Also nur weiter, wenn ich bitten darf.

 

Peregrin.

 

Die Natur hatte mich zu einer glücklichen Gestalt und Gesichtsbildung mit einer sehr zarten Empfänglichkeit für sinnliche Eindrücke, und mit einer äußerst beweglichen, warmen und wirksamen Einbildungskraft beschenkt. Bei einer solchen Anlage konnte es wohl nicht anders seyn, als daß Homer, mit dessen Rhapsodien meine literarische Erziehung, der Gewohnheit nach, angefangen wurde, unbeschreiblich auf meine Imagination wirkte; vornehmlich alles Wunderbare, die Götterscenen auf dem Olymp und auf der Erde, und die Feerei der Odyssee. Mein Pädagog, der nichts als Wörter, Redensarten und Dialekte, grammatische und rhetorische Figuren, Mythologie, alte Geschichte und Geographie – und auch dieß alles nur mit den Augen eines stumpfsinnigen Pedanten in dem Dichter sah, trug nichts dazu bei, die Art, wie dieser auf mich wirkte, zu begünstigen oder zu berichtigen, zu verstärken oder zu schwächen. Da er in meinem Gedächtniß alles fand, was seine stolzesten Erwartungen befriedigte, so pries er bei allen Gelegenheiten nur meine Gelehrigkeit an, und that sich nicht wenig darauf zu gut, daß ich eine Menge großer Stellen aus allen Gesängen, das ganze Verzeichniß der Schiffe, die Nekyomantie, den Tod der Freier und dergleichen, trotz einem Rhapsodisten von Profession herdeclamiren konnte, und nicht nur alle Trojaner, die von Diomedens oder Achillens Hand gefallen waren, mit Namen zu nennen, sondern sogar die Wunden, die jeder empfangen, so genau anzugeben wußte, als ob ich Feldarzt im Griechischen Lager gewesen wäre. Um alles Uebrige, und wie oder wodurch Homer zu viel oder zu wenig, zu meinem Vortheil oder Nachtheil, auf mich wirken möchte, blieb er um so unbekümmerter, da er von einem Schaden, den ich dadurch leiden könnte, eben so wenig als von der Behandlung, die in dem einen und andern Falle nöthig war, die leiseste Ahndung hatte.

Mein Großvater trug allzu viel zu der ersten Bildung meiner Seele bei, als daß ich mich überheben könnte, dich etwas genauer mit ihm bekannt zu machen. Er war einer von den eben so unschädlichen als unnützlichen Sterblichen, die, weil sie selbst wenig von der Welt fordern, sich berechtigt halten, noch etwas weniger für sie zu thun als sie von ihr erwarten. Im Genuß eines mäßigen aber seinen Aufwand noch immer übersteigenden Erbgutes hatte er binnen mehr als siebzig Jahren, die er verlebte, oder, eigentlicher zu reden, verträumte, nie einen Finger gerührt es zu vergrößern, noch einen Augenblick dazu verwandt, eine Vergleichung zwischen ihm selbst und seinen reichern Nachbarn zum geringsten Nachtheil seiner Leibes- und Gemüthsruhe anzustellen. Er liebte zwar das Vergnügen, aber nur insofern es seiner Trägheit nicht zu viel kostete: und weil man, außer den Stunden der Mahlzeit und des Bades, doch nicht immer auf seinem Ruhebettchen oder an einer rieselnden Quelle schlummern, oder dem Lauf der Wolken und dem Tanz der Mücken in der Abendsonne zusehen kann; so hatte er sich zum Zeitvertreib eine Art von Philosophie und Literatur ausgewählt, die seiner Gemächlichkeit die zuträglichste war, und die Stelle dessen, was bei andern Menschen Beschäftigung des Geistes ist, bei ihm vertrat.

Der Zufall, der im menschlichen Leben so viel entscheidet, hatte ihn in seinen jüngern Jahren etlichemal mit dem berühmten Apollonius von Tyana37 zusammengebracht, und die Eindrücke, die dieser außerordentliche Mann auf sein Gemüth machte, waren stark genug gewesen, um sich bis ins hohe Alter beinahe in immer gleichem Grade der Lebhaftigkeit zu erhalten. Der einzige Mann, von dem ich ihn jemals mit einer Art von Begeisterung sprechen hörte, war Apollonius. Apollonius war ihm das höchste Ideal menschlicher oder vielmehr übermenschlicher Vollkommenheit; denn es war aus dem Tone, worin er von ihm sprach, leicht zu merken, daß er ihn für irgend einen Mensch gewordnen Gott oder Genius hielt; und in der That hatte es dieser neue Pythagoras bei allen seinen Handlungen und Reden darauf angelegt, eine solche Meinung von sich zu erwecken und zu unterhalten.

Indessen fand doch mein Großvater keinen Beruf in sich, die Zahl der sieben Jünger zu vermehren, welche Apollonius vor seiner Reise nach Indien immer um sich zu haben pflegte. Alles was der vermeinte Gottmensch auf ihn wirkte, war, daß die Neugier für außerordentliche Dinge, die ein so wesentlicher Charakterzug aller trägen Menschen ist, eine bestimmtere Richtung bei ihm erhielt, und zu einer erklärten Liebhaberei für das wurde, was man in unsrer Zeit Pythagorische Philosophie nannte. Proteus, dessen Sache nicht war, in den Geist der Philosophie eines Pythagoras einzudringen, machte sich einen so weiten und willkürlichen Begriff von derselben, daß alles Aechte und Unächte Platz darin hatte, was dem Aegyptischen Hermes, dem Baktrianischen Zoroaster, dem Indischen Buddas, dem Hyperborischen Abaris, dem Thracischen Orpheus, und allen andern Wundermännern des Alterthums von der Sage zugeschrieben oder von verschmitzten Betrügern untergeschoben wurde. Er sammelte sich nach und nach einen ansehnlichen Schatz von großen und kleinen Büchern, theosophischen, astrologischen, traum- und zeichendeuterischen, magischen, mit Einem Worte, übernatürlichen Inhalts – auf Pergament, Aegyptischem und Serischem Papier, Palmblättern und Baumrinden geschrieben, – über Götter und Geister, – über die verschiednen Arten ihrer Erscheinungen und Einwirkungen, über ihre geheimen Namen und Signaturen, über die Mysterien, wodurch man sich die guten Geister gewogen und die bösen unterthänig machen könne – über die Kunst Talismane und Zauberringe zu verfertigen, über den Stein der Weisen, die Sprache der Vögel – kurz über alle Schimären, womit Griechische und barbarische Beutelschneider38, sogenannte Chaldäer, herumziehende Bettelpriester der Isis oder der großen Göttermutter, und andere Schlauköpfe von diesem Schlage, die gern betrogene Leichtgläubigkeit müßiger Thoren zu unterhalten und zinsbar zu machen wußten. Je seltsamer, dunkler und räthselhafter diese Schriften klangen, desto höher stieg ihr Werth bei ihm; und waren sie vollends in lauter Hieroglyphen geschrieben, so glaubte er ein paar Blätter, zumal wenn sie etwas mufficht rochen und ein Ansehn von moderndem Alterthum hatten, um hundert und mehr Drachmen noch sehr wohlfeil bezahlt zu haben.

Bei allem dem war es natürlich, daß die Indolenz des guten Proteus sich auch nach einer leichtern und verdaulichern Nahrung sehnte; und daher machten alle Arten von Wundergeschichten, Götter- und Heldenlegenden, Geistermährchen, Milesische Fabeln und dergleichen, keinen kleinen Theil seiner Bibliothek und seine gewöhnliche Erholung aus, wenn er sich an dem vergeblichen Versuch, in jenen geheimnißvollen Schriften klar zu sehen, ermüdet hatte. Glücklicherweise für ihn waren die Eindrücke, die diese Lesereien auf seine Einbildungskraft machten, flüchtig genug, daß er sie der Reihe nach zwanzigmal durchlesen konnte, und jedesmal wieder ungefähr eben so viel Reiz darin fand, als eine Seele wie die seinige nöthig hatte, um in diesen Mittelstand von Traum und Wachen versetzt zu werden, worin er seine einsamen Stunden am liebsten hinzubringen pflegte. Dieses Mittel, sich selbst auf eine angenehme Art um seine Zeit zu betrügen, reichte um so eher zu, da in der That, ungeachtet er fast alle Gemeinschaft mit den Parianern abgebrochen hatte, wenige Tage oder Wochen im Jahre vergingen, wo er sich ganz allein gesehen hätte. Denn seine bald genug bekannt gewordene Neigung zu den geheimen Wissenschaften und Künsten zog ihm eine Menge Besuche von Fremden zu, die das Ihrige zu Befriedigung derselben beitragen wollten. Herumziehende Chaldäer und Magier, reisende Pythagoräer, und Leute, die mit der Art von Handschriften, auf die er so erpicht war, handelten, gingen bei ihm immer ab und zu; selten fehlte es ihm an dem einen oder andern Tischgenossen dieser Art, und es würde einem, der ihre Tischreden aufgeschrieben hätte, ein Leichtes gewesen seyn, in kurzer Zeit ganze Karren voll solcher Conversationen zusammen zu bringen, wie du eine in deinem Lügenfreunde verewiget hast. In den letzten Jahren seines Lebens ließ er sich von einem Hermetischen Adepten überreden, eine geheime Werkstätte in seinem Hause anzulegen, worin Tag und Nacht an dem großen Werke, das man in spätern Zeiten den Stein der Weisen nannte, gearbeitet wurde. Zu gutem Glücke starb er noch zeitig genug, um den Plan des Adepten zu vereiteln, der sich wahrscheinlich mit guter Art zum Erben des alten Mannes zu machen hoffte.

Du siehest leicht, lieber Lucian, was die Erziehung in dem Hause eines solchen Großvaters bei einem jungen Menschen mit einer Anlage wie die meinige natürlicherweise für Folgen haben mußte. Dazu kam noch, daß ich der Liebling des alten Proteus war, und daß er sich eine eigne Freude daraus machte, mich so gut er konnte und wußte in den Geheimnissen seiner Philosophie zu iniziieren. Sein Museum stand mir immer offen; ich mußte ihm oft, wenn er auf seinem Ruhebette lag, vorlesen, und er fand großes Behagen daran, aus meiner Neugier für diese Dinge, und aus der Leichtigkeit womit ich mich in alles zu finden wußte, zu auguriren, daß dereinst (wie er sich ausdrückte) ein großer Mann aus mir werden würde. Das Einzige, was er nicht an mir bemerkte, war der Unterschied, der bei aller dieser anscheinenden Sympathie zwischen seiner und meiner Sinnesart vorwaltete. Ihm war das Wunderbare nichts als eine Puppe, womit seine immer kindisch bleibende Seele spielte; bei mir wurde es der Gegenstand der ganzen Energie meines Wesens. Was bei ihm Träumerei und Mährchen war, füllte mein Gemüth mit schwellenden Ahndungen und helldunkeln Gefühlen großer Realitäten, deren schwärmerische Verfolgung meine Gedanken Tag und Nacht beschäftigte. Er belustigte sich an philosophischen Bildern, Räthseln und Hieroglyphen, wie ein Kind an bunten Blumen oder Schmetterlingen Freude hat; ich bestrebte mich in ihren tiefsten Sinn einzudringen: kurz, er liebte das Außerordentliche, weil es den ewigen Schlummer seiner natürlichen Trägheit durch angenehme Träume unterbrach, und ich brannte schon als ein Mittelding von Knabe und Jüngling vor Begierde, diese außerordentlichen Dinge selbst zu erfahren und zu verrichten.

 

Lucian.

 

Oder, mit andern Worten, der Unterschied zwischen euch war der: dein Großvater las die Geschichte der Abenteurer zum Zeitvertreib, und du machtest alle mögliche Anstalten selbst auf Abenteuer auszuziehen. Allerdings ein sehr wesentlicher Unterschied, und wovon du in deinem ganzen Leben die Folgen stark empfunden hast.

 

Peregrin.

 

Ohne mich jemals eine derselben gereuen zu lassen.

 

Lucian.

 

Um Verzeihung, daß ich dich unterbrochen habe! es soll ohne Noth nicht wieder geschehen. Fahre immer fort, ich bin lauter Ohr.

 

Peregrin.

 

In der Bibliothek meines Großvaters befand sich auch das Buch des Empedokles von der Natur, verschiedene Dialogen von Plato und einige kleine Schriften des Heraklitus. Weil es gerade die einzigen waren, die er nicht zu lesen pflegte, so mochten sie, dicht mit Staube bedeckt, hinter einem Vorhang von Spinneweben schon zwanzig oder dreißig Jahre ruhig gelegen haben, als ihm einst, da er um etwas Neues verlegen war, zufälligerweise Platons Gastmahl, als ein Werkchen, das sehr sinnreich und unterhaltend seyn sollte, vor die Stirne kam. Ich mußte es holen, und ihm, da er nach einer tüchtigen Mahlzeit aus dem Bade kam, an seinem Ruhebette vorlesen.