Paul hörte sie an, aufmerksam, gespannt; er sah ihr in die Augen, auf die lieblich gekräuselten Lippen; er schien auf etwas zu warten, auf etwas, das nicht kam, und seine Miene wurde immer kälter, immer strenger. Warum? warum dieses steinerne Lächeln, dieser mißbilligende Blick? Worin verfehlte es die kluge Rednerin? Was wollte er eigentlich hören, was verlangte er von ihr? Sie erriet es nicht, noch immer nicht! – Und jetzt war sie zu Ende, jetzt wußte sie nichts mehr.

Er aber schien sich grausam an ihrer Ratlosigkeit zu weiden und sagte, sie scharf fixierend: »Nehmen Sie sich in acht! Sie machen mich übermütig. Ich muß glauben, daß Sie den Gedanken nicht mehr ertragen können, acht Tage lang von mir getrennt zu sein. Welche Schwäche, Gräfin, welche Sentimentalität!«

Beim Himmel! Wenn er jemals gewünscht hatte, sie zu erzürnen, jetzt ward ihm der Wunsch erfüllt! Ihre Wangen flammten, sie erhob sich, eine beleidigte Göttin, und sprach in feuersprühender Entrüstung: »Reisen Sie!«

Klemens hatte nicht aufgehört, die jungen Leute zu beobachten und von Minute zu Minute der Gräfin zu berichten: »Er hört ihr mit Entzücken zu – wie sie aber auch spielt! Glockenrein, und immer im Takt, das muß man sagen, diese Thekla... Jetzt hält sie inne – spricht ... und er, er brennt! er brennt! Er gäbe Funken, glaube ich, wenn man ihn anrühren würde, wie eine Elektrisiermaschine ...«

Der Fürst faltete seine großen weichen Hände, sah die Gräfin an wie ein Andächtiger ein Madonnenbild und fragte: »Wenn diese beiden armen Kinder jetzt vor Sie hinträten und sprächen: Gib uns deinen Segen! – was würden Sie tun?«

»Ich würde ihn unbedenklich geben«, entgegnete Marianne.

»O Himmel!... O herrliche Frau!« rief der Fürst und hätte sich bei einem Haar auf seine Knie niedergelassen. Da schlug Theklas laut gesprochenes: »Reisen Sie!« an sein Ohr, und mit Schrecken sah Klemens das Paar, mit dem er es so gut meinte, nun erscheinen – ach, in nichts weniger als glückseliger Eintracht! Da kamen sie, die Gottbegnadeten, die Schicksalsgeliebten, die füreinander Geschaffenen, beide in großer Erregung, die Köpfe hoch, mit finsteren Stirnen, eines den Blick des anderen vermeidend, und: »Was gibt es denn?« fragte Klemens in scherzendem Tone, eigentlich aber sehr beunruhigt.

»Der Graf verläßt uns; wünschen Sie ihm eine glückliche Reise!« erwiderte Thekla halb abgewandt und machte sich an dem Tische zu tun, auf welchem der Kammerdiener soeben das Teezeug ordnete.

»Verläßt uns?« Klemens konnte das nicht glauben, auch dann noch nicht, als Paul es bestätigte. »Papa und Mama besuchen? Lächerlich!« Der Fürst war im Begriffe, so boshaft zu werden, als er nur konnte; aber Marianne fiel ihm ins Wort.

Sie sah ihren zukünftigen Schwiegersohn freundlich an und sagte: »Sie haben recht! Gehen Sie. Wir werden Sie zwar schwer vermissen, aber wir sagen doch: Sie haben recht, Ihre guten Eltern nicht zu vergessen. Ich kann mir denken, wie die alten Leute von der Hoffnung auf ein solches Wiedersehen leben und von der Erinnerung daran zehren monatelang. Sehen Sie sich während Ihres Aufenthaltes im Vaterhause auch das Persönchen gut an, von dem wir schon einmal sprachen und das ich liebe, ohne es zu kennen. Wenn Sie, wie ich hoffe, bald zu uns zurückkehren, dann werden Sie mir erzählen, ob das kleine Ding eine Individualität besitzt oder nicht!« Sie drohte lächelnd mit dem Finger: »Sie werden es mir ehrlich erzählen. – Ich wiederhole: es tut uns sehr leid, daß Sie uns verlassen, aber wir billigen es von ganzem Herzen. Nicht wahr, Thekla?«

Paul ergriff die Hand Mariannens und drückte einen ehrfurchtsvollen Kuß darauf, der so auffallend lang dauerte, daß Klemens nicht umhin konnte, ein halb verlegenes, halb aggressives Räuspern vernehmen zu lassen und zu denken: Nun – was heißt denn das?

Der Rest des Abends verfloß scheinbar auf das angenehmste. Paul wurde heiter und gesprächig. Thekla, anfangs zurückhaltend, stimmte in den fröhlichen Ton ein, den er angeschlagen hatte; sie lachte so gern! und war trotz ihres majestätischen Wesens, dem man viel mehr Neigung zum Ernste als zur Lustigkeit zugetraut hätte, immer aufgelegt, einen guten Einfall zu würdigen, auf einen Scherz einzugehen. Die beiden Herren empfahlen sich zugleich; der Fürst wollte Paul noch bis zu dessen Wohnung begleiten. Er hatte gar viel gegen ihn auf dem Herzen.

»Hör einmal!« rief er in heller Mißbilligung, als sie auf der Straße angelangt waren. »Ich begreife dich nicht! Ein solcher Zauderer!... Wenn schon abgereist werden muß, warum nicht die Gelegenheit benützen und sagen: Sie kennen mich jetzt – mein Herz – meinen Charakter – und so weiter! Darf ich meinen Eltern die Nachricht bringen ... et cetera? Die Gräfin hätte ihre Zustimmung gegeben; alle Not eines provisorischen Brautstandes wäre zu Ende, und ihr wäret im reinen.«

»Wir sind im reinen; es ist alles ausgemacht: wir heiraten uns«, sagte Paul. Die Gasflamme, an der sie vorüberkamen, beleuchtete sein Gesicht, das dem Fürsten ungewöhnlich bleich und von einem wilden Ausdruck beseelt erschien. »Wir heiraten uns«, wiederholte er, »weil sie Gräfin Sonnberg werden will und weil ich verliebt in sie bin ... ja, verliebt. – Obwohl sie eine Statue ist, diese schöne Thekla.«

Er hörte nicht einmal die Einwendungen, die Klemens machte, und begann plötzlich mitten in dessen Rede: »Die Torheit hat einmal behauptet, daß Liebe blind sei, und die Gedankenlosigkeit hat es nachgeplappert. Es ist nicht wahr. Liebe hat ein scharfes Auge für den kleinsten Fehler des Geliebten, aber auch das größte Verbrechen würde sie nicht beirren. Sie nimmt es auf mit jedem Feinde, ja es lockt sie, sich zu bewähren, der Hölle zum Trotz! ›Ich sehe dich, wie du bist‹, spricht sie zu ihrem Gegenstande. ›Ich weiß, ich habe zu bestehen keinen Grund, kein Recht; es ist eine Tollheit, daß ich bestehe – aber ich bestehe doch! Ich leide, ich blute, ich verzweifle, aber ich bestehe doch!‹«

»Nun, nun«, sagte Klemens, »es wird so arg nicht sein ...