Denn sobald er in Banden lag, versuchten die Christianer (die dieß als eine ihnen allen zugestoßene große Widerwärtigkeit betrachteten) das Mögliche und Unmögliche, um ihn dem Gefängniß zu entreißen; und da es ihnen damit nicht gelingen wollte, ließen sie es ihm wenigstens an der sorgfältigsten Pflege und Wartung in keinem Stücke fehlen. Gleich mit Anbruch des Tages sah man schon eine Anzahl alter Weiblein, Wittwen15 und junge Waisen sich um das Gefängniß her lagern; ja die vornehmsten unter ihnen bestachen sogar die Gefangenhüter, und brachten ganze Nächte bei ihm zu. Auch wurden reichliche Mahlzeiten16 bei ihm zusammen getragen, und ihre heiligen Bücher gelesen; kurz, der theure Peregrin (wie er sich damals noch nannte) hieß ihnen ein zweiter Sokrates. Sogar aus verschiedenen Städten in Asien kamen einige, die von den dortigen Christianern abgesandt waren, ihm hülfreiche Hand zu leisten, seine Fürsprecher vor Gericht zu seyn, und ihn zu trösten. Denn diese Leute sind in allen dergleichen Fällen, die ihre ganze Gemeinheit betreffen, von einer unbegreiflichen Geschwindigkeit, und sparen dabei weder Mühe noch Kosten. Daher wurde auch Peregrinen seiner Gefangenschaft halber eine Menge Geld von ihnen zugeschickt, und er verschaffte sich unter diesem Titel ganz hübsche Einkünfte.
Uebrigens wurde er (als es zu gerichtlicher Entscheidung seines Schicksals kam) von dem damaligen Statthalter in Syrien wieder in Freiheit gesetzt; einem Manne, der die Philosophie liebte, und sobald er merkte wie es in dem Kopfe dieses Menschen aussah, und daß er Narrs genug war aus Eitelkeit und Begierde zum Nachruhm sterben zu wollen, ihn lieber fortschickte, ohne ihn auch nur einer Züchtigung werth zu halten. Peregrin kehrte also in seine Heimath zurück, fand aber bald, daß das Gerücht von seinem Vatermorde noch immer unter der Asche glühte, und daß viele damit umgingen, ihm einen förmlichen Proceß deßwegen an den Hals zu werfen. Die Hälfte seines väterlichen Vermögens war über seinen Reisen aufgegangen, und der Rest bestand ungefähr in funfzehn Talenten an Feldgütern. Denn die sämmtliche Verlassenschaft des Alten war höchstens dreißigtausend Thaler werth, und nicht, wie Theagenes lächerlicher Weise geprahlt hatte, fünf Millionen; welches eine Summe wäre, wofür das ganze Städtchen Parium17 und fünf andere benachbarte obendrein verkauft werden können. Wie gesagt also, der Verdacht seines Verbrechens war noch warm, und es hatte alles Ansehen, daß in kurzem ein Ankläger gegen ihn auftreten würde. Besonders war das gemeine Volk über ihn aufgebracht, und beklagte, daß ein so wackerer Mann, wie der Alte nach dem Zeugniß aller seiner Bekannten gewesen war, auf eine so gottlose Art aus der Welt gekommen seyn sollte. Nun sehe man, durch welche schlaue Erfindung der weise Proteus sich aus diesem bösen Handel zu ziehen wußte! Er hatte sich inzwischen einen großen Bart wachsen lassen, und ging gewöhnlich in einem schmutzigen Caput von grobem Tuch, mit einem Tornister auf den Schultern und einem Stecken in der Hand. In diesem tragischen Aufzug erschien er nun in der öffentlichen Versammlung der Parianer, und erklärte ihnen, daß er hiermit die ganze Verlassenschaft seines seligen Vaters dem Publicum überlassen haben wolle. Diese Freigebigkeit that auf den gemeinen Mann eine so gute Wirkung, daß sie in laute Bezeugungen ihres Dankes und ihrer Bewunderung ausbrachen. Das heißt man einen Philosophen, schrien sie, einen wahren Patrioten, einen ächten Nachfolger des Diogenes und Krates! Nun war seinen Feinden der Mund gestopft, und wer sich hätte unterfangen wollen des Vatermordes noch zu erwähnen, würde auf der Stelle gesteiniget worden seyn. Indessen blieb ihm nach dieser Schenkung nichts anders übrig, als sich abermals aufs Landstreichen zu begeben: denn da konnte er auf einen reichlichen Zehrpfennig von den Christianern rechnen, die überall seine Trabanten machten, und es ihm an nichts mangeln ließen. Auf diese Weise brachte er sich noch eine Zeit lang durch die Welt. Da er es aber in der Folge auch mit diesen verdarb – man hatte ihn, glaube ich, etwas, das bei ihnen verboten ist, essen sehen18 – und sie ihn deßwegen nicht mehr unter sich duldeten, gerieth er in so große Verlegenheit, daß er sich berechtigt glaubte, die Güter von der Stadt Parium zurückzufordern, die er ihr ehemals überlassen hatte. Er suchte beim Kaiser um ein Mandat deßwegen an: weil aber die Stadt durch Abgeordnete Gegenvorstellungen that, richtete er nichts aus, sondern wurde befehligt, es bei dem zu lassen, was er einmal aus eigener freier Bewegung verfügt habe.
Nunmehr unternahm er eine dritte Reise zum Agathobulus19 nach Aegypten, wo er sich durch eine ganz neue und verwundrungswürdige Art von Tugendübung hervorthat: er ließ sich nämlich den Kopf bis zur Hälfte glatt abscheren, beschmierte sich das Gesicht mit Leim, that (um zu zeigen, daß dergleichen Handlungen unter die gleichgültigen gehörten) vor einer Menge Volks – was schon Diogenes öffentlich gethan haben soll, geißelte sich selbst, und ließ sich von andern mit einer Ruthe den Hintern zerpeitschen, mehrerer noch ärgerer Bubenstreiche zu geschweigen, wodurch er sich in den Ruf eines außerordentlichen Menschen20 zu setzen suchte. Nach dieser schönen Vorbereitung schiffte er nach Italien über, wo er kaum den Boden betrat, als er schon über alle Welt zu schimpfen und zu lästern anfing, am meisten über den Kaiser,21 gegen den er sich die ärgsten Freiheiten um so getroster herausnahm, weil er wußte, daß es der sanfteste und leutseligste Herr war. Wie man leicht denken kann, bekümmerte sich dieser wenig um seine Lästerungen, und hielt es unter seiner Würde, einen Menschen, der von Philosophie Profession machte, Worte halber zu strafen, zumal da er das Lästern und Schmähen ordentlich als sein Handwerk trieb. Indessen half auch dieser Umstand seinen Ruf vermehren: denn es fehlte unter dem gemeinen Volke nicht an Einfältigen, bei denen er sich durch seine Tollheit in Credit setzte; so daß der Oberpolizeimeister ihn endlich, da er's gar zu arg machte, aus der Stadt hinaus bieten mußte, weil man, wie er sagte, solche Philosophen zu Rom nicht brauchen könnte. Aber auch dieß vermehrte nur seine Celebrität, weil jedermann von dem Philosophen sprach, der seiner kühnen Zunge und allzu großen Freimüthigkeit wegen aus der Stadt verwiesen worden sey, und diese Aehnlichkeit ihn mit einem Musonius, einem Dion, einem Epiktet,22und wer sonst von dieser Classe das nämliche Schicksal erfahren hatte, in Eine Linie stellte.
In Griechenland, wohin er sich jetzt begab, spielte er keine bessere Rolle; denn bald ließ er seine Schmähsucht an den Einwohnern von Elis aus, bald wollte er die Griechen bereden die Waffen gegen die Römer zu ergreifen, bald lästerte er über einen durch seine Gelehrsamkeit und Würden gleich erhabenen Mann,23 der unter mehrern andern Verdiensten um Griechenland eine Wasserleitung nach Olympia auf seine Kosten geführt hatte, damit die Zuschauer der Kampfspiele nicht länger vor Durst verschmachten müßten. Diese Wohlthat machte ihm Peregrin zum Vorwurf, als ob er die Griechen dadurch weibisch gemacht hätte. Es gebühre sich, sagte er, daß die Zuschauer der Olympischen Spiele den Durst ertragen könnten, und der Schade sey so groß nicht, wenn auch manche an den hitzigen Krankheiten, die bisher wegen der Dürre dieser Gegend daselbst im Schwange gingen, drauf gehen müßten. Und das alles sagte er, während er sich das nämliche Wasser wohl belieben ließ; eine Unverschämtheit, wodurch die Anwesenden so erbittert wurden, daß alles zusammenlief und im Begriff war, ihn mit Steinen zuzudecken, so daß der tapfere Mann, um mit dem Leben davon zu kommen, zu Jupitern24 seine Zuflucht nehmen mußte.«
In der nächst folgenden Olympiade erschien er wieder vor den Griechen, und zwar mit einer Rede, woran er in den verflossenen vier Jahren gearbeitet hatte, und worin er, unter Entschuldigung seiner letztmaligen Flucht, den Stifter des Wassers zu Olympia bis an den Himmel erhob. Wie er aber gewahr wurde, daß sich niemand mehr um ihn bekümmerte, und daß er kommen und gehen konnte ohne das mindeste Aufsehen zu erregen – denn seine Künste waren nun was Altes, und etwas Neues, wodurch er in Erstaunen setzen und die Aufmerksamkeit und Bewunderung des Publicums hätte auf sich ziehen können, wußte er nicht aufzutreiben, da dieß doch vom Anfang an das Ziel seiner leidenschaftlichsten Begierde gewesen war – so gerieth er endlich auf diesen letzten tollen Einfall mit dem Scheiterhaufen, und kündigte den Griechen bereits an den letzten Olympischen Spielen an, daß er sich an den nächst folgenden verbrennen würde.
»Und dieß ist nun also das wundervolle Abenteuer, mit dessen Ausführung er, wie es heißt, beschäftigt ist, indem er bereits eine Grube graben, und eine Menge Holz zusammen führen läßt, um uns das Schauspiel einer übermenschlichen Stärke der Seele zu geben.« u.s.w.
Wie wir (fährt Lucian in eigner Person fort) in Olympia angekommen waren, fanden wir die Galerie hinter dem Tempel mit einer Menge Leuten angefüllt, die theils übel, theils rühmlich von dem Vorhaben des Proteus sprachen. Endlich erschien in Begleitung einer Menge Volks mein Proteus selbst, und hielt eine Rede an das Volk, worin er sich über seinen ganzen Lebenslauf, über die mancherlei gefahrvollen Abenteuer, die ihm zugestoßen, und das viele Ungemach, das er der Philosophie zu Lieb' ausgestanden, umständlich vernehmen ließ. Er sprach lange; aber da ich der Menge und des Gedränges wegen zu weit entfernt war, konnte ich wenig davon verstehen, und fand endlich aus Furcht erdrückt zu werden (welches mehr als Einem begegnete), für das sicherste, mich auf die Seite zu machen, und den Sophisten seinem Schicksale zu überlassen, der nun einmal mit aller Gewalt sterben, und das Vergnügen haben wollte sich seine Leichenrede selbst zu halten. Indessen hörte ich doch wie er sagte: er habe vor, einem goldnen Leben eine goldne Krone aufzusetzen; denn es gebühre sich, daß der Mann, der wie Hercules gelebt habe, auch wie Hercules sterbe, und in den Aether, woher er gekommen, zurückfließe.
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