Hier hat noch alles einen europäischen Anstrich; nur einige alte, arabische, flache Dächer, der echt ägyptische Schmutz und der überall wahrnehmbare Trümmer- und Wüstengeruch erinnern einen, wo man sich befindet.
Will man den unverfälschten Orient sehen, so muß man sich in eines der arabischen Viertel begeben, und dazu bedarf es keines weiten Weges. Ich erinnerte mich meines frühern Aufenthaltes in Kairo und bog in eine enge Seitengasse ein. Sie mündete in eine andere Gasse, und als ich diese erreichte, winkten mir von der alten Lehmmauer eines niedrigen Hauses die vier Inschriften entgegen:
Beer-house
Cabaret à bière
Birreria
Bira, ingliziji we nimsawiji,
also englisch, französisch, italienisch und arabisch. Die vierte Zeile war natürlich in arabischer Schrift geschrieben. Ich blieb stehen und betrachtete das Lokal. Das Aussehen desselben stieß mich ab, aber das Wort Bier zog mich an. Das Haus hatte weder Thüre noch Fenster. Die vordere Seite desselben bestand aus zehn hölzernen, vielfach zersprungenen Säulen, welche den obern Teil der Wand trugen. Hinter diesen Säulen lag das also nach der Straße offene Bierlokal. Man sah die wenigen Gäste rauchend auf Stroh- und Bastmatten sitzen oder auf hölzernen Marterfallen hocken, welche höchst wahrscheinlich Stühle sein sollten. Ein unendlich dicker Kerl, welcher auf einem solchen Sitze schwitzte, sah, daß ich mich bedachte; er winkte mit beiden Händen, grinste mir höchst freundlich zu und rief:
»Gel tschelebi, gel tschelebi! Arpa suju pek eji, pek eji -kommen Sie, Herr, kommen Sie! Das Bier ist sehr gut, sehr gut.« - Das war türkisch; der Mann war also ein Osmanli. Als ich seiner Aufforderung nicht sofort folgte, hielt er mir mit der linken Hand die Flasche entgegen und winkte mit der rechten so angelegentlich, daß sein schwerer, faßförmiger Leib in schütternde Bewegung kam; das konnte der Stuhl, welcher ohne Lehne war und schusterschemelartig nur aus drei dünnen Beinen und einem dünnen Sitze bestand, nicht aushalten; er knackte zusammen, und der Dicke fuhr mit einem lauten Krach zur Erde nieder. » O jarik, o göküm, o babaiarim, o tenim, o azalarim, o bukalim - o wehe, o mein Himmel, o meine Väter, o mein Leib, o meine Glieder, o meine Flasche!« zeterte er, indem er die Linke hoch empor hielt, aber keinen Versuch zum Aufstehen machte.
Ich sprang hinzu und konnte mich zunächst nur davon überzeugen, daß sein letzter Ausruf »o meine Flasche!« sehr begründet war. Er hatte sie an einer der erwähnten Säulen zerschlagen und hielt nur noch den leeren Hals in der Hand. Der Inhalt hatte sich über sein Gesicht und seinen ganzen Anzug ergossen. Die andern Gäste blickten lächelnd herüber, aber keiner von ihnen machte Miene, herzukommen, um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein.
»Zarar onlarinwar - sind Sie verletzt?« fragte ich ihn, indem ich ihm den Flaschenrest aus der Hand nahm und ihn mit meinem Taschentuche abtrocknete.
»Azalarim dschümle kyrmysch - alle meine Glieder sind zerbrochen!« antwortete er, indem er, auf dem Rücken liegend, beide Arme und beide Beine emporhielt.
»Das glaube ich nicht,« tröstete ich ihn; »wären Sie an den Gliedern verletzt, so könnten Sie nicht diese für Sie so schwierige Stellung einnehmen. Versuchen Sie doch, einmal aufzustehen!«
Ich nahm ihn bei den Händen und zog - zog - zog mir fast das Leben heraus, vergeblich! Da kam ein junger, schwarzer Mensch herbei, jedenfalls der Sufratschil [Kellner]; er hatte ein Kohlenbecken in der Hand, mit dessen glühendem Inhalte er die Tschibuks der Gäste in Brand zu setzen pflegte. Der junge besaß ein Gesicht wie einer, der zu jedem tollen Streiche geneigt ist. Er faßte mit der Zange eine brennende Kohle und hielt sie dem Dicken so nahe unter die Nase, daß der Schnurrbart hörbar zu sengen begann. Im Nu war der Türke auf und langte dem Knaben ein solches Bakschisch hinter die Ohren, daß dieser das Becken fallen ließ und schreiend im Hintergrunde verschwand.
» Sakalim, Byjykym güzel - mein Bart, mein schöner Schnurrbart!« schrie der Dicke ingrimmig, indem er die maltraitierte Zierde mit beiden Händen liebkoste. »Wie kann dieser Neger sich an dem Schmucke meiner Männlichkeit vergreifen! Allah brate ihn dafür im tiefsten Winkel der Hölle!«
Jetzt, da er aufgerichtet vor mir stand, konnte ich ihn genau betrachten. Er war nicht zu hoch, aber, wie bereits gesagt, von desto größerem Körperumfang. Sein Gesicht zeigte eine tiefere Röte als nur diejenige der Gesundheit; es hatte den Ausdruck der Ehrlichkeit, und wenn seine Augen jetzt auch zornig funkelten, so schienen sie doch geeignet zu sein, bei anderer Stimmung freundlicher blicken zu können. Sein Alter schätzte ich auf höchstens fünfunddreißig Jahre. Sein Anzug glich genau dem meinigen, weite türkische Schalwar [Hose], eine Weste und kurze Kubaran [Jacke mit Stehkragen], Fez, ein Halstuch unter dem Hemdenkragen und ein Gürteltuch, an den Füßen leichte Stiefeletten, nur daß meine Kleidung von mittelgrauer Farbe, die seinige aber dunkelblau und mit vielen goldenen Tressen und Schnüren verziert war. Er hatte das Aussehen eines Mannes, der mit dem Inhalte seines Beutels nicht zu geizen braucht.
Jetzt betastete er seinen Körper hinten und vorn, von oben bis unten, und als er erkannte, daß er mit heiler Haut und einigen versengten Schnurrbarthaaren davongekommen sei, erheiterte sich sein Gesicht. Er streckte mir die Hand entgegen und sagte, indem er mir die meinige herzlich schüttelte:
»Allaha schücke, szagh im! Bu wakyt n'asl idiniz - Gott sei Dank, ich bin gesund! Wie ging es Ihnen diese Zeit?«
»Diese Zeit?« fragte ich erstaunt. »Sie kennen mich, wie es scheint?«
»Und Sie mich nicht?«
»Ich kann mich wirklich nicht erinnern.«
»Ich glaube es, denn Sie haben damals nicht mit mir gesprochen. Setzen wir uns! Sie sind ein Deutscher und werden gern ein Glas Bier trinken. Ich habe Sie gerufen, und Sie müssen die Güte haben, mein Gast zu sein.«
Er setzte sich auf einen festern Stuhl, und ich nahm ihm gegenüber Platz.
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