Ich hatte eine Flinte auf meinen Rücken gehängt, um wenigstens unterwegs gegen einen Hasen meinen Unwillen auszulassen, der es wagen würde, mir in den Weg zu kommen. Mein Spaziergang dauerte länger, als ich mir vorgenommen hatte, ich verirrte mich in einen Wald hinein und verließ bald in der Zerstreuung den gebahnten Weg: ich lustwandelte auf kleinen Fußsteigen bald hiehin bald dorthin, und durchtrabte in allen möglichen Richtungen den Wald. An dem Stande der Sonne bemerkte ich endlich, daß es anfangen wolle, Abend zu werden, ich fing daher an, den Rückweg zu suchen; aber allenthalben, wohin ich mich auch wandte, schien der Wald dichter zu werden, ich sahe und hörte keinen Menschen; ich rief, aber niemand antwortete mir, meine Stimme schallte weit den Forst hinunter, aber kein Ton kam tröstend zu mir zurück. Ein Hase lief mir quer über den Weg. – »Auch du willst mich noch verwirrt machen!« rief ich aus, legte das Gewehr an, verfehlte aber. – Ich achtete auf die böse Vorbedeutung nicht, wie es denn bei einem Menschen sehr natürlich ist, der schon den bittersten Becher des Unglücks gekostet zu haben glaubt: ich hatte aber unrecht, denn wenn wir auch schon elend sind, so hat doch immer noch eine Verdrüßlichkeit neben uns Platz, die unsern Unwillen erhöht, wenn sie auch noch so klein ist; der Verfolg dieses Kapitels wird einen deutlichen Beweis davon liefern. – Ich gab mir immer noch Mühe, mich aus dem Walde herauszufinden; ich kannte damals die Kunstgriffe der Jäger noch nicht, nach welchen sie die Weltgegenden bestimmen können, oder, wenn ich sie auch gekannt hätte, wären sie mir doch unnütz gewesen, denn ich wußte unglücklicherweise nicht, ob das Landhaus vom Walde südlich oder nördlich läge.

Meine Phantasie war gespannt, und mir fielen aus Romanen und Erzählungen hundert abenteuerliche Szenen ein, die in einem solchen dichten Walde vorgehn: bald sahe ich Spitzbuben und Mörder mit ihren verborgenen Höhlen und Schlupfwinkeln, bald eine verfolgte Unschuld, endlich fielen mir gar einige Gespenstergeschichten ein, die mir den Anblick des freien Feldes noch wünschenswürdiger machten: sosehr ich vorher gewünscht hatte, jemanden zu begegnen, so schüchtern sahe ich mich jetzt zuweilen um, ob auch nicht jemand hinter mir gehe. Als ich noch immer nicht den Ausweg finden konnte, war ich endlich fest überzeugt, daß mir irgendein merkwürdiges Abenteuer bevorstehe. Und wahrlich, ein Mensch, der sich in einem dichten Walde verirrt, und den jetzt die Nacht wahrscheinlich übereilt – wenn dieser unter solchen Umständen kein Abenteuer findet, so ist er wirklich nicht dazu geboren, irgend etwas Wunderbares zu erleben, und ein solcher lasse es ja bleiben, seine Geschichte der Welt mitzuteilen.

Ich mochte nach diesen Betrachtungen noch kaum eine Viertelstunde weitergegangen sein – als die Erde plötzlich unter mir einsank – und ich in eine tiefe Grube stürzte. –

Als ich mich von meinem Schreck erholt hatte, fing ich an, meinen neuen Aufenthalt genauer in Augenschein zu nehmen. Es war eine ziemlich tiefe, steile und geräumige Grube, die ich beim Hinunterfallen für eine Mörderhöhle, oder die Wohnung irgendeines Erdgeistes oder Rübezahl hielt, von der ich aber nun wohl sahe, daß sie den Bauern nur dazu diene, um Füchse oder andres überlästiges Wildpret auf eine geschickte und leichte Art wegzufangen. Ich versuchte es in die Höhe zu klettern, aber die Wände waren zu steil und zu hoch; mein Rufen war ebenfalls umsonst, und ich sah mich nun genötigt, in Geduld den ersten Bauer zu erwarten, der mich aus meinem Gefängnis erlösen würde.

Ich sah mich in meiner Wohnung etwas genauer um, und mußte lachen, als ich einen Fuchs und einen Hasen in einem Winkel der Höhle sitzen sah. Meine erste Bewegung war, nach der Büchse zu greifen und recht bequem zu einiger Zerstreuung die beiden Fremdlinge wegzuschießen; aber ein Anfall von Gutmütigkeit hielt mich zurück, ich wollte mit ihnen zugleich die Auflösung meines Schicksals erwarten.

»Wahrlich! ein feines Abenteuer!« rief ich aus. »Kann man etwas Platteres erdenken? Statt einen Geist zu erblicken, oder eine Mörderhöhle zu finden, falle ich in eine Fuchsgrube: statt eine bedrängte Unschuld aus den Klauen ihres Verfolgers zu retten, finde ich hier einen Hasen und einen Fuchs, um mir mit ihnen die Zeit zu vertreiben.«

Ich überlegte ernsthafter mein sonderbares Schicksal. Der Mensch ist einmal so stolz, daß er durchaus will die Vorsehung lenke jeden seiner Schritte. – Ich habe mich verliebt, dachte ich bei mir selber, um mich zu verheiraten; mich verheiratet, um meine Frau zu verlieren; meine Frau verloren, um in eine Fuchsgrube zu fallen: was wird das Resultat dieser sonderbaren Begebenheit sein? Was in aller Welt kann die Vorsehung für einen Plan dabei haben, daß sie mich in dieses Loch hat fallen lassen? Alle Begebenheiten meines Lebens scheinen sich nur darum aneinandergereiht zu haben, um mich endlich hieher zu führen. – Wahrhaftig, wenn ich nicht hier den Stein der Weisen entdecken sollte, so würde ich das ziemlich unnütz finden!

Als ich mich wieder umsah, hatte sich der Hase, vermutlich aus Furcht vor mir, ganz nahe an den Fuchs gedrängt: ihre feindselige Natur schien sich hier verloren zu haben, das gemeinschaftliche Unglück hatte sie zu Freunden gemacht, denn der Fuchs saß ganz still und leutselig auf seinem Hintern, bewachte meine Bewegungen mit seiner spitzen Schnauze und seinen glänzenden Augen, und schien gegen seinen furchtsamen Nachbar nicht das mindeste Böse im Schilde zu führen. Das Zutrauliche der beiden Tiere rührte mich, ich beobachtete ihre Stellungen, und freute mich jetzt über mich selber, daß ich meiner Mordgier nicht nachgegeben hatte.

Der Fuchs sah unverwandt nach der Jagdtasche und ich teilte meinen beiden Freunden den Vorrat von Brot und anderm Eßbaren aus, den ich bei mir hatte; sie erkannten meine Güte und entzweiten sich über keinen Bissen.

Wie beschämt ihre Eintracht, dachte ich, die Menschen, die sich unaufhörlich verfolgen, und auf das Unglück ihres Nachbars ewig ihr Glück aufzubauen suchen! – Alle, die ihr der Habsucht, dem Geize, Stolze oder Neide frönt, die ihr eure Brüder niederdrückt, um eure Eitelkeit zu befriedigen, o könnt ich euch doch vor einen Spiegel führen, in welchem ihr euch und eure Leidenschaften so erblicktet, wie ich euch sehe!

Der Hase sahe mich hier mit einem so freundlichen Blicke an, als wenn er in meine Seele gelesen hätte, er kam zutraulich näher, vermutlich, um anzufragen, ob ich nicht noch mehr genießbare Sachen bei mir hätte. Beschämt sah ich nach meinem Gewehr, und streichelte das kleine Tier, das zitternd unter meiner Hand stehn blieb und furchtsam lauschend seine langen Ohren rückwärts legte.

»Dir soll nichts geschehen«, sagte ich mit so milder Stimme, als mir nur möglich war; »seid unbesorgt, ihr lieben Gefährten meines Unglücks. – Ich erwartete ein Abenteuer hier, denen ähnlich, die die müßige Phantasie der Dichter erschafft, und war unzufrieden, nur euch arme Notleidende hier anzutreffen; aber ich war ein Tor. – Ist diese Höhle nicht eine Mördergrube, in welcher ihr als schuldlose Opfer der Mordsucht aufgespart sitzt? Wäre ich selbst nicht beinahe ein Mörder geworden? – Ich dachte, vielleicht eine angefallene Unschuld von ihrem Unterdrücker zu befreien, und wahrlich, auch bei euch kann ich diesen Hang nach einer edeln Tat befriedigen. – Du armer unschuldiger Fuchs sollst wahrscheinlich zu Tode geprellt, oder zeitlebens wie Bajazet, als ein Schauspiel von den Kindern verhöhnt werden, weil du vielleicht einem Bauer einmal ein paar Eier ausgetrunken hast. Was müßte mir geschehn, was allen Menschen, wenn jeder Durst so hart bestraft werden sollte? – Du«, (ich wandte mich hier zum Hasen) »sollst geschlachtet und gebraten werden, weil du einen Kohlkopf angefressen hast. – O heiliger Laurentius, was müßte den Leuten geschehn, die mutwillig mit ihrem Jagdgefolge ganze Saatfelder zerstampfen, und um einen Hirsch zu erlegen, sechs Äcker, die Hoffnung von sechs Familien, verderben? – Es herrscht ein ewiger stiller Krieg im Menschengeschlecht, und einer entgeht nur der Peitsche, oder dem Messer des andern, weil er sich hinter das furchtbare Ansehn eines andern verkriechen kann, der selbst wieder einen Rückenhalter braucht und hat. Der Arme aber, der ohne Schutz, ohne Ansehn unter der gefräßigen Menge steht, ist allen Pfeilen der Verfolgung und der Niederträchtigkeit preisgegeben: läßt er sich, von Gram und von Armut zu Boden gedrückt, zu einer Tat verleiten, die er tausendmal um sich her, unter öffentlichen Privilegien begehen sieht – so wird er von der jauchzenden Rotte dem ehernen, unbarmherzigen Gesetz entgegengeschleudert, um dort zu verbluten. Ich will euer Beschützer werden, ihr beiden Unglücklichen, ich will euch euren Verfolgern entreißen, da ihr sonst auf der großen, weiten Erde keinen andern Freund habt. Jedermann, der euch erblickt, setzt euch feindlich nach, wohin ihr tretet, ist euch eine Falle gelegt und nur wenigen von euch ist es gegönnt, eines ruhigen Todes in eurer Heimat zu sterben. – «

Ich war einmal gerührt, und fuhr daher ungestört zu deklamieren fort:

»Wenn doch so manche, die sich verfolgen und anfeinden, einst ebenso unvermutet in eine enge Höhle zusammengeführt würden, um so zu empfinden, wie göttlich das Gefühl der Freundschaft und des Wohlwollens sei: um zu fühlen, wie nötig die Liebe den Menschen sei, und die gegenseitige Unterstützung und Ertragung der Fehler und Schwachheiten. Wie schnell würden sich Feinde aussöhnen und einer in den Arm des andern fliegen, wenn sie einst plötzlich von ihren Geschäften losgerissen würden und in einer dunkeln Einsamkeit, ohne Hülfe und Trost dasäßen, nur den Bruder gegenüber sähen, den sie hassen. Aber die Menschen laufen ihre gewohnte Bahn in dem Getümmel fort, das sie betäubt: keiner reicht dem andern die Hand, kein Auge forscht nach dem höchsten Schatz des Lebens, nach der Liebe, die uns aus dem Blicke des Freundes begrüßt; in jedem, der uns entgegenkommt, sehn wir nur einen Menschen, der unsern Weg enger macht, und so verschmachten wir in einem seelenlosen Geräusch.«

Durch mein ganzes Leben habe ich den vorteilhaften Einfluß dieses unbedeutenden Abenteuers gespürt, darum mag mir der Leser meine Weitschweifigkeit verzeihen.