Wie steht’s in dieser Stadt mit milden Gaben? Die Straße hier ist schlimmer als der Weg zur Hölle.«

»Hab’ die Straße noch nicht versucht.«

Der große Mann öffnete die Augen. Die Aussprache klang fremd, wenn auch nicht unbekannt.

»Engländer! Das ist aber komisch.« Und er blickte den Fremden sehr genau an. »Bist ja besoffen! »He, ›Kahlköpfchen‹, der Vogel ist besoffen!« Ein neues Interesse blitzte in den kleinen Augen auf.

»Setz dich, Freund - du scheinst ja ein fröhlicher Bruder zu sein!«

»Verzeihung« - die Stimme des kleinen Alten wurde plötzlich vornehm -, »sind Sie in Ogdens bekannt? Es wird Sie interessieren zu erfahren, daß -«

»Maul halten!«

Das Gesicht des großen Strolches verzerrte sich, seine Hand fuhr empor, und der Kleine schrumpfte zusammen, ein Ausdruck der Angst trat in sein Gesicht.

»Sieht immerzu Gespenster …«, sagte der Große, »wurde beinahe von der Polente in Troy geschnappt, gar nicht auszudenken! Läuft in die Eisenbahndepots, kriegt ›Erscheinungen‹ und schreit im Traum ›Julia‹.«

›Kahlköpfchen‹ zitterte wie ein nasser Hund, aber bei diesen Worten schien er wieder Mut zu fassen.

»Das Wort bitte nicht aussprechen, oh … Hör mal! Hat mich schlecht behandelt - sie war gemein, ja, aber es ist mir doch lieber, du sagst das nicht!«

»Julia«, wiederholte der Große spöttisch.

Die große Hand schoß vor, faßte den Kragen seines Begleiters und schüttelte ihn wild. Robin schaute zu und sagte nichts, bis die Bestie den alten Kerl von sich fortschleuderte und zu dem Zuschauer hinaufgrinste.

»Hinsetzen! Was hast du denn, Freund? Nu los? Hinsetzen. Kommst du mit uns? In Ogdens ist gut Klinkenputzen. Hab’ mal zwei Engländer gekannt - na, so setz dich doch nieder!« Die letzten Worte brüllte er.

»Ich bleib lieber stehen«, sagte Robin ruhig.

»Angst, daß ich dir die Taschen ausräume? Allmächtiger Gott, du hast ja keine drei Cent in der Tasche.«

»Kann sein, kann auch nicht sein.«

Er wandte sich zum Gehen. Zurückspähend sah er, wie der Große nach einem Stein griff. Da drehte er sich schnell um.

»Hab’ ‘ne Kanone einstecken«, sagte er bedeutungsvoll.

Er sah, daß der Mann ihm glaubte, denn er zwang sich zum Lachen.

»Setzt lebenslänglich«, sagte er ironisch. »Blödsinnig, ’ne Kanone ’rumzuschleppen.«

Er stand auf, trat das Feuer tot, sammelte die Reste des Festmahls und rollte sie in eine alte Zeitung.

»Komm, los, ›Kahlköpfchen‹ - dieser fröhliche Bruder glaubt, ich will ihm die Taschen ausräumen! Willst den Frachter noch erwischen?«

Robin schüttelte den Kopf.

»Hm! Hab’ mir gedacht, du wolltest. Hast wohl in deinem Leben noch nie auf ’nem Waggon gelegen. Los mit dir, komm!«

,Kahlköpfchen’ stand langsam auf, sammelte sein Eigentum zusammen und ging schlotternd seinem Herrn nach.

Bald waren sie außer Sicht, und Robin kehrte, nachdem er die letzte Glut zerstampft hatte, zu dem Mädchen zurück.

»Wer war denn das?« fragte sie. Sie hatte die beiden Vorbeigehen sehen.

»Strolche. Wo ist das Haus?«

Sie deutete darauf - er hatte wenigstens das Gefühl, daß sie hindeutete. Der Sturm kam immer näher. Der Himmel wurde von Blitzen erhellt. Er sah eine niedrige Hütte, eine Jalousie, die noch an einem Scharnier hing, und einen kleinen Dachvorsprung, der nur mehr auf einem Pfosten stand.

»Endlich daheim«, sagte Robin großartig.

Die Tür war fest geschlossen, aber durch das Fenster konnte er hineinschlüpfen.

Nach einer Weile hörte sie seine Tritte im Gang und das Quietschen der Türklinke. Es dauerte eine Weile, bis sich die Tür öffnen ließ, und dann gab sie gerade so weit nach, daß sie durchschlüpfen konnte.

»Scharniere kaputt«, sagte er kurz.

Er schob die Tür wieder fest zu, dann zündete er ein Streichholz an und damit ein Stückchen Kerze, das er aus der Innentasche seines Rockes hervorholte. Überall im Gang lag Unrat, tote Blätter waren hereingeweht, Lumpenstücke waren unter Haufen von Staub sichtbar. Oben über dem Gang lief ein Balken, und in dieses Holz war ein großer Haken eingeschraubt. Sie sah es schaudernd … Der vergessene Schwede, dessen einziges Denkmal dieses verfallene Haus war, hatte sich wohl daran erhängt.

»Ach!«

Er sah sie ernst an. »Du bist doch nicht erschrocken?« Seine Augen ruhten auf dem Haken. »Das war’s nicht. Dort hatte er seine Schinken aufgehängt. Er hat es im Wald getan, an einem Baum oder sonstwo, so sagt man wenigstens. Hat eine Frau verloren und ist wahnsinnig geworden - lange, bevor du auf der Welt warst, sagt man wenigstens.«

»Wer sagt das?« fragte sie ungeduldig.

Er deutete etwas unbestimmt mit dem Kopf in der Richtung von Littleberg, in Wirklichkeit wollte er eine verstreute Gemeinde andeuten.

»Strolche tauschen solche Erzählungen untereinander aus. Ich habe sie nicht alle verstanden - sie haben so ihre eigene Sprache. Willst du bitte das Licht halten.«

Oktober nahm die Kerze aus seiner Hand, und er taumelte in das Zimmer hinein, dessen Tür auf den Gang führte. Er kam sehr bald wieder und trug eine staubige, zerfetzte Wolldecke.

»Ein Eisenbett ist da - die Sprungfedern scheinen in Ordnung zu sein. Etwas verrostet, glaube ich - aber sie federn. Wir müssen es wohl riskieren, Licht zu machen.«

Das Bett war eine traurig aussehende Angelegenheit, aber, wie er gesagt hatte, die Sprungfedern waren intakt.