Aber was ihr hört, auch nicht mit Mienen

Antwortet ihr, viel weniger mit Worten.

DER GREIS.

Mensch, du bist fürchterlich. Was ist geschehn?

DER NORMANN laut zu dem Volk, das ihn beobachtet.

Nun, wie auch steht's? Der Herzog kommt, ihr Freunde?

EINER aus dem Haufen.

Ja, wir erhoffen's.

EIN ANDRER.

Die Kaiserin will ihn rufen.

DER NORMANN geheimnisvoll, indem er die beiden Männer vorführt.

Da ich die Wache heut um Mitternacht,

Am Eingang hier des Guiskardszeltes halte,

Fängt's plötzlich jammervoll zu stöhnen drin,

Zu ächzen an, als haucht' ein kranker Löwe

Die Seele von sich. Drauf sogleich beginnt

Ein ängstlich heftig Treiben, selber wecket

Die Herzogin sich einen Knecht, der schnell

Die Kerzenstöcke zündet, dann hinaus

Stürzt aus dem Zelt. Nun auf sein Rufen schießt

Die ganze Sippschaft wildverstört herbei:

Die Kaiserin, im Nachtgewand, die beiden

Reichsprinzen an der Hand; des Herzogs Neffe,

In einen Mantel flüchtig eingehüllt;

Der Sohn, im bloßen Hemde fast, zuletzt –

Der Knecht, mit einem eingemummten Dinge, das,

Auf meine Frag, sich einen Ritter nennt.

Nun zieht mir Weiberröcke an, so gleich

Ich einer Jungfrau ebenso, und mehr;

Denn alles, Mantel, Stiefeln, Pickelhaube,

Hing an dem Kerl, wie an dem Nagelstift.

Drauf faß ich, schon von Ahndungen beklemmt,

Beim Ärmel ihn, dreh ihm das Angesicht

Ins Mondenlicht, und nun erkenn ich – wen?

Des Herzogs Leibarzt, den Jeronimus.

DER GREIS.

Den Leibarzt, was!

DER ERSTE KRIEGER.

Ihr Ewigen!

DER GREIS.

Und nun

Meinst du, er sei unpäßlich, krank vielleicht –?

DER ERSTE KRIEGER.

Krank? Angesteckt –!

DER GREIS indem er ihm den Mund zuhält.

Daß du verstummen müßtest!

DER NORMANN nach einer Pause voll Schrecken.

Ich sagt es nicht. Ich geb's euch, zu erwägen.

 

Robert und Abälard lassen sich, miteinander sprechend, im Eingang des Zeltes sehn.

 

DER ERSTE KRIEGER.

Das Zelt geht auf! Die beiden Prinzen kommen!

 

 

Sechster Auftritt

Robert und Abälard treten auf. Die Vorigen.

 

ROBERT bis an den Rand des Hügels vorschreitend.

Wer an der Spitze stehet dieser Schar,

Als Wortesführer, trete vor.

DER GREIS.

– Ich bin's.

ROBERT.

Du bist's! – Dein Geist ist jünger, als dein Haupt,

Und deine ganze Weisheit steckt im Haar!

Dein Alter steht, du Hundertjähr'ger, vor dir,

Du würdest sonst nicht ohne Züchtigung,

Hinweg von deines Prinzen Antlitz gehn.

Denn eine Jünglingstat hast du getan,

Und scheinst, fürwahr! der wackre Hausfreund nicht,

Der einst die Wiege Guiskards hütete,

Wenn du als Führer dieser Schar dich beutst,

Die mit gezückten Waffen hellen Aufruhrs,

Wie mir die Schwester sagt, durchs Lager schweift,

Und mit lautdonnernden Verwünschungen,

Die aus dem Schlaf der Gruft ihn schrecken könnten,

Aus seinem Zelt hervor den Feldherrn fordert.

Ist's wahr? Was denk ich? Was beschließ ich? – Sprich?

DER GREIS.

Wahr ist's, daß wir den Feldherrn forderten;

Doch daß wir's donnernd, mit Verwünschungen,

Getan, hat dir die Schwester nicht gesagt,

Die gegen uns, solang ich denken kann,

Wohlwollend war und wahrhaft gegen dich!

In meinem Alter wüßtest du es nicht,

Wie man den Feldherrn ehrt, wohl aber ich

Gewiß in deinem, was ein Krieger sei.

Geh hin zu deinem Vater, und horch auf,

Wenn du willst wissen, wie man mit mir spricht;

Und ich, vergäß ich redend ja, was ich

Dir schuldig, will danach schamrot bei meinen

Urenkeln mich erkundigen: denn die

In Windeln haben sie's von mir gelernt.

Mit Demut haben wir, wie's längst, o Herr!

Im Heer des Normanns Brauch und Sitte war,

Gefleht, daß Guiskard uns erscheinen möge;

Und nicht das erstemal wär's, wenn er uns

In Huld es zugestände, aber, traun!

Wenn er's uns, so wie du, verweigerte.

ROBERT.

Ich höre dich, du grauer Tor, bestät'gen,

Was deine Rede widerlegen soll.

Denn eines Buben Keckheit würde nicht

Verwegner, als dein ungebändigtes

Gemüt sich zeigen. Lernen mußt du's doch

Noch, was gehorchen sei, und daß ich es

Dich lehren kann, das höre gleich. Du hättest

Auf meine Rüge, ohne Widerrede,

Die Schar sogleich vom Platze führen sollen;

Das war die Antwort einzig, die dir ziemte;

Und wenn ich jetzt befehle, daß du gehst,

So tust du's, hoff ich, nach der eignen Lehre,

Tust's augenblicklich, lautlos, tust es gleich!

ABÄLARD.

Mit Zürnen seh ich dich und mit Befehlen,

Freigebiger, als es dein Vater lehrt;

Und unbefremdet bin ich, nimmt die Schar

Kalt deine heißen Schmähungsworte auf;

Denn dem Geräusch des Tags vergleich ich sie,

Das keiner hört, weil's stets sich hören läßt.

Noch, find ich, ist nichts Tadelnswürdiges

Sogar geschehn, bis auf den Augenblick!

Daß kühn die Rede dieses Greises war,

Und daß sie stolz war, steht nicht übel ihm,

Denn zwei Geschlechter haben ihn geehrt,

Und eine Spanne von der Gruft soll nicht

Des dritten einer ihn beleidigen.

Wär mein das kecke Volk, das dir mißfällt,

Ich möcht es anders wahrlich nicht, als keck;

Denn seine Freiheit ist des Normanns Weib,

Und heilig wäre mir das Ehepaar,

Das mir den Ruhm im Bette zeugt der Schlacht.

Das weiß der Guiskard wohl, und mag es gern

Wenn ihm der Krieger in den Mähnen spielt;

Allein der glatte Nacken seines Sohnes

Der schüttelt gleich sich, wenn ihm eins nur naht.

Meinst du, es könne dir die Normannskrone

Nicht fehlen, daß du dich so trotzig zeigst?

Durch Liebe, hör es, mußt du sie erwerben,

Das Recht gibt sie dir nicht, die Liebe kann's!

Allein von Guiskard ruht kein Funk auf dir,

Und diesen Namen1 mindstens erbst du nicht;

Denn in der Stunde, da es eben gilt,

Schlägst du sie schnöd ins Angesicht, die jetzt

Dich auf des Ruhmes Gipfel heben könnten.

Doch ganz verlassen ist, wie du wohl wähnst,

Das Normannsheer, ganz ohne Freund, noch nicht,

Und bist du's nicht, wohlan, ich bin es gern.

Zu hören, was der Flehende begehrt,

Ist leicht, Erhörung nicht, das Hören ist's:

Und wenn dein Feldherrnwort die Schar vertreibt,

Meins will, daß sie noch bleib! – Ihr hört's, ihr Männer!

Ich will vor Guiskard es verantworten.

ROBERT mit Bedeutung, halblaut.

Dich jetzt erkenn ich, und ich danke dir,

Als meinen bösen Geist! – Doch ganz gewonnen,

Ist, wie geschickt du's führst, noch nicht dein Spiel.

– Willst du ein Beispiel sehn, wie sicher meins,

Die Karten mögen liegen, wie sie wollen?

ABÄLARD.

Was willst du?

ROBERT.

Nun, merk nur auf. Du sollst's gleich fassen.

 

Er wendet sich zum Volk.

 

Ihr Guiskardssöhne, die mein Wort vertreibt,

Und seines schmeichlerisch hier fesseln soll,

Euch selber ruf ich mir zu Richtern auf!

Entscheiden sollt ihr zwischen mir und ihm,

Und übertreten ein Gebot von zwein.

Und keinen Laut mehr feig setz ich hinzu:

Des Herrschers Sohn, durch Gottes Gunst, bin ich,

Ein Prinz der, von dem Zufall großgezogen:

Das Unerhörte will ich bloß erprüfen,

Erprüfen, ob sein Wort gewichtiger

In eurer Seelen Waage fällt, als meins!

ABÄLARD.

Des Herrschers Sohn? – Der bin ich so wie du!

Mein Vater saß vor deinem auf dem Thron!

Er tat's mit seinem Ruhm, tat's mit mehr Recht:

Und näher noch verwandt ist mir das Volk,

Mir, Ottos Sohn, gekrönt vom Erbgesetz,

Als dir – dem Sohne meines Vormunds bloß,

Bestimmt von dem, mein Reich nur zu verwalten! –2

Und nun, wie du's begehrt, so ist's mir recht.

Entscheidet, Männer, zwischen mir und ihm.

Auf mein Geheiß zu bleiben, steht euch frei,

Und wollt ihr, sprecht, als wär ich Otto selbst.

DER GREIS.

Du zeigst, o Herr, dich deines Vaters wert,

Und jauchzen wahrlich, in der Todesstunde,

Würd einst dein Oheim, unser hoher Fürst,

Wär ihm ein Sohn geworden, so wie du.

Dein Anblick, sieh, verjüngt mich wunderbar;

Denn in Gestalt und Red und Art dir gleich,

Wie du, ein Freund des Volks, jetzt vor uns stehst,

Stand Guiskard einst, als Otto hingegangen,

Des Volkes Abgott, herrlich vor uns da!

Nun jeder Segen schütte, der in Wolken

Die Tugenden umschwebt, sich auf dich nieder,

Und ziehe deines Glückes Pflanze groß!

Die Gunst des Oheims, laß sie, deine Sonne,

Nur immer, wie bis heute, dich bestrahlen:

Das, was der Grund vermag, auf dem sie steht,

Das zweifle nicht, o Herr, das wird geschehn! –

Doch eines Düngers, mißlichen Geschlechts,

Bedarf es nicht, vergib, um sie zu treiben;

Der Acker, wenn es sein kann, bleibe rein.

In manchem andern Wettstreit siegest du,

In diesem einen, Herr, stehst du ihm nach;

Und weil dein Feldherrnwort erlaubend bloß,

Gebietend seins, so gibst du uns wohl zu,

Daß wir dem dringenderen hier gehorchen.

 

Zu Robert, kalt.

 

Wenn du befiehlst zu gehn, wir trotzen nicht.

Du bist der Guiskardssohn, das ist genug!

Sag, ob wir wiederkommen dürfen, sag

Uns wann, so führ ich diese Schar zurück.

ROBERT seine Verlegenheit verbergend.

Kehrt morgen wieder. – Oder heut, ihr Freunde.

Vielleicht zu Mittag, wenn's die Zeit erlaubt. – –

– Ganz recht. So geht's. Ein ernst Geschäft hält eben

Den Guiskard nur auf eine Stunde fest;

Will er euch sprechen, wenn es abgetan,

Wohlan, so komm ich selbst, und ruf euch her.

ABÄLARD.

Tust du doch mit dem Heer, als wär's ein Weib,

Ein schwangeres, das niemand schrecken darf!

Warum hehlst du die Wahrheit? Fürchtest du

Die Niederkunft? – –

 

Zum Volk gewandt.

 

Der Guiskard fühlt sich krank.

DER GREIS erschrocken.

Beim großen Gott des Himmels und der Erde,

Hat er die Pest?

ABÄLARD.

Das nicht. Das fürcht ich nicht. –

Obschon der Arzt Besorgnis äußert: ja.

ROBERT.

Daß dir ein Wetterstrahl aus heitrer Luft

Die Zunge lähmte, du Verräter, du!

 

Ab ins Zelt.

 

 

Siebenter Auftritt

Die Vorigen ohne Robert.

 

EINE STIMME aus dem Volk.

Ihr Himmelsscharen, ihr geflügelten,

So steht uns bei!

EINE ANDERE.

Verloren ist das Volk!

EINE DRITTE.

Verloren ohne Guiskard rettungslos!

EINE VIERTE.

Verloren rettungslos!

EINE FÜNFTE.

Errettungslos,

In diesem meerumgebnen Griechenland! –

DER GREIS zu Abälard, mit erhobenen Händen.

Nein, sprich! Ist's wahr? – – Du Bote des Verderbens!

Hat ihn die Seuche wirklich angesteckt? –

ABÄLARD von dem Hügel herabsteigend.

Ich sagt es euch, gewiß ist es noch nicht.

Denn weil's kein andres sichres Zeichen gibt,

Als nur den schnellen Tod, so leugnet er's,

Ihr kennt ihn, wird's im Tode leugnen noch.

Jedoch dem Arzt, der Mutter ist's, der Tochter,

Dem Sohne selbst, ihr seht's, unzweifelhaft –

DER GREIS.

Fühlt er sich kraftlos, Herr? Das ist ein Zeichen.

DER ERSTE KRIEGER.

Fühlt er sein Innerstes erhitzt?

DER ZWEITE.

Und Durst?

DER GREIS.

Fühlt er sich kraftlos? Das erled'ge erst.

ABÄLARD.

– Noch eben, da er auf dem Teppich lag,

Trat ich zu ihm und sprach: Wie geht's dir, Guiskard?

Drauf er: »Ei nun«, erwidert' er, »erträglich! –

Obschon ich die Giganten rufen möchte,

Um diese kleine Hand hier zu bewegen.«

Er sprach: »Dem Ätna wedelst du, laß sein!«

Als ihm von fern, mit einer Reiherfeder,

Die Herzogin den Busen fächelte;

Und als die Kaiserin, mit feuchtem Blick,

Ihm einen Becher brachte, und ihn fragte,

Ob er auch trinken woll? antwortet' er:

»Die Dardanellen, liebes Kind!« und trank.

DER GREIS.

Es ist entsetzlich!

ABÄLARD.

Doch das hindert nicht,

Daß er nicht stets nach jener Kaiserzinne,

Die dort erglänzt, wie ein gekrümmter Tiger,

Aus seinem offnen Zelt hinüberschaut.

Man sieht ihn still, die Karte in der Hand,

Entschlüss' im Busen wälzen, ungeheure,

Als ob er heut das Leben erst beträte.

Nessus und Loxias, den Griechenfürsten,

– Gesonnen längst, ihr wißt, auf einen Punkt,

Die Schlüssel heimlich ihm zu überliefern,

– Auf einen Punkt, sag ich, von ihm bis heut

Mit würdiger Hartnäckigkeit verweigert –

Heut einen Boten sandt er ihnen zu,

Mit einer Schrift, die diesen Punkt3 bewilligt.

Kurz, wenn die Nacht ihn lebend trifft, ihr Männer,

Das Rasende, ihr sollt es sehn, vollstreckt sich,

Und einen Hauptsturm ordnet er noch an;

Den Sohn schon fragt' er, den die Aussicht reizt,

Was er von solcher Unternehmung halte?

DER GREIS.

O möcht er doch!

DER ERSTE KRIEGER.

O könnten wir ihm folgen!

DER ZWEITE KRIEGER.

O führt' er lang uns noch, der teure Held,

In Kampf und Sieg und Tod!

ABÄLARD.

Das sag ich auch!

Doch eh wird Guiskards Stiefel rücken vor

Byzanz, eh wird an ihre ehrnen Tore

Sein Handschuh klopfen, eh die stolze Zinne

Vor seinem bloßen Hemde sich verneigen,

Als dieser Sohn, wenn Guiskard fehlt, die Krone

Alexius, dem Rebellen dort, entreißen!

 

 

Achter Auftritt

Robert aus dem Zelt zurück. Die Vorigen.

 

ROBERT.

Normänner, hört's. Es hat der Guiskard sein

Geschäft beendigt, gleich erscheint er jetzt!

ABÄLARD erschrocken.

Erscheint? Unmöglich ist's!

ROBERT.

Dir, Heuchlerherz,

Deck ich den Schleier jetzt von der Mißgestalt!

 

Wieder ab ins Zelt.

 

 

Neunter Auftritt

Die vorigen ohne Robert.

 

DER GREIS.

O Abälard! O was hast du getan?

ABÄLARD mit einer fliegenden Blässe.

Die Wahrheit sagt ich euch, und dieses Haupt

Verpfänd ich kühn der Rache, täuscht ich euch!

Als ich das Zelt verließ, lag hingestreckt

Der Guiskard, und nicht eines Gliedes schien

Er mächtig. Doch sein Geist bezwingt sich selbst

Und das Geschick, nichts Neues sag ich euch!

EIN KNABE halb auf den Hügel gestiegen.

Seht her, seht her! Sie öffnen schon das Zelt!

DER GREIS.

O du geliebter Knabe, siehst du ihn?

Sprich, siehst du ihn?

DER KNABE.

Wohl, Vater, seh ich ihn!

Frei in des Zeltes Mitte seh ich ihn!

Der hohen Brust legt er den Panzer um!

Dem breiten Schulternpaar das Gnadenkettlein!

Dem weitgewölbten Haupt drückt er, mit Kraft,

Den mächtig-wankend-hohen Helmbusch auf!

Jetzt seht, o seht doch her! – Da ist er selbst!

 

 

Zehnter Auftritt

Guiskard tritt auf. Die Herzogin, Helena, Robert, Gefolge hinter ihm. Die Vorigen.

 

DAS VOLK jubelnd.

Triumph! Er ist's! Der Guiskard ist's! Leb hoch!

 

Einige Mützen fliegen in die Höhe.

 

DER GREIS noch während des Jubelgeschreis.

O Guiskard! Wir begrüßen dich, o Fürst!

Als stiegst du uns von Himmelshöhen nieder!

Denn in den Sternen glaubten wir dich schon – –!

GUISKARD mit erhobener Hand.

Wo ist der Prinz, mein Neffe?

 

Allgemeines Stillschweigen.

 

Tritt hinter mich.

 

Der Prinz, der sich unter das Volk gemischt hatte, steigt auf den Hügel, und stellt sich hinter Guiskard, während dieser ihn unverwandt mit den Augen verfolgt.

 

Hier bleibst du stehn, und lautlos. – Du verstehst mich?

– Ich sprech nachher ein eignes Wort mit dir.

 

Er wendet sich zum Greise.

 

Du führst, Armin, das Wort für diese Schar?

DER GREIS.

Ich führ's, mein Feldherr!

GUISKARD zum Ausschuß.

Seht, als ich das hörte,

Hat's lebhaft mich im Zelt bestürzt, ihr Leute!

Denn nicht die schlechtsten Männer seh ich vor mir,

Und nichts Bedeutungsloses bringt ihr mir,

Und nicht von einem Dritten mag ich's hören,

Was euch so dringend mir vors Antlitz führt. –

Tu's schnell, du alter Knabe, tu mir's kund!

Ist's eine neue Not? Ist es ein Wunsch?

Und womit helf ich? Oder tröst ich? Sprich!

DER GREIS.

Ein Wunsch, mein hoher Herzog, führt uns her. –

Jedoch nicht ihm gehört, wie du wohl wähnst,

Der Ungestüm, mit dem wir dein begehrt,

Und sehr beschämen würd uns deine Milde;

Wenn du das glauben könntest von der Schar.

Der Jubel, als du aus dem Zelte tratst,

Von ganz was anderm, glaub es, rührt er her:

Nicht von der Lust bloß, selbst dich zu erblicken;

Ach, von dem Wahn, du Angebeteter!

Wir würden nie dein Antlitz wiedersehn;

Von nichts Geringerm, als dem rasenden

Gerücht, daß ich's nur ganz dir anvertraue,

Du, Guiskard, seist vom Pesthauch angeweht –!

GUISKARD lachend.

Vom Pesthauch angeweht! Ihr seid wohl toll, ihr!

Ob ich wie einer ausseh, der die Pest hat?

Der ich in Lebensfüll hier vor euch stehe?

Der seiner Glieder jegliches beherrscht?

Des reine Stimme aus der freien Brust,

Gleich dem Geläut der Glocken, euch umhallt?

Das läßt der Angesteckte bleiben, das!

Ihr wollt mich, traun! mich Blühenden, doch nicht

Hinschleppen zu den Faulenden aufs Feld?

Ei, was zum Henker, nein! Ich wehre mich –

Im Lager hier kriegt ihr mich nicht ins Grab:

In Stambul halt ich still, und eher nicht!

DER GREIS.

O du geliebter Fürst! Dein heitres Wort

Gibt uns ein aufgegebnes Leben wieder!

Wenn keine Gruft doch wäre, die dich deckte!

Wärst du unsterblich doch, o Herr! unsterblich,

Unsterblich, wie es deine Taten sind!

GUISKARD.

– Zwar trifft sich's seltsam just, an diesem Tage,

Daß ich so lebhaft mich nicht fühl, als sonst:

Doch nicht unpäßlich möcht ich nennen das,

Viel wen'ger pestkrank! Denn was weiter ist's,

Als nur ein Mißbehagen, nach der Qual

Der letzten Tage, um mein armes Heer.

DER GREIS.

So sagst du –?

GUISKARD ihn unterbrechend.

's ist der Red nicht wert, sag ich!

Hier diesem alten Scheitel, wißt ihr selbst,

Hat seiner Haare keins noch weh getan!

Mein Leib ward jeder Krankheit mächtig noch.

Und wär's die Pest auch, so versichr' ich euch:

An diesen Knochen nagt sie selbst sich krank!

DER GREIS.

Wenn du doch mindestens von heute an,

Die Kranken unsrer Sorge lassen wolltest!

Nicht einer ist, o Guiskard, unter ihnen,

Der hülflos nicht, verworfen lieber läge,

Jedwedem Übel sterbend ausgesetzt,

Als daß er Hülf, von dir, du Einziger,

Du Ewig-Unersetzlicher, empfinge,

In immer reger Furcht, den gräßlichsten

Der Tode dir zum Lohne hinzugeben.

GUISKARD.

Ich hab's, ihr Leut, euch schon so oft gesagt,

Seit wann denn gilt mein Guiskardswort nicht mehr?

Kein Leichtsinn ist's, wenn ich Berührung nicht

Der Kranken scheue, und kein Ohngefähr,

Wenn's ungestraft geschieht. Es hat damit

Sein eigenes Bewenden – kurz, zum Schluß:

Furcht meinetwegen spart! –

Zur Sache jetzt!

Was bringst du mir? sag an! Sei kurz und bündig;

Geschäfte rufen mich ins Zelt zurück.

DER GREIS nach einer kurzen Pause.

Du weißt's, o Herr! du fühlst es so, wie wir –

Ach, auf wem ruht die Not so schwer, als dir?

In dem entscheidenden Moment, da schon – –

 

Guiskard sieht sich um, der Greis stockt.

 

DIE HERZOGIN leise.

Willst du –?

ROBERT.

Begehrst du –?

ABÄLARD.

Fehlt dir?

DIE HERZOGIN.

Gott im Himmel!

ABÄLARD.

Was ist?

ROBERT.

Was hast du?

DIE HERZOGIN.

Guiskard! Sprich ein Wort!

 

Die Kaiserin zieht eine große Heerpauke herbei und schiebt sie hinter ihn.

 

GUISKARD indem er sich sanft niederläßt, halblaut.

Mein liebes Kind! –

Was also gibt's Armin?

Bring deine Sache vor, und laß es frei

Hinströmen, bange Worte lieb ich nicht!

 

Der Greis sieht gedankenvoll vor sich nieder.

 

EINE STIMME aus dem Volk.

Nun, was auch säumt er?

EINE ANDERE.

Alter, du! So sprich.

DER GREIS gesammelt.

Du weißt's, o Herr – und wem ist's so bekannt?

Und auf wem ruht des Schicksals Hand so schwer?

Auf deinem Fluge rasch, die Brust voll Flammen,

Ins Bett der Braut, der du die Arme schon

Entgegenstreckst zu dem Vermählungsfest,

Tritt, o du Bräutigam der Siegesgöttin,

Die Seuche grauenvoll dir in den Weg –!

Zwar du bist, wie du sagst, noch unberührt;

Jedoch dein Volk ist, deiner Lenden Mark,

Vergiftet, keiner Taten fähig mehr,

Und täglich, wie vor Sturmwind Tannen, sinken

Die Häupter deiner Treuen in den Staub.

Der Hingestreckt' ist's auferstehungslos,

Und wo er hinsank, sank er in sein Grab.

Er sträubt, und wieder, mit unsäglicher

Anstrengung sich empor: es ist umsonst!

Die giftgeätzten Knochen brechen ihm,

Und wieder nieder sinkt er in sein Grab.

Ja, in des Sinns entsetzlicher Verwirrung,

Die ihn zuletzt befällt, sieht man ihn scheußlich

Die Zähne gegen Gott und Menschen fletschen,

Dem Freund, dem Bruder, Vater, Mutter, Kindern,

Der Braut selbst, die ihm naht, entgegenwütend.

DIE HERZOGIN indem sie an der Tochter Brust niedersinkt.

O Himmel!

HELENA.

Meine vielgeliebte Mutter!

GUISKARD sich langsam umsehend.

Was fehlet ihr?

HELENA zögernd.

Es scheint –

GUISKARD.

Bringt sie ins Zelt!

 

Helena führt die Herzogin ab.

 

DER GREIS.

Und weil du denn die kurzen Worte liebst:

O führ uns fort aus diesem Jammertal!

Du Retter in der Not, der du so manchem

Schon halfst, versage deinem ganzen Heere

Den einz'gen Trank nicht, der ihm Heilung bringt,

Versag uns nicht Italiens Himmelslüfte,

Führ uns zurück, zurück, ins Vaterland!

 

Fußnoten

 

1 Guiskard heißt Schlaukopf; ein Zuname, den die Normänner dem Herzog gaben.

 

2 Wilhelm von der Normandie, Stifter des Normännerstaats in Italien, hatte drei Brüder, die einander, in Ermangelung der Kinder, rechtmäßig in der Regierung folgten. Abälard, der Sohn des dritten, ein Kind, als derselbe starb, hätte nun zum Regenten ausgerufen werden sollen; doch Guiskard, der vierte Bruder, von dem dritten zum Vormund eingesetzt – sei es, weil die Folgereihe der Brüder für ihn sprach, sei es, weil das Volk ihn sehr liebte, ward gekrönt, und die Mittel, die angewendet wurden, dies zu bewerkstelligen, vergessen. – Kurz, Guiskard war seit dreißig Jahren als Herzog, und Robert, als Thronerbe, anerkannt. – Diese Umstände liegen wenigstens hier zum Grunde.

 

3 Dieser Punkt war (wie sich in der Folge ausgewiesen haben würde) die Forderung der Verräter in Konstantinopel: daß nicht die, von dem Alexius Komnenes vertriebene, Kaiserin von Griechenland, im Namen ihrer Kinder, sondern Guiskard selbst, die Krone ergreifen solle.

 

 

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