Und nun laß uns gehn. Wann ist denn eigentlich dein Debüt?«
»Nächsten Dienstag. Halte den Daumen. Oder noch besser, komm und klatsche.«
Fünftes Kapitel
Die nächsten Tage vergingen ruhig. Am Vormittag hatte Hugo sein Repetitorium, dann ging er zu Tisch, dann nach Wilmersdorf; am Abend war er zu Haus, wenigstens meist, und war alles in allem ein Muster von Solidität. Was Mathilden auffiel, war sein Studium. Aus allem, was sie sah und auch aus Andeutungen von ihm selber hörte, ging hervor, daß er sich zu einem Examen vorbereitete, er steckte auch jeden Morgen, wenn er ausging, immer ein Buch oder ein Heft zu sich, trotzdem war ihr klar, daß, wenn er wieder zu Hause war, von Studien keine Rede war. Auf einem am Fenster stehenden Stehpult, das er sich angeschafft hatte, lagen zwar ein paar dicke Bücher umher, aber sie hatten jeden Morgen eine dünne Staubdecke, Beweis genug, daß er sich den Abend über nicht damit beschäftigt hatte. Was er las, waren Romane, besonders auch Stücke, von denen er jeden zweiten, dritten Tag mehrere nach Hause brachte; es waren die kleinen Reclam-Bändchen, von denen immer mehrere auf dem Sofatisch lagen, eingeknifft und mit Zeichen oder auch mit Bleistiftstrichen versehn. Mathilde konnte genau kontrollieren, was ihm gefallen oder seine Zweifel geweckt hatte, denn es kamen auch Stellen mit Ausrufungs- und selbst mit drei Fragezeichen vor. Aber das waren doch nur wenige; »Das Leben ein Traum« hatte die meisten Zeichen und Randglossen und schien ihn am meisten interessiert zu haben.
»Mutter«, sagte Thilde, »wenn da nicht ein Wunder geschieht, der macht es nie.«
»Was denn, Thilde?«
»Na, das Examen. Uns kann es recht sein. Je länger es dauert, je länger bleibt er. Und wenn er es macht und durchfällt, so bleibt er auch. Wohin soll er am Ende? Sehr viel Anhang scheint er nicht zu haben. Selbst der Herr mit der polnischen Mütze war noch nicht wieder da.«
Das hatte freilich seine Richtigkeit. Rybinski war seit seinem ersten Besuche noch nicht wieder dagewesen, aber am Abend desselben Tages, wo Thilde Möhring diese Betrachtungen gemacht hatte, kam er und traf auch seinen Freund Hugo zu Haus.
»Endlich, Hugo. Du wirst gedacht haben, ich hätte geschwindelt und das mit dem Kosinsky sei nur ein Ulk gewesen. Aber ich sage dir, großer Ernst. Eigentlich heißt es bittrer Ernst, aber dies Wort möchte ich begreiflicherweise vermeiden. Man ist übrigens der Meinung, ich müsse gefallen, und einer sagte mir heut früh, ›ich sei der geborne Kosinsky‹. Leider war es Spiegelberg, aber wie das immer ist, gerade dieser ist eine treue Seele. Nun, morgen muß sich alles entscheiden. Ich bringe dir hier Billets, ein Parquet für dich und zwei zweiten Rang für deine Damen drüben, wenn sie auf diesen Namen hören, was mir allerdings zweifelhaft ist. Ich hätte dir drei Parquets bringen können, aber ich dachte mir, beide so dicht bei dir könnte dich vielleicht genieren, namentlich die Alte, sie ist doch noch sehr Mutter aus dem Volk. Und dann, offen gestanden, liegt mir und dem Direktor auch mehr am zweiten Rang; im Parquet sitzt immer Kritik, und wenn sich da zwei solche Damen auf Enthusiasmus ausspielen, wird es lächerlich, aber im zweiten Rang, da geht alles, auf den zweiten Rang, wenn man ein bißchen aufpaßt, kann man sich verlassen. Dein Platz unten ist Eckplatz, alles vorgesehn, aber ich finde, Hugo, du bist etwas nüchtern.«
»Nein, Hans, ich bin nur etwas benommen; ich dachte nicht, daß du mir Wind vorgemacht hättest, ich dachte nur, es wäre was dazwischengekommen, weil es sich so hinzog...«
»Ah, ich versteh; man hatte schließlich gemerkt, es ginge doch nicht, es sei nichts [mit] mir.«
»Du mußt nicht empfindlich sein, bist noch nicht aufgetreten und fängst schon damit an. Aber das ist nur die Hälfte von dem, was ich eben dachte. Das andre ist das mit den zwei Möhrings.«
»Aber, Herz, das ist ja leicht zu ändern, du kannst auch zwei Parquets haben.«
»Nein, das ist es nicht; im Gegenteil, das mit dem zweiten Rang hast du dir gut ausgedacht und rücksichtsvoll gegen mich. Es ist mit dem Mitnehmen überhaupt solche Sache, wenn wir auch verschiedne Plätze haben, das ist doch wie gesellschaftliche Gleichstellung, und wenn ich mit der Alten über den alten Moor spreche oder sie mit mir, denn ich werde nicht anfangen, so sind wir intim.
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