ELISABETH zu Shrewsbury.
Ihr seht, wie sie mich drängen!
SHREWSBURY.
Nur Aufschub fordr ich. Dieser Federzug
Entscheidet deines Lebens Glück und Frieden.
Du hast es Jahre lang bedacht, soll dich
Der Augenblick im Sturme mit sich führen?
Nur kurzen Aufschub. Sammle dein Gemüt,
Erwarte eine ruhigere Stunde.
BURLEIGH heftig.
Erwarte, zögre, säume, bis das Reich
In Flammen steht, bis es der Feindin endlich
Gelingt, den Mordstreich wirklich zu vollführen.
Dreimal hat ihn ein Gott von dir entfernt.
Heut hat er nahe dich berührt, noch einmal
Ein Wunder hoffen, hieße Gott versuchen.
SHREWSBURY.
Der Gott, der dich durch seine Wunderhand
Viermal erhielt, der heut dem schwachen Arm
Des Greisen Kraft gab, einen Wütenden
Zu überwältgen – er verdient Vertrauen!
Ich will die Stimme der Gerechtigkeit
Jetzt nicht erheben, jetzt ist nicht die Zeit,
Du kannst in diesem Sturme sie nicht hören.
Dies eine nur vernimm! Du zitterst jetzt
Vor dieser lebenden Maria. Nicht
Die Lebende hast du zu fürchten. Zittre vor
Der Toten, der Enthaupteten. Sie wird
Vom Grab erstehen, eine Zwietrachtsgöttin,
Ein Rachegeist in deinem Reich herumgehn,
Und deines Volkes Herzen von dir wenden.
Jetzt haßt der Brite die Gefürchtete,
Er wird sie rächen, wenn sie nicht mehr ist.
Nicht mehr die Feindin seines Glaubens, nur
Die Enkeltochter seiner Könige,
Des Hasses Opfer und der Eifersucht
Wird er in der Bejammerten erblicken!
Schnell wirst du die Veränderung erfahren.
Durchziehe London, wenn die blutge Tat
Geschehen, zeige dich dem Volk, das sonst
Sich jubelnd um dich her ergoß, du wirst
Ein andres England sehn, ein andres Volk
Denn dich umgibt nicht mehr die herrliche
Gerechtigkeit, die alle Herzen dir
Besiegte! Furcht, die schreckliche Begleitung
Der Tyrannei, wird schaudernd vor dir herziehn,
Und jede Straße, wo du gehst, veröden.
Du hast das Letzte, Äußerste getan,
Welch Haupt steht fest, wenn dieses heilge fiel!
ELISABETH.
Ach Shrewsbury! Ihr habt mir heut das Leben
Gerettet, habt des Mörders Dolch von mir
Gewendet – Warum ließet Ihr ihm nicht
Den Lauf? So wäre jeder Streit geendigt,
Und alles Zweifels ledig, rein von Schuld,
Läg ich in meiner stillen Gruft! Fürwahr!
Ich bin des Lebens und des Herrschens müd.
Muß eine von uns Königinnen fallen,
Damit die andre lebe – und es ist
Nicht anders, das erkenn ich – kann denn ich
Nicht die sein, welche weicht? Mein Volk mag wählen,
Ich geb ihm seine Majestät zurück.
Gott ist mein Zeuge, daß ich nicht für mich,
Nur für das Beste meines Volks gelebt.
Hofft es von dieser schmeichlerischen Stuart,
Der jüngern Königin, glücklichere Tage,
So steig ich gern von diesem Thron und kehre
In Woodstocks stille Einsamkeit zurück,
Wo meine anspruchlose Jugend lebte,
Wo ich, vom Tand der Erdengröße fern,
Die Hoheit in mir selber fand – Bin ich
Zur Herrscherin doch nicht gemacht! Der Herrscher
Muß hart sein können, und mein Herz ist weich.
Ich habe diese Insel lange glücklich
Regiert, weil ich nur brauchte zu beglücken.
Es kommt die erste schwere Königspflicht,
Und ich empfinde meine Ohnmacht –
BURLEIGH.
Nun bei Gott!
Wenn ich so ganz unkönigliche Worte
Aus meiner Königin Mund vernehmen muß,
So wärs Verrat an meiner Pflicht, Verrat
Am Vaterlande, länger stillzuschweigen.
– Du sagst, du liebst dein Volk, mehr als dich selbst,
Das zeige jetzt! Erwähle nicht den Frieden
Für dich und überlaß das Reich den Stürmen.
– Denk an die Kirche! Soll mit dieser Stuart
Der alte Aberglaube wiederkehren?
Der Mönch aufs neu hier herrschen, der Legat
Aus Rom gezogen kommen, unsre Kirchen
Verschließen, unsre Könige entthronen?
– Die Seelen aller deiner Untertanen,
Ich fodre sie von dir – Wie du jetzt handelst,
Sind sie gerettet oder sind verloren.
Hier ist nicht Zeit zu weichlichem Erbarmen,
Des Volkes Wohlfahrt ist die höchste Pflicht;
Hat Shrewsbury das Leben dir gerettet,
So will ich England retten – das ist mehr!
ELISABETH.
Man überlasse mich mir selbst! Bei Menschen ist
Nicht Rat noch Trost in dieser großen Sache.
Ich trage sie dem höhern Richter vor.
Was der mich lehrt, das will ich tun – Entfernt euch,
Mylords!
Zu Davison.
Ihr, Sir! Könnt in der Nähe bleiben!
Die Lords gehen ab. Shrewsbury allein bleibt noch einige Augenblicke vor der Königin stehen, mit bedeutungsvollem Blick, dann entfernt er sich langsam, mit einem Ausdruck des tiefsten Schmerzes.
Zehnter Auftritt
Elisabeth allein.
O Sklaverei des Volksdiensts! Schmähliche
Knechtschaft – Wie bin ichs müde, diesem Götzen
Zu schmeicheln, den mein Innerstes verachtet!
Wann soll ich frei auf diesem Throne stehn!
Die Meinung muß ich ehren, um das Lob
Der Menge buhlen, einem Pöbel muß ichs
Recht machen, dem der Gaukler nur gefällt.
O der ist noch nicht König, der der Welt
Gefallen muß! Nur der ists, der bei seinem Tun
Nach keines Menschen Beifall braucht zu fragen.
Warum hab ich Gerechtigkeit geübt,
Willkür gehaßt mein Leben lang, daß ich
Für diese erste unvermeidliche
Gewalttat selbst die Hände mir gefesselt!
Das Muster, das ich selber gab, verdammt mich!
War ich tyrannisch, wie die spanische
Maria war, mein Vorfahr auf dem Thron, ich könnte
Jetzt ohne Tadel Königsblut versprützen!
Doch wars denn meine eigne freie Wahl
Gerecht zu sein? Die allgewaltige
Notwendigkeit, die auch das freie Wollen
Der Könige zwingt, gebot mir diese Tugend.
Umgeben rings von Feinden hält mich nur
Die Volksgunst auf dem angefochtnen Thron.
Mich zu vernichten streben alle Mächte
Des festen Landes. Unversöhnlich schleudert
Der römsche Papst den Bannfluch auf mein Haupt,
Mit falschem Bruderkuß verrät mich Frankreich,
Und offnen, wütenden Vertilgungskrieg
Bereitet mir der Spanier auf den Meeren.
So steh ich kämpfend gegen eine Welt,
Ein wehrlos Weib! Mit hohen Tugenden
Muß ich die Blöße meines Rechts bedecken,
Den Flecken meiner fürstlichen Geburt,
Wodurch der eigne Vater mich geschändet.
Umsonst bedeck ich ihn – Der Gegner Haß
Hat ihn entblößt, und stellt mir diese Stuart,
Ein ewig drohendes Gespenst, entgegen.
Nein, diese Furcht soll endigen!
Ihr Haupt soll fallen. Ich will Frieden haben!
– Sie ist die Furie meines Lebens! Mir
Ein Plagegeist vom Schicksal angeheftet.
Wo ich mir eine Freude, eine Hoffnung
Gepflanzt, da liegt die Höllenschlange mir
Im Wege. Sie entreißt mir den Geliebten,
Den Bräutgam raubt sie mir! Maria Stuart
Heißt jedes Unglück, das mich niederschlägt!
Ist sie aus den Lebendigen vertilgt,
Frei bin ich, wie die Luft auf den Gebirgen.
Stillschweigen.
Mit welchem Hohn sie auf mich nieder sah,
Als sollte mich der Blick zu Boden blitzen!
Ohnmächtige! Ich führe beßre Waffen,
Sie treffen tödlich, und du bist nicht mehr!
Mit raschem Schritt nach dem Tische gehend und die Feder ergreifend.
Ein Bastard bin ich dir? – Unglückliche!
Ich bin es nur, so lang du lebst und atmest.
Der Zweifel meiner fürstlichen Geburt
Er ist getilgt, sobald ich dich vertilge.
Sobald dem Briten keine Wahl mehr bleibt,
Bin ich im echten Ehebett geboren!
Sie unterschreibt mit einem raschen, festen Federzug, läßt dann die Feder fallen, und tritt mit einem Ausdruck des Schreckens zurück. Nach einer Pause klingelt sie.
Eilfter Auftritt
Elisabeth. Davison.
ELISABETH.
Wo sind die andern Lords?
DAVISON.
Sie sind gegangen,
Das aufgebrachte Volk zur Ruh zu bringen.
Das Toben war auch augenblicks gestillt,
Sobald der Graf von Shrewsbury sich zeigte.
»Der ists, das ist er!« riefen hundert Stimmen,
»Der rettete die Königin! Hört ihn!
Den bravsten Mann in England.« Nun begann
Der edle Talbot und verwies dem Volk
In sanften Worten sein gewaltsames
Beginnen, sprach so kraftvollüberzeugend,
Daß alles sich besänftigte, und still
Vom Platze schlich.
ELISABETH.
Die wankelmütge Menge,
Die jeder Wind herumtreibt! Wehe dem,
Der auf dies Rohr sich lehnet! – Es ist gut,
Sir Davison. Ihr könnt nun wieder gehn.
Wie sich jener nach der Türe gewendet.
Und dieses Blatt – Nehmt es zurück – Ich legs
In Eure Hände.
DAVISON wirft einen Blick in das Papier und erschrickt.
Königin! Dein Name!
Du hast entschieden?
ELISABETH.
– Unterschreiben sollt ich.
Ich habs getan. Ein Blatt Papier entscheidet
Noch nicht, ein Name tötet nicht.
DAVISON.
Dein Name, Königin, unter dieser Schrift
Entscheidet alles, tötet, ist ein Strahl
Des Donners, der geflügelt trifft. – Dies Blatt
Befiehlt den Kommissarien, dem Sheriff,
Nach Fotheringhayschloß sich stehnden Fußes
Zur Königin von Schottland zu verfügen,
Den Tod ihr anzukündigen, und schnell,
Sobald der Morgen tagt, ihn zu vollziehn.
Hier ist kein Aufschub, jene hat gelebt,
Wenn ich dies Blatt aus meinen Händen gebe.
ELISABETH.
Ja, Sir! Gott legt ein wichtig groß Geschick
In Eure schwachen Hände. Fleht ihn an,
Daß er mit seiner Weisheit Euch erleuchte.
Ich geh und überlaß Euch Eurer Pflicht.
Sie will gehen.
DAVISON tritt ihr in den Weg.
Nein, meine Königin! Verlaß mich nicht,
Eh du mir deinen Willen kundgetan.
Bedarf es hier noch einer andern Weisheit,
Als dein Gebot buchstäblich zu befolgen?
– Du legst dies Blatt in meine Hand, daß ich
Zu schleuniger Vollziehung es befördre?
ELISABETH.
Das werdet Ihr nach Eurer Klugheit –
DAVISON schnell und erschrocken einfallend.
Nicht
Nach meiner! Das verhüte Gott! Gehorsam
Ist meine ganze Klugheit. Deinem Diener
Darf hier nichts zu entscheiden übrigbleiben.
Ein klein Versehn wär hier ein Königsmord,
Ein unabsehbar, ungeheures Unglück.
Vergönne mir, in dieser großen Sache
Dein blindes Werkzeug willenlos zu sein.
In klare Worte fasse deine Meinung,
Was soll mit diesem Blutbefehl geschehn?
ELISABETH.
– Sein Name spricht es aus.
DAVISON.
So willst du, daß er gleich vollzogen werde?
ELISABETH zögernd.
Das sag ich nicht, und zittre, es zu denken.
DAVISON.
Du willst, daß ich ihn länger noch bewahre?
ELISABETH schnell.
Auf Eure Gefahr! Ihr haftet für die Folgen.
DAVISON.
Ich? Heilger Gott! – Sprich, Königin! Was willst du?
ELISABETH ungeduldig.
Ich will, daß dieser unglückselgen Sache
Nicht mehr gedacht soll werden, daß ich endlich
Will Ruhe davor haben und auf ewig.
DAVISON.
Es kostet dir ein einzig Wort. O sage,
Bestimme, was mit dieser Schrift soll werden!
ELISABETH.
Ich habs gesagt, und quält mich nun nicht weiter.
DAVISON.
Du hättest es gesagt? Du hast mir nichts
Gesagt – O, es gefalle meiner Königin,
Sich zu erinnern.
ELISABETH stampft auf den Boden.
Unerträglich!
DAVISON.
Habe Nachsicht
Mit mir! Ich kam seit wenig Monden erst
In dieses Amt! Ich kenne nicht die Sprache
Der Höfe und der Könige – in schlicht
Einfacher Sitte bin ich aufgewachsen.
Drum habe du Geduld mit deinem Knecht!
Laß dich das Wort nicht reun, das mich belehrt,
Mich klar macht über meine Pflicht –
Er nähert sich ihr in flehender Stellung, sie kehrt ihm den Rücken zu, er steht in Verzweiflung, dann spricht er mit entschloßnem Ton.
Nimm dies Papier zurück! Nimm es zurück!
Es wird mir glühend Feuer in den Händen.
Nicht mich erwähle, dir in diesem furchtbaren
Geschäft zu dienen.
ELISABETH.
Tut, was Eures Amts ist.
Sie geht ab.
Zwölfter Auftritt
Davison, gleich darauf Burleigh.
DAVISON.
Sie geht! Sie läßt mich ratlos, zweifelnd stehn
Mit diesem fürchterlichen Blatt. – Was tu ich?
Soll ichs bewahren? Soll ichs übergeben?
Zu Burleigh, der hereintritt.
O gut! gut, daß Ihr kommt, Mylord! Ihr seids,
Der mich in dieses Staatsamt eingeführt!
Befreiet mich davon. Ich übernahm es,
Unkundig seiner Rechenschaft! Laßt mich
Zurückgehn in die Dunkelheit, wo Ihr
Mich fandet, ich gehöre nicht auf diesen Platz –
BURLEIGH.
Was ist Euch, Sir? Faßt Euch. Wo ist das Urteil?
Die Königin ließ Euch rufen.
DAVISON.
Sie verließ mich
In heftgem Zorn. O ratet mir! Helft mir!
Reißt mich aus dieser Höllenangst des Zweifels.
Hier ist das Urteil – Es ist unterschrieben.
BURLEIGH hastig.
Ist es? O gebt! Gebt her!
DAVISON.
Ich darf nicht.
BURLEIGH.
Was?
DAVISON.
Sie hat mir ihren Willen noch nicht deutlich –
BURLEIGH.
Nicht deutlich! Sie hat unterschrieben. Gebt!
DAVISON.
Ich solls vollziehen lassen – soll es nicht
Vollziehen lassen – Gott! Weiß ich, was ich soll.
BURLEIGH heftiger dringend.
Gleich, augenblicks sollt Ihrs vollziehen lassen.
Gebt her! Ihr seid verloren, wenn Ihr säumt.
DAVISON.
Ich bin verloren, wenn ichs übereile.
BURLEIGH.
Ihr seid ein Tor, Ihr seid von Sinnen! Gebt!
Er entreißt ihm die Schrift, und eilt damit ab.
DAVISON ihm nacheilend.
Was macht Ihr? Bleibt! Ihr stürzt mich ins Verderben.
Fünfter Aufzug
Die Szene ist das Zimmer des ersten Aufzugs.
Erster Auftritt
Hanna Kennedy in tiefe Trauer gekleidet, mit verweinten Augen und einem großen, aber stillen Schmerz, ist beschäftigt, Pakete und Briefe zu versiegeln. Oft unterbricht sie der Jammer in ihrem Geschäft, und man sieht sie dazwischen still beten.
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