Nur diejenigen, denen ihre Familienverhältnisse so große Veränderungen nicht erlauben, oder die durch Grundsätze und Neigung an ihre Hufe gefesselt sind, bleiben dort. Das Militär ist jetzt stärker als jemals zur Zeit, als die Russen den Meister spielten; welches sich aus mehreren politischen Gründen leicht erklären läßt. Die Wachparaden sind in dem sogenannten sächsischen Hofe, wo ich ehemals den barocken Suworow selbst die russische im bloßen Hemde kommandieren sah. Im Garten wird der große Pavillon in der Mitte der ehemals das Buffet für die feine Gesellschaft war, ich weiß nicht zu welchem Behufe niedergerissen. Viele Paläste stehen leer oder werden zu Wirtshäusern umgeschaffen, von denen der Palast der Familie von Borch, wo die russischen Gesandten wohnten unter dem neuen Namen »Hôtel de Prusse« das beste ist. Herr Boguslawsky, ein Mann, der nach Kosciusko vielleicht der letzte Pole genannt zu werden verdient, hat noch immer sein Theater und scheint nur zu leben, um seinem Vaterlande Totenopfer zu bringen und dann in und mit ihm sterben zu wollen. Er ist gewiß in seinem Fache einer der ersten Künstler des Zeitalters und verdient in vielen Rollen völlig Iffland an die Seite gesetzt zu werden, in einigen vielleicht sogar an die rechte Seite. Alle seine Einrichtungen sind mit dem besten Takt und mit dem feinsten Geschmack. Er ist noch ein Schüler von Stanislaus Poniatowsky, der bekanntlich der erste arbiter elegantiarum war. Ich sage dieses offen und unbefangen ohne deswegen weniger Ifflands Freund zu sein, und ohne zu fürchten, daß er mir etwas von seiner Freundschaft entziehe.

In Laschenka ist zwar alles öde und leer, aber doch in ziemlicher Ordnung. Im Amphitheater hinten am Wasser saßen zwei junge Leute und sangen von einem Musikblatte halblaut eine Lieblingsarie aus den Krakauern, hörten aber sogleich auf und verbargen ihre Noten bei meiner Annäherung. Hätte ich die Musik nicht gekannt, so wären mir die Laute zwar magisch traurig, aber weiter nichts gewesen. Ich will euch in eurer Andacht nicht stören.

Sobieskys Statue steht gerade den ehemaligen Zimmern Poniatowskys gegenüber; eine bessere Satire konnte der gute Mann wohl nicht auf sich selbst machen. Die ehemaligen litauischen Kasernen, wo man die schönste Aussicht hat, sind womöglich noch weit unreinlicher als ehemals. Auf dem großen Platze vor demselben dressierte man Rekruten. Einige Stunden sah ich von allen Seiten zu, und ich gestehe mit Vergnügen, daß man die Leute mit vieler Güte und Freundlichkeit behandelte.

Vor Praga hielt ich eine Minute an dem Orte stille, wo der König Poniatowsky von seinen zärtlichen Frauen zurückgehalten wurde, als er zur Armee gehen sollte. Es ist in meinen Versen auf seinen Tod durchaus keine Silbe Dichtung; alles ist reine historische Wahrheit nach meiner Überzeugung. Jedem das Seinige ohne Furcht und Hoffnung!

Das Wasser war sehr groß, wir mußten zweimal mit dem Wagen über den Bug setzen und jedesmal zehn Gulden bezahlen, ohne daß etwas bestimmt gewesen wäre. Mich deucht, daß man an Polizei durchaus noch gar nicht gedacht hat. Nun fuhren wir einen ganzen Tag immer an dem Bug hinauf. Die Straße ist hier nicht ganz so leer an Bequemlichkeit als vor Warschau. Über den Fluß hinüber sieht man an vielen Punkten in das österreichische. Man treibt einen beträchtlichen Holzhandel auf dem Bug herunter, besonders in Brock, wo ein einziger Husar in Garnison lag, der sich als das ganze Militärkommando produzierte.

Zwischen Wischkow und Brock trat, wo man anhielt, ein Soldat zu mir an den Wagen, mit Papier in der Hand und Bitte um Unterstützung. Die Papiere waren sein Abschied und ein Brief von dem Generaladjutanten des Königs, dem Herrn von Kleist. Der Soldat hieß Joseph Haacke, vom Regiment Owstien in Altstettin. Er erzählte, daß ihn sein Hauptmann, ein Herr von Schenk, beim Exerzieren mit dem Sponton vor die Brust gestoßen habe, daß der Knochen zerbrochen sei. Lange habe er im Lazarett gelegen und viel gelitten und sei nachher als untüchtig zum Dienst ohne weiteres verabschiedet worden. Sein Brustknochen, den er entblößte, sah allerdings sehr traurig aus. Er habe sich bei dem König um eine Pension oder eine Invalidenstelle gemeldet, habe vierzehn Tage warten müssen, und der König habe ihm dann zur Heimreise in sein Vaterland bei Dubno im Russischen, ungefähr hundertundachtzig Meilen von Berlin, zwei Friedrichsd'or als Gnadengeschenk geschickt. Das stand wirklich alles wörtlich in dem Briefe des Herrn von Kleist.