Und dann is es ja doch auch bloß so was Ausgedachtes. Du denkst immer, es ist wirklich so.«

»Ja, Kind, warum soll ich so was nich denken. Es gibt so viele schlechte Menschen...«

»Ja, ja, erzähle nur nich die Geschichte von dem Kürschnermeister in Treptow; ich weiß ja, daß er seine Frau mit 'm Marderpelz erstickt hat. Aber es gibt auch gute Menschen.«

»Ja, die gibt es auch. Und ich glaube, unser Jetziger hier drüben ist ein guter Mensch.«

»Ja, das ist ein sehr guter. Das heißt, wenn er so ist, wie ich ihn mir denke.«

»Du sagst ja immer, du bist so sicher.«

»Bin ich auch. Bloß mitunter wird einem doch so bange. Aber es geht gleich wieder vorüber.«

 

Sechstes Kapitel

 

Die Möhrings hatten bis Mitternacht gewartet und den Tee schon zweimal wieder aufgegossen. Als aber der Mieter noch immer nicht da war, sagte die Alte: »Thilde, was sollen wir soviel Petroleum verbrennen; nu kommt er nicht mehr. Und wenn er kommt, wird er wohl auch nicht wollen, daß wir ihn so in seinem Zustand sehn. Er wird wohl in Töpfers Hotel sitzen, im Keller unten, da sitzen sie immer.«

Danach waren sie zu Bett gegangen und lagen auch still und sprachen nicht. Aber von Schlafen war keine Rede. Thilde beschäftigte sich mit seiner Haltung während des ganzen Abends und dieser nächtlichen Kneiperei, die ganz jenseits ihrer Berechnungen lag, und die Alte war immer noch bei dem Stück. Es schlug schon eins, als sie sich aufrichtete und leise sagte: »Thilde, schläfst du schon?«

»Nein, Mutter.«

»Das ist gut, Kind. Mir ist so angst. Ob es von dem Tee is? Aber ich habe solch Herzschlagen und sehe immer den alten Mann...«

»Ach laß doch den alten Mann, Mutter. Der schläft nun schon zwei Stunden, und du mußt auch schlafen.«

»Und das einzige is, daß der Rotkopf...«

»Ja, der hat nu seinen Denkzettel.«

»Und was wohl aus dem armen Wurm, dem Fräulein, geworden ist? Wie hieß sie doch?«

»Amalie.«

»Richtig, Amalie. Ja, die is doch nu so gut wie eine Waise. Denn wenn sie den Alten auch wieder rausgeholt haben. Lange kann er's doch nicht mehr machen.«

»Nein, das kann er nicht, Mutter. Aber jetzt werde ich dir ein Glas Wasser holen, und dann legst du dich auf die andre Seite.«

»Na ja, ich werde bis hundert zählen.«

 

Es war darauf gerechnet, daß Hugo spät aufstehen würde, aber das Gegenteil geschah, er klingelte früher als gewöhnlich und mußte wohl zehn Minuten auf sein Frühstück warten. Thilde wollte diese Verspätung entschuldigen; er sagte aber, es hätte nichts zu sagen, er müsse sich entschuldigen; um vier nach Hause kommen und um sieben Frühstück, das sei beinah unnatürlich. Ob es denn hübsch gewesen sei, das heißt, ob sie sich amüsiert hätten und ob ihnen Rybinski gefallen hätte. Er wolle ausgehn und gleich nachsehn, ob er gelobt sei. Daß sie nicht geklatscht hätten, sei sehr gut gewesen; es falle auf und schade bloß und heiße dann in den Zeitungen, es sei alles Claque gewesen. Übrigens hätte Rybinski ihm gesagt, er würde wieder Billets schicken, wenn er in einer neuen Rolle aufträte. Das sei in der nächsten Woche, da spiele er den Dunois, Bastard von Frankreich. »Sie kennen die Rolle, Fräulein Thilde.«

»Ja, den Dunois kenn ich«, sagte sie mit Betonung des Namens, ohne weitre Zutat, um ihn auf diese Weise das Unpassende des »Bastard« fühlen zu lassen. Zu dem Plan, den sie sich ausgedacht hatte, gehörte durchaus Tugend. Sie hielt es deshalb, um ihrer Reprimande noch mehr Nachdruck zu geben, auch für angezeigt, das Gespräch abzubrechen, so schwer es ihr wurde.

Als sie wieder drüben in ihrem Zimmer war, fand sie die Runtschen vor, die nicht durch das Entree, sondern durch die Küche gekommen war.