Ödipus und die Sphinx
Hofmannsthal, Hugo von
Ödipus und die Sphinx
Hugo von Hofmannsthal
Ödipus und die Sphinx
Tragödie in drei Aufzügen
Des Herzens Woge schäumte nicht so schön empor und würde Geist, wenn nicht der alte stumme Fels, das Schicksal, ihr entgegenstände.
Hölderlin
Personen.
Ödipus.
Phönix,
Ermos,
Elatos, , die Diener aus Korinth.
Die Stimmen der Ahnen.
Laïos.
Der Herold.
Der Wagenlenker.
Der Eine,
Der Andere,
Der Dritte, , Diener.
Die Königin Jokaste.
Kreon, ihr Bruder.
Die Königin Antiope, des Laïos Mutter.
Teiresias.
Der Schwertträger des Kreon.
Der Magier.
Ein Mann aus der Stadt.
Ein Kind.
Ein Sterbender.
Die Boten und Späher in Kreons Dienst.
Die Mägde im Palast.
Das Volk.
Erster Aufzug
Der Dreiweg im Lande Phokis. Waldige Gegend im Gebirge. Felsen und Bäume. Platanen, Ahorn. Quer über die Bühne führt eine Straße, von rechts herauf nach links wieder hinab. In der Mitte mundet in diese ein Hohlweg, steil herabführend.
Phönix, Ermos, Elatos; andere links hinter Bäumen und Gebüsch. Dort auch ein Wagen und Pferde, unsichtbar.
STIMME von oben.
Er ist im Hohlweg, er ist nah, ihr Männer!
ERMOS.
Wir wollen uns demütigen.
ELATOS.
Wir wollen
mit Staub der Straße unsre Stirn bestreun.
ERMOS.
Der Erstling seines Zorns ist fürchterlich,
wie Blitz und Donner. Phönix –
Zieht ihn nieder.
PHÖNIX.
Nicht sein Zorn
zermalmt mein altes Herz. Allein
ein Etwas, dessen Namen ich nicht weiß.
Ihr Götter, wendet ab – nicht von dem meinen,
vom Haupte dessen, der hier nahen wird –
ihr Götter, wendet ab!
Stille.
Ödipus kommt den Hohlweg herab, einen Stock in der Hand, bleich, verwildert, wie ein Flüchtiger, als wollte er rechts hinüber. Die drei neigen ihr Haupt zu Boden. Ödipus, ohne sie zu erkennen, wie schlafwandelnd, taumelt vorbei.
PHÖNIX aufspringend, angstvoll.
Sperrt ihm den Weg, werft euch vor seine Füße!
Ödipus springt dumpf aufschreiend zurück, deckt sich den Rücken, hebt den schweren Stock.
PHÖNIX vor ihm niedersinkend.
Hebst du den Arm wider dich selber, Herr,
und schlägst, was dein ist?
ÖDIPUS.
Ungetreue Diener,
ist dies der Weg von Delphoi gen Korinth?
PHÖNIX.
Dies ist ein Weg von Delphoi gen Korinth.
ÖDIPUS.
Ein krummer Weg! Und welchen hieß ich euch
durch eines Knaben, meines Boten, Mund
zur Heimkehr wählen?
PHÖNIX.
Den, der stracks hinab
von Delphoi läuft ans Meer, so wie die Sehne
des Bogens.
ÖDIPUS.
Und warum denn find ich euch
auf diesem Kreuzweg?
PHÖNIX.
In des Herzens Angst,
Herr, suchten wir nach dir und zählten nicht
die Berge noch die Täler, achteten die Nacht
wie Tag und Sternenlicht wie Sonnenlicht
und ließen nicht des Suchens ab bis hier,
da wir dich fanden.
ÖDIPUS.
Schlechte Diener heiß ich,
die Unbefohlnes tuen.
PHÖNIX.
Ödipus,
ich bin der Älteste und muß vor diese
hintreten, wenn du zürnst, und muß den Mund
auftun und sprechen: Herr, wie du an uns
getan, da wir zu Delphoi lagerten,
so hast du nie zuvor an uns getan.
Uns dünkte, eine fremde Faust zu fühlen
am Zügel und von ungewohnter Hand
das Joch auf uns gelegt. Denn stets warst du
mehr mit der Seele als mit Zaum und Stachel
der Lenker unsres Tuns – doch von Stund an,
da wir in dieser heilgen Stadt herbergten,
wo das Orakel thront, da wurde hart
dein Mund, und deine Rede flackerte
wie Feur im Wind, und zu gehorchen wurde
da schwer, das vordem leicht gewesen war
Am neunten Tage kamst du nicht mehr heim
zur Herberge. Wir harrten dein zur Nacht
vergeblich, und das Bette, das wir dir
bereiteten, blieb leer.
ÖDIPUS.
Mein Bote kam.
PHÖNIX neigt sich.
Er kam. Und da er sprach: Aus meinem Mund
spricht Ödipus, mein Herr und euer Herr,
neigten wir uns. Allein aus seinem Mund
kam eine Rede, die für unser Herz
zu schwer war und zu dunkel. Die wir dein
Gefolge sind, wir sollten uns von dir
abtrennen, und die deine Treuen sind,
allein hinabziehn gen Korinth. Da sprachen
wir unter uns: Dies ist zu fremd, wir wollen
nicht glauben, daß dies seine Rede war.
ÖDIPUS.
Der Knabe trug in seiner Hand den Ring
und war bekräftigt.
PHÖNIX neigt sich.
Darum fragten wir:
Was soll uns dieser königliche Ring,
den unser Herr noch nie vom Finger zog?
Da sprach er: Traget ihn hinab und wahrt
ihn gut, bis ihr vor Polybos, den König,
gelangt seid; diesem gebt den Ring und sprecht:
den schickt dir Ödipus, dein Sohn, er grüßt dich
und grüßt die Mutter, unsre Königin,
und grüßt Korinth, die Stadt – denn dich, o König,
und deine Königin und deine Stadt,
die drei, die Vater ihm und Mutter ihm
und Heimat hießen, sieht sein Aug nicht mehr.
Nicht wieder kehrt dir Ödipus, dein Sohn,
des sei der Ring dir Zeichen.
ÖDIPUS.
Treu und gut
sprach das mein Bote.
PHÖNIX schmerzvoll.
Nein!
ÖDIPUS.
So heiß denn ich,
ich, Ödipus, ich, eur Herr, dich Phönix,
dich Elatos, dich Ermos, und was noch
an anderm Dienstvolk bei den Pferden dort
und bei dem Wagen lagert, aufzustehn
vom Boden hurtig und die Pferde flink
zu schirren vor den Wagen, und hinab den Weg,
der wie der Pfeil vom Bogen stracks von hier
fliegt nach Korinth! Und wär kein andrer Weg,
als den der Gießbach ausgefressen hat,
hinab, dann durch des Baches Bett und käme
nicht Mann noch Pferd mit heilen Gliedern an –
gleichviel! Wer hieß euch lungern Tag und Nacht
in fremdem Land? wer hieß auf euren Herrn
euch pirschen wie auf Wild und mir den Wind
zu Abend abgewinnen und im Hohlweg
mich stellen? Seis! nun sucht euch euren Weg!
Und wahret mir den Ring und wahret mir
im Hirn die Botschaft.
PHÖNIX.
Herr!
ÖDIPUS.
Leg Hand an. Alter!
Da Phönix ihn am Kleide faßt.
Dort, alter Mann!
PHÖNIX.
Gebieter!
ÖDIPUS.
Dort!
PHÖNIX.
Nein, hier!
ÖDIPUS stößt ihn fort.
Gehorche, alter Diener!
PHÖNIX.
Herr, so schlag mir
den alten Kopf an diesem Stein in Stücke!
Denn sieh, wenn du mir auflädst ohne Zucken,
was mir das Herz abdrückt, und mir den Mund
zubindest, daß ich gegen dich mit Stöhnen
dir nicht die Luft soll ekel machen, also
bin ich vor dir nichts anders als ein Tier.
ÖDIPUS bewegt die Lippen fast lautlos.
Ich muß.
PHÖNIX kniend.
Wer dieses an mir tun kann,
daß er mich alten Mann hinunterschickt
zum alten Mann, den Knecht zu seinem König,
mit solcher Botschaft, die Tod gibt und Tod
zum Lohn nimmt, der darf mir als Botenlohn
auch einen Mantel nicht verweigern, und
ich heische einen steinernen von dir.
Faß einen schweren Stein mit deiner Rechten
und einen mit der Linken, stein'ge mich
und häufe Steine rings um mich, dann hab ich
mein Grab um meinen Leib und brauche keinen,
ders in Korinth mir gräbt.
ÖDIPUS fast lautlos.
Ich muß.
PHÖNIX aufstehend.
O Kind –
Kind – du weißt nicht, was alt sein heißt.
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