Wir sollten das Kind nicht mit der Flasche tränken!«
»Nich? Na, womit denn sonst?«
»Du selbst solltest es eben tränken!«
»Ich?«
»Gewiß, Amalie!«
»Ach, lieber Gott! Ich! Selbst!«
»Nun! Warum nicht?«
»Ich?? Bei meiner schwachen, kranken Brust jetzt?«
»Ach was! Das bildest du dir ja nur ein, Amalie! Ich sage dir, du bist völlig gesund. Du bist völlig gesund, sage ich! ... Übrigens: ein Kind kann ein für allemal nur dann gedeihen, wenn es die Mutter selbst säugt.«
Herr Thienwiebel war jetzt ganz eifrig geworden. Seine Langeweile von vorhin schien er völlig vergessen zu haben. Er schien es sogar nicht bemerkt zu haben, daß dem kleinen zappelnden Wurm auf seinen Knien der Schnuller wieder heruntergekullert war.
»Verlaß dich drauf, Amalie! Ich sage, die natürlichste Methode ist immer die beste! Denk' doch mal: was sollten denn sonst die Negerweiber anfangen! Sie haben keine Flaschen! Sie nähren eben ihre Kinder selbst, siehst du ... und, und – nun ja! Und sie gedeihen dabei! Gedeihen! Na?«
»Ja, Niels, aber ich bin doch kein Negerweib!«
Der große Thienwiebel lächelte überlegen.
»Ja nun, du mußt ... hehe! Du mußt mich eben verstehn, Amalie! He!«
Amalie hatte sich wieder tief über ihren Salbeitopf gebückt.
»Ich wollte dir damit eben nur durch ein ... ein ... nun! sagen wir durch ein Beispiel, andeuten, daß das Natürlichste immer das Vernünftigste ist. Ich sehe eben durchaus nicht ein, warum die Negerweiber etwas vor uns voraushaben sollten!« »Aber sie sind gesund!«
»Ach was! Das bildest du dir ja nur ein, Amalie, daß du krank bist!«
»Ich?«
»Allerdings, Amalie! Ich behaupte ...«
Amalie war jetzt ein wenig ungeduldig geworden.
»Ach was! Laß lieber das Kind nicht so schrein!«
»Auch das ist wieder nur so ein Vorurteil von dir, Amalie! Was schadet das! Ich habe gelesen, es ist nichts gesünder! Die Lungen weiten sich dabei! Aber – e ... wie gesagt! Du solltest das Kind selbst tränken! Die heutige Kultur freilich, die Kultur der europäischen Welt ...«
Die Kultur überging Amalie. Sie hielt sich nur an die Ermahnungen, die sie nun schon so oft zu hören bekommen hatte.
»So! So! Jawoll doch! Gewiß! Bei unserm Leben! Den ganzen Tag lebt man von Kaffee und Butterbrot! Ich möchte wissen, wie das arme Wurm dabei gedeihen sollte!«
»Ha! Zu leben im Schweiß und Brodem eines eklen Betts, gebrüht in Fäulnis, buhlend und sich paarend über dem garst'gen Nest! Nicht wahr? Du willst damit sagen, daß ich an unsrer Lage schuld bin, Amalie!«
»Na! Etwa ich?«
»Weib!!?«
»Moi'n!«
Die Tür, an der es schon eine ganze Weile vergeblich geklopft hatte, wurde in diesem Augenblick weit aufgestoßen, und herein, in seinem ewigen Havelock, der vor Zeiten wahrscheinlich einmal hechtgrau gewesen war, den ungeheuren schwarzen Schlapphut tief in das kleine fidele, blasse Gesichtchen gedrückt, tänzelte jetzt der kleine Ole Nissen.
»Moi'n! Also laßt euch nicht stören, Kinder! Bitte, bitte! Keine Umstände, Nielchen! Keine Umstände! Weiß schon! Probiert 'ne neue Szene ein! Also, wie gesagt ... Donnerwetter! Ist das Biest hart!«
Er hatte sich eben mitten auf das kleine Kattun'ne plumpsen lassen und dabei wieder in einem Haar seine Ägypter verloren, die er schief zwischen die Zähne geklemmt hielt.
»Also, wie gesagt! Laufe da eben ganz trübselig den Hafendamm runter. Hä? Und wer begegnet mir da? Der Kanalinspektor! Na, wer denn sonst? Der Kanalinspektor natürlich! Nobel verheiratet, Villa in Bratsberg, no! etc. pp. Könnt euch ja denken! Schleift mich also natürlich sofort zu Hiddersen und läßt vorfahren ... Na, oller Junge? Wie geht's? ... Faul! sag ich also natürlich. Faul! ... Hm! Weißte was? Könntest eigentlich meine Alte porträtieren! ... Hm! Mit Jenuß, Kind! Mit Jenuß! Aber – e ... Farben, siehst du – he, Leinwand, Rahmen also ... Hä! Was? Nobles Putthuhn!!«
Ole Nissen ließ jetzt die schönen noblen Kronen in seinen Taschen nur so klimpern.
»Frau Wach-tel! Frau Wachtell!! Frau Wachtelll!!!«
Das Haus Thienwiebel schwamm wieder in Wonne. Sein Krach war wieder auf eine Weile verschoben.
»Hä! Und dies? Ist das Butter? Und dies? Hä? Ist das Schinken? Hä? Und dies? Hä? Platz für das Silberzeug! Silentium!!«
Der kleine Ole war heute wieder ganz aus dem Häuschen ...
Nachdem das »Silberzeug« dann endlich abgeräumt und die Punschbowle zu zwei Dritteln bereits geleert war, mußte Frau Wachtel sogar noch die Skatkarten »ranschleifen«. Es war einfach herrlich! Der große Thienwiebel hatte seinen türkischen Fez auf, Ole Nissen bot seine Ägypter sogar galant der alten Madame Wachtel an, die sich aber empört vor ihnen wieder in ihre Küche zurückflüchtete, Amalie rauchte tapfer mit. Ihre alten Opheliajahre waren wieder lebendig in ihr geworden. »Ach, Thienwiebel! Niels!! Geliebter!!!«
Der große Thienwiebel stand da und weinte.
»Bin ich 'ne Memm'? – Ha! Rauft mir den Bart und werft ihn mir ins Antlitz! Nein, reizende Ophelia! Nein! Weine nicht! Mein Schicksal ruft und macht die kleinste Ader meines Leibes so fest als Sehnen des Nemeerlöwen! ... Was, alter Jephta? ... Nein, glaube nicht, daß ich dir schmeichle! Was für Befördrung hoff' ich wohl von dir, der keine Rent' als seinen muntren Geist, um sich zu nähren und zu kleiden hat!«
Seine Stimme brach ab, die Hand, die er ihm auf die Schulter gelegt hatte, zitterte. –
Zuletzt, als die alte Glaslampe nur noch wie eine kleine Ölfunzel brannte und die prachtvollen Ägypter um ihre grüne Glocke einen schönen silbergrauen, fingerdicken Nebelring gelegt hatten, wurde auch der kleine Ole Nissen gerührt.
Er hatte sich nach und nach zu der reizenden Ophelia auf das kleine, blaue Kattunüberzogene gedrängt und titulierte sie nur noch »Miezchen«.
1 comment