Marionetten

Schnitzler, Arthur

Marionetten

 

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Arthur Schnitzler

Marionetten

Drei Einakter

 

 

I. Der Puppenspieler

Studie in einem Aufzug

 

 

Personen.

Georg Merklin.

 

Eduard Jagisch, Oboespieler.

 

Anna, seine Frau.

 

Beider Sohn, acht Jahre alt.

 

Ein Dienstmädchen.

 

 

Bescheiden, aber behaglich eingerichtetes Zimmer. Zwei Fenster, Blick auf Dächer, Hügel, blaßblauer Frühlingshimmel. Rechts Eingangstür, links auch eine Tür.

Eduard Jagisch von rechts. Schmächtiger, bartloser Mann von etwa 40 Jahren, bescheiden und nett gekleidet; im Gehaben ein wenig befangen, liebenswürdig. Gleich hinter ihm Georg Merklin, etwa 50 Jahre, ziemlich ergrauter Vollbart, dichtes graues Haar; abgetragener Überzieher mit aufgestelltem Kragen, dunkle, etwas fettig glänzende Beinkleider, weicher Hut, staubige, vertretene Schuhe, aber in seinem Auftreten eine gewisse, auch äußere, Vornehmheit.

 

EDUARD. Ja, nun wären wir zu Hause. Tritt ein, Georg, ich heiße dich willkommen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich den Zufall preise, wie sehr ich mich freue ... Er legt Hut und Überzieher auf das Sofa. So. – Willst du nicht ablegen?

GEORG hält seinen Überzieher mit einiger Absichtlichkeit fest. Danke, danke.

EDUARD betrachtet die Kleidung Georgs; über sein Gesicht gleitet ein Zug von Mitleid, das er aber nicht merken lassen will. Ja, du hast recht, es ist etwas kühl. Aber natürlich, man heizt doch nicht mehr Ende April – nicht wahr? Willst du nicht Platz nehmen? Georg bleibt stehen. Nun, Georg, weiß du auch, wie lange es her ist? Mehr als elf Jahre ... jawohl, mehr als elf Jahre haben wir einander nicht gesehen. Und das Sonderbare ist, daß es gerade gestern elf Jahre waren.

GEORG. Gestern?

EDUARD. Ja, ich weiß, daß es gerade der achtundzwanzigste April war. Denn der Abend, an dem wir das letzte Mal zusammen waren, ist mir gewissermaßen unvergeßlich geblieben und hat noch in der Erinnerung einen seltsamen Zauber.

GEORG. Fern.

EDUARD. Da geht nun eine so lange Zeit hin, in der man gar nichts voneinander gewußt hat – und nun trifft man einander zufällig auf der Straße. Und so hätte man vielleicht sein ganzes Leben in der gleichen Stadt leben können, ohne einander zu begegnen.

GEORG. Allerdings.

EDUARD. Aber ohne meine Schuld. Denn was mich anbelangt, so habe ich dich gesucht, habe nach dir geradezu geforscht – zum mindesten in den letzten drei Jahren, seit ich wieder aus Amerika zurück bin. Es lag mir sehr daran, dich wieder zu finden.

GEORG der auf demselben Fleck stehen bleibt, sich im Zimmer umsieht, gleichgültig. Warum?

EDUARD. Warum? Ich sehnte mich nach dir – jawohl! Begreifst du das nicht? Denke doch, wie viel wir in früherer Zeit miteinander verkehrten; besonders in der letzten Zeit meines Wiener Aufenthaltes.