Aber ich fühle selbst, daß es Zeit ist, dir aus dem Wunder zu helfen, wie du es nennst, und wenn es auch nicht anders geschehen könnte, als indem ich dich in ein neues noch weit größeres werfe.

 

Lucian.

 

Du wirst mich sehr verbinden: denn ich muß gestehen, daß ich den Gemüthszustand, in welchen du mich hinein gezaubert hast, nicht lang' ertragen kann.

 

Peregrin.

 

Du glaubst mir wohl ohne Schwüre, daß Venus Urania nach dieser Erscheinung keinen inbrünstigern Anbeter in der weiten Welt hatte als mich. Das ganze System meiner theurgischen Schwärmerei hatte durch diese offenbare Theophanie eine neue Stütze erhalten, und war in diesen wenigen Augenblicken so verdichtet und über allen Zweifel hinausgesetzt worden, daß ich nun das Wunderbarste und Unglaublichste zu ertragen fähig seyn mußte. So wie die wonnevolle Erscheinung verschwunden war, wurde mir auch der wieder verfinsterte Tempel zu enge. Ich eilte ins Freie, um meiner von Entzücken fast erstickten Brust Luft zu machen. Diese Nacht kam natürlicherweise eben so wenig Schlaf in meine Augen als in der vorigen; aber die aufgehende Sonne überraschte mich, da ich sie noch weit entfernt glaubte.

Dioklea erblickte mich als ich vor ihrer Wohnung vorbei ging. Sie war schon völlig angekleidet, kam zu mir herab, und sagte: sie wäre so früh aufgestanden, weil sie nothwendiger Geschäfte wegen in die Stadt reisen müßte: aber, setzte sie mit Verwunderung hinzu, wie kommt es, daß ich dich zu einer solchen Tageszeit schon so munter finde? Ich erzählte ihr, mit aller Redseligkeit eines Menschen, der kein dringenderes Bedürfniß hatte als seinem zu vollen Herzen einige Erleichterung zu verschaffen, was mir diese Nacht im Tempel begegnet war. Ich mußte es ihr mehr als Einmal mit allen Umständen erzählen, bis ich sie von allen Zweifeln geheilt sah, daß meine Phantasie die Schöpferin dieses schönen Gesichtes gewesen seyn könnte. Die Stärke meiner eigenen Ueberzeugung nöthigte ihr endlich auch die ihrige ab; sie freute sich meines Glückes, und trennte sich nun, wie sie sagte, mit desto leichterem Herzen auf einige Tage von mir, da sie so gewiß seyn könne, daß ich ihre Abwesenheit kaum gewahr werden würde. Ich sollte mich inzwischen als denjenigen ansehen, der in dem ganzen Bezirke des heiligen Hains unumschränkt zu gebieten habe; alle, die von ihr abhingen, wären angewiesen, meine Winke eben so gehorsam wie die ihrigen zu befolgen: auch hätte sie dafür gesorgt, daß es mir an nichts fehlen würde, was ich nöthig haben oder wünschen könnte, ohne daß ich mich selbst deßwegen zu bekümmern brauchte. Nach diesen Worten umarmte sie mich mit der Vertraulichkeit einer alten Freundin, bestieg mit einer ihrer Nymphen und einem Diener einen mit zwei schneeweißen Pferden bespannten Wagen, und verschwand in kurzem aus meinen ihr nachfolgenden Blicken.

Die Entfernung der Tochter des Apollonius hätte mir nie weniger unangenehm seyn können, als in meiner damaligen Verfassung. Der ekstatische, oder, wenn du willst, nympholeptische Zustand55, worein mich die Erscheinung der vergangenen Nacht versetzt hatte, machte mir's zum Bedürfniß, mir selbst und meinen Empfindungen überlassen zu werden. Doch, was sage ich mir selbst? da mein ganzes Selbst in jenes himmlische Gesicht, das noch immer in ätherischer Klarheit vor mir schwebte, übergegangen war. – Nichts Aeußeres um mich her, nichts – als Diokleens Gegenwart, hätte mich in dieser süßen Entzückung stören können; denn sie würde mich freilich unvermerkt verleitet haben, von dem Unaussprechlichen, das mein ganzes Wesen ausfüllte, zu sprechen; und wie wenig wäre das, was ich ihr von meiner Wonne hätte mittheilen können, gegen das gewesen, was mir selbst dadurch entgangen wäre!

Ich begab mich nun in den dunkelsten und stillsten Theil des Hains, und es gingen einige Stunden hin, ehe die in meiner Einbildung noch immer fortdauernde Vision durch ein fast unmerkliches Ermatten des Lichts und der Farben so viel von ihrer ersten Lebhaftigkeit verlor, daß ich wieder zu mir selbst kam, mich wieder da sah wo ich war, mich mit einer Art von süßem Erstaunen fragte, ob ich es sey, dessen Augen mit dem unmittelbaren Anschauen der Göttin beseligt worden? und mir selbst diese Frage mit der Gewißheit des innigsten Gefühls beantwortete. Die Gedanken, die jetzt mit außerordentlicher Klarheit und Leichtigkeit in mir aufstiegen, waren nicht mehr Gedanken eines Sterblichen; mit meiner Liebe zu Venus Urania hatte sich bereits meine Dämonisierung angefangen. Konnt' ich noch zweifeln ob diese Liebe der Göttin angenehm sey? Sie hatte mir ja den stärksten Beweis davon gegeben; hatte sich herabgelassen, mir in der einzigen Art von Erscheinung, die meine Sinne ertragen konnten; in der Gestalt der höchsten weiblichen Schönheit, sichtbar zu werden. – Sollte sie bei dieser ersten Gunst stehen bleiben wollen? Unfehlbar war dieses Gesicht nur ein Pfand noch vollkommnerer Mittheilungen; mit jedem höhern Grade derselben, hoffte ich, würde sich meine eigene dämonische Natur mehr enthüllen, bis ich endlich, von einer Stufe zur andern, zum reinen unmittelbaren Anschauen ihres Wesens, und zum vollen Genuß aller Vorrechte des meinigen gelangen würde. – Welche Hoffnungen! Welche Aussichten! Wie ganz anders versprach ich mir selbst mir die Liebe der Göttin zu Nutze zu machen, als die Adonis und Endymionen der poetischen Fabel! Schon durchflog ich mit ihr in Gedanken das unermeßliche Weltall, durchschaute alle Geheimnisse der Pythagorischen Zahlen, hörte die Harmonie der Sphären, und begriff den tiefsten Sinn aller Hieroglyphen der Natur. Nichts was ein Dämon wissen kann, war mir verborgen, nichts was er wirken kann, unmöglich. – Welche Wonne, welch ein Vorgefühl neuer Kräfte, neuer weit ausgebreiteter Thätigkeit, lag in diesem vergötternden Gedanken! Und nun ergoß sich auf einmal die ganze Gutmüthigkeit meines Herzens in ihn. Ein neuer Prometheus, bildete ich schon in meiner allvermögenden Phantasie das Menschengeschlecht zu gutartigen und glücklichen Geschöpfen um; alles Elend verschwand von der Erde; ich rief Asträen wieder vom Himmel herab, stellte die Unschuld und Gleichheit des goldnen Alters wieder her, und beseligte es mit allem, was Künste, Musen und Grazien zur Ausschmückung und Veredlung des menschlichen Lebens beitragen können.

 

Lucian.

 

Armer Ikarus! wie hoch schwangst du dich auf deinen Wachsflügeln empor, und wie schmerzlich muß der Fall aus einer solchen Höhe gewesen seyn!

 

Peregrin.

 

Ahndest du schon meinen Fall, Lucian? – Ganz andre Ahndungen schwellten damals meinen Busen! Auch nicht der kleinste Zweifel, nicht der leiseste Laut einer unglückweissagenden Vorempfindung, störte die Wonne meiner bezauberten Seele; und, wenn es wahr ist, daß kein wirklicher Genuß an das reicht was uns die Einbildung davon verspricht, so war dieser einsame Tag unstreitig der glücklichste meines Lebens.

Ich hatte inzwischen, ohne darauf Acht zu geben, den Ort mehr als Einmal verändert, und befand mich in einer Laube des Rosenwäldchens, wo ich endlich in der heißesten Stunde des Tages unvermerkt eingeschlummert war, als ich beim Erwachen einen Tisch mit verschiedenen Speisen und einem in Eis stehenden krystallnen Krug Wein vor mir sah, ohne gewahr worden zu seyn wie er hierher gebracht worden. Solltest du es glauben? aller seiner hohen dämonischen Schwärmerei zu Trotz, fiel der bezauberte Liebhaber der himmlischen Venus mit der Eßlust eines gemeinen Erdensohns über die anziehend duftenden Schüsseln her, und ließ, wiewohl sie für zwei mäßige Esser zureichend gewesen wären, nicht so viel übrig, daß ein Schooßhündchen davon hätte satt werden können.

 

Lucian.

 

Dieß ist gerade was mich von allen Symptomen deines damaligen Fiebers am wenigsten befremdet. Wiewohl man zu glauben pflegt, bezauberte Personen bedürften weder Speise noch Trank, so bin ich doch überzeugt, daß bei der verliebten Art von Bezauberung gerade das Gegentheil stattfindet, und daß von allen Arten der Liebe keine mehr Aufwand von Lebensgeistern verursacht, und also ihre öftere Ersetzung nothwendiger macht, als die Platonische. Vielleicht, da doch die Quelle der Ahndungen an diesem Tage so reichlich bei dir floß, war diese außerordentliche Eßlust auch eine geheime Ahndung, daß du zu den neuen, vermuthlich nahe bevorstehenden Mittheilungen der Göttin einer solchen Vorbereitung nöthig haben könntest.

 

Peregrin.

 

Wie dem auch gewesen seyn mag, so zweifle ich nicht, daß Hippokrates oder Galenus diese Begebenheit sehr natürlich gefunden haben würden. Was ich dir übrigens für gewiß sagen kann, ist, daß die Schüsseln leer waren, bevor ich ein Wort davon wußte, und daß die erhabenen Träume meiner Phantasie sehr wenig durch dieses animalische Geschäft unterbrochen wurden. Wirklich habe ich in spätern Zeiten oft die Bemerkung gemacht, daß Seele und Leib bei der Art von Menschen, unter denen ich damals keiner der geringsten war, eine ganz eigene Wirthschaft zusammenführen. Bald treibt jedes seine Geschäfte für sich, ohne von dem andern die mindeste Kenntniß zu nehmen; bald vertauschen sie unvermerkt ihre Rollen mit einander; bald leben sie in offenbarer Fehde; aber ehe man sich's versieht, sind sie wieder so warme Freunde, daß nichts in der Welt ist, was sie nicht für einander zu thun oder zu leiden bereit wären. – Doch vergib, daß ich dich mit unnöthigen Bemerkungen aufhalte, da ich dir bloß meine Geschichte versprochen habe, und in der That einer seltsamen Auflösung der Räthsel nahe bin, womit ich dir eine Weile her den Kopf warm zu machen genöthigt war.

Ob es bloß eine Folge der natürlichen Veränderlichkeit der menschlichen Seele war, die sich nicht lange in einer und eben derselben Stimmung erhalten kann, oder ob die beträchtliche Verstärkung, die der Strom meiner Lebensgeister so eben erhalten hatte, das Ihrige dazu beitrug, gewiß ist, daß die halcyonische Stille56, welche in der erste Hälfte des Tages mein Gemüth, wie ein heitrer wolkenloser Himmel die Erde unter ihm, umgeben hatte, sich in der andern Hälfte unvermerkt verlor. Ein geheimer Drang, ein unruhiges Sehnen, das mit jeder Stunde des sich neigenden Tages zunahm, trieb mich hin und her, und ließ mich nirgends lange verweilen. Das Bild der Erscheinung, die ich in der letzten Nacht gehabt hatte, stand wieder mit neuer Lebhaftigkeit und mit neuen unbeschreiblichen Reizen vor meiner Stirne. Aber das ätherische Licht, worin es mir diesen Morgen vorschwebte, war nicht mehr.