Er hatte keine Vorurteile - so sagte er wenigstens jetzt dem Strolch, oft habe er sich schon mit solchen Kunden unterhalten und eine Menge dabei gelernt; allerdings könne sich nur ein Mann von Welt ohne Beeinträchtigung seiner Selbstachtung mit einem ›Penner‹ abgeben. Man brauche deswegen selbst noch lange nicht gewöhnlich zu sein, wenn man sich mal mit gewöhnlichen Menschen befasse.

»Das ist es gerade, wovon ich die Leute hier nicht überzeugen kann«, klagte er. »Alte Leute sind beschränkt - junge Mädchen auch. Das Studieren verdirbt junge Mädchen ganz und gar. Sie werden hochnäsig, und kein Mensch ist ihnen mehr gut genug; auch das Reisen nach Europa, wo sie Adlige, Grafen und so weiter kennenlernen, die ja doch nur auf ihr Geld aus sind, ist daran schuld. Ich sage immer, man soll sich erst Amerika ansehen.«

Robin, der Strolch, blies eine Wolke grauen Rauches zu den Baumwipfeln hinauf.

»Das habe ich schon mal gehört. Kommt mir so bekannt vor.«

Der Jüngling hieß Samuel Water. Sein Vater besaß Littlebergs größtes Warenhaus. Samuel war der Meinung, jedermann habe das Recht, ein Leben nach seinem eigenen Geschmack zu führen, und bemühte sich, zu zeigen, daß das Leben eines jungen Mannes etwas ganz anderes sei als das, was ältere Leute, die nichts mehr von der heutigen Welt verstanden, für ihn geplant hatten.

»Im letzten Jahr habe ich siebentausend Dollar gemacht«, sagte er. »Habe mit feinen Jungens zusammengearbeitet, aber die kanadische Polizei ist scharf, und die amerikanischen Offiziere sind noch schärfer … Immerhin - siebentausend.«

Er war sehr jung und hatte noch eine jugendliche Freude daran, seine eigenen Tugenden zur Schau zu tragen. Er klapperte mit seinen Schlüsseln in der Tasche, rückte seine auffallende Krawatte zurecht, blickte verächtlich auf die Hauptstraße Littlebergs und fragte: »Haben Sie eine junge Dame Vorbeigehen sehen? In einem gestreiften Kleid?«

Robin nickte. »Ich werde heute abend getraut«, sagte Sam düster. »Werde dazu gezwungen! Es ist ein Fehler, aber alle sind sie dafür, vor allem mein alter Herr und ihr Onkel. Es ist schwierig für mich. Man müßte etwas vom Leben sehen. Ich bin ja keiner von diesen Bauernjungen, die hinter jedem Rock her sind. Ich habe studiert und weiß, daß es etwas anderes gibt … Eine weite Welt« - er beschrieb mit den Händen Kreise in der Luft -, »na, sozusagen … Na, Sie wissen schon, was ich sagen will, ›Penner‹.« Robin wußte, was er sagen wollte.

Komisch, daß ich Ihnen das alles erzähle - aber Sie sind ein Mann von Welt. Man sieht euch Kerls meistens mit Verachtung an, aber ihr seht doch, was sich tut - in der großen, weiten Welt.«

»’türlich«, sagte Robin.

»Nehmen Sie noch ’ne Zigarette … Hier - nehmen Sie zwei. Ich muß jetzt weiter.«

Robin blickte der schmucken Gestalt des Bräutigams nach, bis sie außer Sicht war. Es tat ihm leid, daß er ihn nicht um einen Dollar gebeten hatte.

Als er hinauf in den westlichen Himmel blickte, sah er, wie sich im matten Dunst ein Unwetter zusammenzog.

»Vielleicht geht’s bald los«, brummte er hoffnungsvoll.

›Rotbart‹ liebte den Regen nicht, und der kleine, dicke Mann, der Messer warf, konnte ihn einfach nicht ausstehen.

2

Mr. Pfiefer war ein dicker Mann mit Sinn für Humor, aber da seine Anwaltspraxis ihn ausschließlich mit sturen Menschen zusammenbrachte, mit Menschen, die nur einen für die Öffentlichkeit bestimmten Witz besaßen, der ihnen bei Versammlungen zugkräftige Parolen lieferte, so zeigte er nie jenen übersprudelnden Sinn für Späße, der hinter der rosa Maske seines Gesichts schlummerte.

In diesem Augenblick hätte er sein unordentliches Büro mit schallendem Gelächter füllen können, aber er behielt seine ernste Miene bei, denn der Mann, der auf der anderen Seite seines mit Bergen von Papieren, Gesetzbüchern und Akten beladenen Tisches saß, war eine gewichtige Persönlichkeit: der Friedensrichter und einflußreichste Farmer der Gegend.

»Versteh’ ich Sie richtig, Mr. Pfiefer«, die harte Stimme von Andrew Elmer war vor Besorgnis heiser, »ich kriege keinen Pfennig aus diesem Nachlaß, wenn Oktober nicht an ihrem einundzwanzigsten Geburtstag verheiratet ist?«

Mr. Pfiefer nickte gravitätisch mit dem Kopf.

»So lautet das Testament.« Seine kurzen, dicken Finger glätteten das vor ihm liegende Dokument.

›Meinem Schwager zwanzigtausend Dollar und den Rest meines Vermögens meiner Tochter, Oktober Jones, auszahlbar bei ihrer Heirat, wenn diese vor oder an ihrem einundzwanzigsten Geburtstag stattfindet.‹

Andrew Elmer kratzte sich unwillig den Kopf.

»Der Rechtsanwalt in Ogdensburg hat es so ausgelegt, daß ich auf alle Fälle zwanzigtausend Dollar erhalte, und wenn Oktober dann heiratet -«

»Wer ist denn für dieses eigenartige Dokument verantwortlich?« unterbrach ihn der Anwalt.

Andrew rutschte unbehaglich auf dem Stuhl herum.

»Tja - ich werde es wohl selber aufgesetzt haben. Meine Schwägerin Jenny hat mir sowieso ihre ganzen geschäftlichen Angelegenheiten überlassen.«

Er war ein dünner Mann mit hartem, eckigem Gesicht und der Gewohnheit, seine Lippen in lautlosen Selbstgesprächen zu bewegen. Gerade jetzt sprach er zu sich selbst, aber lautlos, wobei sich seine Oberlippe komisch auf und ab bewegte.

»Es war kein Anlaß, die Geschichte nachprüfen zu lassen«, sagte er schließlich. »Jennys Geld lag fest in Hypotheken, die jetzt erst fällig geworden sind. Der Bankpräsident in Ogdensburg meinte, ich sollte das Geld nicht anrühren, bis Oktober verheiratet wäre. Ich habe es mir jetzt anders ausgerechnet: Es ist sowieso nur der Rest, der sie etwas angeht …«

»Gibt es überhaupt einen Rest, Mr. Elmer?«

Der Ton des Anwalts war trocken - Elmer fand an sich nichts Beleidigendes in der Frage.

»Nein, nicht viel. Es ist ja klar, daß Oktober immer bei Mrs.