Das sicherste Mittel dich vor den Blendwerken der Einbildung zu verwahren, ist ihrer Geschäftigkeit Einhalt zu thun, und dich gänzlich den Gefühlen deines Herzens zu überlassen. Durch diese allein kannst du hoffen, die Göttin dir günstig zu machen. Das Herz, nicht die Einbildungskraft, ist das Organ, das ihrer Mittheilungen empfänglich ist. – Nach diesen Worten verließ sie mich, damit ich mir diese Lehren durch eigenes Nachdenken wahr machen könnte.

Um deine Geduld durch Erzählung des stufenweisen Wachsthums meiner vermuthlich beispiellosen Leidenschaft nicht auf eine allzu große Probe zu stellen, will ich von dem Besuche, den ich in der folgenden Nacht im Tempel machte, nichts weiter sagen, als daß dießmal die Art, wie das Anschauen der Göttin auf meine Sinne wirkte, indem ich mich (nach dem Rathe der Tochter des Apollonius) den Empfindungen, die sie mir einflößte, gänzlich überlassen wollte – zuletzt so lebhaft wurde, daß sie mich erschreckte und gegen mich selbst mißtrauisch machte. Ich eilte in großer Unruhe aus dem Tempel hinweg, und beschloß mich der Göttin nicht wieder zu nähern, bis ich durch die sorgfältigste Reinigung meiner Seele alles Sinnliche von meiner Liebe abgewaschen hätte, welche, meiner Meinung nach, ganz rein und geistig seyn müßte, um mich der wirklichen Theophanie als des einzigen Zieles meiner Wünsche fähig zu machen. Ich konnte nicht von mir erhalten, mit einer so heiligen Jungfrau, als Dioklea in meinen Augen war, von dieser Entschließung zu sprechen, weil ich mir keine Worte zu finden getraute, das, was sie veranlaßt hatte, zart genug auszudrücken, um keine unziemlichen Vorstellungen in ihr zu veranlassen. Sie konnte indessen leicht bemerken, daß es nicht ganz richtig mit mir stehen müsse: ich war unruhig, tiefsinnig, zerstreut, und suchte die Einsamkeit um meine Gemüthsverfassung vor ihr zu verbergen, ohne zu bedenken, daß ich sie eben dadurch verrieth. Indessen that sie doch, als ob sie nichts davon gewahr würde, und vermied, nach dem Beispiel das ich ihr gab, alles was mich zu einer Erklärung hätte nöthigen können. So ging der Tag vorüber, und in der nächsten Nacht hatte ich wirklich so viel Gewalt über mich selbst, mir das Anschauen meiner geliebten Göttin zu versagen, wiewohl ich mich mehr als zehnmal auf den Weg machte, und einmal schon bis an die äußere Pforte gekommen war.

Diese grausame Selbstpeinigung kostete mir eine schlaflose Nacht. Meine Unruhe wurde dadurch mehr vergrößert als vermindert, und ich sah am folgenden Tage so blaß und hohläugig aus, daß Dioklea sich nicht länger überheben konnte, Kenntniß davon zu nehmen. Was ist mit dir vorgegangen, Proteus? fragte sie mich: wo ist deine vorige Heiterkeit und Ruhe? Woher diese Blässe deines Gesichts? dieses trübe Feuer in deinen Augen? Und warum besuchtest du gestern den Tempel nicht, sondern schweiftest die ganze Nacht durch im Hain und in den Gärten umher? – Ich fand lange keine Antwort auf diese Frage. Endlich bemühte ich mich, nicht ohne große Verlegenheit und vieles Stocken, in so behutsamen Ausdrücken als ich (mit Gefahr ein wenig unverständlich zu seyn) nur immer finden konnte, ihr die Bedenklichkeiten zu eröffnen, die mir die Pflicht auferlegt hätten, mich freiwillig aus den Augen Göttin zu verbannen. Sie schien mir mit Erstaunen in die Augen zu sehen, wiewohl sie mich mehr als zu wohl verstanden hatte. Sie schwieg eine gute Weile. Endlich nahm sie mich lächelnd bei der Hand und sagte: du bist ein wenig wunderlich, Proteus, und die Göttin ist nur zu gütig gegen dich. Steht es etwa nicht in ihrer Willkür, durch welche Art von Einwirkung sie ihre Macht über dich beweisen will? Und wie sollten deine Sinne allein bei den entzückenden Einströmungen ihrer Gegenwart unempfindlich bleiben, da sie sogar die leblose Natur mit Wonnegefühlen durchschüttert? Wie kannst du glauben, daß die Göttin etwas Unmögliches und Unnatürliches von dir fordern werde? – Ist die Liebe, die sie dir eingeflößt hat, nicht ihr eigenes Werk? Kann Liebe ohne Verlangen, Verlangen ohne Ausdruck seyn? Die reinste Liebe – Venus Urania kann keine andere erwecken! – veredelt und verfeinert die Sinne, erhöht und begeistert sie, aber vernichtet sie nicht.

Dioklea war, indem sie dieß sagte, lebhafter geworden als ich sie noch nie gesehen hatte: sie bemerkte dieß vielleicht in meinen Augen, und hielt auf einmal ein. – Soll ich dir sagen (fuhr sie nach einer ziemlich langen Pause in einem ruhigern Tone und mit einem kaum merklichen ironischen Lächeln fort), soll ich dir sagen, was ich von deiner Liebe denke? Sie täuscht dich! oder vielmehr, du täuschest dich selbst mit einer Art von phantasierter Liebe, die du gleichsam durch Kunst und durch theurgische Mittel in dir erzwingen willst, weil du dich durch sie zu einer Stufe von Vollkommenheit empor zu schwingen hoffest, die deiner stolzen Eigenliebe schmeichelt. Wahre Liebe ist zu stark an ihren Gegenstand geheftet, zu tief in ihn versenkt, um so viel auf sich selbst Acht zu geben, und so behutsam und ängstlich über unbedeutende Dinge zu seyn. Du bist vielleicht einer sich so rein und ganz hingebenden Liebe nicht fähig: aber, glaube mir, die Götter lassen sich mit weniger nicht abfinden; und wiewohl es möglich ist, durch ihre besondere Gunst zu jener Theilnehmung an ihrer Macht zu gelangen, die das einzige Ziel deiner Wünsche scheint, so gibt es doch kein Mittel ihnen diese Gunst wider ihren Willen abzunöthigen.

Dioklea berührte mich durch diese Rede an einem sehr empfindlichen Theile; denn in der That war ich mir sehr wohl bewußt, mit den Absichten, die sie mir zuschrieb, zu ihr gekommen zu seyn: aber auf der andern Seite fühlte ich noch lebhafter, daß mir das Bild der Göttin eine Liebe eingehaucht hatte, die meine ganze Seele beschäftigte, und wovon das, was ich ehemals für Kallippen fühlte, kaum eine leise Ahndung genannt werden konnte. Da mich nun ihr Vorwurf von dieser Seite nicht traf, so antwortete ich mit einer Zuversicht, die ihr vermuthlich nicht unangenehm war: dießmal wäre wohl, wenn ich es sagen dürfte, sie selbst diejenige die sich irrte, wenn sie mich beschuldigte, daß meine Liebe bloßer Selbstbetrug, oder gar eine heuchlerische Maske eigennütziger Absichten sey. Ich erklärte mich so warm und lebhaft über diesen Punkt, daß sie genöthigt war, ihren Worten einen mildern Sinn zu geben, oder vielmehr zu behaupten, ich hätte den ihrigen nicht recht gefaßt. Dieser kleine Streit, der erste und letzte den wir mit einander hatten, endigte sich in einer Aussöhnung, wodurch wir bessere Freunde wurden als jemals, und brachte eine Lebhaftigkeit in die Unterhaltungen dieses Tages, die der Einförmigkeit unsrer Lebensart sehr zu Statten kam.

Meine Ungeduld die Göttin wieder zu sehen gab den Vorstellungen, welche Dioklea meinen vielleicht allzu zärtlichen Bedenklichkeiten entgegengesetzt hatte, so viel Gewicht, daß ich das Ende eines Spaziergangs, wozu sie mich nach der Abendmahlzeit einlud, kaum erwarten konnte, wiewohl sie sich's so angelegen seyn ließ mich angenehm zu unterhalten, daß sie nicht wohl befürchten konnte mir lange Weile zu machen. Es war schon ziemlich spät, als sie sich von mir beurlaubte, und ich eilte nun mit geflügelten Schritten dem Tempel zu. Nie hatten die Nachtigallen, die in großer Menge ein dichtes Gehölze zur Linken des Tempels bewohnten, sich so sehr beeifert meine Aufmerksamkeit auf ihre lieblichen Wettgesänge zu ziehen; aber nie war es ihnen weniger gelungen. Meine ganze Seele war bereits in meinen Augen. Ich verdoppelte meine Schritte, schloß die Pforten des Tempels hastig auf, und – stand auf einmal wie versteinert, da ich Amors Fackel ohne Feuer und den Tempel so dunkel fand, daß die geöffnete Thür nicht Licht genug einließ, um das Bild der Göttin unterscheiden zu können.

Unter tausend Zweifeln und Besorgnissen, die sich über diese unerwartete Begebenheit in meinem Gemüthe drängten, behielt endlich der Gedanke die Oberhand, daß die Göttin mich vielleicht auf die Probe stellen wolle, ob ich fähig sey, sie auch ohne Beihülfe einer meine Sinne rührenden Gestalt eben so gegenwärtig zu denken, als ob sie in diesem Marmor vor meinen Augen stände. Aber wenn dieß ihre Absicht war, so ließ sie mir wenigstens nicht Zeit genug die Probe zu machen. Denn unversehens erfüllte den Tempel eine hell leuchtende Klarheit und ein leises Wehen der lieblichsten Rosendüfte; und statt der Bildsäule erblickte ich in einer helldunkeln Wolke, welche die ganze Vertiefung erfüllte, die Göttin selbst in lebendiger unaussprechlicher Schönheit und Glorie, zwischen ihren ewig jugendlichen Grazien, welche Hand in Hand wie in einem leicht schwebenden Tanze sich um sie her bewegend, von Augenblick zu Augenblick ihre himmlischen Reize bald umschleierten bald wieder sichtbar machten. Ich stand in Entzückung und Anbetung verloren, als die Göttin, mit einem Lächeln das den ganzen Tempel zu erheitern schien, einen Blick voll Huld und Majestät auf mich warf und plötzlich wieder aus meinen Augen verschwand.

 

Lucian.

 

Freund Peregrin! – was willst du daß ich glauben soll?

 

Peregrin.

 

Daß ich dir nichts sage als was ich gesehen habe.

 

Lucian.

 

Gesehen nennst du es? Geträumt willst du sagen –

 

Peregrin.

 

Ich versichere dich, daß ich in diesem Augenblicke nicht mehr träume als damals.

 

Lucian.

 

So war es doch wenigstens einer von den wachenden Träumen, wovon du vorhin sprachest, wo man in vorbei blitzenden Augenblicken sieht, was kein besonnener Mensch, dessen Vernunft und Einbildung im gehörigen Gleichgewichte stehen, je mit gesunden Augen gesehen hat.

 

Peregrin.

 

Denke davon was du kannst, Lucian.

 

Lucian.

 

Bei allem dem müßten die geschworensten Gegner aller Täuschungen, Demokrit und Epikur selbst, gestehen, daß du in deinem Erdenleben mit einer beneidenswürdigen Imagination ausgesteuert warst! – Aber wie lange dauerte diese himmlische Erscheinung?

 

Peregrin.

 

Diese Frage, lieber Lucian, ist schwerer zu beantworten als du glaubst. Erscheinungen dieser Art lassen sich mit keinem gewöhnlichen Zeitmaße messen; und wer, der mit einem solchen Gesichte beseligt wird, könnte daran denken dessen Dauer messen zu wollen, wenn es auch möglich wäre? Alles was ich dir davon sagen kann, ist, daß sie mir, als alles wieder verschwunden war, nur wenige Augenblicke gedauert zu haben schien, aber daß, meinem Gefühle nach, diese Augenblicke gegen die zwanzig Jahre, die ich bisher gelebt hatte, eine Ewigkeit gegen einen Augenblick waren.

 

Lucian.

 

Ich merke aus allen Umständen, daß du noch etwas im Rückhalt hast, das mir auf die eine oder andere Art aus dem Wunder helfen wird: denn alles, was dir in dem Zauberhaine der wundervollen Tochter des Apollonius begegnet ist, kannst du doch nicht wohl geträumt haben.

 

Peregrin.

 

Wenigstens würde ich nicht so unbescheiden gewesen seyn, dich mit einem so langen Traume aufzuhalten.