Nachkommenschaften

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

 

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Adalbert Stifter

Nachkommenschaften

 

So bin ich unversehens ein Landschaftsmaler geworden. Es ist entsetzlich. Wenn man in eine Sammlung neuer Bilder gerät, welch eine Menge von Landschaften gibt es da; wenn man in eine Gemäldeausstellung geht, welch eine noch größere Menge von Landschaften trifft man da an, und wenn man alle Landschaften, welche von allen Landschaftsmalern unserer Zeit gemalt werden, von solchen Landschaftsmalern, die ihre Bilder verkaufen wollen, und von solchen, die ihre Bilder nicht verkaufen wollen, ausstellte, welch allergrößte Menge von Landschaften würde man da finden! Ich rede hier gar nicht von verschämten Töchtern, welche in Wasserfarben heimlich eine Trauerweide malen, unter welcher irgend ein bekränzter: Krug steht, an dessen Fuße Vergißmeinnicht blühen, welches Werk die Mutter zum Geburtstage er halten soll; ich rede ferner nicht von den Erzeugnissen, welche reisende Frauen oder Mädchen von dem Dampf schiffe oder dem Fenster ihres Gasthauses aus in ihr Handbuch als Erinnerung eintragen; ich rede auch nicht von den Landschaften, welche Schönschreibmeister in ihre Verzierungen verflechten, noch von den Päcken Zeichnungen, welche alljährlich in den Fräuleinschulen verfertiget werden, unter denen sich viele Landschaften mit Bäumen befinden, auf denen Handschuhe wachsen – wenn man das alles hinzu zählte, so wären wir mit Land schaften überschüttet, und die Menschen müßten verzweifeln. Nun, es sind der in Ölfarben gemalten und mit Goldrahmen versehenen Landschaften schon genug. Und ich will nun auch noch so viele Landschaften mit Ölfarben malen, als in mein noch übriges Leben hinein gehen. Ich bin jetzt sechsundzwanzig Jahre alt, mein Vater ist sechsundfünfzig, mein Großvater achtundachtzig, und beide sind so rüstig und gesund, daß sie hundert Jahre alt werden können; mein Urgroßvater, mein Ururgroßvater und deren Großväter und Ururgroßväter sind nach der Überlieferung der Großmutter über neunzig Jahre alt geworden: wenn ich nun auch so alt werde, und stets Landschaften male, so gehören, falls ich sie alle am Leben lasse, und sie einmal in Kisten samt ihren Rahmen verpackt verführen will, fünfzehn zweispännige Wägen mit guten Rossen dazu, wobei ich noch so manchen malfreien und vergnügten Tag verleben kann.

Das ist betrachtenswürdig.

Ich fahre fort. Wenn man zu einem Alpensee kommt und in einem einsamen Gasthause übernachtet, so kommen abends drei oder vier Landschaftsmaler in die Gaststube, welche unter Tags auf verschiedenen Stellen des Angers gesessen sind und gemalt haben. Die sich an dem Rande des Gletschers befinden, übernachten in der Alphütte auf der Ochsenwiese oder sonst irgendwo. Unterhalb des Staubbaches sind mehrere sehr große weiße Sonnenschirme ausgespannt, wie das Schildkrötendach der Römer bei Belagerungen, unter denen Männer sitzen und versuchen, den herabwallenden Schleier des Wassers nachzuahmen.

Am Rande des Waldes dann, vor den Trümmern eines alten Ritterschlosses, vor getürmten Felsen, vor gedehnten Ebenen, am Gestade des Meeres, in Grotten und grünblauen Eishöhlen der Gletscher, vor einzelnen Bäumen, Ruinen, Wässerlein, Waldpflanzen, sind solche, welche sich bestreben, die Dinge, die sie da sehen, mit Farben auf ihren Leinwanden zu bekommen. Dann macht noch ein Lehrer der Landschaftschule von der Staatsmaleranstalt mit allen seinen Schülern einen Ausflug, daß sie nun im Freien die Dinge gerade so malen, wie sie sie sonst in der Stube nach seinen Vorlagen gemalt haben. Und ich bin jetzt auch mit einem dreifüßigen, zusammenlegbaren Feldstuhle versehen, dann mit einem weiten, groben weißgrünen Sonnenschirme, den ich in die Erde pflanzen und so befestigen kann, daß er wie ein Wartturm dasteht; dann mit einem Malerkasten, der mit Leinwand, Papier, Farben, Pinseln und so weiter versehen ist und als Staffelei dient; ich will von den wasserdichten Stiefeln und von dem Wachsmäntelchen und andern Schutzdingen gar nicht reden.

Das ist bemerkenswert.

Oft, wenn ich die unzähligen Bücher betrachtete, welche sich in öffentlichen Sammlungen befinden, oder wenn ich die Verzeichnisse neugemachter Bücher ansah, dachte ich, wie man denn noch ein Buch machen kann, wenn schon so viele vorhanden sind; ja, wenn man eine neue, erstaunliche Erfindung macht, so mag man selbe in einem Buche beschreiben und erklären; aber wenn man bloß etwas erzählen will, da schon so unendlich viele etwas erzählt haben, so erscheint das sehr überflüssig. Und doch ist es mit einem Buche viel besser als mit einer in Öl gemalten, in einem Goldrahmen befindlichen Landschaft. Ein Buch ist an sich klein, kann in einem Winkel liegen, die Blätter können herausgerissen werden, und die Teile des Einbandes können als Deckel auf Milchtöpfchen dienen; aber die Landschaft, mit deren Goldrahmen die Menschen Mitleid haben, kann mehrere Ge schlechter hinter einander warten, bis sie in einem Gange eines Schlosses, oder in dem Vorhause eines Wirtshauses, oder an der Außenwand eines Trödlergewölbes hängt, und endlich, wenn gar kein Gold mehr an dem Rahmen ist, und die Farben alle Töne ihres Lebenslaufes bekommen haben, in der Rumpelkammer alle Jahre in eine andere Ecke gestellt wird, und so gleichsam als ihr eigenes Gespenst umgeht, während von dem Buche schon alle Blätter verbraucht sind, und die Deckel morsch und schimmlig geworden und weggeworfen worden sind.

Aber ich bin ganz unschuldig.

Ich habe nie daran gedacht, ein Landschaftsmaler werden zu wollen. Habe ich in der lateinischen Schule in der Benediktiner-Abtei nicht den ersten Preis erhalten? Muß ich daher nicht tüchtig Lateinisch gelernt haben? und auch Griechisch? und habe ich nicht auch sehr viele Erdebeschreibung und Geschichte vor mich gebracht? Da hatten sie auch eine Zeichnungsschule. Ich hüpfte vor Freude empor, als ich von einem Schüler einer höheren Klasse eine mit Tusch gemachte Säule sah, deren Grund schön blaß grünspangrün, und deren Durchschnitt schön blaß rosenrot war.

Ich schrieb meinem Vater um die Erlaubnis, in diese Schule eintreten zu dürfen, und erhielt sie. Ich malte nun auch solche Säulen mit grünspangrünem Grunde und rosenrotem Durchschnitte. Dann zeichnete ich aber Bäume, und der Lehrer ließ mich recht viele zeichnen, weil er sagte, ich hätte Anlage. Und da waren im Mittage von der Abtei sehr schöne blaue Berge, grüne Hügel, goldene Getreidefelder, rauschende Wässer und Bäume mit wunderbaren Blätterschlägen. Ich betrachtete das alles mit Vergnügen, zeichnete manches mit schwarzer Kreide, und anderes malte ich mit Wasserfarben auf weißes oder auf blaues Papier.

Und als ich schon lange nicht mehr in der Abtei war, als ich Menschen und Städte und Bildersammlungen und Bilderausstellungen angesehen hatte, und als ich in den Alpen oft vielmal kreuz und quer, hin und wider gewandert war, sagte ich: soll es denn gar nicht möglich sein, den Dachstein gerade so zu malen, wie ich ihn oft und stets vom vorderen Gosausee aus gesehen habe? Warum malen sie ihn alle anders? Was soll denn der Grund dieses Dinges sein? Ich will es doch sehen. Und ich machte nun zehn und etliche Versuche. Sie mißlangen sämtlich. So sehr war ich damals darauf erpicht, den Dachstein so treu und schön zu malen, als er ist, daß ich einmal sagte: ich möchte mir am Ufer des vorderen Gosausees dem Dachsteine gegenüber ein Häuschen mit einer sehr großen Glaswand gegen den Dachstein bauen, und nicht eher mehr das Häuschen verlassen, bis es mir gelungen sei, den Dachstein so zu malen, daß man den gemalten und den wirklichen nicht mehr zu unterscheiden vermöge.

Da sagte ein Freund von mir, der aber ein Schalk war: »Dann wirst du siebenundfünfzig Jahre in dem Häuschen gewesen sein und gemalt haben. Die Sache wird bekannt, die Zeitungen reden davon, Reisende kommen herzu, Engländer werden auf den Höhen herum sitzen und mit Ferngläsern auf dein Häuschen schauen, Freunde werden dich mit manchem Nötigen versehen, und wenn die siebenundfünfzig Jahre aus sind, wirst du sterben, wir werden dich begraben, und das Häuschen wird angefüllt sein mit mißlungenen Dachsteinen.«

Er hätte mögen mit dem Mißlingen recht haben; aber ich baute das Häuschen nicht, und ich malte keine Dachsteine mehr; allein die Farben hatte ich nun einmal angeschafft, der Sonnenschirm, der Malerkasten, der Feldstuhl waren da, und ich malte weiter. Das Malen ist mir lieber als die ganze Welt; es gibt gar nichts auf der Erde, was mich tiefer ergreifen könnte, als das Malen. Wenn das Früh rasch dämmert, wache ich auf und freue mich schon darauf, wieder in den lieblichen Farben zu wirken, und wenn der Abend kommt, denke ich daran, was der Tag gefördert hat, oder worin er zurückgeblieben ist, und male in Gedanken weiter.

Bei mir ist aber vieles anders als bei andern Malern. Der Schalk hätte nicht erlebt, daß das Häuschen am Gosausee mit mißlungenen Dachsteinen angefüllt gewesen wäre. Alles, was mir von meinen Arbeiten nicht gefällt, verbrenne ich. Jene wirklich mißlungenen Dachsteinmalereien sind alle verbrannt worden, ich konnte sie gar nicht ansehen, und hatte keine Ruhe, so lange sie auf der Welt waren. Und so würde sich in dem Häuschen, wenn ich schon mein Ziel nicht erreicht hätte, nur sehr viel Asche gefunden haben. Wohl sagte mancher Freund: »Ich bitte dich, wenn dir auch eine Arbeit nicht gefällt, mir gefällt sie sehr wohl: schenke sie mir lieber, ehe du sie verbrennst, das ist ja widersinnig, an einem verbrannten Dinge kann ja kein Mensch mehr eine Freude haben.« »Das ist widersinnig, was du willst,« sagte ich, »an der nicht verbrannten Pfuscherei habe ich zeitlebens Ärger, so lange ich sie auf der Welt weiß, auf die verbrannte vergesse ich, indem ich mir denke, ich will jetzt etwas ganz Schönes machen.« Und so sind schon viele Dinge in das Feuer gegangen.

Diese Sache kann eine merkwürdige Folge haben.

Entweder ich vervollkommne mich von Bild zu Bild, dann ist bei meinem Tode nur ein Bild von mir vorhanden, an dem ich nämlich eben vor dem Tode gearbeitet habe, weil alle andern verbrannt worden sind; oder ich steige rasch empor, und male hierauf lauter Meisterstücke, dann sind bei meinem Tode jene fünfzehn zweispännigen Wägen voll Bilder von mir vorhanden, oder vielleicht zwanzig Wägen voll, weil ich in der Freude über das Gelingen meiner Werke immer eifriger male, und durch die Übung immer geschwinder zu malen verstehe.