Schwermuth und Verfinsterung, worein ihn das Gefühl der Leerheit stürzt, welche das Verschwinden der Bezauberungen, deren Spiel er gewesen war, in seiner Seele zurück läßt. Er wird zufälliger Weise (wie er glaubt) durch die Erscheinung eines unerklärbaren aber sehr interessanten Unbekannten aus diesem Zustand aufgerüttelt und in neue Erwartungen gesetzt, wohnt, ohne zu wissen wie es zugeht, einer Versammlung von Christianern zu Pergamus bei, und ein neues mystisches Leben beginnt von dieser Stunde an in ihm. Der Unbekannte fährt fort mächtig auf sein Gemüth zu wirken, spannt seine Erwartungen in dem magischen Helldunkel, worein er ihn einhüllt, immer höher, befiehlt ihm aber nach Parium zurückzukehren, wohin sein Vater ihn gerufen hatte, und daselbst ruhig auf denjenigen zu warten, der ihm zum Führer auf den rechten Weg zugeschickt werden sollte.

 

V. Abschnitt.

 

Die Unbekannten, in deren Händen Peregrin ohne sein Wissen sich befindet, fahren fort, ihn durch klüglich berechnete Umwege, Schritt für Schritt, dahin zu leiten, wo sie ihn haben wollen. Durch eine Veranstaltung dieser Art, die er für bloßen Zufall hält, findet er die erste Nachtherberge auf seiner Reise bei einer einsam auf dem Lande lebenden Familie von Christianern, deren Liebenswürdigkeit, Eintracht, Gemüthsruhe, Einfalt der Seele und Unschuld der Sitten einen so tiefen Eindruck auf ihn macht, daß der Wunsch mit solchen Menschen zu leben das Ziel aller seiner Bestrebungen ist, zumal da dieser Eindruck durch die Erzählung seines Wirthes von dem Tode des Apostels Johannes (zu dessen Gemeine er gehörte) und durch die Schilderung, die ihm sein Wegweiser von dem Charakter des erhabenen Wesens macht, nach welchem sie sich nannten, verstärkt wird. Peregrin kommt in das väterliche Haus zurück und übernimmt die Besorgung der Handelsgeschäfte seines Vaters. Bald darauf entdeckt sich ihm in der Person seines ehemaligen Wegweisers Hegesias, ein Kaufmann von Aegina, und einer der thätigsten Agenten des Unbekannten. Hegesias erwirbt sich durch seine Kenntnisse und Handelsverbindungen das Vertrauen des Vaters, welchem er seine Gemeinschaft mit den Christianern verbirgt, um desto ungestörter an dem Sohne das von dem Unbekannten und ihm selbst angefangene Bekehrungswerk betreiben zu können. Peregrin erhält den ersten Grad der Weihe von ihm. Charakter des Hegesias, mit einer Digression über den Unterschied zwischen den damaligen Christianischen Brüdergemeinen und den Christianern unter den Constantinen und Theodosiern. Der Unbekannte, welcher fortan Kerinthus heißen wird, offenbart sich nun dem hinlänglich geprüften Peregrin etwas näher, und ertheilt ihm den zweiten Grad der Weihe, hüllt sich aber gar bald wieder in das heilige Dunkel ein, worin er ihm bisher immer erschienen war. Peregrin entdeckt, daß er erst in den zweiten Vorhof des Heiligthums vorgeschritten sey, und diese Entdeckung verdoppelt seinen brennenden Eifer, sich der höhern Grade, die er noch zu ersteigen hat, durch die willigste Unterwerfung unter jede Prüfung, Vorbereitung und Aufopferung würdig zu machen. Er kehrt aus Gehorsam zu seinen Geschäften nach Parium zurück, und macht den Brüdern ein voreiliges Geschenk von seinem ganzen Vermögen. Sonderbares aber schlaues Benehmen des Hegesias bei dieser Gelegenheit, welches zu einigen der Entwicklung der Geschichte zuvorkommenden Anmerkungen über die schon damals immer sichtbarer werdende Abweichung der Christianer von dem Geist und Vorbild ihres Meisters Anlaß gibt.

 

 

Erster Theil.

 

Auszug aus Lucians Nachrichten vom

Tode des Peregrinus.

Die öffentlichen Kampfspiele zu Olympia, womit die zweihundert sechsunddreißigste Olympiade6 begann, waren der Zeitpunkt, und eine Ebene in der Gegend dieser Stadt der Schauplatz, welchen der Philosoph Peregrinus, auch Proteus genannt, dazu ausersehen hatte, den Griechen und Ausländern aus allen Theilen der Welt, so diese Spiele zu Olympia zu besuchen pflegten, die außerordentlichste und schauerlichste aller Tragödien, das Schauspiel eines sich freiwillig verbrennenden Cynikers, zu geben.

Auch Lucian, wiewohl er die Olympischen Spiele schon dreimal gesehen hatte, hielt es der Mühe werth, einem solchen Schauspiel zu Liebe diese Reise zum viertenmale zu machen; und als er nach Elis (der nicht weit von Olympia gelegenen Hauptstadt der Republik dieses Namens) gekommen war, hörte er, indem er bei dem dortigen Gymnasion vorbei ging, einen cynischen Philosophen, um den sich eine Menge Volks versammelt hatte, mit der brüllenden Stimme die zum Costum dieser Capuziner der alten Griechen gehörte, dem Peregrinus eine Lobrede halten, und sein Vorhaben, sich zu Olympia zu verbrennen, in der, seinem Orden eigenen, popularen und deklamatorischen Manier rechtfertigen. – Von nun an mag Lucian in seiner eigenen Person sprechen.

»Und man darf sich noch erfrechen (rief der Cyniker) einen Mann wie Proteus einer eiteln Ruhmsucht zu beschuldigen? O ihr Götter des Himmels und der Erde, der Flüsse und des Meeres, und du Vater Hercules! Wie? diesen Proteus, der in Syrien in Banden lag, ihn, der seiner Vaterstadt fünftausend Talente7 schenkte, ihn, den die Römer aus ihrer Stadt vertrieben, ihn, der unverkennbarer ist als die Sonne, und der es mit Jupiter Olympius selbst aufnehmen könnte, – ihn beschuldigt man der Eitelkeit, weil er durchs Feuer aus dem Leben gehen will? – That etwa Hercules8 nicht eben dasselbe? Starb Aesculap und Dionysos nicht durch einen Wetterstrahl? und stürzte sich nicht Empedokles9 in den Flammenschlund des Aetna?«

Als Theagenes (so nannte sich der Schreier) dieß gesagt hatte, fragte ich einen der Umstehenden, was er mit seinem Feuer meinte, und was Hercules und Empedokles mit dem Proteus zu schaffen hätten? – Du weißt also nicht, versetzte er mit, daß Proteus sich nächstens zu Olympia verbrennen wird? – Sich verbrennen? rief ich mit Verwunderung: wie ist das gemeint? und warum will er sich verbrennen? – Aber wie mir jener antworten wollte, schrie der Cyniker wieder so abscheulich, daß ich kein Wort von dem andern verstehen konnte. Ich hörte also nochmals den erstaunlichen Hyperbolen zu, die jener zum Lobe des Proteus in einem Strom von Worten ausgoß. Dem Diogenes und seinem Meister Antisthenes geschähe schon zu viel Ehre, sagte er, wenn man sie nur mit ihm vergleichen wollte. Dazu wäre nicht einmal Sokrates gut genug: kurz, er forderte endlich Jupitern selbst zum Kampf mit seinem Helden heraus; doch fand er zuletzt für besser, die Sachen zwischen ihnen ins Gleichgewicht zu bringen, und schloß seine Rede folgendermaßen: »Mit Einem Worte, die zwei größten Wunder der Welt sind Jupiter Olympische Jupiter und Proteus; jenen bildete die Kunst des Phidias, diesen die Natur selbst; und nun wird dieses herrliche Götterbild auf einem Feuerwagen zu den Göttern zurückkehren, und uns als Waisen zurücklassen!« – Der Mann schwitzte wie ein Braten, indem er dieß tolle Zeug vorbrachte aber bei den letzten Worten brach er auf eine so komische Art in Thränen aus, daß ich mich des Lachens kaum erwehren konnte; er machte sogar Anstalt sich die Haare auszuraufen, nahm sich aber doch in Acht, nicht gar zu stark zu ziehen. Endlich machten einige Cyniker dem Possenspiel ein Ende, indem sie den schluchzenden Redner unter vielen Trostsprüchen davon führten.

Er war aber kaum von der Kanzel herab gestiegen, so stieg schon ein Anderer wieder hinauf, um die Zuhörer nicht aus einander gehen zu lassen, bevor er dem noch flammenden Opfer seines Vorgängers eine Libation aufgegossen10 hätte. Sein erstes war, daß er eine laute Lache aufschlug, wodurch er, wie man wohl sah, seinem Zwerchfell eine nöthige Erleichterung verschaffte. Hierauf fing er ungefähr also an: Hat der Marktschreier Theagenes seine verwünschte Rede mit den Thränen des Heraklitus beschlossen, so fange ich umgekehrt die meinige mit dem Gelächter des Demokritus11 an – und nun brach er von neuem in ein so anhaltendes Lachen aus, daß die meisten von uns Anwesenden sich nicht erwehren konnten ihm Gesellschaft zu leisten. Endlich nahm er sich wieder zusammen, und fuhr fort: »Was könnten wir auch anders thun, meine Herren, wenn wir so höchst lächerliches Zeug in einem solchen Tone verbringe hören, und sehen, wie bejahrte Männer, um eines verächtlichen kleinen Rühmchens willen, auf öffentlichem Markte nur nicht gar Burzelbäume machen? Damit ihr doch das Götterbild, das nächster Tage verbrannt werden soll, etwas näher kennen lernet, so höret mir zu; mir, der schon seit langer Zeit seinen Charakter studiert und sein Leben beobachtet, außerdem aber noch verschiedenes von seinen Mitbürgern und von Personen, die ihn nothwendig sehr genau kennen mußten, erkundiget hat.

Dieses große Wunder der Welt wurde in Armenien, da er kaum die Jahre der Mannbarkeit erreicht hatte, im Ehebruch ertappt, und genöthigt, mit einem Rettig im Hintern,12 sich durch einen Sprung vom Dache zu retten, um nicht gar zu Tode geprügelt zu werden. Gleichwohl ließ er sich bald darauf wieder gelüsten, einen schönen Knaben zu verführen; und bloß die Armuth der Eltern, die sich mit dreitausend Drachmen abfinden ließen, war die Ursache, daß er der Schande, vor den Statthalter von Asien geführt zu werden, entging. Doch, ich übergehe alle seine Jugendstreiche dieser Art; denn damals war das Götterbild freilich noch ungeformter Thon, und von seiner Ausbildung und Vollendung noch weit entfernt. Aber was er seinem Vater gethan, ist allerdings nicht zu übergehen, wiewohl ihr vermuthlich alle schon gehört haben werdet, daß er den alten Mann, weil er ihm mit sechzig Jahren schon zu lange lebte, erdrosselt haben soll. Da die Sache bald darauf ruchtbar wurde, sah er sich gezwungen, sich selbst aus seiner Vaterstadt zu verbannen, und von einem Lande ins andere unstät und flüchtig herum zu irren.

Um diese Zeit geschah es, daß er sich in der wundervollen Weisheit der Christianer unterrichten ließ, da er in Palästina Gelegenheit fand mit ihren Priestern und Schriftgelehrten bekannt zu werden. Es schlug so gut bei ihm an, daß seine Lehrer in kurzer Zeit nur Kinder gegen ihn waren. Er wurde gar bald selbst Prophet, Thiasarch, Synagogenmeister13, mit Einem Worte alles in allem unter ihnen. Er erklärte und commentierte ihre Bücher, und schrieb deren selbst eine große Menge; kurz, er brachte es so weit, daß sie ihn für einen göttlichen Mann ansahen, sich Gesetze von ihm geben ließen, und ihn zu ihrem Vorsteher machten. – Es kam endlich dazu, daß Proteus bei Begehung ihrer Mysterien14 ergriffen und ins Gefängniß geworfen wurde; ein Umstand, der nicht wenig beitrug, ihm auf sein ganzes Leben einen sonderbaren Stolz einzuflößen, und diese Liebe zum Wunderbaren und dieses unruhige Bestreben nach dem Ruhm eines außerordentlichen Mannes in ihm anzufachen, die seine herrschenden Leidenschaften wurden.