Was Statue! – die Mutter ist auch ein wenig Statue, nicht so sehr allerdings, aber ein bißchen doch auch. Mein lieber Sohn, das sind die besten Weiber! Und dann: die Ehe ist für den Mann das Grab, für die Frau die Wiege der Leidenschaft. Übers Jahr vielleicht klagen unsere Frauen über unsere Kälte, oder es hat sich bis dahin das schönste Gleichgewicht hergestellt.«
Der Fürst gab seinen Betrachtungen diesen notdürftigen Schluß, da sie am Haustore Pauls angelangt waren und es zu scheiden galt. Sonnberg eilte, sich reisefertig zu machen, und Klemens schlug wie allabendlich den Weg nach dem Klub ein.
In den Abendstunden des zweitfolgenden Tages bewegte sich auf schlechten Wegen ein elender Postkarren, mit mageren, hochbeinigen Mähren bespannt, langsam weiter durch die unwirtbarste Gegend des nordwestlichen Böhmens. Ein öder Winkel in dem schönen Lande! – Rauh wehte der niemals rastende Sturm über den schweren Lehmboden, in dem weder Bäume noch Feldfrüchte recht gedeihen, ein Boden, der emsige Pflege brauchen würde und dem seine spärliche Bevölkerung nur die notdürftigste zuteil werden läßt. Ganze Strecken wie übersät mit Kieseln, Quarzen, Eisensteinen, zwischen denen strauchhohe Disteln ihr ephemeres, aber üppiges Dasein führen. Der Grund durchfurcht von breiten Wasserrissen, von Jahr zu Jahr tiefer ausgeschwemmt durch getaute Schneemassen, die im Frühling als Wildströme von den Höhen herabstürzten. Kümmerliche Kiefernbestände, auf der Ebene und auf den Abhängen zerstreut, Bäume, dreißig Jahre alt und nicht dicker als der Arm eines Mannes, verkrümmt, fahl, vom Markkäfer zernagt – keine Wiese, soweit das Auge reicht, kein freundliches Bächlein, das seine Umgebung erfrischte. Die Ortschaften, durch welche die Straße führt, gleichen eine der andern aufs Haar. Ihre kleinen, aus Tonschiefer erbauten und mit Stroh gedeckten Häuser drängen sich aneinander, als bedürften sie, um nicht umzukippen, der gegenseitigen Stütze. In der Mitte dieser Ansiedlungen liegt der Teich, von knorrigen Weiden mit gekappten Zweigen umgeben, die sich, so gut es geht, in seinem nur selten klaren Gewässer spiegeln. Ob trüb oder hell jedoch, er ist das Juwel des Dorfes, der Vergnügungsplatz der bäuerlichen Jugend und des schwimmkundigen Federviehs.
Der Reisende in der Postkarrete blies ruhig die Wolken seiner Zigarre von sich und tauschte von Zeit zu Zeit ein Wort mit dem Kutscher, der über die grundlosen Wege fluchte und auf seine müden Gäule einhieb. Das Gefährt war jetzt an der letzten Anhöhe angelangt, die es noch zu überwinden galt. Beide Männer sprangen vom Wagen, und während der Postillon neben seinen Pferden herschritt, hatte der Fahrgast mit einigen gewaltigen Sätzen den Rand des Hohlweges erreicht und im Sturmschritte bald darauf auch den Hügelkamm. Oben blieb er stehen, den Blick in die Ferne gerichtet. Ein großartiges und zugleich freundlicheres Landschaftsbild bot sich ihm dar.
Hier wogten die Saaten dichter auf besser bestellten Feldern, Raine und Wege waren mit Obstbäumen bepflanzt, wilde Rosen, blühende Schlehdornhecken schmückten den Saum des Tals, das eine dreifache Reihe bewaldeter Berge von der Hochebene trennte. Diese stieg gegen Westen noch einmal empor, um dann sachte abwärts zu gleiten, ohne andere Grenze als den Horizont. Dort aber, wo Erde und Himmel einander zu berühren schienen, stand eine schwarzblaue Wolke, von dem Glanz der untergehenden Sonne wie mit einem glühenden Ringe feurig und prächtig eingefaßt. Von ihrem dunklen Hintergrunde hob sich ein stattliches Gebäude in verschwimmenden Konturen ab und schimmerte weißlich herüber im Dufte der zitternden Luft. Das ist Sonnberg mit seinen Giebeln und Türmen, es ist das Vaterhaus, das sein Kind, seinen Herrn aus der Ferne grüßt. Paul steht auf seiner eigenen Scholle; der verwitterte Markstein, an den sein Fuß stößt, trägt ein wohlbekanntes Zeichen.
Wie hatte ihm das Herz gepocht als Knabe und als Jüngling, wenn er, an dieser Stelle angelangt, sein altes Heim alljährlich wiedersah und nun nach Monaten voll Arbeit und Mühe fröhliche Ruhetage vor ihm lagen, ein jubelnder Empfang ihn erwartete, offene Arme sich ihm entgegenstreckten, offene Herzen ihm entgegenschlugen. Auch jetzt überkam es ihn mit der Empfindung seiner Jugend. Von einer plötzlichen heißen Ungeduld erfaßt, hieß er den Kutscher langsam auf der Straße weiterfahren, während er selbst querfeldein über die Schlucht und den Steinbruch in gerader Linie auf das Ziel seiner Wanderung zueilte. Es hieß oft mühsam auf- und abwärts klimmen, und trotz der Raschheit, mit welcher er allen Hindernissen zum Trotz vorwärts schritt, war eine Stunde verflossen, bevor er die Mauer des Parkes erreichte.
Außerhalb derselben stand einst ein prächtiger alter Nußbaum; Paul pflegte ihn zu ersteigen und sich an seinen die Mauer überhangenden Zweigen in den Park herabzuschwingen. Den Baum suchte er nun vergebens, er war gefällt worden, ein kurzer Stumpf nur blieb von ihm übrig; einige Schritte jedoch von diesem entfernt befand sich eine regelrechte Bresche, durch welche auch fleißig ein und aus gegangen wurde von zwei- und vierbeinigen Geschöpfen, wie die Spuren im zertretenen Grase und im Schutte deutlich verrieten.
Auf diesem unerlaubten Wege drang Paul in das Schloßgebiet. Die vor ihm Angekommenen waren zwei Kühe und ihre Hüterin, ein kaum siebenjähriges Mädchen. Das Kind trat unbefangen auf den Fremdling zu, reichte ihm die kleine schmutzige Hand und sagte in singendem Tone: »Gelobt sei Jesus Christus!« »Und die Gemeindepolizei!« antwortete Paul. Sofort wandte die Hirtin sich ab, und ihre entrüstete Miene sagte: Den frevelhaften Spaß versteh ich nicht.
Paul betrat das Fichtenwäldchen, durch welches man zum oberen Teil des Parks gelangte. Es war sehr gelichtet. Die schönsten Bäume, ihrer Zweige beraubt, schwankten traurig im Winde; andere hatten sich über kleinere Nachbarn gebogen und erdrückten sie mit ihrer Wucht; noch andere lagen schon umgestürzt auf dem Boden; überall zeigten sich Spuren der Verwahrlosung und der kecken Eingriffe, zu welchen sie herausfordert.
Am Ausgange des Wäldchens, auf einem Wiesenplan, erhob sich, von Jasmin und Fliederbüschen im Halbkreise umgeben, ein schlanker, großblätteriger Ahorn.
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