Der Gesang war eben leidlich, aber tief und feierlich wirkte die schöne volle Orgel zum Chor. Ich erinnere mich kaum, ein besseres Werk gehört zu haben. Die Rede des Tages ist hier noch die Geschichte von der Vitriolsäure, mit der man aus einer Loge während der Vorstellung das Gesicht einer Schauspielerin fast vernichtet hätte. Die Sache ist auf alle Weise ein trauriger Beleg zu unsern Sitten. Schon die Möglichkeit und Wirklichkeit, und zwar aus dem ersten Platze der Gesellschaft einer feinen Stadt, ist empörend. Nun kann oder will man aus sehr mißverstandener Ehre nicht einmal den Täter finden. Es ist freilich keine Zierde für einen Zirkel, ein Subjekt, das zu etwas fähig ist, in seiner Mitte zu haben, aber durch Verbergung wälzt man die Schande nicht weg. Die Ehre fordert die Sichtung der Gesellschaft, und zwar den deutlichsten, bestimmtesten Ausdruck des Abscheues in der öffentlichen Meinung. Wer so weit sinken konnte, verdient keine Schonung mehr. Die Bosheit hat übrigens nicht einmal den Stempel der Originalität; ich habe in Holland von einem Schneider gehört, der sich, doch noch etwas menschlicher, dieses Mittels bediente, bei öffentlichen Gelegenheiten die Kleider seiner Kundleute zu verderben, um sich desto besser in Arbeit zu halten. Er wurde dafür billig ins Zuchthaus gebracht.

 

Schaulen in Litauen, den 29. April

 

Da bin ich denn nun wieder einmal bei den Samojeden und schauere vor Frost während Du vielleicht im Rosentale den Nachtigallen zuhörst. Voriges Jahr war ich diesen nämlichen Tag oben auf der Schneekoppe; auch hier unten auf dem Blachfelde hat es heute hoch geschneit, und man geht fest über den gefrorenen Weg. Ich merke jetzt mit dem Perser, daß ich zwei Hauptseelen habe; die platonische dritte ist noch leicht beschwichtigt. Eine treibt mich fort an den Kaukasus und den Baikal, und die andere zieht mich sanft zurück zu den vaterländischen Eichen. Welcher Konfuz sagt mir armen Araspes nun, welches die gute ist? Die zweite wird wohl die bessere sein, da sie die ruhigere ist und die Stimme der Pflicht auf ihrer Seite hat. Ihr werde ich also folgen. Meine Reise ist bis jetzt gutgegangen. Von meinen literarischen, statistischen, kosmologischen und ästhetischen Reisebemerkungen erwarte nur nicht viel! Ich weiß nicht, ob die Ursache in mir oder außer mir liegt, aber es kommt mir vor, als ob von Dan bis Berseba alles eitel, wüst und leer sei. Im Ernst glaube ich, daß jetzt eine Reise durch Polen mit Ehren für einen nicht kleinen Feldzug gelten kann. Die Bequemlichkeiten für Reisende haben besonders seit der letzten Staatsveränderung oder Staatsvernichtung noch beträchtlich abgenommen. Das scheint vielleicht unmöglich zu sein, aber es ist doch wahr. Ich kann die Vergleichung sehr wohl ziehen, da ich ehemals das Land unter Stanislaus Poniatowsky in verschiedenen Richtungen verschiedenemal durchreist bin. Besonders ist der Strich von Wartenberg bis Warschau, Petrikau und Rawa ausgenommen, bis zum Mitleid ärmlich und schmutzig, bei Christen wie bei Juden; bei den ersten womöglich noch mehr. Im eigentlichen Verstande ohne alle Übertreibung ist in den meisten polnischen Häusern auf dem Lande, und nicht selten auch in den Städten, der Mist das reinlichste Fleckchen, wo man noch ohne Ekel stehen kann. Warschau und hier und da einzelne Örtchen machen noch einige Ausnahmen. Nachdem wir einige Stationen gehungert und gehofft hatten, versprach man uns endlich in Wielky einen Tee auf der Post. Da brachte man denn einen alten, zerdrückten, schmutzigen, kupfernen Topf, der seit der Revolution ohne Säuberung eine Zigeunermenage enthalten zu haben schien und das Ansehen hatte, als ob er bei Gelegenheit unseres Tees mit ausgekocht würde. Es gehörte unser huronischer Appetit und die Ode rundumher dazu, um die Tunke trinkbar zu machen. Der Post in Rawa muß man ausschlußweise das Zeugnis eines vorzüglich guten und billigen Hauses geben.

Schade, daß Buchhorn und Kompanie nicht hier in Schaulen bei uns sind, denn ein solches Quodlibet hogartischer Figuren und Gruppen sieht man wohl selten so reich als auf einem polnischen Jahrmarkt.