rein von Schuld,

Läg ich in meiner stillen Gruft! Fürwahr!

Ich bin des Lebens und des Herrschens müd.

Muß eine von uns Königinnen fallen,

Damit die andre lebe – und es ist

Nicht anders, das erkenn ich – kann denn ich

Nicht die sein, welche weicht? Mein Volk mag wählen,

Ich geb ihm seine Majestät zurück.

Gott ist mein Zeuge, daß ich nicht für mich,

Nur für das Beste meines Volks gelebt.

Hofft es von dieser schmeichlerischen Stuart,

Der jüngern Königin, glücklichere Tage,

So steig ich gern von diesem Thron und kehre

In Woodstocks stille Einsamkeit zurück,

Wo meine anspruchlose Jugend lebte,

Wo ich, vom Tand der Erdengröße fern,

Die Hoheit in mir selber fand – Bin ich

Zur Herrscherin doch nicht gemacht! Der Herrscher

Muß hart sein können, und mein Herz ist weich.

Ich habe diese Insel lange glücklich

Regiert, weil ich nur brauchte zu beglücken.

Es kommt die erste schwere Königspflicht,

Und ich empfinde meine Ohnmacht –

BURLEIGH.

Nun bei Gott!

Wenn ich so ganz unkönigliche Worte

Aus meiner Königin Mund vernehmen muß,

So wärs Verrat an meiner Pflicht, Verrat

Am Vaterlande, länger stillzuschweigen.

– Du sagst, du liebst dein Volk, mehr als dich selbst,

Das zeige jetzt! Erwähle nicht den Frieden

Für dich und überlaß das Reich den Stürmen.

– Denk an die Kirche! Soll mit dieser Stuart

Der alte Aberglaube wiederkehren?

Der Mönch aufs neu hier herrschen, der Legat

Aus Rom gezogen kommen, unsre Kirchen

Verschließen, unsre Könige entthronen?

– Die Seelen aller deiner Untertanen,

Ich fodre sie von dir – Wie du jetzt handelst,

Sind sie gerettet oder sind verloren.

Hier ist nicht Zeit zu weichlichem Erbarmen,

Des Volkes Wohlfahrt ist die höchste Pflicht;

Hat Shrewsbury das Leben dir gerettet,

So will ich England retten – das ist mehr!

ELISABETH.

Man überlasse mich mir selbst! Bei Menschen ist

Nicht Rat noch Trost in dieser großen Sache.

Ich trage sie dem höhern Richter vor.

Was der mich lehrt, das will ich tun – Entfernt euch,

Mylords!

 

Zu Davison.

 

Ihr, Sir! Könnt in der Nähe bleiben!

 

Die Lords gehen ab. Shrewsbury allein bleibt noch einige Augenblicke vor der Königin stehen, mit bedeutungsvollem Blick, dann entfernt er sich langsam, mit einem Ausdruck des tiefsten Schmerzes.

 

 

Zehnter Auftritt

Elisabeth allein.

 

O Sklaverei des Volksdiensts! Schmähliche

Knechtschaft – Wie bin ichs müde, diesem Götzen

Zu schmeicheln, den mein Innerstes verachtet!

Wann soll ich frei auf diesem Throne stehn!

Die Meinung muß ich ehren, um das Lob

Der Menge buhlen, einem Pöbel muß ichs

Recht machen, dem der Gaukler nur gefällt.

O der ist noch nicht König, der der Welt

Gefallen muß! Nur der ists, der bei seinem Tun

Nach keines Menschen Beifall braucht zu fragen.

Warum hab ich Gerechtigkeit geübt,

Willkür gehaßt mein Leben lang, daß ich

Für diese erste unvermeidliche

Gewalttat selbst die Hände mir gefesselt!

Das Muster, das ich selber gab, verdammt mich!

War ich tyrannisch, wie die spanische

Maria war, mein Vorfahr auf dem Thron, ich könnte

Jetzt ohne Tadel Königsblut versprützen!

Doch wars denn meine eigne freie Wahl

Gerecht zu sein? Die allgewaltige

Notwendigkeit, die auch das freie Wollen

Der Könige zwingt, gebot mir diese Tugend.

Umgeben rings von Feinden hält mich nur

Die Volksgunst auf dem angefochtnen Thron.

Mich zu vernichten streben alle Mächte

Des festen Landes. Unversöhnlich schleudert

Der römsche Papst den Bannfluch auf mein Haupt,

Mit falschem Bruderkuß verrät mich Frankreich,

Und offnen, wütenden Vertilgungskrieg

Bereitet mir der Spanier auf den Meeren.

So steh ich kämpfend gegen eine Welt,

Ein wehrlos Weib! Mit hohen Tugenden

Muß ich die Blöße meines Rechts bedecken,

Den Flecken meiner fürstlichen Geburt,

Wodurch der eigne Vater mich geschändet.

Umsonst bedeck ich ihn – Der Gegner Haß

Hat ihn entblößt, und stellt mir diese Stuart,

Ein ewig drohendes Gespenst, entgegen.

Nein, diese Furcht soll endigen!

Ihr Haupt soll fallen. Ich will Frieden haben!

– Sie ist die Furie meines Lebens! Mir

Ein Plagegeist vom Schicksal angeheftet.

Wo ich mir eine Freude, eine Hoffnung

Gepflanzt, da liegt die Höllenschlange mir

Im Wege. Sie entreißt mir den Geliebten,

Den Bräutgam raubt sie mir! Maria Stuart

Heißt jedes Unglück, das mich niederschlägt!

Ist sie aus den Lebendigen vertilgt,

Frei bin ich, wie die Luft auf den Gebirgen.

 

Stillschweigen.

 

Mit welchem Hohn sie auf mich nieder sah,

Als sollte mich der Blick zu Boden blitzen!

Ohnmächtige! Ich führe beßre Waffen,

Sie treffen tödlich, und du bist nicht mehr!

 

Mit raschem Schritt nach dem Tische gehend und die Feder ergreifend.

 

Ein Bastard bin ich dir? – Unglückliche!

Ich bin es nur, so lang du lebst und atmest.

Der Zweifel meiner fürstlichen Geburt

Er ist getilgt, sobald ich dich vertilge.

Sobald dem Briten keine Wahl mehr bleibt,

Bin ich im echten Ehebett geboren!

 

Sie unterschreibt mit einem raschen, festen Federzug, läßt dann die Feder fallen, und tritt mit einem Ausdruck des Schreckens zurück. Nach einer Pause klingelt sie.

 

 

Eilfter Auftritt

Elisabeth. Davison.

 

ELISABETH.

Wo sind die andern Lords?

DAVISON.

Sie sind gegangen,

Das aufgebrachte Volk zur Ruh zu bringen.

Das Toben war auch augenblicks gestillt,

Sobald der Graf von Shrewsbury sich zeigte.

»Der ists, das ist er!« riefen hundert Stimmen,

»Der rettete die Königin! Hört ihn!

Den bravsten Mann in England.« Nun begann

Der edle Talbot und verwies dem Volk

In sanften Worten sein gewaltsames

Beginnen, sprach so kraftvollüberzeugend,

Daß alles sich besänftigte, und still

Vom Platze schlich.

ELISABETH.

Die wankelmütge Menge,

Die jeder Wind herumtreibt! Wehe dem,

Der auf dies Rohr sich lehnet! – Es ist gut,

Sir Davison. Ihr könnt nun wieder gehn.

 

Wie sich jener nach der Türe gewendet.

 

Und dieses Blatt – Nehmt es zurück – Ich legs

In Eure Hände.

DAVISON wirft einen Blick in das Papier und erschrickt.

Königin! Dein Name!

Du hast entschieden?

ELISABETH.

– Unterschreiben sollt ich.

Ich habs getan. Ein Blatt Papier entscheidet

Noch nicht, ein Name tötet nicht.

DAVISON.

Dein Name, Königin, unter dieser Schrift

Entscheidet alles, tötet, ist ein Strahl

Des Donners, der geflügelt trifft. – Dies Blatt

Befiehlt den Kommissarien, dem Sheriff,

Nach Fotheringhayschloß sich stehnden Fußes

Zur Königin von Schottland zu verfügen,

Den Tod ihr anzukündigen, und schnell,

Sobald der Morgen tagt, ihn zu vollziehn.

Hier ist kein Aufschub, jene hat gelebt,

Wenn ich dies Blatt aus meinen Händen gebe.

ELISABETH.

Ja, Sir! Gott legt ein wichtig groß Geschick

In Eure schwachen Hände. Fleht ihn an,

Daß er mit seiner Weisheit Euch erleuchte.

Ich geh und überlaß Euch Eurer Pflicht.

 

Sie will gehen.

 

DAVISON tritt ihr in den Weg.

Nein, meine Königin! Verlaß mich nicht,

Eh du mir deinen Willen kundgetan.

Bedarf es hier noch einer andern Weisheit,

Als dein Gebot buchstäblich zu befolgen?

– Du legst dies Blatt in meine Hand, daß ich

Zu schleuniger Vollziehung es befördre?

ELISABETH.

Das werdet Ihr nach Eurer Klugheit –

DAVISON schnell und erschrocken einfallend.

Nicht

Nach meiner! Das verhüte Gott! Gehorsam

Ist meine ganze Klugheit. Deinem Diener

Darf hier nichts zu entscheiden übrigbleiben.

Ein klein Versehn wär hier ein Königsmord,

Ein unabsehbar, ungeheures Unglück.

Vergönne mir, in dieser großen Sache

Dein blindes Werkzeug willenlos zu sein.

In klare Worte fasse deine Meinung,

Was soll mit diesem Blutbefehl geschehn?

ELISABETH.

– Sein Name spricht es aus.

DAVISON.

So willst du, daß er gleich vollzogen werde?

ELISABETH zögernd.

Das sag ich nicht, und zittre, es zu denken.

DAVISON.

Du willst, daß ich ihn länger noch bewahre?

ELISABETH schnell.

Auf Eure Gefahr! Ihr haftet für die Folgen.

DAVISON.

Ich? Heilger Gott! – Sprich, Königin! Was willst du?

ELISABETH ungeduldig.

Ich will, daß dieser unglückselgen Sache

Nicht mehr gedacht soll werden, daß ich endlich

Will Ruhe davor haben und auf ewig.

DAVISON.

Es kostet dir ein einzig Wort. O sage,

Bestimme, was mit dieser Schrift soll werden!

ELISABETH.

Ich habs gesagt, und quält mich nun nicht weiter.

DAVISON.

Du hättest es gesagt? Du hast mir nichts

Gesagt – O, es gefalle meiner Königin,

Sich zu erinnern.

ELISABETH stampft auf den Boden.

Unerträglich!

DAVISON.

Habe Nachsicht

Mit mir! Ich kam seit wenig Monden erst

In dieses Amt! Ich kenne nicht die Sprache

Der Höfe und der Könige – in schlicht

Einfacher Sitte bin ich aufgewachsen.

Drum habe du Geduld mit deinem Knecht!

Laß dich das Wort nicht reun, das mich belehrt,

Mich klar macht über meine Pflicht –

 

Er nähert sich ihr in flehender Stellung, sie kehrt ihm den Rücken zu, er steht in Verzweiflung, dann spricht er mit entschloßnem Ton.

 

Nimm dies Papier zurück! Nimm es zurück!

Es wird mir glühend Feuer in den Händen.

Nicht mich erwähle, dir in diesem furchtbaren

Geschäft zu dienen.

ELISABETH.

Tut, was Eures Amts ist.

 

Sie geht ab.

 

 

Zwölfter Auftritt

Davison, gleich darauf Burleigh.

 

DAVISON.

Sie geht! Sie läßt mich ratlos, zweifelnd stehn

Mit diesem fürchterlichen Blatt. – Was tu ich?

Soll ichs bewahren? Soll ichs übergeben?

 

Zu Burleigh, der hereintritt.

 

O gut! gut, daß Ihr kommt, Mylord! Ihr seids,

Der mich in dieses Staatsamt eingeführt!

Befreiet mich davon. Ich übernahm es,

Unkundig seiner Rechenschaft! Laßt mich

Zurückgehn in die Dunkelheit, wo Ihr

Mich fandet, ich gehöre nicht auf diesen Platz –

BURLEIGH.

Was ist Euch, Sir? Faßt Euch. Wo ist das Urteil?

Die Königin ließ Euch rufen.

DAVISON.

Sie verließ mich

In heftgem Zorn. O ratet mir! Helft mir!

Reißt mich aus dieser Höllenangst des Zweifels.

Hier ist das Urteil – Es ist unterschrieben.

BURLEIGH hastig.

Ist es? O gebt! Gebt her!

DAVISON.

Ich darf nicht.

BURLEIGH.

Was?

DAVISON.

Sie hat mir ihren Willen noch nicht deutlich –

BURLEIGH.

Nicht deutlich! Sie hat unterschrieben.