Er hatte an nichts mehr Freude; nicht einmal am Schreien mehr.
Er war ein vollendeter Pessimist geworden. An seinem künftigen Beruf, seinen großen Vater den Unbefriedigten zu erklären, schien ihm nur noch wenig zu liegen. Sein kleines Züngchen war dick belegt, seine Händchen sahen weiß wie Kuchenteig aus, er schlief jetzt oft ganze Tage lang.
Nur heute abend war er auffallend munter.
Die beiden hellen Lampen auf dem Tische, die vielen Leute, der Skandal, der merkwürdig große Zuckerkringel, den man ihm so unerwartet in die Hand gesteckt hatte: er begriff das alles nicht. Nu bloß noch'n bißchen Streupulver!
Die Damen hatten auf dem Sofa Platz genommen, die kleine Mieze, die sich zu den Mannsleuten rechnete, saß dem kleinen Ole vis-à-vis, der große Thienwiebel präsidierte. Die großartige Gans mitten auf dem Tisch, in deren knusprigen Prachtrücken er eben energisch seine blitzende Bratengabel gestoßen hatte, roch durch das ganze kleine Zimmer. Die beiden Lampen rechts und links brannten durch ihren Dampf wie durch einen Nebel. Frau Wachtel, die sich in ihrer Sofaecke wie auf einem Präsentierteller vorkam, atmete schwer. Sie hatte heute ihr »Seidnes« an.
»Willkommen, all ihr Herrn! Wir wollen frisch daran, wie französische Falkoniere, auf alles losfliegen, was uns vorkommt! Beim Himmel! Den mach' ich zum Gespenst, der mich zurückhält! ... Ha! Seid Ihr tugendhaft, schöne Dame?«
»Thienwiebelchen?«
Der kleine Ole, der sich eben über seinen pompösen Flügel hergemacht hatte, blinzelte vor Entzücken. Die kleine Mieze war heute mal wieder ordentlich zum Anknabbern!
»Thienwiebelchen?!«
Das reizende Grübchen in ihrem rosa Fingerchen kam jetzt so recht zur Geltung.
»Thienwiebelchen? Es gibt was!«
Aber der große Thienwiebel, der sich jetzt auch die Serviette unter sein blaues Doppelkinn gestopft hatte, fühlte sich wieder durchaus auf der Höhe der Situation.
»Meint Ihr, ich hätte erbauliche Dinge im Sinn? Ein schöner Gedanke, zwischen den ...«
»Nielchen!!«
Der kleine Ole hat es für die höchste Zeit gehalten.
Er hatte sich jetzt auch seinen prachtvollen Porter eingeschenkt und schwenkte ihn nun fidel gegen die neue Lampe.
»Putthuhn Nro. 25!«
Sein schönes Jubiläum sollte nicht so ohne weiteres zu Wasser werden.
»Putthuhn Nro. 25!«
Die kleine Mieze war jetzt ganz rot vor Vergnügen. Die beiden kleinen, silbernen Ringe in ihren Ohrläppchen blitzten, ihr Stumpfnäschen sah wie aus Marzipan aus.
»Bravo, Dickchen! Es soll leben! Putthuhn Nro. 25!«
Sie hatte ausgelassen mit ihm angestoßen.
Frau Wachtel räusperte sich jetzt. Ihr Seidnes hatte sich eben etwas eingeklemmt.
»Etwas – etwas Soße gefällig, Frau Thienwiebel?«
Amalie nickte. Ihr Teller schwamm zwar schon, aber: es war ja alles egal. So oder so.
Ihr großer Gatte drüben suchte eben wieder einzulenken.
»Nun, nun, schöne Dame! Denn – e – wenn die Sonne Maden aus einem toten Hunde ausbrütet, eine Gottheit, die ... Ha! Wilde Hölle! Wer ist, des Gram so voll Emphase tönt?!«
Es war der kleine Fortinbras. Sein Zuckerkringel war ihm eben über den Korbrand weg auf die Stuhlkante gefallen, dort entzweigeschlagen und lag nun in kleine Stücke zerbröckelt unten auf den schmutzigen Dielen.
»Ha, mördrischer, blutschändrischer, verruchter Däne! Trink diesen Trank aus! Ich will den Wanst ins nächste Zimmer schleppen!«
Aber die besorgte kleine Mieze hatte ihre Gabel schon schnell wieder auf ihren Teller klappen lassen.
»Ach! Nicht doch, Thienwiebelchen! Nicht doch!«
Sie war aufgesprungen und bückte sich jetzt zierlich über den plumpen Korbrand.
»O mein Zuckerpüppchen! Mein Schatz! So ein niedliches kleines Kerlchen! Nicht wahr, du willst auch was haben? Ach, mein Liebchen!!«
Sie hatte sich jetzt den kleinen Fortinbras auf den Schoß gesetzt und küßte ihn nur so.
»Auch was haben, Dickerchen?« Kuß! – »Auch was haben, Dickerchen?« Kuß! Kuß, Kuß, Kuß, Kuß!!
Der kleine Fortinbras juchzte. Er hatte noch nie so etwas erlebt. Er zappelte jetzt, daß es nur so eine Art hatte. Er lachte aus vollem Halse!
»Grrr ... grrr ... grrr ... äh! Grrr ... äh!«
Der große Thienwiebel saß da. Die Weste unten aufgeknöpft, die Augenbrauen tragisch in die Höhe gezogen.
»Wie keck der – e – Bursch ist! ... Wahrhaftig, Horatio! Ich habe seit diesen drei Jahren darauf geachtet. Das Zeitalter wird so spitzfindig, daß der Bauer dem Hofmann auf die Fersen tritt!«
Aber der kleine Ole beachtete ihn kaum. Die kleine Mieze war ihm jetzt weit interessanter.
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