Flammende Blitze durchkreuzten den schwülen Horizont, und das verdoppelte Echo gab die entfernten Donnerschläge zurück. Nach und nach fielen Tropfen; endlich strömte der Regen herab und trieb sie in die Klause. – Sie setzten sich an den Tisch, und Rosalie kredenzte den aufgetragenen Wein.
RINALDO Nun, Freund! da es sehr wahrscheinlich ist, daß wir uns jetzt zum letztenmal sprechen, so sage mir: Wo ist Aurelia?
DONATO Ich sage dir, bei Hand und Schwur, sie ist nicht mehr in dieser Gegend.
RINALDO Im Kloster?
DONATO Nein. – Ihr Vater hat sie mit sich genommen.
RINALDO Wer ist ihr Vater?
DONATO Mein Freund, der Mann, den du kennenlerntest, als du letzthin von mir gingst; der Malteser; der Prinz della Roccela.
RINALDO Ach! gewiß: Die Dame im Nonnenschleier ist Aureliens Mutter?
DONATO So ist es. – Sie ging nach der Geburt ihrer Tochter ins Kloster, denn – ihr Liebhaber, der Vater ihres Kindes, ist, wie du weißt, Malteser-Ritter. Der Prinz hat seine Tochter mit sich genommen und wird sie vermählen.
RINALDO Bist du mit ihm verwandt?
DONATO Ich bin sein Oheim
RINALDO Du bist? –
DONATO Ich bin ein verbannter Römer aus einem vornehmen Geschlecht, der dem verderblichen Nepotismus weichen mußte, dessen Anmaßungen er sich widersetzte.
RINALDO Kann ich dir gegen deine Feinde dienen? Willst du sie zur Rechenschaft gezogen sehen? Das Racheschwert lag schon oft in meiner Hand. Oft werden selbst Strafbare strafende Werkzeuge des Himmels.
DONATO Ich habe meinen Feinden verziehen und überlasse meine Rache dem Himmel selbst, ohne ihm vorzugreifen.
RINALDO Mein Anerbieten soll dich nicht beleidigen. – Brauchst du Geld?
DONATO Ich brauche keins. Du hast mich ohnehin neulich, ohne meine Erlaubnis, beschenkt. Wir trinken jetzt von dem Weine, den ich von dir erhielt.
Schweigend leerte Rinaldini sein Glas, und nach einer starken Pause fragte er mit beinahe wehmütiger Stimme:
»Wird Aurelia glücklich sein?«
DONATO Ich hoffe und glaube es. – Fürchtest du nichts, daß du dich so ganz allein in ein Land wagst, wo allenthalben deine Verräter lauern?
RINALDO Ich bin nie ohne Bedeckung, wenn sie auch nicht um mich ist.
DONATO Du bist ein gefürchteter Mensch!
RINALDO Und fürchte mich nur vor mir selbst.
DONATO So ringst du mit einem sehr mächtigen Feinde, den du nie besiegen wirst.
Mit Tagesanbruch verließ Rinaldo seinen Wirt, ließ ihm eine Sicherheitskarte zurück und suchte einen Platz, auf welchem er Geld vergraben hatte, das er auch glücklich wiederfand, und eben war er im Begriff, sein Pferd zu besteigen, als er einen Kapuziner auf sich zukommen sah, den er bald erkannte. Es war Amadeo, der in dieser Verkappung umherschlich und seine Kameraden suchte. Sie bewillkommneten sich beide und hatten sich viel zu erzählen.
Während eines guten Frühstücks, dessen der Pseudo-Kapuziner gar sehr bedurfte, schrieb Rinaldo einen Brief an seine Leute, den er durch Amadeo an Altaverde sendete. Er schrieb:
»Die Umstände zwingen mich weiterzugehen, und ich werde euch so bald nicht wiedersehen können. Wird euch euer jetziger Aufenthalt lästig oder unsicher, so geht in die Apenninen zurück, wo ihr jetzt wieder ruhig sein könnt. Vermehrt die Truppe und seid vorsichtig! Ich bin auf dem Wege, einen großen Streich auszuführen. Vor allen Dingen empfehle ich euch Einigkeit und die gänzliche Vernichtung der Batistellischen Bande.«
Mit dieser Depesche ging Amadeo den bezeichneten Weg zu seinen Kameraden, und Rinaldo schlug die Straße über Benedetto nach Sarsina ein, um nach Cesena zu gehen. Unterwegs traf er auf Nikolo und Sebastiano, die aus den Basinischen Waldungen mit gutem Glück entkommen waren und die Grenze erreicht hatten. Nikolo erhielt von ihm Weisung, seine Gesellen zu finden, und Sebastiano blieb als Kutscher bei ihm. Denn zu Sarsina kaufte er sich vier Zugmaultiere und einen Wagen, weil die Last seines Gepäcks durch seine aufgegrabenen und glücklich gefundenen Schätze immer stärker wurde. Rosalie saß bei ihm in dem Wagen. Er reiste als Graf Dalbrogo weiter.
Zu Cesena fand er einen Bänkelsänger, der Rinaldinis Taten auf einem offenen Platze unter einer bemalten Leinwandtafel absang. Das um ihn herum versammelte Volk hörte diesem Manne mit großer Aufmerksamkeit zu, und Rinaldo drängte sich in den Kreis, zu hören, was man von ihm sang. Eben sang der Bänkelsänger folgende Stanzen:
Da lag er hart verwundet
Und seufzte jämmerlich:
»Ach, wer erbarmt sich meiner?
Wer kommt und rettet mich?
Sind alle meine Leute
So schnell davon geflohn?
Ach, wär' doch hier ein Priester!
Die Zunge stammelt schon.
Er möge meiner Sünden,
Und meiner bangen Qual,
Mich väterlich entbinden,
Und trösten überall!«
Hier zog der Bänkelsänger den Hut vom Kopfe und schrie: »Laßt uns, o laßt uns, meine Christen, ein Vaterunser beten für den armen beichtenden Rinaldini!«
Alle zogen die Hüte ab und falteten die Hände. Rinaldo tat, um nicht aufzufallen, was die andern taten, und betete für sich selbst. Hierauf warf der Bänkelsänger den Hut unter die Zuhörer und schrie ihnen zu:
»Mai! e io sono un povero Christiano! Selig sind, die da geben!« Einer hob den Hut auf, und es regnete Kupfermünzen in denselben. Rinaldo warf Silbergeld hinein, das zog ihm von einem Nachbarn ein
»Bravo Christiano!«
zu. – Als der Hut wieder zu seinem Herrn kam, strich dieser das Geld zusammen, steckte es zu sich, setzte den Hut auf und sang fort:
So seufzte Rinaldini
Und sprach im großen Schmerz:
»Ach! brich doch mein getreues,
Zu viel beschwertes Herz!«
Er sprach: »Ach! Jungfrau reine,
Du unbefleckte Magd!
Dich bitt' ich um Erbarmen,
Dir sei mein Leid geklagt.
Erbarme dich des Sünders
Und nimm ihn zu dir auf!«
Drauf gab er mit Verzücken,
Sein böses Leben auf.
Erlös uns, Herr, vom Übel,
Und nimm dich unsrer an,
Damit wir nie betreten
Des Lasters breite Bahn!
Die Zuhörer waren alle erbaut und gerührt, nur Rinaldo nicht, und gingen auseinander. Der Bänkelsänger aber packte seine Herrlichkeiten zusammen und zog auf einen andern Platz, seine Romanze zu wiederholen. Viele folgten ihm nach, die Geschichte noch einmal zu hören.
Rinaldo aber wendete sich zu seinem Nachbarn, der eine Art von Stadtviertelsmeister oder so etwas zu sein schien, und fragte:
»Also ist der Erzräuber Rinaldini wirklich tot?«
»Ja!« – erwiderte dieser – »Gott sei seiner belasteten Seele gnädig! Er ist wirklich tot und geblieben in einem Gefechte gegen die Toscanische Miliz.
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