Ponce de Leon

Brentano, Clemens

Ponce de Leon

 

Die große eBook-Bibliothek der Weltliteratur

 

Clemens Brentano

Ponce de Leon

Lustspiel in fünf Aufzügen

 

Seiner Durchlaucht

dem Herzoge von Aremberg

 

Mein gnädigster Herr

 

Cervantes führt in der Zuschrift seiner Novellen die Fehler an, welche in den Zuschriften der meisten Schriftsteller gefunden werden; indem ich diese Fehler zu vermeiden suchte, machte ich die Entdeckung eines ganz neuen, und nehme mir die Freiheit, Ihnen denselben seiner Ungemeinheit wegen mitzuteilen. Es ist nämlich der Fehler, jemanden ein Buch in einer Sprache, deren er nicht ganz mächtig ist, zuzuschreiben; doch, damit Sie mich nicht einer listigen Bescheidenheit beschuldigen können, indem ich das nur entdeckt zu haben vorgebe, dessen ich mich in diesen Zeilen selbst als Erfinder rühmen könnte, so nehme ich mir die Freiheit, Ihnen die Erlaubnis in das Gedächtnis zurückzurufen, welche Sie mir hierzu selbst erteilten. Als ich das letzte Mal die Ehre Ihrer Unterhaltung genoß, gaben Sie mir nämlich die Freiheit, mich in teutscher Sprache ausdrücken zu dürfen, sobald ich etwas zu sagen hätte, was ich nicht in französischer Sprache denken könne, und was mir allein eigen sei; in Rücksicht auf diese Erlaubnis allein wage ich es, Ihnen dieses Lustspiel zu überreichen, welches ich nicht in französischer Sprache denken konnte, und welches mir allein eigen war, bis auf diesen Augenblick, da ich so kühn bin, Ihnen ein Geschenk damit zu machen. Auch erinnere ich mich Ihrer Äußerung, daß den Teutschen Gewandtheit der Sprache und das Wortspiel fehle; ich war damals Ihrer Meinung entgegen und bin es noch; doch mit dem Verdruß, daß meine Arbeit, die Ihnen vielleicht ein Beweis für meine Behauptung werden könnte, eben durch ihre Anlage dazu an Unverständlichkeit für Sie zunehmen dürfte. Ich unterstehe mich daher nur, Sie durch diese Zeilen versichern zu wollen, daß Ihr gütiges Interesse an mir immer einer der rührendsten Gewinne meines Lebens sein wird, und daß ich jene unter meinen künftigen Arbeiten vorzüglich lieben werde, die würdig sein dürfte, ein angenehmer Gegenstand Ihrer stillen Betrachtungen zu werden.

So nehmen Sie gütig nachfolgende Blätter als einen Beweis, daß ich Ihnen gern mit dem Meinigen ein Vergnügen zu machen wünschte, denn sie enthalten zu wenig, um Ihnen als Beweis der Ehrfurcht übergeben zu werden.

 

Ihr untertänigster Diener,

(Clemens Brentano)

 

Vorerinnerung

 

Dieses Lustspiel, welches im Sommer 1801 geschrieben ist, war durch einen Zufall während vierzehn Monaten außer meinen Händen. Da ich es nun wieder besitze, finde ich freilich meine Ansicht von dem, was ein Lustspiel überhaupt sein soll, sehr verändert; dennoch glaube ich, ohne den Vorwurf der Unbescheidenheit zu verdienen, einige Worte über meine damalige Absicht beifügen zu dürfen, und zwar um so mehr, da ich mich umsonst nach seiner Gattung umgesehen habe und beinahe fürchte, daß es allein stehen werde, was ich ihm jedoch, sollte es nicht meiner Unbelesenheit zugeschrieben werden können, keineswegs zum Verdienst anrechne. Ich strebte damals, das Komische und Edlere hauptsächlich in dem Mutwill unabhängiger, fröhlicher Menschen zu vereinigen, und um diesen Mutwill als Element in ihnen vorauszusetzen, habe ich ihre Sprache durchaus frei und mit sich selbst in jeder Hinsicht spielend gehalten. Ich hatte kein Muster vor mir als die Fröhlichkeit meines eigenen Herzens und der Freunde, deren es sich gern erfreut, und da ich mich nur erinnere, im Schauspielhause gelacht zu haben, wenn mich das Edle, Rührende oder Tragische als Parodie und das Komische als Unfähigkeit berührte, so wagte ich nicht, mein sehr einsames Lachen als ein Merkmal anzunehmen, dann ein Lustspiel geschrieben zu haben, wenn das, worüber ich lachen konnte, mir zum Muster geworden wäre. Wie weit wir aber von dem Komischen entfernt sind, ist mir vor einiger Zeit auf eine Art deutlich geworden, die für mich mit der ganz neuen Empfindung des tragischen Schreckens begleitet war. Ich sah nämlich die Aufführung des Axurs durch eine vorzügliche Truppe, und freute mich besonders auf das Zwischenspiel der komischen Masken. Meine Erwartung war um so gespannter, da ich den Bouffon der Gesellschaft als einen in seiner Abart sehr geschickten, ja oft frechen Spaßmacher kannte.

Aber wie fand ich mich getäuscht; der selige Harlekin tat vor meinen Augen ein Mirakel, und bestätigte meinen Glauben, daß er nicht gänzlich aus der Zahl der heiligen1 Märtyrer zu verwerfen sei. Kaum hatte der profane Bouffon den freudigen bunten Ornat St. Harlekins angelegt, als ihn eine außerordentliche Traurigkeit überfiel, seine tölpelhafte Beweglichkeit erstarrte, er fühlte Blei an Händen und Füßen: er, der sich sonst in der Genügsamkeit seiner Gönner für einen Gott hielt, bekam zum ersten Mal atheistische Zweifel an dem Dasein eines Publikums, und stand als ein gräßliches Beispiel der Strafe des Himmels, ein wahrer Gegenstand christlichen Mitleids, vor den Augen aller frommen Zuschauer. So war die Geschichte dieses merkwürdigen Mirakels, welche ich allen Bouffons als warnendes Beispiel zur Bekehrung hierhersetze.

Aus der oben angeführten Ansicht entstand nun vorliegendes Lustspiel, ich zweifle gänzlich, daß es etwas Komisches enthalte, da mir bis jetzt das Komische nicht vor Augen gekommen ist und ich daher mit einigem Recht vermuten darf, das Komische müsse entweder unsrer edlen Zeit nicht würdig oder unsre edle Zeit das Komische selbst sein. Ich möchte beinahe das Letztere fürchten; da in diesen Zeiten die Künste und besonders die dramatische nützlich dazu angehalten werden, unsre Begierden nach allem, was uns fehlt, nach Häuslichkeit und andern guten Eigenschaften, durch schlechte Schilderung dieser Bedürfnisse zu trösten, so müssen wir selbst von dem Komischen im höchsten Grade durchdrungen sein, weil wir es von der Kunst nicht verlangen, wir müssen selbst der einzige Gegenstand des Komischen sein, weil es unser Gegenstand nicht mehr sein zu dürfen scheint. Das Komische wäre auf diese Weise nur noch im Zuschauer zu finden, und diesen auf das Theater zu bringen, würde ihm selbst wohl nicht gefallen, da er seinen ernsthaften Platz unten bezahlt hat, damit er oben spielen sehe, und auch nach neuen Erfahrungen die Dinge, wie sie sein sollen, zu hoch schätzt, um sich an einem Dinge, wie er selbst eines ist, nicht zu ärgern. Der fromme Mann also, welcher in der Bitte um das tägliche Brot Gott auch um das Komische bittet und für beides am Abend danken kann, ist nur jener Gesegnete, der sich den Zuschauer und das Schauspiel zusammen nimmt, um über beide zu lachen. Ich wage es nicht, mich solcher Gaben zu rühmen, und sähe es daher für das einzige Mittel an, dem Komischen wieder auf die Bühne zu helfen, wenn man nach und nach das im Zuschauer gebundene Komische zu befreien und der Tugend von dem Theater wieder in die honetten Familien zu helfen suchte. Das erstere wäre eine Aufgabe für Dichter, an dem letztern arbeiteten die Moraltheologen längst, doch vergebens; denn das Ganze muß, wie die Einrichtung eines verschobenen Gelenks durch einen geschickten Wundarzt, auf einen Ruck vor sich gehen, weil, solange die Tugend auf der Bühne sich aufhält, der Moraltheologe im Parterre sitzt und also selbst komisch ist. Um so mehr wäre jene Auswechselung zu wünschen, da man durch Erfahrung übereingekommen zu sein scheint, die Tugend bei dem Schauspieler nicht suchen und bei dem Bürger kaum finden zu dürfen; aber so wohlfeil jener auch die Tugend hergeben würde, so sehr wäre zu fürchten, der Zuschauer möge seine Untugend in einem für die geringe Gage des Schauspielers zu hohen Preise halten, besonders da er sich damit schmeichelt, alles, was er bis jetzt hinter den Lichtern gesehen, ziemlich unecht und abgenutzt gefunden zu haben, wie er auch wohl weiß, daß das Sprüchwort: hinter das Licht geführt werden, daher abzuleiten ist. Doch hier kann der unparteiische Richter ihm nicht ganz recht geben, weil uns der Gesichtspunkt verloren gegangen ist, aus welchem wir bestimmen könnten, ob der Schauspieler oder der Zuschauer hinter dem Lichte stehe; so viel ist aber gewiß, daß der Souffleur auf dem Indifferenzpunkte sitzt, und daß nur der das Komische dieser Unentschiedenheit belachen kann, der über den Schauspieler und den Zuschauer zugleich lacht. – Da es, wie gesagt, meine Absicht bei diesem Lustspiele war, das Lustige in dem Mutwill schöner Menschen zu schildern, ich dies sogar in einigen häuslichen Szenen so zu zeichnen gesucht und das für den Leser so anzügliche Komische ganz unterlassen habe, so wird er das Ganze, wenngleich etwas fremdartig, doch nicht für seinen Geschmack beleidigend finden. Ich sprach hier von dem Leser, und nicht von dem Zuschauer, da ich fürchte, die Aufführung, sollte sie irgend ein Theater wagen, werde nicht ganz gelingen; um so mehr, da dies Schauspiel bei der Art seiner Sprache durch die Beschneidung einer fremden Hand das elendeste Bruchstück werden müßte. Ich denke mit Zittern an die Leseproben einer Schauspieler-Gesellschaft, denen ich in der letzten Zeit oft beiwohnte; der Directeur und Bouffon hielten dicke Rötelstifte in der Hand, und strichen die Schauspiele durch; der erste nannte es edler – Zusammenstreichen, der zweite richtiger – Umarbeiten. Wenn ich es jenen Werken etwas gönnte und daher meine Schadenfreude eine ähnliche Strafe verdienen möchte, so erbiete ich mich hier, doch dies Lustspiel auf Begehren irgend eines Theaters für die Aufführung selbst zusammenzustreichen oder umzuarbeiten.

 

Marburg, im Januar 1803

 

 

Fußnoten

1 Er wurde, wie bekannt, in der Christenverfolgung unter Gottscheds Regierung zu Leipzig durch die Räuberin auf dem Theater verbrannt.

 

 

 

Personen.

Don Sarmiento, Obrister bei der Armee in den Niederlanden

 

Don Felix, sein Sohn in Sevilla

 

Isidora,

Melanie, , seine Töchter auf seinem Gut, drei Stunden von Sevilla

 

Juanna, seine Schwester, ihre Aufseherin

 

Don Gabriel Ponce de Leon,

Fernand de Aquilar, , junge Edelleute in Sevilla, Felix' Freunde

 

Valerio de Campaceo, armer Bürger in Sevilla

 

Valeria, seine Tochter

 

Porporino, sein Findelsohn

 

Isabella, in Saragossa adelige Witwe

 

Lucilla, ihre Tochter in Sevilla bei ihrer Tante, Felix' Geliebte

 

Perez, Hausmeister auf dem Gute Sarmientos

 

Alonso, Schulmeister

 

Ein Pfeifer, ein Geiger, mehrere Musikanten, Diener

 

Die Szene wechselt; erster und zweiter Akt in Sevilla, dritter, vierter und fünfter auf dem Gute.

 

Der erste Akt: Von Dämmerung bis Mitternacht.

Der zweite Akt: Folgender Tag, Morgen bis Mittag.

Der dritte Akt: Nachmittag bis Mitternacht desselben Tags.

Der vierte Akt: Nachmittag des folgenden Tags bis Mitternacht.

Der fünfte Akt: Morgen des folgenden Tags bis Mittag.

 

 

Erster Akt

 

Erster Auftritt

Abend, ein Licht.

Eine kleine bürgerliche Stube in Valerios Haus mit einem Kamin. Ponce, in einer reichen venetianischen Maske, schwarz mit Brillant-Knöpfen, steht auf einem Tabouret; Valeria, die ihn geputzt hat, kniet vor ihm und zupft ihm die Schleifen an den Schuhen und Beinkleidern zurecht. Ponce ist durch und durch launig, kalt, und gut in dieser Szene zu nehmen.

 

VALERIA sieht an ihm in die Höhe, und nickt. Ponce?

PONCE. Und? – Wird es bald ein Ende? Man darf euch Mädchen nur unter die Hände kommen, so wird man gleich oder nimmer fertig.

VALERIA. Nimmer, meiner Liebe zu dir wird nimmer ein Ende, ich könnte mein Leben damit zubringen, dich zu putzen – ach! und ich würde nicht fertig.