Ich hoffte auch noch meine Braut unterwegs anzutreffen und diese Hoffnung war eine Ursache mehr, sehr bald abzureisen.

Ich brachte mein Geld auf eine sichere Art unter, besuchte noch einmal meine guten Pflegeeltern und belohnte, so viel als möglich ist, ihre Liebe für mich; dann machte ich mich auf den Weg, um Abenteuer aufzusuchen.

 

Vierzehntes Kapitel

 

Ich lerne meinen Vater persönlich kennen

Es fiel mir ein, daß es doch wohl nicht mehr als billig sei, mich nach meinen eigentlichen Eltern zu erkundigen. Auf meine Erkundigungen erfuhr ich, daß meine Mutter schon gestorben sei, daß aber mein frommer Vater noch lebe. Ich reiste sogleich nach der Gegend, in welcher sein Kloster lag.

Die Gegend war einsam, aber sehr angenehm, das Kloster lag auf einem Berge, von wo man weit umher blühende Gefilde und Städte und Dörfer übersahe.

Ich ließ mich im Kloster melden und empfand einen kleinen Schauder, als ich die dunkeln Kreuzgänge hinunterging und in die engen trüben Zellen der Mönche hineinblickte. Das Kloster kam mir vor, wie eins von den dunkeln unterirdischen Zauberschlössern, von denen ich zuweilen in meiner Kindheit hatte erzählen hören, in welchen eine Schar von Menschen auf ihre Lebenszeit hineingebannt war, um hier wie in einem Grabe zu existieren.

Ich hatte gleich nach Endigung meines Prozesses wieder meinen schlichten Namen Peter Lebrecht angenommen und unter diesem ließ ich mich beim Pater Placidus meiden. Er stand bei einem Blumenbeete und betrachtete mit einem aufmerksamen Auge die aufblühenden Aurikeln. »Sehn Sie«, kam er mir mit einem heiligen Ton entgegen, »wie man allenthalben in der Natur die Erinnerung an den Tod findet, alles winkt und deutet auf unsre Sterblichkeit, damit uns der Gedanke an den Tod stets einen neuen Antrieb zur Tugend gebe.«

Ich verbeugte mich und sah ihn mit einem mitleidigen Lächeln an, mit einer andächtigen Miene wandte er sich wieder zu seinen Aurikeln.

O armseliges Menschengeschlecht! dachte, oder sagte ich meinem Innern: auserlesen, um die Liebe zum Leben wie eine Sünde zu betrachten. Ihr Elenden, die ihr hier lebendig eingegraben seid, auf immer von der Natur und allen ihren Freuden verstoßen! Losgerissen von allen Menschen, ist euch die Tätigkeit, das Wirken unmöglich, Gesänge sind eure Tugend, eine versäumte Hora euer Laster; wenn ihr euer eingesunkenes Auge in trübem Grübeln auf ein welkes Blatt heftet, so bildet ihr euch ein, mehr getan zu haben, als der Mann, der im Getümmel der Welt mit himmlischer Menschenfreundlichkeit seine sinkenden Brüder unterstützt. – Was ist bei euch Tugend? – Die Regeln eures Ordens. – Das geadelte Leben des Menschen ist die Ausbildung seiner Vernunft und seiner Gefühle, euch ist beides unnütz und unmöglich. Jedermann strebt aus dem dumpfen Schlaf zu erwachen, der ihn an die Tierheit fesselt und euer Dasein ist ein einziges Bestreben, immer tiefer und tiefer in diesen Todesschlaf zu versinken.

Es war sehr gut, daß mein frommer Vater nichts von diesem inwendigen Gespräche verstand, er nahm mein Stillschweigen für mitgefühlte Andacht und führte mich mit großer Zufriedenheit durch alle Gänge des kleinen Gartens zeigte und erklärte mir das, was angepflanzt war, und konnte nicht genug eine Passionsblume, die in der Nacht aufgebrochen war, bewundern.

Ich bat ihn, mir auch seine Zelle zu zeigen. Wir verließen den Garten und er führte mich auf sein enges, dunkles Zimmer. Matt und gedämpft brach der muntre Sonnenschein durch die kleinen getrübten Scheiben, ein Kruzifix hing an der kahlen schwarzen Wand, ein andres stand auf einem kleinen Tische, in einem Winkel ein Bett.

Ich sagte ihm hier, wer ich sei und schloß ihn in meine Arme. Eine milde Röte leuchtete in seinem blassen Angesichte auf, er schien verlegen, er schlug die Augen nieder und drückte mich dann mit Innigkeit an seine Brust. »Mein Sohn!« rief er aus; »o ich danke dem Himmel, daß er meine Bitten erhört hat, und ihn mir von Angesicht zu Angesicht zeigt!«

Wir setzten uns beide und der alte Mann schien sich nach vielen Jahren zum ersten Male wieder als Mensch zu fühlen.

»Aber, mein Sohn«, sagte er nach einer langen Pause, in welcher er mich aufmerksam betrachtet hatte, »ich finde in deinem Gesichte eine auffallende Ähnlichkeit mit deiner Mutter folge ihrem und meinem Beispiele und verlaß das unruhige Getümmel der Welt, wo unser ganzes Leben nichts als ein Kampf gegen Laster und Schwachheiten ist. Zwischen den stillen Mauern eines Klosters kannst du ruhig leben, ohne zu fürchten, Gott in jedem Augenblicke zu beleidigen; jeder Tag hat hier sein bestimmtes Tagewerk, ein Gebet reiht sich an das andre, keine Versuchungen fallen dich an. Hier gibt es keine Vorfälle, in welchen du das Gleichgewicht verlieren und ungewiß sein kannst, ob die Tugend in einer gewissen Lage wohl Tugend sei. Nein, hier geht dein Leben immer geradeaus, folge meinem Rate, mein Sohn, und meinem Beispiele.«

Ich fand dazu jetzt weniger Beruf als je; ich nahm einen zärtlichen Abschied von meinem Vater und verließ seinen trübseligen Aufenthalt. – Er sah mir wehmütig nach, als ich wieder in das unruhige Gewühl des Lebens und der Menschen hinunterging; ich habe ihn seitdem nicht wiedergesehn.

 

Fünfzehntes Kapitel

 

Reisebeschreibung

Ich komme nun endlich zu einem Kapitel, auf das ich mich schon vom Anfange meines Buchs gefreut hatte weil es eigentlich das werden sollte, welches meiner Erzählung ihren eigentlichen Wert und ihre Nutzbarkeit geben sollte: und nun ich endlich so weit gekommen bin, weiß ich nicht recht, was ich mit diesem Kapitel anfangen soll. Ganz auslassen möcht ich es nicht gern, und doch weiß ich nicht eigentlich, was ich erzählen soll. Ich hatte mir nämlich vorgenommen, hier eine gründliche statistische Nachricht von ganz Europa einzuschalten, um dadurch mein Buch für die lesebegierige Jugend recht nützlich und anziehend zu machen, mir auch daneben die naseweisen Anmerkungen mancher Rezensenten abzuweisen, daß meine ganze Erzählung keinen eigentlichen praktischen Nutzen habe. Ich hatte mir schon alle Bücher zurechtgelegt, die ich hier ausschreiben wollte, als mir zu meinem größten Unglücke einige Bedenklichkeiten einfielen.

Die gefährlichste Klippe eines Schriftstellers ist Langeweile; wer vor dieser glücklich vorbeisegelt, hat immer schon einen sehr großen Vorteil gewonnen, wenn sein Schiff auch nur mit Ballast geladen sein sollte. Ich fürchtete also, und wahrscheinlich sehr mit Recht, daß diese vortreffliche Ladung für mein kleines Fahrzeug zu schwer sein würde, und ließ alles liegen.

Ich will also nur ohne alle geographische und statistische Nachrichten erzählen, daß ich zuerst Deutschland, mein geliebtes Vaterland, durchreiste. Man könnte mich am Ende für einen gefährlichen Menschen halten, wenn ich von diesem Lande nicht alles Gute sagte und darum will ich lieber gar nichts davon sagen.

In Frankreich mißfielen mir die Reichen und jammerten mich die Armen: vor lauter bon ton konnte man mit niemand umgehn. Ich hielt mich aber doch ziemlich lange in diesem Lande auf, weil es mir im ganzen außerordentlich gefiel.

Daß ich mich verleiten ließ, über die Pyrenäen zu gehn, um dem altfränkischen, rechtgläubigen, hausmütterlich faulen Spanien einen Besuch abzustatten, mag mir der Himmel vergeben, denn es gereut mich noch am heutigen Tage. Ich war in einer unaufhörlichen Angst vor der heiligen Inquisition; ein paarmal ward ich auf der öffentlichen Landstraße beraubt, und zwar von denselben Leuten, die ich für mein Geld angenommen hatte, um mich gegen Räuber zu schützen.

In Italien hatte ich mancherlei Abenteuer, die aber zu weitläuftig sind, als daß ich sie hier erzählen könnte. Von den Antiken habe ich viel gelitten; ich ließ mir zum Unglücke einfallen, ein Kunstkenner zu werden, und da bin ich um vieles Geld betrogen worden. Eine Menge ganz moderne Antiken stehn noch immer in meinem Studierzimmer und predigen mir unaufhörlich die Wahrheit: »Was deines Amts nicht ist, da laß deinen Fürwitz!« – Indessen, was hätte ich auch Großes damit anfangen können, wenn alle die Onyxe und Carniole, die ich besitze, nun auch wirklich unter August oder Tiber geschnitten wären? Sie kommen mir jedesmal, wenn ich sie betrachte, recht niedlich vor, und so habe ich ihnen denn den Fehler, für den sie gar nicht können, vergeben: daß nämlich das Altertum nicht an ihnen klebt. – Doch betrachte ich einen schöngeschnittenen Käfer immer mit einer vorzüglichen Ehrfurcht, weil ich von diesem glaube, daß er echt ist: er hat vielleicht vor zweitausend Jahren einmal an einer ägyptischen Kinderklapper seine Rolle gespielt. – In Neapel wär ich fast erstochen worden, weil man eifersüchtig auf mich war doch kam ich durch einen Zufall noch mit dem Leben davon. Oh, der Zufall ist ein herrliches Ding, ihm hat der Leser diese ganze Geschichte zu danken, denn wäre ich in Neapel erstochen worden, so hätte ich höchstens ein Gespräch im Reiche der Toten schreiben können, und die sind jetzt aus der Mode gekommen.

Ich reiste über Frankreich zurück und von da nach England.