Zu beiden Seiten war ein Gemach, zum Ankleiden der Personen, die in den Tempel eingehen durften, bestimmt. Dioklea begab sich mit den drei Nymphen in das eine, und winkte mir, den Knaben in das andere zu folgen. Alles was hier zu thun war, wurde stillschweigend verrichtet. Ich wusch vor allem mein Gesicht und meine Hände. Hierauf zogen sie mir mein Oberkleid ab, bekleideten mich mit einem langen Rock von weißer glänzender Seide, und gürteten mich mit einem breiten Gürtel von glattem Goldstoff mit den feinsten Perlen gestickt. Als ich angekleidet war, führten sie mich heraus, bückten sich, die Arme über die Brust gefaltet, vor mir und verschwanden.
Bald darauf trat auch die Priesterin wieder heraus. Sie war, über ein rosenfarbnes Gewand das nur bis an die Knöchel reichte, in ein violett purpurnes Oberkleid mit langen weiten Aermeln gehüllt; ihre dichten Haare flossen losgebunden um ihre Schultern, und mitten auf der priesterlichen Binde um ihre Stirn funkelte ein Stern von citronfarbnen Diamanten. Sie hatte in diesem Aufzuge beinahe selbst das Ansehen einer Göttin, und noch nie war sie mir so schön und blendend vorgekommen. Die drei Nymphen erschienen in einer Art enge gefalteter Leibröcke von weißer Seide, mit breiten rosenfarbnen Gürteln, und ihre Haare waren mit einem goldnen Bande aufgebunden, dessen Enden an beiden Seiten bis an die Knie herabhingen. Alle vier gingen mit zur Erde gesenktem Blicke vor mir vorbei; Dioklea öffnete mit einem goldnen Schlüssel die innere Pforte des Tempels, trat mit ihren Dienerinnen hinein, und schloß die Pforte wieder hinter sich zu. Nach einer kleinen Weile that sich diese wieder auf, sie kamen heraus und langsam auf mich zu, jede etwas in der Hand haltend, das sie aus dem Tempel mitgebracht hatte. Dioklea band mir eine der ihrigen ähnliche Binde um die Stirn; eine der Nymphen setzte mir einen Myrtenkranz auf, die zweite gab mir einen Lilienstängel in die rechte Hand, und die dritte einen Rosenzweig in die linke. Hierauf berührte die Priesterin jedes meiner Augen mit den drei Mittelfingern ihrer rechten Hand, winkte mir in den Tempel hineinzugehen, und schloß die Pforte hinter mir zu.
Lucian.
Wahrlich, viel Ceremonien, und mehr als zu viel um diese Mysterien verdächtig zu machen! Ich bin ungeduldig zu hören, wie sich das alles enden wird.
Peregrin.
Was auch der Zweck dieser Feierlichkeiten war, so viel ist gewiß, daß mir das Herz beim Eintritt in den Tempel merklich höher schlug. Ich blieb nahe an der Pforte stehen, und faßte mich zusammen so gut mir möglich war, indem ich mich umsah und den edeln Geschmack der innern Baukunst und Verzierung bewunderte, so viel ich davon bei dem Lichtstrom sehen konnte, der aus einer halbrunden Vertiefung hervorbrach, wo die Göttin in einer hohen vergoldeten Blende stand. Vor ihr, etwas seitwärts nach der rechten Hand, kniete ein marmorner Amor mit einer goldnen Pfanne, an Form dem Horn der Amalthea ähnlich, aus welcher mit dem lieblichsten Wohlgeruch eine ungemein helle Flamme in der Dicke einer Zirbelnuß emporloderte, und dem geglätteten Marmorbilde der Göttin eine zum Verblenden täuschende Beleuchtung gab. Dieses Bild war merklich größer als alle Venusbilder die ich noch gesehen hatte, und verband in meinen Augen die Majestät einer Göttin mit einer Schönheit, welche gleich beim ersten Anblick alles, womit man sie hätte vergleichen können, auslöschte, und nichts Vollkommneres wünschen ließ. Eine unfreiwillige Gewalt warf mich vor ihm auf die Erde nieder, ich betete in ihm den sichtbaren Abglanz der höchsten geistigen Schönheit an, und fühlte in seinem Anschauen mein ganzes Wesen in die reinste Liebe aufgelöst. Doch ich will nicht versuchen, unbeschreibliche Empfindungen oder Täuschungen, wenn du willst, beschreiben zu wollen; denn in der That war es doch wohl Täuschung, daß ich zuletzt, ob schon nur einen Augenblick, die Göttin selbst in ihrer ganzen überirdischen Glorie vor mir zu sehen glaubte.
Lucian (lächelnd).
Das sollt' ich beinahe auch vermuthen. Aber was wurde zuletzt aus dem allen?
Peregrin.
Ich ward endlich gewahr, daß die Fackel Amors, die zu diesen Mysterien unentbehrlich war, in wenig Augenblicken erlöschen würde, und zog mich, noch früh genug um die Thür des Tempels ohne Tappen zu finden, zurück, nachdem ich meinen Myrtenkranz nebst dem Rosenzweig und Lilienstängel zu den Füßen der Göttin niedergelegt hatte. Ich fand vor der Thür einen von den Knaben, der mir das feierliche Gewand wieder abnahm, und ich kehrte mit einem neuen Bilde in meiner Seele zurück, das, so zu sagen, ihre ganze Weite ausfüllte, aber, anstatt kalter Marmor zu seyn, von aller der Liebe belebt war, die –
Lucian.
– der kalte Marmor in dir angezündet hatte!
Peregrin (nach einer kleinen Pause).
Mein Zustand in dieser Nacht war wachend und schlafend ein immer währender Traum von meiner angebeteten Göttin. Bald lag ich wieder im Tempel zu ihren Füßen, bald wandelte ich an ihrer Seite im Hain von Amathunt, bald fand ich mich mit ihr in die himmlische Sphäre der Schönheit und Liebe verzückt, und sah und fühlte unaussprechliche Dinge. Diese Gemüthsverfassung wäre vielleicht bei jedem andern völlig erklärter Wahnsinn geworden: aber bei mir war sie durch alles Vorhergehende so gut vorbereitet, hing mit meinen herrschenden Ideen so schön zusammen, und war meiner ganzen Art zu seyn so angemessen, daß ich mich in meinem Leben nie so heiter, so gut und so glücklich gefühlt hatte. Kurz, mein Zustand war – bei aller Ueberspannung meiner Phantasie – der Begeisterung, worin sich jeder gefühlvolle und noch ungeschwächte Jüngling in den goldnen Tagen der ersten Liebe befindet, ähnlich genug, um im Grunde die natürlichste Sache von der Welt zu seyn.
Ich brachte einen Theil des folgenden Morgens mit Diokleen in den Rosengebüschen zu. Sie sagte mir: daß ich von nun an den Tempel so oft besuchen könnte als ich wollte, ohne daß es dazu ihrer Gegenwart oder besonderer Feierlichkeiten vonnöthen hätte; sie würde mir zu diesem Ende einen eigenen Schlüssel zustellen, um davon freien Gebrauch zu machen; nur mit dem einzigen Vorbehalt, daß der Tempel nie vor Untergang der Sonne aufgeschlossen werden dürfte, und bei ihrem Aufgang wieder zugeschlossen seyn müßte. Die Göttin, setzte sie hinzu, hat Wohlgefallen an der hohen Reinheit deiner Empfindungen, die unter den Sterblichen einem Wunder ähnlich ist; und ich müßte mich sehr irren, oder dir ist ein Loos beschieden, das selbst unter den Söhnen der Weisen nur selten einem Glücklichen zu Theil wird, wiewohl mir nicht erlaubt ist dir mehr davon zu sagen.
Lucian.
Aha! Ich sehe sie kommen! – Dachte ich's doch gleich vom Anfange an!
Peregrin.
Ich errathe deinen Gedanken; aber nicht zu voreilig, Lucian! du könntest dich betrogen finden. Man ist mit den Leuten, in deren Gesellschaft ich dich gebracht habe, nicht so leicht im Klaren. Gedulde dich! das Drama nähert sich seiner Peripetie54.
Mein gestriger erster Besuch des Tempels, und was dabei in mir vorgegangen, war natürlicher Weise der vornehmste Gegenstand, worüber sich Dioklea mit mir unterhielt. Sie fragte mich, ob ich jemals zu Knidos gewesen sey? und da ich mit Nein antwortete, fuhr sie fort: du kennst also die berühmte Venus des Praxiteles nur dem Namen nach; aber vermuthlich hast du die Venus des Alkamenes zu Athen gesehen? – Oefters, war meine Antwort: allein, o wie wenig ist sie mit dieser zu vergleichen! oder vielmehr, wie unendlich ist der Unterschied zwischen dem was ich beim Anschauen der einen und der andern erfahren habe! – Jene, sagte Dioklea, flößte dir wohl nur kalte ruhige Bewunderung ein; aber diese? – »Ein Gefühl, das meine Brust zu zersprengen schien, das meine ganze Seele kaum zu ertragen vermochte. In jener sah ich nur das Symbol der höchsten Schönheit; in dieser erkannte und fühlte ich die gegenwärtige Göttin selbst.« – Bei allem dem, versetzte sie, muß ich dich erinnern gegen deine Phantasie auf der Hut zu seyn; sie arbeitet oft zur Unzeit der höhern Einwirkung entgegen, und weidet uns mit Schatten, da wir ohne ihre zu große Dienstfertigkeit das Wesen selbst haben könnten. Du glaubtest die Gegenwart der Göttin zu fühlen, und es war vielleicht bloße Täuschung.
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