HOHENZOLLERN erstaunt.
Du weißt es schon.
DER PRINZ VON HOMBURG.
Golz, der dem Spruch des Kriegsrechts beigewohnt,
Hat mir gemeldet, wie er ausgefallen.
HOHENZOLLERN.
Nun denn, bei Gott! – Der Umstand rührt dich nicht?
DER PRINZ VON HOMBURG.
Mich? Nicht im mindesten.
HOHENZOLLERN.
Du Rasender!
Und worauf stützt sich deine Sicherheit?
DER PRINZ VON HOMBURG.
Auf mein Gefühl von ihm!
Er steht auf.
Ich bitte, laß mich!
Was soll ich mich mit falschen Zweifeln quälen?
Er besinnt sich und läßt sich wieder nieder. – Pause.
Das Kriegsrecht mußte auf den Tod erkennen;
So lautet das Gesetz, nach dem es richtet.
Doch eh er solch ein Urteil läßt vollstrecken,
Eh er dies Herz hier, das getreu ihn liebt,
Auf eines Tuches Wink, der Kugel preisgibt,
Eh sieh, eh öffnet er die eigne Brust sich,
Und sprützt sein Blut selbst tropfenweis in Staub.
HOHENZOLLERN.
Nun, Arthur, ich versichre dich –
DER PRINZ VON HOMBURG unwillig.
O Lieber!
HOHENZOLLERN.
Der Marschall –
DER PRINZ VON HOMBURG ebenso.
Laß mich, Freund!
HOHENZOLLERN.
Zwei Worte hör noch!
Wenn die dir auch nichts gelten, schweig ich still.
DER PRINZ VON HOMBURG wendet sich wieder zu ihm.
Du hörst, ich weiß von allem. – Nun? Was ist's?
HOHENZOLLERN.
Der Marschall hat, höchst seltsam ist's, soeben
Das Todsurteil im Schloß ihm überreicht;
Und er, statt wie das Urteil frei ihm stellt,
Dich zu begnadigen, er hat befohlen,
Daß es zur Unterschrift ihm kommen soll.
DER PRINZ VON HOMBURG.
Gleichviel. Du hörst.
HOHENZOLLERN.
Gleichviel?
DER PRINZ VON HOMBURG.
Zur Unterschrift?
HOHENZOLLERN.
Bei meiner Ehr! Ich kann es dir versichern.
DER PRINZ VON HOMBURG.
Das Urteil? – Nein! die Schrift –?
HOHENZOLLERN.
Das Todesurteil.
DER PRINZ VON HOMBURG.
– Wer hat dir das gesagt?
HOHENZOLLERN.
Er selbst, der Marschall!
DER PRINZ VON HOMBURG.
Wann?
HOHENZOLLERN.
Eben jetzt.
DER PRINZ VON HOMBURG.
Als er vom Herrn zurückkam?
HOHENZOLLERN.
Als er vom Herrn die Treppe niederstieg! –
Er fügt' hinzu, da er bestürzt mich sah,
Verloren sei noch nichts, und morgen sei
Auch noch ein Tag, dich zu begnadigen;
Doch seine bleiche Lippe widerlegte
Ihr eignes Wort, und sprach: ich fürchte, nein!
DER PRINZ VON HOMBURG steht auf.
Er könnte – nein! so ungeheuere
Entschließungen in seinem Busen wälzen?
Um eines Fehls, der Brille kaum bemerkbar,
In dem Demanten, den er jüngst empfing,
In Staub den Geber treten? Eine Tat,
Die weiß den Dei von Algier brennt, mit Flügeln,
Nach Art der Cherubinen, silberglänzig,
Den Sardanapel ziert, und die gesamte
Altrömische Tyrannenreihe, schuldlos,
Wie Kinder, die am Mutterbusen sterben,
Auf Gottes rechte Seit hinüberwirft?
HOHENZOLLERN der gleichfalls aufgestanden.
Du mußt, mein Freund, dich davon überzeugen.
DER PRINZ VON HOMBURG.
Und der Feldmarschall schwieg und sagte nichts?
HOHENZOLLERN.
Was sollt er sagen?
DER PRINZ VON HOMBURG.
O Himmel! Meine Hoffnung!
HOHENZOLLERN.
Hast du vielleicht je einen Schritt getan,
Sei's wissentlich, sei's unbewußt,
Der seinem stolzen Geist zu nah getreten?
DER PRINZ VON HOMBURG.
Niemals!
HOHENZOLLERN.
Besinne dich!
DER PRINZ VON HOMBURG.
Niemals, beim Himmel!
Mir war der Schatten seines Hauptes heilig.
HOHENZOLLERN.
Arthur, sei mir nicht böse, wenn ich zweifle,
Graf Horn traf, der Gesandte Schwedens, ein,
Und sein Geschäft geht, wie man hier versichert,
An die Prinzessin von Oranien.
Ein Wort, das die Kurfürstin Tante sprach,
Hat aufs empfindlichste den Herrn getroffen;
Man sagt, das Fräulein habe schon gewählt.
Bist du auf keine Weise hier im Spiele?
DER PRINZ VON HOMBURG.
O Gott! Was sagst du mir?
HOHENZOLLERN.
Bist du's? Bist du's?
DER PRINZ VON HOMBURG.
Ich bin's, mein Freund; jetzt ist mir alles klar;
Es stürzt der Antrag ins Verderben mich:
An ihrer Weigrung, wisse, bin ich schuld,
Weil mir sich die Prinzessin anverlobt!
HOHENZOLLERN.
Du unbesonnener Tor! Was machtest du?
Wie oft hat dich mein treuer Mund gewarnt?
DER PRINZ VON HOMBURG.
O Freund! Hilf, rette mich! Ich bin verloren.
HOHENZOLLERN.
Ja, welch ein Ausweg führt aus dieser Not?
Willst du vielleicht die Fürstin Tante sprechen?
DER PRINZ VON HOMBURG wendet sich.
– He, Wache!
REUTER im Hintergrunde.
Hier!
DER PRINZ VON HOMBURG.
Ruft euren Offizier! –
Er nimmt eilig einen Mantel um von der Wand, und setzt einen Federhut auf, der auf dem Tisch liegt.
HOHENZOLLERN indem er ihm behülflich ist.
Der Schritt kann, klug gewandt, dir Rettung bringen.
– Denn kann der Kurfürst nur mit König Karl,
Um den bewußten Preis, den Frieden schließen,
So sollst du sehn, sein Herz versöhnt sich dir,
Und gleich, in wenig Stunden, bist du frei.
Zweiter Auftritt
Der Offizier tritt auf. – Die Vorigen.
DER PRINZ VON HOMBURG zu dem Offizier.
Stranz, übergeben bin ich deiner Wache!
Erlaub, in einem dringenden Geschäft,
Daß ich auf eine Stunde mich entferne.
DER OFFIZIER.
Mein Prinz, mir übergeben bist du nicht.
Die Ordre, die man mir erteilt hat, lautet,
Dich gehn zu lassen frei, wohin du willst.
DER PRINZ VON HOMBURG.
Seltsam! – So bin ich kein Gefangener?
DER OFFIZIER.
Vergib! – Dein Wort ist eine Fessel auch.
HOHENZOLLERN bricht auf.
Auch gut! Gleichviel!
DER PRINZ VON HOMBURG.
Wohlan! So leb denn wohl!
HOHENZOLLERN.
Die Fessel folgt dem Prinzen auf dem Fuße!
DER PRINZ VON HOMBURG.
Ich geh aufs Schloß zu meiner Tante nur,
Und bin in zwei Minuten wieder hier.
Alle ab.
Szene: Zimmer der Kurfürstin.
Dritter Auftritt
Die Kurfürstin und Natalie treten auf.
DIE KURFÜRSTIN.
Komm, meine Tochter; komm! Dir schlägt die Stunde!
Graf Gustav Horn, der schwedische Gesandte,
Und die Gesellschaft, hat das Schloß verlassen;
Im Kabinett des Onkels seh ich Licht:
Komm, leg das Tuch dir um und schleich dich zu ihm,
Und sieh, ob du den Freund dir retten kannst.
Sie wollen gehen.
Vierter Auftritt
Eine Hofdame tritt auf. – Die Vorigen.
DIE HOFDAME.
Prinz Homburg, gnäd'ge Frau, ist vor der Türe!
– Kaum weiß ich wahrlich, ob ich recht gesehn?
KURFÜRSTIN betroffen.
O Gott!
NATALIE.
Er selbst?
KURFÜRSTIN.
Hat er denn nicht Arrest?
DIE HOFDAME.
Er steht in Federhut und Mantel draußen,
Und fleht, bestürzt und dringend um Gehör.
KURFÜRSTIN unwillig.
Der Unbesonnene! Sein Wort zu brechen!
NATALIE.
Wer weiß, was ihn bedrängt.
KURFÜRSTIN nach einigem Bedenken.
– Laßt ihn herein!
Sie selbst setzt sich auf einen Stuhl.
Fünfter Auftritt
Der Prinz von Homburg tritt auf. – Die Vorigen.
DER PRINZ VON HOMBURG.
O meine Mutter!
Er läßt sich auf Knien vor ihr nieder.
KURFÜRSTIN.
Prinz! Was wollt Ihr hier?
DER PRINZ VON HOMBURG.
O laß mich deine Knie umfassen, Mutter!
KURFÜRSTIN mit unterdrückter Rührung.
Gefangen seid Ihr, Prinz, und kommt hieher!
Was häuft Ihr neue Schuld zu Euren alten?
DER PRINZ VON HOMBURG dringend.
Weißt du, was mir geschehn?
KURFÜRSTIN.
Ich weiß um alles!
Was aber kann ich, Ärmste, für Euch tun?
DER PRINZ VON HOMBURG.
O meine Mutter, also sprächst du nicht,
Wenn dich der Tod umschauerte, wie mich!
Du scheinst mit Himmelskräften, rettenden,
Du mir, das Fräulein, deine Fraun, begabt,
Mir alles ringsumher, dem Troßknecht könnt ich,
Dem schlechtesten, der deiner Pferde pflegt,
Gehängt am Halse flehen: rette mich!
Nur ich allein, auf Gottes weiter Erde,
Bin hülflos, ein Verlaßner, und kann nichts!
KURFÜRSTIN.
Du bist ganz außer dir! Was ist geschehn?
DER PRINZ VON HOMBURG.
Ach! Auf dem Wege, der mich zu dir führte,
Sah ich das Grab, beim Schein der Fackeln, öffnen,
Das morgen mein Gebein empfangen soll.
Sieh, diese Augen, Tante, die dich anschaun,
Will man mit Nacht umschatten, diesen Busen
Mit mörderischen Kugeln mir durchbohren.
Bestellt sind auf dem Markte schon die Fenster,
Die auf das öde Schauspiel niedergehn,
Und der die Zukunft, auf des Lebens Gipfel,
Heut, wie ein Feenreich, noch überschaut,
Liegt in zwei engen Brettern duftend morgen,
Und ein Gestein sagt dir von ihm: er war!
Die Prinzessin, welche bisher, auf die Schulter der Hofdame gelehnt, in der Ferne gestanden hat, läßt sich, bei diesen Worten, erschüttert an einen Tisch nieder und weint.
KURFÜRSTIN.
Mein Sohn! Wenn's so des Himmels Wille ist,
Wirst du mit Mut dich und mit Fassung rüsten!
DER PRINZ VON HOMBURG.
O Gottes Welt, o Mutter, ist so schön!
Laß mich nicht, fleh ich, eh die Stunde schlägt,
Zu jenen schwarzen Schatten niedersteigen!
Mag er doch sonst, wenn ich gefehlt, mich strafen,
Warum die Kugel eben muß es sein?
Mag er mich meiner Ämter doch entsetzen,
Mit Kassation, wenn's das Gesetz so will,
Mich aus dem Heer entfernen: Gott des Himmels!
Seit ich mein Grab sah, will ich nichts, als leben,
Und frage nichts mehr, ob es rühmlich sei!
KURFÜRSTIN.
Steh auf, mein Sohn; steh auf! Was sprichst du da?
Du bist zu sehr erschüttert. Fasse dich!
DER PRINZ VON HOMBURG.
Nicht, Tante, eh'r als bis du mir gelobt,
Mit einem Fußfall, der mein Dasein rette,
Flehnd seinem höchsten Angesicht zu nahn!
Dir übergab zu Homburg, als sie starb,
Die Hedwig mich, und sprach, die Jugendfreundin:
Sei ihm die Mutter, wenn ich nicht mehr bin.
Du beugtest tief gerührt, am Bette knieend,
Auf ihre Hand dich und erwidertest:
Er soll mir sein, als hätt ich ihn erzeugt.
Nun, jetzt erinnr ich dich an solch ein Wort!
Geh hin, als hättst du mich erzeugt, und sprich:
Um Gnade fleh ich, Gnade! Laß ihn frei!
Ach, und komm mir zurück und sprich: du bist's!
KURFÜRSTIN weint.
Mein teurer Sohn! Es ist bereits geschehn!
Doch alles, was ich flehte, war umsonst!
DER PRINZ VON HOMBURG.
Ich gebe jeden Anspruch auf an Glück.
Nataliens, das vergiß nicht, ihm zu melden,
Begehr ich gar nicht mehr, in meinem Busen
Ist alle Zärtlichkeit für sie verlöscht.
Frei ist sie, wie das Reh auf Heiden, wieder;
Mit Hand und Mund, als wär ich nie gewesen,
Verschenken kann sie sich, und wenn's Karl Gustav,
Der Schweden König ist, so lob ich sie.
Ich will auf meine Güter gehn am Rhein,
Da will ich bauen, will ich niederreißen,
Daß mir der Schweiß herabtrieft, säen, ernten,
Als wär's für Weib und Kind, allein genießen,
Und, wenn ich erntete, von neuem säen,
Und in den Kreis herum das Leben jagen,
Bis es am Abend niedersinkt und stirbt.
KURFÜRSTIN.
Wohlan! Kehr jetzt nur heim in dein Gefängnis,
Das ist die erste Fordrung meiner Gunst!
DER PRINZ VON HOMBURG steht auf und wendet sich zur Prinzessin.
Du armes Mädchen, weinst! Die Sonne leuchtet
Heut alle deine Hoffnungen zu Grab!
Entschieden hat dein erst Gefühl für mich,
Und deine Miene sagt mir, treu wie Gold,
Du wirst dich nimmer einem andern weihn.
Ja, was erschwing ich, Ärmster, das dich tröste?
Geh an den Main, rat ich ins Stift der Jungfraun,
Zu deiner Base Thurn, such in den Bergen
Dir einen Knaben, blondgelockt wie ich,
Kauf ihn mit Gold und Silber dir, drückt ihn
An deine Brust und lehr ihn: Mutter! stammeln,
Und wenn er größer ist, so unterweis ihn,
Wie man den Sterbenden die Augen schließt.
Das ist das ganze Glück, das vor dir liegt!
NATALIE mutig und erhebend, indem sie aufsteht und ihre Hand in die seinige legt.
Geh, junger Held, in deines Kerkers Haft,
Und auf dem Rückweg, schau noch einmal ruhig
Das Grab dir an, das dir geöffnet wird!
Es ist nichts finstrer und um nichts breiter,
Als es dir tausendmal die Schlacht gezeigt!
Inzwischen werd ich, in dem Tod dir treu,
Ein rettend Wort für dich dem Oheim wagen:
Vielleicht gelingt es mir, sein Herz zu rühren,
Und dich von allem Kummer zu befrein!
Pause.
DER PRINZ VON HOMBURG faltet, in ihrem Anschaun verloren, die Hände.
Hättst du zwei Flügel, Jungfrau, an den Schultern,
Für einen Engel wahrlich hielt ich dich! –
O Gott, hört ich auch recht? Du für mich sprechen?
– Wo ruhte denn der Köcher dir der Rede,
Bis heute, liebes Kind, daß du willst wagen,
Den Herrn in solcher Sache anzugehn? –
– O Hoffnungslicht, das plötzlich mich erquickt!
NATALIE.
Gott wird die Pfeile mir, die treffen, reichen! –
Doch wenn der Kurfürst des Gesetzes Spruch
Nicht ändern kann, nicht kann: wohlan! so wirst du
Dich tapfer ihm, der Tapfre, unterwerfen:
Und der im Leben tausendmal gesiegt,
Er wird auch noch im Tod zu siegen wissen!
KURFÜRSTIN.
Hinweg! – Die Zeit verstreicht, die günstig ist!
DER PRINZ VON HOMBURG.
Nun, alle Heil'gen mögen dich beschirmen!
Leb wohl! Leb wohl! Und was du auch erringst,
Vergönne mir ein Zeichen vom Erfolg!
Alle ab.
Vierter Akt
Szene: Zimmer des Kurfürsten.
Erster Auftritt
Der Kurfürst steht mit Papieren an einem, mit Lichtern besetzten Tisch. – Natalie tritt durch die mittlere Tür auf und läßt sich in einiger Entfernung, vor ihm nieder. Pause.
NATALIE kniend.
Mein edler Oheim, Friedrich von der Mark!
DER KURFÜRST legt die Papiere weg.
Natalie!
Er will sie erheben.
NATALIE.
Laß, laß!
DER KURFÜRST.
Was willst du, Liebe?
NATALIE.
Zu deiner Füße Staub, wie's mir gebührt,
Für Vetter Homburg dich um Gnade flehn!
Ich will ihn nicht für mich erhalten wissen –
Mein Herz begehrt sein und gesteht es dir;
Ich will ihn nicht für mich erhalten wissen –
Mag er sich welchem Weib er will vermählen;
Ich will nur, daß er da sei, lieber Onkel,
Für sich, selbständig, frei und unabhängig,
Wie eine Blume, die mir wohlgefällt:
Dies fleh ich dich, mein höchster Herr und Freund,
Und weiß, solch Flehen wirst du mir erhören.
DER KURFÜRST erhebt sie.
Mein Töchterchen! Was für ein Wort entfiel dir?
– Weißt du, was Vetter Homburg jüngst verbrach?
NATALIE.
O lieber Onkel!
DER KURFÜRST.
Nun? Verbrach er nichts?
NATALIE.
O dieser Fehltritt, blond mit blauen Augen,
Den, eh er noch gestammelt hat: ich bitte!
Verzeihung schon vom Boden heben sollte:
Den wirst du nicht mit Füßen von dir weisen!
Den drückst du um die Mutter schon ans Herz,
Die ihn gebar, und rufst: komm, weine nicht;
Du bist so wert mir, wie die Treue selbst!
War's Eifer nicht, im Augenblick des Treffens,
Für deines Namens Ruhm, der ihn verführt,
Die Schranke des Gesetzes zu durchbrechen:
Und ach! die Schranke jugendlich durchbrechen,
Trat er dem Lindwurm männlich nicht aufs Haupt?
Erst, weil er siegt', ihn kränzen, dann enthaupten,
Das fordert die Geschichte nicht von dir;
Das wäre so erhaben, lieber Onkel,
Daß man es fast unmenschlich nennen könnte:
Und Gott schuf noch nichts Milderes, als dich.
DER KURFÜRST.
Mein süßes Kind! Sieh! Wär ich ein Tyrann,
Dein Wort, das fühl ich lebhaft, hätte mir
Das Herz schon in der erznen Brust geschmelzt.
Dich aber frag ich selbst: darf ich den Spruch
Den das Gericht gefällt, wohl unterdrücken? –
Was würde wohl davon die Folge sein?
NATALIE.
Für wen? Für dich?
DER KURFÜRST.
Für mich; nein! – Was? Für mich!
Kennst du nichts Höhres, Jungfrau, als nur mich?
Ist dir ein Heiligtum ganz unbekannt,
Das in dem Lager, Vaterland sich nennt?
NATALIE.
O Herr! Was sorgst du doch? Dies Vaterland!
Das wird, um dieser Regung deiner Gnade,
Nicht gleich, zerschellt in Trümmern, untergehn.
Vielmehr, was du, im Lager auferzogen,
Unordnung nennst, die Tat, den Spruch der Richter,
In diesem Fall, willkürlich zu zerreißen,
Erscheint mir als die schönste Ordnung erst:
Das Kriegsgesetz, das weiß ich wohl, soll herrschen,
Jedoch die lieblichen Gefühle auch.
Das Vaterland, das du uns gründetest,
Steht, eine feste Burg, mein edler Ohm:
Das wird ganz andre Stürme noch ertragen,
Fürwahr, als diesen unberufnen Sieg;
Das wird sich ausbaun herrlich, in der Zukunft,
Erweitern, unter Enkels Hand, verschönern,
Mit Zinnen, üppig, feenhaft, zur Wonne
Der Freunde, und zum Schrecken aller Feinde:
Das braucht nicht dieser Bindung, kalt und öd,
Aus eines Freundes Blut, um Onkels Herbst,
Den friedlich prächtigen, zu überleben.
DER KURFÜRST.
Denkt Vetter Homburg auch so?
NATALIE.
Vetter Homburg?
DER KURFÜRST.
Meint er, dem Vaterlande gelt es gleich,
Ob Willkür drin, ob drin die Satzung herrsche?
NATALIE.
Ach, dieser Jüngling!
DER KURFÜRST.
Nun?
NATALIE.
Ach, lieber Onkel! –
Hierauf zur Antwort hab ich nichts, als Tränen.
DER KURFÜRST betroffen.
Warum, mein Töchterchen? Was ist geschehn?
NATALIE zaudernd.
Der denkt jetzt nichts, als nur dies eine: Rettung!
Den schaun die Röhren, an der Schützen Schultern,
So gräßlich an, daß überrascht und schwindelnd,
Ihm jeder Wunsch, als nur zu leben, schweigt:
Der könnte, unter Blitz und Donnerschlag,
Das ganze Reich der Mark versinken sehn,
Daß er nicht fragen würde: was geschieht?
– Ach, welch ein Heldenherz hast du geknickt!
Sie wendet sich und weint.
DER KURFÜRST im äußersten Erstaunen.
Nein, meine teuerste Natalie,
Unmöglich, in der Tat?! – Er fleht um Gnade?
NATALIE.
Ach, hättst du nimmer, nimmer ihn verdammt!
DER KURFÜRST.
Nein, sag: er fleht um Gnade? – Gott im Himmel,
Was ist geschehn, mein liebes Kind? Was weinst du?
Du sprachst ihn? Tu mir alles kund! Du sprachst ihn?
NATALIE an seine Brust gelehnt.
In den Gemächern eben jetzt der Tante,
Wohin, im Mantel, schau, und Federhut
Er, unterm Schutz der Dämmrung kam geschlichen:
Verstört und schüchtern, heimlich, ganz unwürdig,
Ein unerfreulich, jammernswürd'ger Anblick!
Zu solchem Elend, glaubt ich, sänke keiner,
Den die Geschicht als ihren Helden preist.
Schau her, ein Weib bin ich, und schaudere
Dem Wurm zurück, der meiner Ferse naht:
Doch so zermalmt, so fassungslos, so ganz
Unheldenmütig träfe mich der Tod,
In eines scheußlichen Leun Gestalt nicht an!
– Ach, was ist Menschengröße, Menschenruhm!
DER KURFÜRST verwirrt.
Nun denn, beim Gott des Himmels und der Erde,
So fasse Mut, mein Kind; so ist er frei!
NATALIE.
Wie, mein erlauchter Herr?
DER KURFÜRST.
Er ist begnadigt! –
Ich will sogleich das Nötg' an ihn erlassen.
NATALIE.
O Liebster! Ist es wirklich wahr?
DER KURFÜRST.
Du hörst!
NATALIE.
Ihm soll vergeben sein? Er stirbt jetzt nicht?
DER KURFÜRST.
Bei meinem Eid! Ich schwör's dir zu! Wo werd ich
Mich gegen solchen Kriegers Meinung setzen?
Die höchste Achtung, wie dir wohl bekannt,
Trag ich im Innersten für sein Gefühl:
Wenn er den Spruch für ungerecht kann halten
Kassier ich die Artikel: er ist frei! –
Er bringt ihr einen Stuhl.
Willst du, auf einen Augenblick, dich setzen?
Er geht an den Tisch, setzt sich und schreibt.
Pause.
NATALIE für sich.
Ach, Herz, was klopfst du also an dein Haus?
DER KURFÜRST indem er schreibt.
Der Prinz ist drüben noch im Schloß?
NATALIE.
Vergib!
Er ist in seine Haft zurückgekehrt. –
DER KURFÜRST endigt und siegelt; hierauf kehrt er mit dem Brief wieder zur Prinzessin zurück.
Fürwahr, mein Töchterchen, mein Nichtchen, weinte!
Und ich, dem ihre Freude anvertraut,
Mußt ihrer holden Augen Himmel trüben!
Er legt den Arm um ihren Leib.
Willst du den Brief ihm selber überbringen? –
NATALIE.
Ins Stadthaus! Wie?
DER KURFÜRST drückt ihr den Brief in die Hand.
Warum nicht? – He! Heiducken!
Heiducken treten auf.
Den Wagen vorgefahren! Die Prinzessin
Hat ein Geschäft beim Obersten von Homburg!
Die Heiducken treten wieder ab.
So kann er, für sein Leben, gleich dir danken.
Er umarmt sie.
Mein liebes Kind! Bist du mir wieder gut?
NATALIE nach einer Pause.
Was deine Huld, o Herr, so rasch erweckt,
Ich weiß es nicht und untersuch es nicht.
Das aber, sieh, das fühl ich in der Brust,
Unedel meiner spotten wirst du nicht:
Der Brief enthalte, was es immer sei,
Ich glaube Rettung – und ich danke dir!
Sie küßt ihm die Hand.
DER KURFÜRST.
Gewiß, mein Töchterchen, gewiß! So sicher,
Als sie in Vetter Homburgs Wünschen liegt.
Ab.
Szene: Zimmer der Prinzessin.
Zweiter Auftritt
Prinzessin Natalie tritt auf. – Zwei Hofdamen und der Rittmeister, Graf Reuß, folgen.
NATALIE eilfertig.
Was bringt Ihr, Graf? – Von meinem Regiment?
Ist's von Bedeutung? Kann ich's morgen hören?
GRAF REUSS überreicht ihr ein Schreiben.
Ein Brief vom Obrist Kottwitz, gnäd'ge Frau!
NATALIE.
Geschwind! Gebt! Was enthält er?
Sie eröffnet ihn.
GRAF REUSS.
Eine Bittschrift,
Freimütig wie Ihr seht, doch ehrfurchtsvoll,
An die Durchlaucht des Herrn, zu unsers Führers,
Des Prinz von Homburg, Gunsten aufgesetzt.
NATALIE liest.
»Supplik, in Unterwerfung eingereicht,
Vom Regiment, Prinzessin von Oranien.« –
Pause.
Die Bittschrift ist von wessen Hand verfaßt?
GRAF REUSS.
Wie ihrer Züg unsichre Bildung schon
Erraten läßt, vom Obrist Kottwitz selbst. –
Auch steht sein edler Name obenan.
NATALIE.
Die dreißig Unterschriften, welche folgen –?
GRAF REUSS.
Der Offiziere Namen, Gnädigste,
Wie sie, dem Rang nach, Glied für Glied, sich folgen.
NATALIE.
Und mir, mir wird die Bittschrift zugefertigt?
GRAF REUSS.
Mein Fräulein, untertänigst Euch zu fragen,
Ob Ihr, als Chef, den ersten Platz, der offen,
Mit Eurem Namen gleichfalls füllen wollt.
Pause.
NATALIE.
Der Prinz zwar, hör ich, soll, mein edler Vetter,
Vom Herrn aus eignem Trieb, begnadigt werden,
Und eines solchen Schritts bedarf es nicht.
GRAF REUSS vergnügt.
Wie? Wirklich?
NATALIE.
Gleichwohl will ich unter einem Blatte,
Das, in des Herrn Entscheidung, klug gebraucht,
Als ein Gewicht kann in die Waage fallen,
Das ihm vielleicht, den Ausschlag einzuleiten,
Sogar willkommen ist, mich nicht verweigern –
Und, eurem Wunsch gemäß, mit meinem Namen,
Hiemit an eure Spitze setz ich mich.
Sie geht und will schreiben.
GRAF REUSS.
Fürwahr, uns lebhaft werdet Ihr verbinden!
Pause.
NATALIE wendet sich wieder zu ihm.
Ich finde nur mein Regiment, Graf Reuß!
Warum vermiß ich Bomsdorf Cuirassiere,
Und die Dragoner Götz und Anhalt-Pleß?
GRAF REUSS.
Nicht, wie vielleicht Ihr sorgt, weil ihre Herzen
Ihm lauer schlügen, als die unsrigen! –
Es trifft ungünstig sich für die Supplik,
Daß Kottwitz fern in Arnstein kantoniert,
Gesondert von den andern Regimentern,
Die hier bei dieser Stadt, im Lager stehn.
Dem Blatt fehlt es an Freiheit, leicht und sicher,
Die Kraft, nach jeder Richtung zu entfalten.
NATALIE.
Gleichwohl fällt, dünkt mich, so das Blatt nur leicht? –
Seid Ihr gewiß, Herr Graf, wärt Ihr im Ort,
Und sprächt die Herrn, die hier versammelt sind,
Sie schlössen gleichfalls dem Gesuch sich an?
GRAF REUSS.
Hier in der Stadt, mein Fräulein? – Kopf für Kopf!
Die ganze Reuterei verpfändete
Mit ihren Namen sich; bei Gott, ich glaube,
Es ließe glücklich eine Subskription,
Beim ganzen Heer der Märker, sich eröffnen!
NATALIE nach einer Pause.
Warum nicht schickt ihr Offiziere ab,
Die das Geschäft im Lager hier betreiben?
GRAF REUSS.
Vergebt! – Dem weigerte der Obrist sich!
– Er wünsche, sprach er, nichts zu tun, das man
Mit einem übeln Namen taufen könnte.
NATALIE.
Der wunderliche Herr! Bald kühn, bald zaghaft! –
Zum Glück trug mir der Kurfürst, fällt mir ein,
Bedrängt von anderen Geschäften, auf,
An Kottwitz, dem die Stallung dort zu eng,
Zum Marsch hierher die Ordre zu erlassen! –
Ich setze gleich mich nieder es zu tun.
Sie setzt sich und schreibt.
GRAF REUSS.
Beim Himmel, trefflich, Fräulein! Ein Ereignis,
Das günst'ger sich dem Blatt nicht treffen könnte!
NATALIE während sie schreibt.
Gebraucht's Herr Graf von Reuß, so gut Ihr könnt.
Sie schließt, und siegelt, und steht wieder auf.
Inzwischen bleibt, versteht, dies Schreiben noch,
In Eurem Portefeuille; Ihr geht nicht eher
Damit nach Arnstein ab, und gebt's dem Kottwitz:
Bis ich bestimmtern Auftrag Euch erteilt!
Sie gibt ihm das Schreiben.
EIN HEIDUCK tritt auf.
Der Wagen, Fräulein, auf des Herrn Befehl,
Steht angeschirrt im Hof und wartet Euer!
NATALIE.
So fahrt ihn vor! Ich komme gleich herab!
Pause, in welcher sie gedankenvoll an den Tisch tritt, und ihre Handschuh anzieht.
Wollt Ihr zum Prinz von Homburg mich, Herr Graf,
Den ich zu sprechen willens bin, begleiten?
Euch steht ein Platz in meinem Wagen offen.
GRAF REUSS.
Mein Fräulein, diese Ehre, in der Tat –!
Er bietet ihr den Arm.
NATALIE zu den Hofdamen.
Folgt, meine Freundinnen! – Vielleicht daß ich
Gleich, dort des Briefes wegen, mich entscheide!
Alle ab.
Szene: Gefängnis des Prinzen.
Dritter Auftritt
Der Prinz von Homburg hängt seinen Hut an die Wand, und läßt sich nachlässig auf ein, auf der Erde ausgebreitetes Kissen nieder.
DER PRINZ VON HOMBURG.
Das Leben nennt der Derwisch eine Reise,
Und eine kurze. Freilich! Von zwei Spannen
Diesseits der Erde nach zwei Spannen drunter.
Ich will auf halbem Weg mich niederlassen!
Wer heut sein Haupt noch auf der Schulter trägt,
Hängt es schon morgen zitternd auf den Leib,
Und übermorgen liegt's bei seiner Ferse.
Zwar, eine Sonne, sagt man, scheint dort auch,
Und über buntre Felder noch, als hier:
Ich glaub's; nur schade, daß das Auge modert,
Das diese Herrlichkeit erblicken soll.
Vierter Auftritt
Prinzessin Natalie tritt auf, geführt von dem Rittmeister, Graf Reuß. Hofdamen folgen. Ihnen voran tritt ein Läufer mit einer Fackel. – Der Prinz von Homburg.
LÄUFER.
Durchlaucht, Prinzessin von Oranien!
DER PRINZ VON HOMBURG steht auf.
Natalie!
LÄUFER.
Hier ist sie selber schon.
NATALIE verbeugt sich gegen den Grafen.
Laßt uns auf einen Augenblick allein!
Graf Reuß und der Läufer ab.
DER PRINZ VON HOMBURG.
Mein teures Fräulein!
NATALIE.
Lieber, guter Vetter!
DER PRINZ VON HOMBURG führt sie vor.
Nun sagt, was bringt Ihr? Sprecht! Wie steht's mit mir?
NATALIE.
Gut. Alles gut. Wie ich vorher Euch sagte,
Begnadigt seid Ihr, frei; hier ist ein Brief,
Von seiner Hand, der es bekräftiget.
DER PRINZ VON HOMBURG.
Es ist nicht möglich! Nein! Es ist ein Traum!
NATALIE.
Lest, lest den Brief! So werdet Ihr's erfahren.
DER PRINZ VON HOMBURG liest.
»Mein Prinz von Homburg, als ich Euch gefangensetzte,
Um Eures Angriffs, allzufrüh vollbracht,
Da glaubt ich nichts, als meine Pflicht zu tun;
Auf Euren eignen Beifall rechnet ich.
Meint Ihr, ein Unrecht sei Euch widerfahren,
So bitt ich, sagt's mir mit zwei Worten –
Und gleich den Degen schick ich Euch zurück.«
Natalie erblaßt. Pause. Der Prinz sieht sie fragend an.
NATALIE mit dem Ausdruck plötzlicher Freude.
Nun denn, da steht's! Zwei Worte nur bedarf's –!
O lieber süßer Freund!
Sie drückt seine Hand.
DER PRINZ VON HOMBURG.
Mein teures Fräulein!
NATALIE.
O sel'ge Stunde, die mir aufgegangen! –
Hier, nehmt, hier ist die Feder; nehmt, und schreibt!
DER PRINZ VON HOMBURG.
Und hier die Unterschrift?
NATALIE.
Das F; sein Zeichen! –
O Bork! O freut euch doch! – O seine Milde
Ist uferlos, ich wußt es, wie die See. –
Schafft einen Stuhl nur her, er soll gleich schreiben.
DER PRINZ VON HOMBURG.
Er sagt, wenn ich der Meinung wäre –?
NATALIE unterbricht ihn.
Freilich!
Geschwind! Setzt Euch! Ich will es Euch diktieren.
Sie setzt ihm einen Stuhl hin.
DER PRINZ VON HOMBURG.
– Ich will den Brief noch einmal überlesen.
NATALIE reißt ihm den Brief aus der Hand.
Wozu? – Saht Ihr die Gruft nicht schon im Münster,
Mit offnem Rachen, Euch entgegengähn'n? –
Der Augenblick ist dringend. Sitzt und schreibt!
DER PRINZ VON HOMBURG lächelnd.
Wahrhaftig, tut Ihr doch, als würde sie
Mir, wie ein Panther, übern Nacken kommen.
Er setzt sich, und nimmt eine Feder.
NATALIE wendet sich und weint.
Schreibt, wenn Ihr mich nicht böse machen wollt!
Der Prinz klingelt einem Bedienten; der Bediente tritt auf.
DER PRINZ VON HOMBURG.
Papier und Feder, Wachs und Petschaft mir!
Der Bediente nachdem er diese Sachen zusammengesucht, geht wieder ab. Der Prinz schreibt. – Pause.
DER PRINZ VON HOMBURG indem er den Brief, den er angefangen hat, zerreißt und unter den Tisch wirft.
Ein dummer Anfang.
Er nimmt ein anderes Blatt.
NATALIE hebt den Brief auf.
Wie? Was sagtet Ihr? –
Mein Gott, das ist ja gut; das ist vortrefflich!
DER PRINZ VON HOMBURG in den Bart.
Pah! – Eines Schuftes Fassung, keines Prinzen.
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