Romanzero
Heine, Heinrich
Romanzero
Heinrich Heine
Romanzero
Erstes Buch
Historien
Wenn man an dir Verrat geübt,
Sei du um so treuer;
Und ist deine Seele zu Tode betrübt,
So greife zur Leier.
Die Saiten klingen! Ein Heldenlied,
Voll Flammen und Gluten!
Da schmilzt der Zorn, und dein Gemüt
Wird süß verbluten.
Rhampsenit
Als der König Rhampsenit
Eintrat in die goldne Halle
Seiner Tochter, lachte diese,
Lachten ihre Zofen alle.
Auch die Schwarzen, die Eunuchen,
Stimmten lachend ein, es lachten
Selbst die Mumien, selbst die Sphinxe,
Daß sie schier zu bersten dachten.
Die Prinzessin sprach: »Ich glaubte
Schon, den Schatzdieb zu erfassen,
Der hat aber einen toten
Arm in meiner Hand gelassen.
Jetzt begreif ich, wie der Schatzdieb
Dringt in deine Schatzhauskammern,
Und die Schätze dir entwendet,
Trotz den Schlössern, Riegeln, Klammern.
Einen Zauberschlüssel hat er,
Der erschließet allerorten
Jede Türe, widerstehen
Können nicht die stärksten Pforten.
Ich bin keine starke Pforte,
Und ich hab nicht widerstanden,
Schätzehütend diese Nacht
Kam ein Schätzlein mir abhanden.«
So sprach lachend die Prinzessin,
Und sie tänzelt im Gemache,
Und die Zofen und Eunuchen
Hoben wieder ihre Lache.
An demselben Tag ganz Memphis
Lachte, selbst die Krokodile
Reckten lachend ihre Häupter
Aus dem schlammig gelben Nile,
Als sie Trommelschlag vernahmen
Und sie hörten an dem Ufer
Folgendes Reskript verlesen
Von dem Kanzeleiausrufer:
»Rhampsenit, von Gottes Gnaden
König zu und in Ägypten,
Wir entbieten Gruß und Freundschaft
Unsern Vielgetreun und Liebden.
In der Nacht vom dritten zu dem
Vierten Junius des Jahres
Dreizehnhundertvierundzwanzig
Vor Christi Geburt, da war es,
Daß ein Dieb aus unserm Schatzhaus
Eine Menge von Juwelen
Uns entwendet; es gelang ihm,
Uns auch später zu bestehlen.
Zur Ermittelung des Täters
Ließen schlafen wir die Tochter
Bei den Schätzen – doch auch jene
Zu bestehlen schlau vermocht er.
Um zu steuern solchem Diebstahl
Und zu gleicher Zeit dem Diebe
Unsre Sympathie zu zeigen,
Unsre Ehrfurcht, unsre Liebe,
Wollen wir ihm zur Gemahlin
Unsre einz'ge Tochter geben
Und ihn auch als Thronnachfolger
In den Fürstenstand erheben.
Sintemal uns die Adresse
Unsres Eidams noch zur Stunde
Unbekannt, soll dies Reskript ihm
Bringen Unsrer Gnade Kunde.
So geschehn den dritten Jänner
Dreizehnhundertzwanzigsechs
Vor Christi Geburt. – Signieret
Von Uns: Rhampsenitus Rex.«
Rhampsenit hat Wort gehalten,
Nahm den Dieb zum Schwiegersohne,
Und nach seinem Tode erbte
Auch der Dieb Ägyptens Krone.
Er regierte wie die andern,
Schützte Handel und Talente;
Wenig, heißt es, ward gestohlen
Unter seinem Regimente.
Der weiße Elefant
Der König von Siam, Mahawasant,
Beherrscht das halbe Indienland,
Zwölf Kön'ge, der große Mogul sogar,
Sind seinem Zepter tributar.
Alljährlich mit Trommeln, Posaunen und Fahnen
Ziehen nach Siam die Zinskarawanen;
Viel tausend Kamele, hochberuckte,
Schleppen die kostbarsten Landesprodukte.
Sieht er die schwerbepackten Kamele,
So schmunzelt heimlich des Königs Seele;
Öffentlich freilich pflegt er zu jammern,
Es fehle an Raum in seinen Schatzkammern.
Doch diese Schatzkammern sind so weit,
So groß und voller Herrlichkeit;
Hier überflügelt der Wirklichkeit Pracht
Die Märchen von Tausendundeine Nacht.
»Die Burg des Indra« heißt die Halle,
Wo aufgestellt die Götter alle,
Bildsäulen von Gold, fein ziselieret,
Mit Edelsteinen inkrustieret.
Sind an der Zahl wohl dreißigtausend,
Figuren abenteuerlich grausend,
Mischlinge von Menschen- und Tiergeschöpfen,
Mit vielen Händen und vielen Köpfen.
Im »Purpursaale« sieht man verwundert
Korallenbäume dreizehnhundert,
Wie Palmen groß, seltsamer Gestalt,
Geschnörkelt die Äste, ein roter Wald.
Das Estrich ist vom reinsten Kristalle
Und widerspiegelt die Bäume alle.
Fasanen vom buntesten Glanzgefieder
Gehn gravitätisch dort auf und nieder.
Der Lieblingsaffe des Mahawasant
Trägt an dem Hals ein seidenes Band,
Dran hängt der Schlüssel, welcher erschleußt
Die Halle, die man den Schlafsaal heißt.
Die Edelsteine vom höchsten Wert,
Die liegen wie Erbsen hier auf der Erd'
Hochaufgeschüttet; man findet dabei
Diamanten so groß wie ein Hühnerei.
Auf grauen, mit Perlen gefüllten Säcken
Pflegt hier der König sich hinzustrecken;
Der Affe legt sich zum Monarchen,
Und beide schlafen ein und schnarchen.
Das Kostbarste aber von allen Schätzen
Des Königs, sein Glück, sein Seelenergötzen,
Die Lust und der Stolz von Mahawasant,
Das ist sein weißer Elefant.
Als Wohnung für diesen erhabenen Gast
Ließ bauen der König den schönsten Palast;
Es wird das Dach, mit Goldblech beschlagen,
Von lotosknäufigen Säulen getragen.
Am Tore stehen dreihundert Trabanten
Als Ehrenwache des Elefanten,
Und kniend, mit gekrümmtem Rucken,
Bedienen ihn hundert schwarze Eunucken.
Man bringt auf einer güldnen Schüssel
Die leckersten Bissen für seinen Rüssel;
Er schlürft aus silbernen Eimern den Wein,
Gewürzt mit den süßesten Spezerein.
Man salbt ihn mir Ambra und Rosenessenzen,
Man schmückt sein Haupt mit Blumenkränzen;
Als Fußdecke dienen dem edlen Tier
Die kostbarsten Schals aus Kaschimir.
Das glücklichste Leben ist ihm beschieden,
Doch niemand auf Erden ist zufrieden.
Das edle Tier, man weiß nicht wie,
Versinkt in tiefe Melancholie.
Der weiße Melancholikus
Steht traurig mitten im Überfluß.
Man will ihn ermuntern, man will ihn erheitern,
Jedoch die klügsten Versuche scheitern.
Vergebens kommen mit Springen und Singen
Die Bajaderen; vergebens erklingen
Die Zinken und Pauken der Musikanten,
Doch nichts erlustigt den Elefanten.
Da täglich sich der Zustand verschlimmert,
Wird Mahawasantes Herz bekümmert;
Er läßt vor seines Thrones Stufen
Den klügsten Astrologen rufen.
»Sterngucker, ich laß dir das Haupt abschlagen«,
Herrscht er ihn an, »kannst du mir nicht sagen,
Was meinem Elefanten fehle,
Warum so verdüstert seine Seele?«
Doch jener wirft sich dreimal zur Erde,
Und endlich spricht er mit ernster Gebärde:
»O König, ich will dir die Wahrheit verkünden,
Du kannst dann handeln nach Gutbefinden.
Es lebt im Norden ein schönes Weib
Von hohem Wuchs und weißem Leib,
Dein Elefant ist herrlich, unleugbar,
Doch ist er nicht mit ihr vergleichbar.
Mit ihr verglichen, erscheint er nur
Ein weißes Mäuschen. Es mahnt die Statur
An Bimha, die Riesin, im ›Ramayana‹,
Und an der Epheser große Diana.
Wie sich die Gliedermassen wölben
Zum schönsten Bau! Es tragen dieselben
Anmutig und stolz zwei hohe Pilaster
Von blendend weißem Alabaster.
Das ist Gott Amors kolossale
Domkirche, der Liebe Kathedrale;
Als Lampe brennt im Tabernakel
Ein Herz, das ohne Falsch und Makel.
Die Dichter jagen vergebens nach Bildern,
Um ihre weiße Haut zu schildern;
Selbst Gautier ist dessen nicht kapabel –
O diese Weiße ist implacable!
Des Himalaja Gipfelschnee
Erscheint aschgrau in ihrer Näh';
Die Lilie die ihre Hand erfaßt,
Vergilbt durch Eifersucht oder Kontrast.
Gräfin Bianka ist der Name
Von dieser großen weißen Dame;
Sie wohnt zu Paris im Frankenland,
Und diese liebt der Elefant.
Durch wunderbare Wahlverwandtschaft
Im Traume machte er ihre Bekanntschaft,
Und träumend in sein Herze stahl
Sich dieses hohe Ideal.
Sehnsucht verzehrt ihn seit jener Stund',
Und er, der vormals so froh und gesund,
Er ist ein vierfüßiger Werther geworden,
Und träumt von einer Lotte im Norden.
Geheimnisvolle Sympathie!
Er sah sie nie und denkt an sie.
Er trampelt oft im Mondschein umher
Und seufzet: ›Wenn ich ein Vöglein wär!‹
In Siam ist nur der Leib, die Gedanken
Sind bei Bianka im Lande der Franken;
Doch diese Trennung von Leib und Seele
Schwächt sehr den Magen, vertrocknet die Kehle.
Die leckersten Braten widern ihn an,
Er liebt nur Dampfnudeln und Ossian;
Er hüstelt schon, er magert ab,
Die Sehnsucht schaufelt sein frühes Grab.
Willst du ihn retten, erhalten sein Leben,
Der Säugetierwelt ihn wiedergeben,
O König, so schicke den hohen Kranken
Direkt nach Paris, der Hauptstadt der Franken.
Wenn ihn alldort in der Wirklichkeit
Der Anblick der schönen Frau erfreut,
Die seiner Träume Urbild gewesen,
Dann wird er von seinem Trübsinn genesen.
Wo seiner Schönen Augen strahlen,
Da schwinden seiner Seele Qualen;
Ihr Lächeln verscheucht die letzten Schatten,
Die hier sich eingenistet hatten;
Und ihre Stimme, wie 'n Zauberlied,
Löst sie den Zwiespalt in seinem Gemüt;
Froh hebt er wieder die Lappen der Ohren,
Er fühlt sich verjüngt, wie neugeboren.
Es lebt sich so lieblich, es lebt sich so süß
Am Seinestrand, in der Stadt Paris!
Wie wird sich dorten zivilisieren
Dein Elefant und amüsieren!
Vor allem aber, o König, lasse
Ihm reichlich füllen die Reisekasse,
Und gib ihm einen Kreditbrief mit
Auf Rothschild frères in der Rue Lafitte.
Ja, einen Kreditbrief von einer Million
Dukaten etwa; – der Herr Baron
Von Rothschild sagt von ihm alsdann:
›Der Elefant ist ein braver Mann!‹«
So sprach der Astrolog, und wieder
Warf er sich dreimal zur Erde nieder.
Der König entließ ihn mit reichen Geschenken,
Und streckte sich aus, um nachzudenken.
Er dachte hin, er dachte her;
Das Denken wird den Königen schwer.
Sein Affe sich zu ihm niedersetzt,
Und beide schlafen ein zuletzt.
Was er beschlossen, das kann ich erzählen
Erst später; die indischen Mall'posten fehlen.
Die letzte, welche uns zugekommen,
Die hat den Weg über Suez genommen.
Schelm von Bergen
Im Schloß zu Düsseldorf am Rhein
Wird Mummenschanz gehalten;
Da flimmern die Kerzen, da rauscht die Musik,
Da tanzen die bunten Gestalten.
Da tanzt die schöne Herzogin,
Sie lacht laut auf beständig;
Ihr Tänzer ist ein schlanker Fant,
Gar höfisch und behendig.
Er trägt eine Maske von schwarzem Samt,
Daraus gar freudig blicket
Ein Auge, wie ein blanker Dolch,
Halb aus der Scheide gezücket.
Es jubelt die Fastnachtsgeckenschar,
Wenn jene vorüberwalzen.
Der Drickes und die Marizzebill
Grüßen mit Schnarren und Schnalzen.
Und die Trompeten schmettern drein,
Der närrische Brummbaß brummet,
Bis endlich der Tanz ein Ende nimmt
Und die Musik verstummet.
»Durchlauchtigste Frau, gebt Urlaub mir,
Ich muß nach Hause gehen –«
Die Herzogin lacht: »Ich laß dich nicht fort,
Bevor ich dein Antlitz gesehen.«
»Durchlauchtigste Frau, gebt Urlaub mir,
Mein Anblick bringt Schrecken und Grauen –«
Die Herzogin lacht: »Ich fürchte mich nicht,
Ich will dein Antlitz schauen.«
»Durchlauchtigste Frau, gebt Urlaub mir,
Der Nacht und dem Tode gehör ich –«
Die Herzogin lacht: »Ich lasse dich nicht,
Dein Antlitz zu schauen begehr ich.«
Wohl sträubt sich der Mann mit finsterm Wort,
Das Weib nicht zähmen kunnt er;
Sie riß zuletzt ihm mit Gewalt
Die Maske vom Antlitz herunter.
»Das ist der Scharfrichter von Bergen!« so schreit
Entsetzt die Menge im Saale
Und weichet scheusam – die Herzogin
Stürzt fort zu ihrem Gemahle.
Der Herzog ist klug, er tilgte die Schmach
Der Gattin auf der Stelle.
Er zog sein blankes Schwert und sprach:
»Knie vor mir nieder, Geselle!
Mit diesem Schwertschlag mach ich dich
Jetzt ehrlich und ritterzünftig,
Und weil du ein Schelm, so nenne dich
Herr Schelm von Bergen künftig.«
So ward der Henker ein Edelmann
Und Ahnherr der Schelme von Bergen.
Ein stolzes Geschlecht! es blühte am Rhein.
Jetzt schläft es in steinernen Särgen.
Walküren
Unten Schlacht. Doch oben schossen
Durch die Luft auf Wolkenrossen
Drei Walküren, und es klang
Schilderklirrend ihr Gesang:
»Fürsten hadern, Völker streiten,
Jeder will die Macht erbeuten;
Herrschaft ist das höchste Gut,
Höchste Tugend ist der Mut.
Heisa! vor dem Tod beschützen
Keine stolzen Eisenmützen,
Und das Heldenblut zerrinnt
Und der schlechtre Mann gewinnt.
Lorbeerkränze, Siegesbogen!
Morgen kommt er eingezogen,
Der den Bessern überwand
Und gewonnen Leut' und Land.
Bürgermeister und Senator
Holen ein den Triumphator,
Tragen ihm die Schlüssel vor,
Und der Zug geht durch das Tor.
Hei! da böllert's von den Wällen,
Zinken und Trompeten gellen,
Glockenklang erfüllt die Luft,
Und der Pöbel ›Vivat!‹ ruft.
Lächelnd stehen auf Balkonen
Schöne Fraun, und Blumenkronen
Werfen sie dem Sieger zu.
Dieser grüßt mit stolzer Ruh'.«
Schlachtfeld bei Hastings
Der Abt von Waltham seufzte tief,
Als er die Kunde vernommen,
Daß König Harold elendiglich
Bei Hastings umgekommen.
Zwei Mönche, Asgod und Ailrik genannt,
Die schickt' er aus als Boten,
Sie sollten suchen die Leiche Harolds
Bei Hastings unter den Toten.
Die Mönche gingen traurig fort
Und kehrten traurig zurücke:
»Hochwürdiger Vater, die Welt ist uns gram,
Wir sind verlassen vom Glücke.
Gefallen ist der beßre Mann,
Es siegte der Bankert, der schlechte,
Gewappnete Diebe verteilen das Land
Und machen den Freiling zum Knechte.
Der lausigste Lump aus der Normandie
Wird Lord auf der Insel der Briten;
Ich sah einen Schneider aus Bayeux, er kam
Mit goldnen Sporen geritten.
Weh dem, der jetzt ein Sachse ist!
Ihr Sachsenheilige droben
Im Himmelreich, nehmt euch in acht,
Ihr seid der Schmach nicht enthoben.
Jetzt wissen wir, was bedeutet hat
Der große Komet, der heuer
Blutrot am nächtlichen Himmel ritt
Auf einem Besen von Feuer.
Bei Hastings in Erfüllung ging
Des Unsterns böses Zeichen,
Wir waren auf dem Schlachtfeld dort
Und suchten unter den Leichen.
Wir suchten hin, wir suchten her,
Bis alle Hoffnung verschwunden –
Den Leichnam des toten Königs Harold,
Wir haben ihn nicht gefunden.«
Asgod und Ailrik sprachen also;
Der Abt rang jammernd die Hände,
Versank in tiefe Nachdenklichkeit
Und sprach mit Seufzen am Ende:
»Zu Grendelfield am Bardenstein,
Just in des Waldes Mitte,
Da wohnet Edith Schwanenhals
In einer dürft'gen Hütte.
Man hieß sie Edith Schwanenhals,
Weil wie der Hals der Schwäne
Ihr Nacken war; der König Harold,
Er liebte die junge Schöne.
Er hat sie geliebt, geküßt und geherzt,
Und endlich verlassen, vergessen.
Die Zeit verfließt; wohl sechzehn Jahr'
Verflossen unterdessen.
Begebt euch, Brüder, zu diesem Weib
Und laßt sie mit euch gehen
Zurück nach Hastings, der Blick des Weibs
Wird dort den König erspähen.
Nach Waltham-Abtei hierher alsdann
Sollt ihr die Leiche bringen,
Damit wir christlich bestatten den Leib
Und für die Seele singen.«
Um Mitternacht gelangten schon
Die Boten zur Hütte im Walde:
»Erwache, Edith Schwanenhals,
Und folge uns alsbalde.
Der Herzog der Normannen hat
Den Sieg davongetragen,
Und auf dem Feld bei Hastings liegt
Der König Harold erschlagen.
Komm mit nach Hastings, wir suchen dort
Den Leichnam unter den Toten,
Und bringen ihn nach Waltham-Abtei,
Wie uns der Abt geboten.«
Kein Wort sprach Edith Schwanenhals,
Sie schürzte sich geschwinde
Und folgte den Mönchen; ihr greisendes Haar,
Das flatterte wild im Winde.
Es folgte barfuß das arme Weib
Durch Sümpfe und Baumgestrüppe.
Bei Tagesanbruch gewahrten sie schon
Zu Hastings die kreidige Klippe.
Der Nebel, der das Schlachtfeld bedeckt
Als wie ein weißes Leilich,
Zerfloß allmählich; es flatterten auf
Die Dohlen und krächzten abscheulich.
Viel tausend Leichen lagen dort
Erbärmlich auf blutiger Erde,
Nackt ausgeplündert, verstümmelt, zerfleischt,
Daneben die Äser der Pferde.
Es wadete Edith Schwanenhals
Im Blute mit nackten Füßen;
Wie Pfeile aus ihrem stieren Aug'
Die forschenden Blicke schießen.
Sie suchte hin, sie suchte her,
Oft mußte sie mühsam verscheuchen
Die fraßbegierige Rabenschar;
Die Mönche hinter ihr keuchen.
Sie suchte schon den ganzen Tag,
Es ward schon Abend – plötzlich
Bricht aus der Brust des armen Weibs
Ein geller Schrei, entsetzlich.
Gefunden hat Edith Schwanenhals
Des toten Königs Leiche.
Sie sprach kein Wort, sie weinte nicht,
Sie küßte das Antlitz, das bleiche.
Sie küßte die Stirne, sie küßte den Mund,
Sie hielt ihn fest umschlossen;
Sie küßte auf des Königs Brust
Die Wunde blutumflossen.
Auf seiner Schulter erblickt sie auch –
Und sie bedeckt sie mit Küssen –
Drei kleine Narben, Denkmäler der Lust,
Die sie einst hineingebissen.
Die Mönche konnten mittlerweil'
Baumstämme zusammenfugen;
Das war die Bahre, worauf sie alsdann
Den toten König trugen.
Sie trugen ihn nach Waltham-Abtei,
Daß man ihn dort begrübe;
Es folgte Edith Schwanenhals
Der Leiche ihrer Liebe.
Sie sang die Totenlitanei'n
In kindisch frommer Weise;
Das klang so schauerlich in der Nacht –
Die Mönche beteten leise. –
Karl 1.
Im Wald, in der Köhlerhütte, sitzt
Trübsinnig allein der König;
Er sitzt an der Wiege des Köhlerkinds
Und wiegt und singt eintönig:
»Eiapopeia, was raschelt im Stroh?
Es blöken im Stalle die Schafe –
Du trägst das Zeichen an der Stirn
Und lächelst so furchtbar im Schlafe.
Eiapopeia, das Kätzchen ist tot –
Du trägst auf der Stirne das Zeichen –
Du wirst ein Mann und schwingst das Beil,
Schon zittern im Walde die Eichen.
Der alte Köhlerglaube verschwand,
Es glauben die Köhlerkinder –
Eiapopeia – nicht mehr an Gott,
Und an den König noch minder.
Das Kätzchen ist tot, die Mäuschen sind froh –
Wir müssen zuschanden werden –
Eiapopeia – im Himmel der Gott
Und ich, der König auf Erden.
Mein Mut erlischt, mein Herz ist krank,
Und täglich wird es kränker –
Eiapopeia – du Köhlerkind,
Ich weiß es, du bist mein Henker.
Mein Todesgesang ist dein Wiegenlied –
Eiapopeia – die greisen
Haarlocken schneidest du ab zuvor –
Im Nacken klirrt mir das Eisen.
Eiapopeia, was raschelt im Stroh?
Du hast das Reich erworben,
Und schlägst mir das Haupt vom Rumpf herab –
Das Kätzchen ist gestorben.
Eiapopeia, was raschelt im Stroh?
Es blöken im Stalle die Schafe.
Das Kätzchen ist tot, die Mäuschen sind froh –
Schlafe, mein Henkerchen, schlafe!«
Maria Antoinette
Wie heiter im Tuilerienschloß
Blinken die Spiegelfenster,
Und dennoch dort am hellen Tag
Gehn um die alten Gespenster.
Es spukt im Pavillon de Flor'
Maria Antoinette;
Sie hält dort morgens ihr Lever
Mit strenger Etikette.
Geputzte Hofdamen. Die meisten stehn,
Auf Taburetts andre sitzen;
Die Kleider von Atlas und Goldbrokat,
Behängt mit Juwelen und Spitzen.
Die Taille ist schmal, der Reifrock bauscht,
Darunter lauschen die netten
Hochhackigen Füßchen so klug hervor –
Ach, wenn sie nur Köpfe hätten!
Sie haben alle keinen Kopf,
Der Königin selbst manquieret
Der Kopf, und Ihro Majestät
Ist deshalb nicht frisieret.
Ja, sie, die mit turmhohem Toupet
So stolz sich konnte gebaren,
Die Tochter Maria Theresias,
Die Enkelin deutscher Cäsaren,
Sie muß jetzt spuken ohne Frisur
Und ohne Kopf, im Kreise
Von unfrisierten Edelfraun,
Die kopflos gleicherweise.
Das sind die Folgen der Revolution
Und ihrer fatalen Doktrine;
An allem ist schuld Jean Jacques Rousseau,
Voltaire und die Guillotine.
Doch sonderbar! es dünkt mich schier,
Als hätten die armen Geschöpfe
Gar nicht bemerkt, wie tot sie sind
Und daß sie verloren die Köpfe.
Ein leeres Gespreize, ganz wie sonst,
Ein abgeschmacktes Scherwenzen –
Possierlich sind und schauderhaft
Die kopflosen Reverenzen.
Es knickst die erste Dame d'atour
Und bringt ein Hemd von Linnen;
Die zweite reicht es der Königin,
Und beide knicksen von hinnen.
Die dritte Dam' und die vierte Dam'
Knicksen und niederknien
Vor Ihrer Majestät, um Ihr
Die Strümpfe anzuziehen.
Ein Ehrenfräulein kommt und knickst
Und bringt das Morgenjäckchen;
Ein andres Fräulein knickst und bringt
Der Königin Unterröckchen.
Die Oberhofmeisterin steht dabei,
Sie fächert die Brust, die weiße,
Und in Ermanglung eines Kopfs
Lächelt sie mit dem Steiße.
Wohl durch die verhängten Fenster wirft
Die Sonne neugierige Blicke,
Doch wie sie gewahrt den alten Spuk,
Prallt sie erschrocken zurücke.
Pomare
1.
Alle Liebesgötter jauchzen
Mir im Herzen, und Fanfare
Blasen sie und rufen: »Heil!
Heil, der Königin Pomare!«
Jene nicht von Otahaiti –
Missionärisiert ist jene –
Die ich meine, die ist wild,
Eine ungezähmte Schöne.
Zweimal in der Woche zeigt sie
Öffentlich sich ihrem Volke
In dem Garten Mabill, tanzt
Dort den Cancan, auch die Polke.
Majestät in jedem Schritte,
Jede Beugung Huld und Gnade,
Eine Fürstin jeder Zoll
Von der Hüfte bis zur Wade –
Also tanzt sie – und es blasen
Liebesgötter die Fanfare
Mir im Herzen, rufen: »Heil!
Heil der Königin Pomare!«
2.
Sie tanzt. Wie sie das Leibchen wiegt!
Wie jedes Glied sich zierlich biegt!
Das ist ein Flattern und ein Schwingen,
Um wahrlich aus der Haut zu springen.
Sie tanzt. Wenn sie sich wirbelnd dreht
Auf einem Fuß, und stillesteht
Am End' mit ausgestreckten Armen.
Mag Gott sich meiner Vernunft erbarmen!
Sie tanzt. Derselbe Tanz ist das,
Den einst die Tochter Herodias'
Getanzt vor dem Judenkönig Herodes.
Ihr Auge sprüht wie Blitze des Todes.
Sie tanzt mich rasend – ich werde toll –
Sprich, Weib, was ich dir schenken soll?
Du lächelst? Heda! Trabanten! Läufer!
Man schlage ab das Haupt dem Täufer!
3.
Gestern noch fürs liebe Brot
Wälzte sie sich tief im Kot,
Aber heute schon mit vieren
Fährt das stolze Weib spazieren.
In die seidnen Kissen drückt
Sie das Lockenhaupt, und blickt
Vornehm auf den großen Haufen
Derer, die zu Fuße laufen.
Wenn ich dich so fahren seh,
Tut es mir im Herzen weh!
Ach, es wird dich dieser Wagen
Nach dem Hospitale tragen,
Wo der grausenhafte Tod
Endlich endigt deine Not,
Und der Carabin mit schmierig
Plumper Hand und lernbegierig
Deinen schönen Leib zerfetzt,
Anatomisch ihn zersetzt –
Deine Rosse trifft nicht minder
Einst zu Montfaucon der Schinder.
4.
Besser hat es sich gewendet,
Das Geschick, das dich bedroht' –
Gott sei Dank, du hast geendet,
Gott sei Dank, und du bist tot.
In der Dachstub' deiner armen
Alten Mutter starbest du,
Und sie schloß dir mit Erbarmen
Deine schönen Augen zu.
Kaufte dir ein gutes Leilich,
Einen Sarg, ein Grab sogar.
Die Begräbnisfeier freilich
Etwas kahl und ärmlich war.
Keinen Pfaffen hört' man singen,
Keine Glocke klagte schwer;
Hinter deiner Bahre gingen
Nur dein Hund und dein Friseur.
»Ach, ich habe der Pomare«,
Seufzte dieser, »oft gekämmt
Ihre langen schwarzen Haare,
Wenn sie vor mir saß im Hemd.«
Was den Hund betrifft, so rannt er
Schon am Kirchhofstor davon,
Und ein Unterkommen fand er
Späterhin bei Ros' Pompon,
Ros' Pompon, der Provenzalin,
Die den Namen Königin
Dir mißgönnt und als Rivalin
Dich verklatscht mit niederm Sinn.
Arme Königin des Spottes,
Mit dem Diadem von Kot,
Bist gerettet jetzt durch Gottes
Ew'ge Güte, du bist tot.
Wie die Mutter, so der Vater
Hat Barmherzigkeit geübt,
Und ich glaube, dieses tat er,
Weil auch du soviel geliebt.
Der Apollogott
1.
Das Kloster ist hoch auf Felsen gebaut,
Der Rhein vorüberrauschet;
Wohl durch das Gitterfenster schaut
Die junge Nonne und lauschet.
Da fährt ein Schifflein, märchenhaft
Vom Abendrot beglänzet;
Es ist bewimpelt von buntem Taft,
Von Lorbeern und Blumen bekränzet.
Ein schöner blondgelockter Fant
Steht in des Schiffes Mitte;
Sein goldgesticktes Purpurgewand
Ist von antikem Schnitte.
Zu seinen Füßen liegen da
Neun marmorschöne Weiber;
Die hochgeschürzte Tunika
Umschließt die schlanken Leiber.
Der Goldgelockte lieblich singt
Und spielt dazu die Leier;
Ins Herz der armen Nonne dringt
Das Lied und brennt wie Feuer.
Sie schlägt ein Kreuz, und noch einmal
Schlägt sie ein Kreuz, die Nonne;
Nicht scheucht das Kreuz die süße Qual,
Nicht bannt es die bittre Wonne.
2.
»Ich bin der Gott der Musika,
Verehrt in allen Landen;
Mein Tempel hat in Gräcia
Auf Mont-Parnaß gestanden.
Auf Mont-Parnaß in Gräcia,
Da hab ich oft gesessen
Am holden Quell Kastalia,
Im Schatten der Zypressen.
Vokalisierend saßen da
Um mich herum die Töchter,
Das sang und klang la-la, la-la!
Geplauder und Gelächter.
Mitunter rief tra-ra, tra-ra!
Ein Waldhorn aus dem Holze;
Dort jagte Artemisia,
Mein Schwesterlein, die Stolze.
Ich weiß es nicht, wie mir geschah:
Ich brauchte nur zu nippen
Vom Wasser der Kastalia,
Da tönten meine Lippen.
Ich sang – und wie von selbst beinah
Die Leier klang, berauschend;
Mir war, als ob ich Daphne sah,
Aus Lorbeerbüschen lauschend.
Ich sang – und wie Ambrosia
Wohlrüche sich ergossen,
Es war von einer Gloria
Die ganze Welt umflossen.
Wohl tausend Jahr' aus Gräcia
Bin ich verbannt, vertrieben –
Doch ist mein Herz in Gräcia,
In Gräcia geblieben.«
3.
In der Tracht der Beguinen,
In dem Mantel mit der Kappe
Von der gröbsten schwarzen Serge,
Ist vermummt die junge Nonne.
Hastig längs des Rheines Ufern
Schreitet sie hinab die Landstraß',
Die nach Holland führt, und hastig
Fragt sie jeden, der vorbeikommt:
»Habt Ihr nicht gesehn Apollo?
Einen roten Mantel trägt er,
Lieblich singt er, spielt die Leier,
Und er ist mein holder Abgott.«
Keiner will ihr Rede stehen,
Mancher dreht ihr stumm den Rücken,
Mancher glotzt sie an und lächelt,
Mancher seufzet: »Armes Kind!«
Doch des Wegs herangetrottelt
Kommt ein schlottrig alter Mensch,
Fingert in der Luft, wie rechnend,
Näselnd singt er vor sich hin.
Einen schlappen Quersack trägt er,
Auch ein klein dreieckig Hütchen;
Und mit schmunzelnd klugen Äuglein
Hört er an den Spruch der Nonne:
»Habt Ihr nicht gesehn Apollo?
Einen roten Mantel trägt er,
Lieblich singt er, spielt die Leier,
Und er ist mein holder Abgott.«
Jener aber gab zur Antwort,
Während er sein Köpfchen wiegte
Hin und her, und gar possierlich
Zupfte an dem spitzen Bärtchen:
»Ob ich ihn gesehen habe?
Ja, ich habe ihn gesehen
Oft genug zu Amsterdam,
In der deutschen Synagoge.
Denn er war Vorsänger dorten,
Und da hieß er Rabbi Faibisch,
Was auf Hochdeutsch heiße Apollo –
Doch mein Abgott ist er nicht.
Roter Mantel? Auch den roten
Mantel kenn ich. Echter Scharlach,
Kostet acht Florin die Elle,
Und ist noch nicht ganz bezahlt.
Seinen Vater Moses Jitscher
Kenn ich gut. Vorhautabschneider
Ist er bei den Portugiesen.
Er beschnitt auch Souveräne.
Seine Mutter ist Cousine
Meines Schwagers, und sie handelt
Auf der Gracht mit sauern Gurken
Und mit abgelebten Hosen.
Haben kein Pläsier am Sohne.
Dieser spielt sehr gut die Leier,
Aber leider noch viel besser
Spielt er oft Tarock und L'hombre.
Auch ein Freigeist ist er, aß
Schweinefleisch, verlor sein Amt,
Und er zog herum im Lande
Mit geschminkten Komödianten.
In den Buden, auf den Märkten,
Spielte er den Pickelhering,
Holofernes, König David,
Diesen mit dem besten Beifall.
Denn des Königs eigne Lieder
Sang er in des Königs eigner
Muttersprache, tremulierend
In des Nigens alter Weise.
Aus dem Amsterdamer Spielhuis
Zog er jüngst etwelche Dirnen,
Und mit diesen Musen zieht er
Jetzt herum als ein Apollo.
Eine dicke ist darunter,
Die vorzüglich quiekt und grünzelt;
Ob dem großen Lorbeerkopfputz
Nennt man sie die grüne Sau.«
Kleines Volk
In einem Pißpott kam er geschwommen,
Hochzeitlich geputzt, hinab den Rhein.
Und als er nach Rotterdam gekommen,
Da sprach er: »Juffräuken, willst du mich frein?
Ich führe dich, geliebte Schöne,
Nach meinem Schloß, ins Brautgemach;
Die Wände sind eitel Hobelspäne,
Aus Häckerling besteht das Dach.
Da ist es so puppenniedlich und nette,
Da lebst du wie eine Königin!
Die Schale der Walnuß ist unser Bette,
Von Spinnweb sind die Laken drin.
Ameiseneier, gebraten in Butter,
Essen wir täglich, auch Würmchengemüs',
Und später erb ich von meiner Frau Mutter
Drei Nonnenfürzchen, die schmecken so süß.
Ich habe Speck, ich habe Schwarten,
Ich habe Fingerhüte voll Wein,
Auch wächst eine Rübe in meinem Garten,
Du wirst wahrhaftig glücklich sein!«
Das war ein Locken und ein Werben!
Wohl seufzte die Braut: »Ach Gott! ach Gott!«
Sie war wehmütig, wie zum Sterben –
Doch endlich stieg sie hinab in den Pott.
Sind Christenleute oder Mäuse
Die Helden des Lieds? Ich weiß es nicht mehr.
Im Beverland hört ich die schnurrige Weise,
Es sind nun dreißig Jahre her.
Zwei Ritter
Crapülinski und Waschlapski,
Polen aus der Polackei,
Fochten für die Freiheit, gegen
Moskowitertyrannei.
Fochten tapfer und entkamen
Endlich glücklich nach Paris –
Leben bleiben, wie das Sterben
Für das Vaterland, ist süß.
Wie Achilles und Patroklus,
David und sein Jonathan,
Liebten sich die beiden Polen,
Küßten sich: »Kochan! Kochan!«
Keiner je verriet den andern,
Blieben Freunde, ehrlich, treu,
Ob sie gleich zwei edle Polen,
Polen aus der Polackei.
Wohnten in derselben Stube,
Schliefen in demselben Bette;
Eine Laus und eine Seele,
Kratzten sie sich um die Wette.
Speisten in derselben Kneipe,
Und da keiner wollte leiden,
Daß der andre für ihn zahle,
Zahlte keiner von den beiden.
Auch dieselbe Henriette
Wäscht für beide edle Polen;
Trällernd kommt sie jeden Monat –
Um die Wäsche abzuholen.
Ja, sie haben wirklich Wäsche,
Jeder hat der Hemden zwei,
Ob sie gleich zwei edle Polen,
Polen aus der Polackei.
Sitzen heute am Kamine,
Wo die Flammen traulich flackern;
Draußen Nacht und Schneegestöber
Und das Rollen von Fiakern.
Eine große Bowle Punsch
(Es versteht sich, unverzückert,
Unversäuert, unverwässert)
Haben sie bereits geschlückert.
Und von Wehmut wird beschlichen
Ihr Gemüte; ihr Gesicht
Wird befeuchtet schon von Zähren,
Und der Crapülinski spricht:
»Hätt ich doch hier in Paris
Meinen Bärenpelz, den lieben
Schlafrock und die Katzfellnachtmütz',
Die im Vaterland geblieben!«
Ihm erwiderte Waschlapski:
»O du bist ein treuer Schlachzitz,
Denkest immer an der Heimat
Bärenpelz und Katzfellnachtmütz'.
Polen ist noch nicht verloren,
Unsre Weiber, sie gebären,
Unsre Jungfraun tun dasselbe,
Werden Helden uns bescheren,
Helden, wie der Held Sobieski,
Wie Schelmuffski und Uminski,
Eskrokewitsch, Schubiakski,
Und der große Eselinski.«
Das goldne Kalb
Doppelflöten, Hörner, Geigen
Spielen auf zum Götzenreigen,
Und es tanzen Jakobs Töchter
Um das Goldne Kalb herum –
Brum – brum – brum –
Paukenschläge und Gelächter!
Hochgeschürzt bis zu den Lenden
Und sich fassend an den Händen,
Jungfraun edelster Geschlechter
Kreisen wie ein Wirbelwind
Um das Rind –
Paukenschläge und Gelächter!
Aaron selbst wird fortgezogen
Von des Tanzes Wahnsinnwogen,
Und er selbst, der Glaubenswächter,
Tanzt im Hohenpriesterrock,
Wie ein Bock –
Paukenschläge und Gelächter!
König David
Lächelnd scheidet der Despot,
Denn er weiß, nach seinem Tod
Wechselt Willkür nur die Hände,
Und die Knechtschaft hat kein Ende.
Armes Volk! wie Pferd und Farr'n
Bleibt es angeschirrt am Karr'n,
Und der Nacken wird gebrochen,
Der sich nicht bequemt den Jochen.
Sterbend spricht zu Salomo
König David: »Apropos,
Daß ich Joab dir empfehle,
Einen meiner Generäle.
Dieser tapfre General
Ist seit Jahren mir fatal,
Doch ich wagte den Verhaßten
Niemals ernstlich anzutasten.
Du, mein Sohn, bist fromm und klug,
Gottesfürchtig, stark genug,
Und es wird dir leicht gelingen,
Jenen Joab umzubringen.«
König Richard
Wohl durch der Wälder einödige Pracht
Jagt ungestüm ein Reiter;
Er bläst ins Horn, er singt und lacht
Gar seelenvergnügt und heiter.
Sein Harnisch ist von starkem Erz,
Noch stärker ist sein Gemüte,
Das ist Herr Richard Löwenherz,
Der christlichen Ritterschaft Blüte.
»Willkommen in England!« rufen ihm zu
Die Bäume mit grünen Zungen –
»Wir freuen uns, o König, daß du
Östreichischer Haft entsprungen.«
Dem König ist wohl in der freien Luft,
Er fühlt sich wie neugeboren,
Er denkt an Östreichs Festungsduft –
Und gibt seinem Pferde die Sporen.
Der Asra
Täglich ging die wunderschöne
Sultanstochter auf und nieder
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Wasser plätschern.
Täglich stand der junge Sklave
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Wasser plätschern;
Täglich ward er bleich und bleicher.
Eines Abends trat die Fürstin
Auf ihn zu mit raschen Worten:
»Deinen Namen will ich wissen,
Deine Heimat, deine Sippschaft!«
Und der Sklave sprach: »Ich heiße
Mohamet, ich bin aus Yemmen,
Und mein Stamm sind jene Asra,
Welche sterben, wenn sie lieben.«
Himmelsbräute
Wer dem Kloster geht vorbei
Mitternächtlich, sieht die Fenster
Hell erleuchtet. Ihren Umgang
Halten dorten die Gespenster.
Eine düstre Prozession
Toter Ursulinerinnen;
Junge, hübsche Angesichter
Lauschen aus Kapuz' und Linnen.
Tragen Kerzen in der Hand,
Die unheimlich blutrot schimmern;
Seltsam widerhallt im Kreuzgang
Ein Gewisper und ein Wimmern.
Nach der Kirche geht der Zug,
Und sie setzen dort sich nieder
Auf des Chores Buchsbaumstühle
Und beginnen ihre Lieder.
Litaneienfromme Weisen,
Aber wahnsinnwüste Worte;
Arme Seelen sind es, welche
Pochen an des Himmels Pforte.
»Bräute Christi waren wir,
Doch die Weltlust uns betörte,
Und da gaben wir dem Cäsar,
Was dem lieben Gott gehörte.
Reizend ist die Uniform
Und des Schnurrbarts Glanz und Glätte;
Doch verlockend sind am meisten
Cäsars goldne Epaulette.
Ach, der Stirne, welche trug
Eine Dornenkrone weiland,
Gaben wir ein Hirschgeweihe –
Wir betrogen unsern Heiland.
Jesus, der die Güte selbst,
Weinte sanft ob unsrer Fehle,
Und er sprach: ›Vermaledeit
Und verdammt sei eure Seele!‹
Grabenstiegner Spuk der Nacht,
Müssen büßend wir nunmehre
Irregehn in diesen Mauern –
Miserere! Miserere!
Ach, im Grabe ist es gut,
Ob es gleich viel besser wäre
In dem warmen Himmelreiche –
Miserere! Miserere!
Süßer Jesus, o vergib
Endlich uns die Schuld, die schwere,
Schließ uns auf den warmen Himmel –
Miserere! Miserere!«
Also singt die Nonnenschar,
Und ein längst verstorbner Küster
Spielt die Orgel. Schattenhände
Stürmen toll durch die Register.
Pfalzgräfin Jutta
Pfalzgräfin Jutta fuhr über den Rhein,
Im leichten Kahn, bei Mondenschein.
Die Zofe rudert, die Gräfin spricht:
»Siehst du die sieben Leichen nicht,
Die hinter uns kommen
Einhergeschwommen –
So traurig schwimmen die Toten!
Das waren Ritter voll Jugendlust –
Sie sanken zärtlich an meine Brust
Und schwuren mir Treue – Zur Sicherheit,
Daß sie nicht brächen ihren Eid,
Ließ ich sie ergreifen
Sogleich und ersäufen –
So traurig schwimmen die Toten!«
Die Zofe rudert, die Gräfin lacht.
Das hallt so höhnisch durch die Nacht!
Bis an die Hüfte tauchen hervor
Die Leichen und strecken die Finger empor,
Wie schwörend – Sie nicken
Mit gläsernen Blicken –
So traurig schwimmen die Toten!
Der Mohrenkönig
Ins Exil der Alpuxarren
Zog der junge Mohrenkönig;
Schweigsam und das Herz voll Kummer
Ritt er an des Zuges Spitze.
Hinter ihm auf hohen Zeltern
Oder auch in güldnen Sänften
Saßen seines Hauses Frauen;
Schwarze Mägde trägt das Maultier.
Hundert treue Diener folgen
Auf arabisch edlen Rappen;
Stolze Gäule, doch die Reiter
Hängen schlottrig in den Sätteln.
Keine Zimbel, keine Pauke,
Kein Gesangeslaut ertönte;
Nur des Maultiers Silberglöckchen
Wimmern schmerzlich in der Stille.
Auf der Höhe, wo der Blick
Ins Duero-Tal hinabschweift,
Und die Zinnen von Granada
Sichtbar sind zum letzten Male:
Dorten stieg vom Pferd der König
Und betrachtete die Stadt,
Die im Abendlichte glänzte,
Wie geschmückt mit Gold und Purpur.
Aber, Allah! Welch ein Anblick!
Statt des vielgeliebten Halbmonds,
Prangen Spaniens Kreuz und Fahnen
Auf den Türmen der Alhambra.
Ach, bei diesem Anblick brachen
Aus des Königs Brust die Seufzer,
Tränen überströmten plötzlich
Wie ein Sturzbach seine Wangen.
Düster von dem hohen Zelter
Schaut' herab des Königs Mutter,
Schaut' auf ihres Sohnes Jammer,
Und sie schalt ihn stolz und bitter.
»Boabdil el Chico«, sprach sie,
»Wie ein Weib beweinst du jetzo
Jene Stadt, die du nicht wußtest
Zu verteid'gen wie ein Mann.«
Als des Königs liebste Kebsin
Solche harte Rede hörte,
Stürzte sie aus ihrer Sänfte
Und umhalste den Gebieter.
»Boabdil el Chico«, sprach sie,
»Tröste dich, mein Heißgeliebter,
Aus dem Abgrund deines Elends
Blüht hervor ein schöner Lorbeer.
Nicht allein der Triumphator,
Nicht allein der sieggekrönte
Günstling jener blinden Göttin,
Auch der blut'ge Sohn des Unglücks,
Auch der heldenmüt'ge Kämpfer,
Der dem ungeheuren Schicksal
Unterlag, wird ewig leben
In der Menschen Angedenken.«
»Berg des letzten Mohrenseufzers«
Heißt bis auf den heut'gen Tag
Jene Höhe, wo der König
Sah zum letzten Mal Granada.
Lieblich hat die Zeit erfüllet,
Seiner Liebsten Prophezeiung,
Und des Mohrenkönigs Name
Ward verherrlicht und gefeiert.
Nimmer wird sein Ruhm verhallen,
Ehe nicht die letzte Saite
Schnarrend losspringt von der letzten
Andalusischen Gitarre.
Geoffroy Rudèl und Melisande von Tripoli
In dem Schlosse Blay erblickt man
Die Tapete an den Wänden,
So die Gräfin Tripolis
Einst gestickt mit klugen Händen.
Ihre ganze Seele stickte
Sie hinein, und Liebesträne
Hat gefeit das seidne Bildwerk,
Welches darstellt jene Szene:
Wie die Gräfin den Rudèl,
Sterbend sah am Strande liegen,
Und das Urbild ihrer Sehnsucht
Gleich erkannt in seinen Zügen.
Auch Rudèl hat hier zum ersten
Und zum letzten Mal erblicket
In der Wirklichkeit die Dame,
Die ihn oft im Traum entzücket.
Über ihn beugt sich die Gräfin,
Hält ihn liebevoll umschlungen,
Küßt den todesbleichen Mund,
Der so schön ihr Lob gesungen!
Ach! der Kuß des Willkomms wurde
Auch zugleich der Kuß des Scheidens,
Und so leerten sie den Kelch
Höchster Lust und tiefsten Leidens.
In dem Schlosse Blay allnächtlich
Gibt's ein Rauschen, Knistern, Beben,
Die Figuren der Tapete
Fangen plötzlich an zu leben.
Troubadour und Dame schütteln
Die verschlafnen Schattenglieder,
Treten aus der Wand und wandeln
Durch die Säle auf und nieder.
Trautes Flüstern, sanftes Tändeln,
Wehmutsüße Heimlichkeiten,
Und postume Galantrie
Aus des Minnesanges Zeiten:
»Geoffroy! Mein totes Herz
Wird erwärmt von deiner Stimme,
In den längst erloschnen Kohlen
Fühl ich wieder ein Geglimme!«
»Melisande! Glück und Blume!
Wenn ich dir ins Auge sehe,
Leb ich auf – gestorben ist
Nur mein Erdenleid und – wehe.«
»Geoffroy! Wir liebten uns
Einst im Traume, und jetzunder
Lieben wir uns gar im Tode –
Gott Amour tat dieses Wunder!«
»Melisande! Was ist Traum?
Was ist Tod? Nur eitel Töne.
In der Liebe nur ist Wahrheit,
Und dich lieb ich, ewig Schöne.«
»Geoffroy! Wie traulich ist es
Hier im stillen Mondscheinsaale,
Möchte nicht mehr draußen wandeln
In des Tages Sonnenstrahle.«
»Melisande! teure Närrin,
Du bist selber Licht und Sonne,
Wo du wandelst, blüht der Frühling,
Sprossen Lieb' und Maienwonne!«
Also kosen, also wandeln
Jene zärtlichen Gespenster
Auf und ab, derweil das Mondlicht
Lauschet durch die Bogenfenster.
Doch den holden Spuk vertreibend,
Kommt am End' die Morgenröte –
Jene huschen scheu zurück
In die Wand, in die Tapete.
Der Dichter Firdusi
1.
Goldne Menschen, Silbermenschen!
Spricht ein Lump von einem Toman,
Ist die Rede nur von Silber,
Ist gemeint ein Silbertoman.
Doch im Munde eines Fürsten,
Eines Schaches, ist ein Toman
Gülden stets; ein Schach empfängt
Und er gibt nur goldne Toman.
Also denken brave Leute,
Also dachte auch Firdusi,
Der Verfasser des berühmten
Und vergötterten »Schach Nameh«.
Dieses große Heldenlied
Schrieb er auf Geheiß des Schaches,
Der für jeden seiner Verse
Einen Toman ihm versprochen.
Siebzehnmal die Rose blühte,
Siebzehnmal ist sie verwelket,
Und die Nachtigall besang sie
Und verstummte siebzehnmal –
Unterdessen saß der Dichter
An dem Webstuhl des Gedankens,
Tag und Nacht, und webte emsig
Seines Liedes Riesenteppich –
Riesenteppich, wo der Dichter
Wunderbar hineingewebt
Seiner Heimat Fabelchronik,
Farsistans uralte Kön'ge,
Lieblingshelden seines Volkes,
Rittertaten, Aventüren,
Zauberwesen und Dämonen,
Keck umrankt von Märchenblumen –
Alles blühend und lebendig,
Farbenglänzend, glühend, brennend,
Und wie himmlisch angestrahlt
Von dem heil'gen Lichte Irans,
Von dem göttlich reinen Urlicht,
Dessen letzter Feuertempel,
Trotz dem Koran und dem Mufti,
In des Dichters Herzen flammte.
Als vollendet war das Lied,
Überschickte seinem Gönner
Der Poet das Manuskript,
Zweimalhunderttausend Verse.
In der Badestube war es,
In der Badestub' zu Gasna,
Wo des Schaches schwarze Boten
Den Firdusi angetroffen –
Jeder schleppte einen Geldsack,
Den er zu des Dichters Füßen
Kniend legte, als den hohen
Ehrensold für seine Dichtung.
Der Poet riß auf die Säcke
Hastig, um am lang entbehrten
Goldesanblick sich zu laben –
Da gewahrt' er mit Bestürzung,
Daß der Inhalt dieser Säcke
Bleiches Silber, Silbertomans,
Zweimalhunderttausend etwa –
Und der Dichter lachte bitter.
Bitter lachend hat er jene
Summe abgeteilt in drei
Gleiche Teile, und jedwedem
Von den beiden schwarzen Boten
Schenkte er als Botenlohn
Solch ein Drittel, und das dritte
Gab er einem Badeknechte,
Der sein Bad besorgt, als Trinkgeld.
Seinen Wanderstab ergriff er
Jetzo und verließ die Hauptstadt;
Vor dem Tor hat er den Staub
Abgefegt von seinen Schuhen.
2.
»Hätt er menschlich ordinär
Nicht gehalten, was versprochen,
Hätt er nur sein Wort gebrochen,
Zürnen wollt ich nimmermehr.
Aber unverzeihlich ist,
Daß er mich getäuscht so schnöde
Durch den Doppelsinn der Rede
Und des Schweigens größre List.
Stattlich war er, würdevoll
Von Gestalt und von Gebärden,
Wen'ge glichen ihm auf Erden,
War ein König jeder Zoll.
Wie die Sonn' am Himmelsbogen,
Feuerblicks, sah er mich an,
Er, der Wahrheit stolzer Mann –
Und er hat mich doch belogen.«
3.
Schach Mahomet hat gut gespeist,
Und gut gelaunet ist sein Geist.
Im dämmernden Garten, auf purpurnem Pfühl,
Am Springbrunn sitzt er. Das plätschert so kühl!
Die Diener stehen mit Ehrfurchtsmienen;
Sein Liebling Ansari ist unter ihnen.
Aus Marmorvasen quillt hervor
Ein üppig brennender Blumenflor.
Gleich Odalisken anmutiglich
Die schlanken Palmen fächern sich.
Es stehen regungslos die Zypressen,
Wie himmelträumend, wie weltvergessen.
Doch plötzlich erklingt bei Lautenklang
Ein sanft geheimnisvoller Gesang.
Der Schach fährt auf, als wie behext –
»Von wem ist dieses Liedes Text?«
Ansari, an welchen die Frage gerichtet,
Gab Antwort: »Das hat Firdusi gedichtet.«
»Firdusi?« – rief der Fürst betreten –
»Wo ist er? Wie geht es dem großen Poeten?«
Ansari gab Antwort: »In Dürftigkeit
Und Elend lebt er seit langer Zeit
Zu Thus, des Dichters Vaterstadt,
Wo er ein kleines Gärtchen hat.«
Schach Mahomet schwieg, eine gute Weile,
Dann sprach er: »Ansari, mein Auftrag hat Eile –
Geh nach meinen Ställen und erwähle
Dort hundert Maultiere und funfzig Kamele.
Die sollst du belasten mit allen Schätzen,
Die eines Menschen Herz ergötzen,
Mit Herrlichkeiten und Raritäten,
Kostbaren Kleidern und Hausgeräten
Von Sandelholz, von Elfenbein,
Mit güldnen und silbernen Schnurrpfeiferein,
Kannen und Kelchen, zierlich gehenkelt,
Lepardenfellen, groß gesprenkelt,
Mit Teppichen, Schals und reichen Brokaten,
Die fabriziert in meinen Staaten –
Vergiß nicht, auch hinzuzupacken
Glänzende Waffen und Schabracken,
Nicht minder Getränke jeder Art
Und Speisen, die man in Töpfen bewahrt,
Auch Konfitüren und Mandeltorten,
Und Pfefferkuchen von allen Sorten.
Füge hinzu ein Dutzend Gäule,
Arabischer Zucht, geschwind wie Pfeile,
Und schwarze Sklaven gleichfalls ein Dutzend,
Leiber von Erz, strapazentrutzend.
Ansari, mit diesen schönen Sachen
Sollst du dich gleich auf die Reise machen.
Du sollst sie bringen nebst meinem Gruß
Dem großen Dichter Firdusi zu Thus.«
Ansari erfüllte des Herrschers Befehle,
Belud die Mäuler und Kamele
Mit Ehrengeschenken, die wohl den Zins
Gekostet von einer ganzen Provinz.
Nach dreien Tagen verließ er schon
Die Residenz, und in eigner Person,
Mit einer roten Führerfahne,
Ritt er voran der Karawane.
Am achten Tage erreichten sie Thus;
Die Stadt liegt an des Berges Fuß.
Wohl durch das Westtor zog herein
Die Karawane mit Lärmen und Schrein.
Die Trommel scholl, das Kuhhorn klang,
Und lautaufjubelt Triumphgesang.
»La Illa Il Allah!« aus voller Kehle
Jauchzten die Treiber der Kamele.
Doch durch das Osttor, am andern End'
Von Thus, zog in demselben Moment
Zur Stadt hinaus der Leichenzug,
Der den toten Firdusi zu Grabe trug.
Nächtliche Fahrt
Es wogte das Meer, aus dem dunklen Gewölk
Der Halbmond lugte scheu;
Und als wir stiegen in den Kahn,
Wir waren unsrer drei.
Es plätschert' im Wasser des Ruderschlags
Verdrossenes Einerlei;
Weißschäumende Wellen rauschten heran,
Bespritzten uns alle drei.
Sie stand im Kahn so blaß, so schlank,
Und unbeweglich dabei,
Als wär sie ein welsches Marmorbild,
Dianens Konterfei.
Der Mond verbirgt sich ganz. Es pfeift
Der Nachtwind kalt vorbei;
Hoch über unsern Häuptern ertönt
Plötzlich ein gellender Schrei.
Die weiße, gespenstische Möwe war's,
Und ob dem bösen Schrei,
Der schauerlich klang wie Warnungsruf,
Erschraken wir alle drei.
Bin ich im Fieber? Ist das ein Spuk
Der nächtlichen Phantasei?
Äfft mich ein Traum? Es träumet mir
Grausame Narretei.
Grausame Narretei! Mir träumt,
Daß ich ein Heiland sei,
Und daß ich trüge das große Kreuz
Geduldig und getreu.
Die arme Schönheit ist schwer bedrängt,
Ich aber mache sie frei
Von Schmach und Sünde, von Qual und Not,
Von der Welt Unfläterei.
Du arme Schönheit, schaudre nicht
Wohl ob der bittern Arznei;
Ich selber kredenze dir den Tod,
Bricht auch mein Herz entzwei.
O Narretei, grausamer Traum,
Wahnsinn und Raserei!
Es gähnt die Nacht, es kreischt das Meer,
O Gott! o steh mir bei!
O steh mir bei, barmherziger Gott!
Barmherziger Gott Schaddey!
Da schollert's hinab ins Meer – O Weh –
Schaddey! Schaddey! Adonay! –
Die Sonne ging auf, wir fuhren ans Land,
Da blühte und glühte der Mai!
Und als wir stiegen aus dem Kahn,
Da waren wir unsrer zwei.
Vitzliputzli
Präludium
Dieses ist Amerika!
Dieses ist die Neue Welt!
Nicht die heutige, die schon
Europäisieret abwelkt. –
Dieses ist die Neue Welt,
Wie sie Christoval Kolumbus
Aus dem Ozean hervorzog.
Glänzet noch in Flutenfrische,
Träufelt noch von Wasserperlen,
Die zerstieben, farbensprühend,
Wenn sie küßt das Licht der Sonne.
Wie gesund ist diese Welt!
Ist kein Kirchhof der Romantik,
Ist kein alter Scherbenberg
Von verschimmelten Symbolen
Und versteinerten Perucken.
Aus gesundem Boden sprossen
Auch gesunde Bäume – keiner
Ist blasiert und keiner hat
In dem Rückgratmark die Schwindsucht.
Auf den Baumesästen schaukeln
Große Vögel. Ihr Gefieder
Farbenschillernd. Mit den ernsthaft
Langen Schnäbeln und mit Augen,
Brillenartig schwarz umrändert,
Schaun sie auf dich nieder, schweigsam –
Bis sie plötzlich schrillend aufschrein
Und wie Kaffeeschwestern schnattern.
Doch ich weiß nicht, was sie sagen,
Ob ich gleich der Vögel Sprachen
Kundig bin wie Salomo,
Welcher tausend Weiber hatte
Und die Vögelsprachen kannte,
Die modernen nicht allein,
Sondern auch die toten, alten,
Ausgestopften Dialekte.
Neuer Boden, neue Blumen!
Neue Blumen, neue Düfte!
Unerhörte, wilde Düfte,
Die mir in die Nase dringen,
Neckend, prickelnd, leidenschaftlich –
Und mein grübelnder Geruchsinn
Quält sich ab: Wo hab ich denn
Je dergleichen schon gerochen?
War's vielleicht auf Regentstreet,
In den sonnig gelben Armen
Jener schlanken Javanesin,
Die beständig Blumen kaute?
Oder war's zu Rotterdam,
Neben des Erasmi Bildsäul',
In der weißen Waffelbude
Mit geheimnisvollem Vorhang?
Während ich die Neue Welt
Solcher Art verdutzt betrachte,
Schein ich selbst ihr einzuflößen
Noch viel größre Scheu – Ein Affe,
Der erschreckt ins Buschwerk forthuscht,
Schlägt ein Kreuz bei meinem Anblick,
Angstvoll rufend: »Ein Gespenst!
Ein Gespenst der Alten Welt!«
Affe! fürcht dich nicht, ich bin
Kein Gespenst, ich bin kein Spuk;
Leben kocht in meinen Adern,
Bin des Lebens treuster Sohn.
Doch durch jahrelangen Umgang
Mit den Toten nahm ich an
Der Verstorbenen Manieren
Und geheime Seltsamkeiten.
Meine schönsten Lebensjahre,
Die verbracht ich im Kyffhäuser,
Auch im Venusberg und andern
Katakomben der Romantik.
Fürcht dich nicht vor mir, mein Affe!
Bin dir hold, denn auf dem haarlos
Ledern abgeschabten Hintern
Trägst du Farben, die ich liebe.
Teure Farben! Schwarz-rot-goldgelb!
Diese Affensteißcouleuren,
Sie erinnern mich mit Wehmut
An das Banner Barbarossas.
1.
Auf dem Haupt trug er den Lorbeer,
Und an seinen Stiefeln glänzten
Goldne Sporen – dennoch war er
Nicht ein Held und auch kein Ritter.
Nur ein Räuberhauptmann war er,
Der ins Buch des Ruhmes einschrieb,
Mit der eignen frechen Faust,
Seinen frechen Namen: Cortez.
Unter des Kolumbus Namen
Schrieb er ihn, ja dicht darunter,
Und der Schulbub' auf der Schulbank
Lernt auswendig beide Namen –
Nach dem Christoval Kolumbus,
Nennt er jetzt Fernando Cortez
Als den zweiten großen Mann
In dem Pantheon der Neuwelt.
Heldenschicksals letzte Tücke:
Unser Name wird verkoppelt
Mit dem Namen eines Schächers
In der Menschen Angedenken.
Wär's nicht besser, ganz verhallen
Unbekannt, als mit sich schleppen
Durch die langen Ewigkeiten
Solche Namenskameradschaft?
Messer Christoval Kolumbus
War ein Held, und sein Gemüte,
Das so lauter wie die Sonne,
War freigebig auch wie diese.
Mancher hat schon viel gegeben,
Aber jener hat der Welt
Eine ganze Welt geschenket,
Und sie heißt Amerika.
Nicht befreien konnt er uns
Aus dem öden Erdenkerker,
Doch er wußt ihn zu erweitern
Und die Kette zu verlängern.
Dankbar huldigt ihm die Menschheit,
Die nicht bloß europamüde,
Sondern Afrikas und Asiens
Endlich gleichfalls müde worden – –
Einer nur, ein einz'ger Held,
Gab uns mehr und gab uns Beßres
Als Kolumbus, das ist jener,
Der uns einen Gott gegeben.
Sein Herr Vater, der hieß Amram,
Seine Mutter hieß Jochebeth,
Und er selber, Moses heißt er,
Und er ist mein bester Heros.
Doch, mein Pegasus, du weilest
Viel zu lang bei dem Kolumbus –
Wisse, unser heut'ger Flugritt
Gilt dem g'ringern Mann, dem Cortez.
Breite aus den bunten Fittich,
Flügelroß! und trage mich
Nach der Neuwelt schönem Lande,
Welches Mexiko geheißen.
Trage mich nach jener Burg,
Die der König Montezuma
Gastlich seinen span'schen Gästen
Angewiesen zur Behausung.
Doch nicht Obdach bloß und Atzung,
In verschwenderischer Fülle,
Gab der Fürst den fremden Strolchen –
Auch Geschenke reich und prächtig,
Kostbarkeiten klug gedrechselt,
Von massivem Gold, Juwelen,
Zeugten glänzend von der Huld
Und der Großmut des Monarchen.
Dieser unzivilisierte,
Abergläubisch blinde Heide
Glaubte noch an Treu' und Ehre
Und an Heiligkeit des Gastrechts.
Er willfahrte dem Gesuche,
Beizuwohnen einem Feste,
Das in ihrer Burg die Spanier
Ihm zu Ehren geben wollten –
Und mit seinem Hofgesinde,
Arglos, huldreich, kam der König
In das spanische Quartier,
Wo Fanfaren ihn begrüßten.
Wie das Festspiel war betitelt,
Weiß ich nicht. Es hieß vielleicht:
»Span'sche Treue!«, doch der Autor
Nannt sich Don Fernando Cortez.
Dieser gab das Stichwort – plötzlich
Ward der König überfallen,
Und man band ihn und behielt ihn
In der Burg als eine Geisel.
Aber Montezuma starb,
Und da war der Damm gebrochen,
Der die kecken Abenteurer
Schützte vor dem Zorn des Volkes.
Schrecklich jetzt begann die Brandung –
Wie ein wild empörtes Meer
Tosten, rasten immer näher
Die erzürnten Menschenwellen.
Tapfer schlugen zwar die Spanier
Jeden Sturm zurück. Doch täglich
Ward berennt die Burg aufs neue,
Und ermüdend war das Kampfspiel.
Nach dem Tod des Königs stockte
Auch der Lebensmittel Zufuhr;
Kürzer wurden die Rationen,
Die Gesichter wurden länger.
Und mit langen Angesichtern
Sahn sich an Hispaniens Söhne,
Und sie seufzten und sie dachten
An die traute Christenheimat,
An das teure Vaterland,
Wo die frommen Glocken läuten
Und am Herde friedlich brodelt
Eine Ollea Potrida,
Dick verschmoret mit Garbanzos,
Unter welchen, schalkhaft duftend,
Auch wohl kichernd, sich verbergen
Die geliebten Knoblauchwürstchen.
Einen Kriegsrat hielt der Feldherr,
Und der Rückzug ward beschlossen;
In der nächsten Tagesfrühe
Soll das Heer die Stadt verlassen.
Leicht gelang's hineinzukommen
Einst durch List dem klugen Cortez,
Doch die Rückkehr nach dem Festland
Bot fatale Schwierigkeiten.
Mexiko, die Inselstadt,
Liegt in einem großen See,
In der Mitte, flutumrauscht:
Eine stolze Wasserfestung,
Mit dem Uferland verkehrend
Nur durch Schiffe, Flöße, Brücken,
Die auf Riesenpfählen ruhen;
Kleine Inseln bilden Furten.
Noch bevor die Sonne aufging,
Setzten sich in Marsch die Spanier;
Keine Trommel ward gerühret,
Kein Trompeter blies Reveille.
Wollten ihre Wirte nicht
Aus dem süßen Schlafe wecken –
(Hunderttausend Indianer
Lagerten in Mexiko).
Doch der Spanier machte diesmal
Ohne seinen Wirt die Rechnung;
Noch frühzeit'ger aufgestanden
Waren heut die Mexikaner.
Auf den Brücken, auf den Flößen,
Auf den Furten harrten sie,
Um den Abschiedstrunk alldorten
Ihren Gästen zu kredenzen.
Auf den Brücken, Flößen, Furten,
Hei! da gab's ein toll Gelage!
Rot in Strömen floß das Blut,
Und die kecken Zecher rangen –
Rangen Leib an Leib gepreßt,
Und wir sehn auf mancher nackten
Indianerbrust den Abdruck
Span'scher Rüstungsarabesken.
Ein Erdrosseln war's, ein Würgen,
Ein Gemetzel, das sich langsam,
Schaurig langsam, weiterwälzte,
Über Brücken, Flöße, Furten.
Die Indianer sangen, brüllten,
Doch die Spanier fochten schweigend;
Mußten Schritt für Schritt erobern
Einen Boden für die Flucht.
In gedrängten Engpaßkämpfen
Boten g'ringen Vorteil heute
Alteuropas strenge Kriegskunst,
Feuerschlünde, Harnisch, Pferde.
Viele Spanier waren gleichfalls
Schwer bepackt mit jenem Golde,
Das sie jüngst erpreßt, erbeutet –
Ach, die gelbe Sündenlast
Lähmte, hemmte sie im Kampfe,
Und das teuflische Metall
Ward nicht bloß der armen Seele,
Sondern auch dem Leib verderblich.
Mittlerweile ward der See
Ganz bedeckt von Kähnen, Barken;
Schützen saßen drin und schossen
Nach den Brücken, Flößen, Furten.
Trafen freilich im Getümmel
Viele ihrer eignen Brüder,
Doch sie trafen auch gar manchen
Hochvortrefflichen Hidalgo.
Auf der dritten Brücke fiel
Junker Gaston, der an jenem
Tag die Fahne trug, worauf
Konterfeit die heil'ge Jungfrau.
Dieses Bildnis selber trafen
Die Geschosse der Indianer;
Sechs Geschosse blieben stecken
Just im Herzen – blanke Pfeile,
Ähnlich jenen güldnen Schwertern,
Die der Mater dolorosa
Schmerzenreiche Brust durchbohren
Bei Karfreitagsprozessionen.
Sterbend übergab Don Gaston
Seine Fahne dem Gonzalvo,
Der zu Tod getroffen gleichfalls
Bald dahinsank. – Jetzt ergriff
Cortez selbst das teure Banner,
Er, der Feldherr, und er trug es
Hoch zu Roß bis gegen Abend,
Wo die Schlacht ein Ende nahm.
Hundertsechzig Spanier fanden
Ihren Tod an jenem Tage;
Über achtzig fielen lebend
In die Hände der Indianer.
Schwer verwundet wurden viele,
Die erst später unterlagen.
Schier ein Dutzend Pferde wurde
Teils getötet, teils erbeutet.
Gegen Abend erst erreichten
Cortez und sein Herr das sichre
Uferland, ein Seegestade,
Karg bepflanzt mit Trauerweiden.
2.
Nach des Kampfes Schreckenstag,
Kommt die Spuknacht des Triumphes;
Hunderttausend Freudenlampen
Lodern auf in Mexiko.
Hunderttausend Freudenlampen,
Waldharzfackeln, Pechkranzfeuer,
Werfen grell ihr Tageslicht
Auf Paläste, Götterhallen,
Gildenhäuser und zumal
Auf den Tempel Vitzliputzlis,
Götzenburg von rotem Backstein,
Seltsam mahnend an ägyptisch,
Babylonisch und assyrisch
Kolossalen Bauwerkmonstren,
Die wir schauen auf den Bildern
Unsers Briten Henri Martin.
Ja, das sind dieselben breiten
Rampentreppen, also breit,
Daß dort auf und nieder wallen
Viele tausend Mexikaner,
Während auf den Stufen lagern
Rottenweis die wilden Krieger,
Welche lustig bankettieren,
Hochberauscht von Sieg und Palmwein.
Diese Rampentreppen leiten,
Wie ein Zickzack, nach der Plattform,
Einem balustradenart'gen
Ungeheuern Tempeldach.
Dort auf seinem Thronaltar
Sitzt der große Vitzliputzli,
Mexikos blutdürst'ger Kriegsgott.
Ist ein böses Ungetüm,
Doch sein Äußres ist so putzig,
So verschnörkelt und so kindisch,
Daß er trotz des innern Grausens
Dennoch unsre Lachlust kitzelt –
Und bei seinem Anblick denken
Wir zu gleicher Zeit etwa
An den blassen Tod von Basel
Und an Brüssels Mankepiß.
An des Gottes Seite stehen
Rechts die Laien, links die Pfaffen;
Im Ornat von bunten Federn
Spreizt sich heut die Klerisei.
Auf des Altars Marmorstufen
Hockt ein hundertjährig Männlein,
Ohne Haar an Kinn und Schädel;
Trägt ein scharlach Kamisölchen.
Dieses ist der Opferpriester,
Und er wetzet seine Messer,
Wetzt sie lächelnd, und er schielet
Manchmal nach dem Gott hinauf.
Vitzliputzli scheint den Blick
Seines Dieners zu verstehen,
Zwinkert mit den Augenwimpern
Und bewegt sogar die Lippen.
Auf des Altars Stufen kauern
Auch die Tempelmusici,
Paukenschläger, Kuhhornbläser –
Ein Gerassel und Getute –
Ein Gerassel und Getute,
Und es stimmet ein des Chores
Mexikanisches Tedeum –
Ein Miaulen wie von Katzen –
Ein Miaulen wie von Katzen,
Doch von jener großen Sorte,
Welche Tigerkatzen heißen
Und statt Mäuse Menschen fressen!
Wenn der Nachtwind diese Töne
Hinwirft nach dem Seegestade,
Wird den Spaniern, die dort lagern,
Katzenjämmerlich zumute.
Traurig unter Trauerweiden,
Stehen diese dort noch immer,
Und sie starren nach der Stadt,
Die im dunkeln Seegewässer
Widerspiegelt, schier verhöhnend,
Alle Flammen ihrer Freude –
Stehen dort wie im Parterre
Eines großen Schauspielhauses,
Und des Vitzliputzli-Tempels
Helle Plattform ist die Bühne,
Wo zur Siegesfeier jetzt
Ein Mysterium tragiert wird.
»Menschenopfer« heißt das Stück.
Uralt ist der Stoff, die Fabel;
In der christlichen Behandlung
Ist das Schauspiel nicht so gräßlich.
Denn dem Blute wurde Rotwein,
Und dem Leichnam, welcher vorkam,
Wurde eine harmlos dünne
Mehlbreispeis' transsubstituieret –
Diesmal aber, bei den Wilden,
War der Spaß sehr roh und ernsthaft
Aufgefaßt: man speiste Fleisch,
Und das Blut war Menschenblut.
Diesmal war es gar das Vollblut
Von Altchristen, das sich nie,
Nie vermischt hat mit dem Blute
Der Moresken und der Juden.
Freu dich, Vitzliputzli, freu dich,
Heute gibt es Spanierblut,
Und am warmen Dufte wirst du
Gierig laben deine Nase.
Heute werden dir geschlachtet
Achtzig Spanier, stolze Braten
Für die Tafel deiner Priester,
Die sich an dem Fleisch erquicken.
Denn der Priester ist ein Mensch,
Und der Mensch, der arme Fresser,
Kann nicht bloß vom Riechen leben
Und vom Dufte, wie die Götter.
Horch! die Todespauke dröhnt schon,
Und es kreischt das böse Kuhhorn!
Sie verkünden, daß heraufsteigt
Jetzt der Zug der Sterbemänner.
Achtzig Spanier, schmählich nackend,
Ihre Hände auf dem Rücken
Festgebunden, schleppt und schleift man
Hoch hinauf die Tempeltreppe.
Vor dem Vitzliputzli-Bilde
Zwingt man sie, das Knie zu beugen
Und zu tanzen Possentänze,
Und man zwingt sie durch Torturen,
Die so grausam und entsetzlich,
Daß der Angstschrei der Gequälten
Überheulet das gesamte
Kannibalencharivari. –
Armes Publikum am See!
Cortez und die Kriegsgefährten,
Sie vernahmen und erkannten
Ihrer Freunde Angstrufstimmen –
Auf der Bühne, grellbeleuchtet,
Sahen sie auch ganz genau
Die Gestalten und die Mienen –
Sahn das Messer, sahn das Blut –
Und sie nahmen ab die Helme
Von den Häuptern, knieten nieder,
Stimmten an den Psalm der Toten,
Und sie sangen: »De profundis!«
Unter jenen, welche starben,
War auch Raimond de Mendoza,
Sohn der schönen Abbatissin,
Cortez' erste Jugendliebe.
Als er auf der Brust des Jünglings
Jenes Medaillon gewahrte,
Das der Mutter Bildnis einschloß,
Weinte Cortez helle Tränen –
Doch er wischt' sie ab vom Auge
Mit dem harten Büffelhandschuh,
Seufzte tief und sang im Chore
Mit den andern: »Miserere!«
3.
Blasser schimmern schon die Sterne,
Und die Morgennebel steigen
Aus der Seeflut, wie Gespenster,
Mit hinschleppend weißen Laken.
Fest und Lichter sind erloschen
Auf dem Dach des Götzentempels,
Wo am blutgetränkten Estrich
Schnarchend liegen Pfaff' und Laie.
Nur die rote Jacke wacht.
Bei dem Schein der letzten Lampe,
Süßlich grinsend, grimmig schäkernd,
Spricht der Priester zu dem Gotte:
»Vitzliputzli, Putzlivitzli,
Liebstes Göttchen Vitzliputzli!
Hast dich heute amüsieret,
Hast gerochen Wohlgerüche!
Heute gab es Spanierblut –
Oh, das dampfte so app'titlich,
Und dein feines Leckernäschen
Sog den Duft ein, wollustglänzend.
Morgen opfern wir die Pferde,
Wiehernd edle Ungetüme,
Die des Windes Geister zeugten,
Buhlschaft treibend mit der Seekuh.
Willst du artig sein, so schlacht ich
Dir auch meine beiden Enkel,
Hübsche Bübchen, süßes Blut,
Meines Alters einz'ge Freude.
Aber artig mußt du sein,
Mußt uns neue Siege schenken –
Laß uns siegen, liebes Göttchen,
Putzlivitzli, Vitzliputzli!
O verderbe unsre Feinde,
Diese Fremden, die aus fernen
Und noch unentdeckten Ländern
Zu uns kamen übers Weltmeer –
Warum ließen sie die Heimat?
Trieb sie Hunger oder Blutschuld?
Bleib im Land und nähr dich redlich,
Ist ein sinnig altes Sprüchwort.
Was ist ihr Begehr? Sie stecken
Unser Gold in ihre Taschen,
Und sie wollen, daß wir droben
Einst im Himmel glücklich werden!
Anfangs glaubten wir, sie wären
Wesen von der höchsten Gattung,
Sonnensöhne, die unsterblich
Und bewehrt mit Blitz und Donner.
Aber Menschen sind sie, tötbar
Wie wir andre, und mein Messer
Hat erprobet heute nacht
Ihre Menschensterblichkeit.
Menschen sind sie und nicht schöner
Als wir andre, manche drunter
Sind so häßlich wie die Affen;
Wie bei diesen sind behaart
Die Gesichter, und es heißt,
Manche trügen in den Hosen
Auch verborgne Affenschwänze –
Wer kein Aff', braucht keine Hosen.
Auch moralisch häßlich sind sie,
Wissen nichts von Pietät,
Und es heißt, daß sie sogar
Ihre eignen Götter fräßen!
O vertilge diese ruchlos
Böse Brut, die Götterfresser –
Vitzliputzli, Putzlivitzli,
Laß uns siegen, Vitzliputzli!« –
Also sprach zum Gott der Priester,
Und des Gottes Antwort tönt
Seufzend, röchelnd, wie der Nachtwind,
Welcher koset mit dem Seeschilf:
»Rotjack', Rotjack', blut'ger Schlächter,
Hast geschlachtet viele Tausend,
Bohre jetzt das Opfermesser
In den eignen alten Leib.
Aus dem aufgeschlitzten Leib
Schlüpft alsdann hervor die Seele;
Über Kiesel, über Wurzel
Trippelt sie zum Laubfroschteiche.
Dorten hocket meine Muhme
Rattenkön'gin – sie wird sagen:
›Guten Morgen, nackte Seele,
Wie ergeht es meinem Neffen?
Vitzliputzelt er vergnügt
In dem honigsüßen Goldlicht?
Wedelt ihm das Glück die Fliegen
Und die Sorgen von der Stirne?
Oder kratzt ihn Katzlagara,
Die verhaßte Unheilsgöttin
Mit den schwarzen Eisenpfoten,
Die in Otterngift getränket?‹
Nackte Seele, gib zur Antwort:
›Vitzliputzli läßt dich grüßen,
Und er wünscht dir Pestilenz
In den Bauch, Vermaledeite!
Denn du rietest ihm zum Kriege,
Und dein Rat, es war ein Abgrund –
In Erfüllung geht die böse,
Uralt böse Prophezeiung.
Von des Reiches Untergang
Durch die furchtbar bärt'gen Männer,
Die auf hölzernem Gevögel
Hergeflogen aus dem Osten.
Auch ein altes Sprüchwort gibt es:
Weiberwille, Gotteswille –
Doppelt ist der Gotteswille,
Wenn das Weib die Muttergottes.
Diese ist es, die mir zürnet,
Sie, die stolze Himmelsfürstin,
Eine Jungfrau sonder Makel,
Zauberkundig, wundertätig.
Sie beschützt das Spaniervolk,
Und wir müssen untergehen,
Ich, der ärmste aller Götter,
Und mein armes Mexiko.‹
Nach vollbrachtem Auftrag, Rotjack',
Krieche deine nackte Seele
In ein Sandloch – Schlafe wohl!
Daß du nicht mein Unglück schauest!
Dieser Tempel stürzt zusammen,
Und ich selber, ich versinke
In dem Qualm – nur Rauch und Trümmer –
Keiner wird mich wiedersehen.
Doch ich sterbe nicht; wir Götter
Werden alt wie Papageien,
Und wir mausern nur und wechseln
Auch wie diese das Gefieder.
Nach der Heimat meiner Feinde,
Die Europa ist geheißen,
Will ich flüchten, dort beginn ich
Eine neue Karriere.
Ich verteufle mich, der Gott
Wird jetzund ein Gottseibeiuns;
Als der Feinde böser Feind,
Kann ich dorten wirken, schaffen.
Quälen will ich dort die Feinde,
Mit Phantomen sie erschrecken –
Vorgeschmack der Hölle, Schwefel
Sollen sie beständig riechen.
Ihre Weisen, ihre Narren
Will ich ködern und verlocken;
Ihre Tugend will ich kitzeln,
Bis sie lacht wie ein Metze.
Ja, ein Teufel will ich werden,
Und als Kameraden grüß ich
Satanas und Belial,
Astaroth und Beelzebub.
Dich zumal begrüß ich, Lilis,
Sündenmutter, glatte Schlange!
Lehr mich deine Grausamkeiten
Und die schöne Kunst der Lüge!
Mein geliebtes Mexiko,
Nimmermehr kann ich es retten,
Aber rächen will ich furchtbar
Mein geliebtes Mexiko.«
Zweites Buch
Lamentationen
Das Glück ist eine leichte Dirne,
Und weilt nicht gern am selben Ort;
Sie streicht das Haar dir von der Stirne
Und küßt dich rasch und flattert fort.
Frau Unglück hat im Gegenteile
Dich liebefest ans Herz gedrückt;
Sie sagt, sie habe keine Eile,
Setzt sich zu dir ans Bett und strickt.
Waldeinsamkeit
Ich hab in meinen Jugendtagen
Wohl auf dem Haupt einen Kranz getragen;
Die Blumen glänzten wunderbar,
Ein Zauber in dem Kranze war.
Der schöne Kranz gefiel wohl allen,
Doch der ihn trug, hat manchem mißfallen;
Ich floh den gelben Menschenneid,
Ich floh in die grüne Waldeinsamkeit.
Im Wald, im Wald! da konnt ich führen
Ein freies Leben mit Geistern und Tieren;
Feen und Hochwild von stolzem Geweih,
Sie nahten sich mir ganz ohne Scheu.
Sie nahten sich mir ganz ohne Zagnis,
Sie wußten, das sei kein schreckliches Wagnis;
Daß ich kein Jäger, wußte das Reh,
Daß ich kein Vernunftmensch, wußte die Fee.
Von Feenbegünstigung plaudern nur Toren –
Doch wie die übrigen Honoratioren
Des Waldes mir huldreich gewesen, fürwahr,
Ich darf es bekennen offenbar.
Wie haben mich lieblich die Elfen umflattert!
Ein luftiges Völkchen! das plaudert und schnattert!
Ein bißchen stechend ist der Blick,
Verheißend ein süßes, doch tödliches Glück.
Ergötzten mich mit Maitanz und Maispiel,
Erzählten mir Hofgeschichten zum Beispiel:
Die skandalose Chronika
Der Königin Titania.
Saß ich am Bache, so tauchten und sprangen
Hervor aus der Flut, mit ihrem langen
Silberschleier und flatterndem Haar,
Die Wasserbacchanten, die Nixenschar.
Sie schlugen die Zither, sie spielten auf Geigen,
Das war der famose Nixenreigen;
Die Posituren, die Melodei,
War klingende, springende Raserei.
Jedoch zuzeiten waren sie minder
Tobsüchtig gelaunt, die schönen Kinder;
Zu meinen Füßen lagerten sie,
Das Köpfchen gestützt auf meinem Knie.
Tällerten, trillerten welsche Romanzen,
Zum Beispiel das Lied von den drei Pomeranzen,
Sangen auch wohl ein Lobgedicht
Auf mich und mein nobeles Menschengesicht.
Sie unterbrachen manchmal das Gesinge
Lautlachend, und frugen bedenkliche Dinge,
Zum Beispiel: »Sag uns, zu welchem Behuf
Der liebe Gott den Menschen schuf?
Hat eine unsterbliche Seele ein jeder
Von euch? Ist diese Seele von Leder
Oder von steifer Leinwand? Warum
Sind eure Leute meistens so dumm?«
Was ich zur Antwort gab, verhehle
Ich hier, doch meine unsterbliche Seele,
Glaubt mir's, ward nie davon verletzt,
Was eine kleine Nixe geschwätzt.
Anmutig und schalkhaft sind Nixen und Elfen;
Nicht so die Erdgeister, sie dienen und helfen
Treuherzig den Menschen. Ich liebte zumeist
Die, welche man Wichtelmännchen heißt.
Sie tragen Rotmäntelchen, lang und bauschig,
Die Miene ist ehrlich, doch bang und lauschig;
Ich ließ nicht merken, daß ich entdeckt,
Warum sie so ängstlich die Füße versteckt.
Sie haben nämlich Entenfüße
Und bilden sich ein, daß niemand es wisse.
Das ist eine tiefgeheime Wund',
Worüber ich nimmermehr spötteln kunnt.
Ach Himmel! wir alle, gleich jenen Zwergen,
Wir haben ja alle etwas zu verbergen;
Kein Christenmensch, wähnen wir, hätte entdeckt,
Wo unser Entenfüßchen steckt.
Niemals verkehrt ich mit Salamandern,
Und über ihr Treiben erfuhr ich von andern
Waldgeistern sehr wenig. Sie huschten mir scheu
Des Nachts wie leuchtende Schatten vorbei.
Sind spindeldürre, von Kindeslänge,
Höschen und Wämschen anliegend enge,
Von Scharlachfarbe, goldgestickt;
Das Antlitz kränklich, vergilbt und bedrückt.
Ein güldnes Krönlein, gespickt mit Rubinen,
Trägt auf dem Köpfchen ein jeder von ihnen;
Ein jeder von ihnen bildet sich ein,
Ein absoluter König zu sein.
Daß sie im Feuer nicht verbrennen,
Ist freilich ein Kunststück, ich will es bekennen;
Jedoch der unentzündbare Wicht,
Ein wahrer Feuergeist ist er nicht.
Die klügsten Waldgeister sind die Alräunchen,
Langbärtige Männlein mit kurzen Beinchen,
Ein fingerlanges Greisengeschlecht;
Woher sie stammen, man weiß es nicht recht.
Wenn sie im Mondschein kopfüber purzeln,
Das mahnt bedenklich an Pissewurzeln;
Doch da sie mir nur Gutes getan,
So geht mich nichts ihr Ursprung an.
Sie lehrten mir kleine Hexereien,
Feuer besprechen, Vögel beschreien,
Auch pflücken in der Johannisnacht
Das Kräutlein, das unsichtbar macht.
Sie lehrten mich Sterne und Zeichen deuten,
Sattellos auf dem Winde reiten,
Auch Runensprüche, womit man ruft
Die Toten hervor aus ihrer Gruft.
Sie haben mir auch den Pfiff gelehrt,
Wie man den Vogel Specht betört
Und ihm die Springwurz abgewinnt,
Die anzeigt, wo Schätze verborgen sind.
Die Worte, die man beim Schätzegraben
Hinmurmelt, lehrten sie mich, sie haben
Mir alles expliziert – umsunst!
Hab nie begriffen die Schatzgräberkunst.
Wohl hatt ich derselben nicht nötig dermalen,
Ich brauchte wenig, und konnt es bezahlen,
Besaß auch in Spanien manch luftiges Schloß,
Wovon ich die Revenuen genoß.
Oh, schöne Zeit! wo voller Geigen
Der Himmel hing, wo Elfenreigen
Und Nixentanz und Koboldscherz
Umgaukelt mein märchentrunkenes Herz!
Oh, schöne Zeit! wo sich zu grünen
Triumphespforten zu wölben schienen
Die Bäume des Waldes – ich ging einher,
Bekränzt, als ob ich der Sieger wär!
Die schöne Zeit, sie ist verschlendert,
Und alles hat sich seitdem verändert,
Und ach! mir ist der Kranz geraubt,
Den ich getragen auf meinem Haupt.
Der Kranz ist mir vom Haupt genommen,
Ich weiß es nicht, wie es gekommen;
Doch seit der schöne Kranz mir fehlt,
Ist meine Seele wie entseelt.
Es glotzen mich an unheimlich blöde
Die Larven der Welt! Der Himmel ist öde,
Ein blauer Kirchhof, entgöttert und stumm.
Ich gehe gebückt im Wald herum.
Im Walde sind die Elfen verschwunden,
Jagdhörner hör ich, Gekläffe von Hunden;
Im Dickicht ist das Reh versteckt,
Das tränend seine Wunden leckt.
Wo sind die Alräunchen? Ich glaube, sie halten
Sich ängstlich verborgen in Felsenspalten.
Ihr kleinen Freunde, ich komme zurück,
Doch ohne Kranz und ohne Glück.
Wo ist die Fee mit dem langen Goldhaar,
Die erste Schönheit, die mir hold war?
Der Eichenbaum, worin sie gehaust,
Steht traurig entlaubt, vom Winde zerzaust.
Der Bach rauscht trostlos gleich dem Styxe;
Am einsamen Ufer sitzt eine Nixe,
Todblaß und stumm, wie 'n Bild von Stein,
Scheint tief in Kummer versunken zu sein.
Mitleidig tret ich zu ihr heran –
Da fährt sie auf und schaut mich an,
Und sie entflieht mit entsetzten Mienen,
Als sei ihr ein Gespenst erschienen.
Spanische Atriden
Am Hubertustag des Jahres
Dreizehnhundertdreiundachtzig
Gab der König uns ein Gastmahl
Zu Segovia im Schlosse.
Hofgastmähler sind dieselben
Überall, es gähnt dieselbe
Souveräne Langeweile
An der Tafel aller Fürsten.
Prunkgeschirr von Gold und Silber,
Leckerbissen aller Zonen,
Und derselbe Bleigeschmack,
Mahnend an Lokustes Küche.
Auch derselbe seidne Pöbel,
Buntgeputzt und vornehm nickend,
Wie ein Beet von Tulipanen;
Nur die Saucen sind verschieden.
Und das ist ein Wispern, Sumsen,
Das wie Mohn den Sinn einschläfert,
Bis Trompetenstöße wecken
Aus der kauenden Betäubnis.
Neben mir, zum Glücke, saß
Don Diego Albuquerque,
Dem die Rede unterhaltsam
Von den klugen Lippen floß.
Ganz vorzüglich gut erzählte
Er die blut'gen Hofgeschichten
Aus den Tagen des Don Pedro,
Den man »König Grausam« nannte.
Als ich frug, warum Don Pedro
Seinen Bruder Don Fredrego
Insgeheim enthaupten ließ,
Sprach mein Tischgenosse seufzend:
»Señor! glaubt nicht, was sie klimpern
Auf den schlottrigen Gitarren,
Bänkelsänger, Maultiertreiber,
In Posaden, Kneipen, Schenken.
Glaubet nimmer, was sie faseln
Von der Liebe Don Fredregos
Und Don Pedros schöner Gattin,
Doña Blanka von Bourbon.
Nicht der Eifersucht des Gatten,
Nur der Mißgunst eines Neidharts
Fiel als Opfer Don Fredrego,
Calatravas Ordensmeister.
Das Verbrechen, das Don Pedro
Nicht verzieh, das war sein Ruhm,
Jener Ruhm, den Doña Fama
Mit Entzücken ausposaunte.
Auch verzieh ihm nicht Don Pedro
Seiner Seele Hochgefühle
Und die Wohlgestalt des Leibes,
Die ein Abbild solcher Seele.
Blühend blieb mir im Gedächtnis
Diese schlanke Heldenblume;
Nie vergeß ich dieses schöne
Träumerische Jünglingsantlitz.
Das war eben jene Sorte,
Die geliebt wird von den Feen,
Und ein märchenhaft Geheimnis
Sprach aus allen diesen Zügen.
Blaue Augen, deren Schmelz
Blendend wie ein Edelstein –
Aber auch der stieren Härte
Eines Edelsteins teilhaftig.
Seine Haare waren schwarz,
Bläulichschwarz, von seltnem Glanze,
Und in üppig schönen Locken
Auf die Schulter niederfallend.
In der schönen Stadt Coimbra,
Die er abgewann den Mohren,
Sah ich ihn zum letzten Male
Lebend – unglücksel'ger Prinz!
Eben kam er vom Alkanzor,
Durch die engen Straßen reitend;
Manche junge Mohrin lauschte
Hinterm Gitter ihres Fensters.
Seines Hauptes Helmbusch wehte
Frei galant, jedoch des Mantels
Strenges Calatrava-Kreuz
Scheuchte jeden Buhlgedanken.
Ihm zur Seite, freudewedelnd,
Sprang sein Liebling, Allan hieß er,
Eine Bestie solzer Rasse,
Deren Heimat die Sierra.
Trotz der ungeheuern Größe
War er wie ein Reh gelenkig,
Nobel war des Kopfes Bildung,
Ob sie gleich dem Fuchse ähnlich.
Schneeweiß und so weich wie Seide
Flockten lang herab die Haare;
Mit Rubinen inkrustieret
War das breite goldne Halshand.
Dieses Halshand, sagt man, barg
Einen Talisman der Treue;
Niemals wich er von der Seite
Seines Herrn, der treue Hund.
O der schauerlichen Treue!
Mir erbebet das Gemüte,
Denk ich dran, wie sie sich hier
Offenbart vor unsern Augen.
O des schreckenvollen Tages!
Hier in diesem Saale war es,
Und wie heute saß ich hier
An der königlichen Tafel.
An dem obern Tafelende,
Dort, wo heute Don Henrico
Fröhlich bechert mit der Blume
Kastilian'scher Ritterschaft –
Jenes Tags saß dort Don Pedro
Finster stumm, und neben ihm,
Strahlend stolz wie eine Göttin,
Saß Maria de Padilla.
Hier am untern End' der Tafel,
Wo wir heut die Dame sehen,
Deren große Linnenkrause
Wie ein weißer Teller aussieht –
Während ihr vergilbt Gesichtchen
Mit dem säuerlichen Lächeln
Der Zitrone gleichet, welche
Auf besagtem Teller ruht:
Hier am untern End' der Tafel
War ein leerer Platz geblieben;
Eines Gasts von hohem Range
Schien der goldne Stuhl zu harren.
Don Fredrego war der Gast,
Dem der goldne Stuhl bestimmt war –
Doch er kam nicht – ach, wir wissen
Jetzt den Grund der Zögerung.
Ach, zur selben Stunde wurde
Sie vollbracht, die dunkle Untat,
Und der arglos junge Held
Wurde von Don Pedros Schergen
Hinterlistig überfallen
Und gebunden fortgeschleppt
In ein ödes Schloßgewölbe,
Nur von Fackelschein beleuchtet.
Dorten standen Henkersknechte,
Dorten stand der rote Meister,
Der, gestützt auf seinem Richtbeil,
Mit schwermüt'ger Miene sprach:
›Jetzt, Großmeister von San Jago,
Müßt Ihr Euch zum Tod bereiten,
Eine Viertelstunde sei
Euch bewilligt zum Gebete.‹
Don Fredrego kniete nieder,
Betete mit frommer Ruhe,
Sprach sodann: ›Ich hab vollendet‹,
Und empfing den Todesstreich.
In demselben Augenblicke,
Als der Kopf zu Boden rollte,
Sprang drauf zu der treue Allan,
Welcher unbemerkt gefolgt war.
Er erfaßte, mit den Zähnen,
Bei dem Lockenhaar das Haupt,
Und mit dieser teuern Beute
Schoß er zauberschnell von dannen.
Jammer und Geschrei erscholl
Überall auf seinem Wege,
Durch die Gänge und Gemächer,
Treppen auf und Treppen ab.
Seit dem Gastmahl des Belsazar
Gab es keine Tischgesellschaft,
Welche so verstöret aussah
Wie die unsre in dem Saale,
Als das Ungetüm hereinsprang
Mit dem Haupte Don Fredregos,
Das er mit den Zähnen schleppte
An den träufend blut'gen Haaren.
Auf den leer gebliebnen Stuhl,
Welcher seinem Herrn bestimmt war;
Sprang der Hund und, wie ein Kläger,
Hielt er uns das Haupt entgegen.
Ach, es war das wohlbekannte
Heldenantlitz, aber blässer,
Aber ernster, durch den Tod,
Und umringelt gar entsetzlich
Von der Fülle schwarzer Locken,
Die sich bäumten wie der wilde
Schlangenkopfputz der Meduse,
Auch wie dieser schreckversteinernd.
Ja, wir waren wie versteinert,
Sahn uns an mit starrer Miene,
Und gelähmt war jede Zunge
Von der Angst und Etikette.
Nur Maria de Padilla
Brach das allgemeine Schweigen;
Händeringend, laut aufschluchzend,
Jammerte sie ahndungsvoll:
›Heißen wird es jetzt, ich hätte
Angestiftet solche Mordtat,
Und der Groll trifft meine Kinder,
Meine schuldlos armen Kinder!‹«
Don Diego unterbrach hier
Seine Rede, denn wir sahen,
Daß die Tafel aufgehoben
Und der Hof den Saal verlassen.
Höfisch fein von Sitten, gab
Mir der Ritter das Geleite,
Und wir wandelten selbander
Durch das alte Gotenschloß.
In dem Kreuzgang, welcher leitet
Nach des Königs Hundeställen,
Die durch Knurren und Gekläffe
Schon von fernher sich verkünd'gen,
Dorten sah ich, in der Wand
Eingemauert und nach außen
Fest mit Eisenwerk vergattert,
Eine Zelle wie ein Käfig.
Menschliche Gestalten zwo
Saßen drin, zwei junge Knaben;
Angefesselt bei den Beinen,
Hockten sie auf fauler Streu.
Kaum zwölfjährig schien der eine,
Wenig älter war der andre;
Die Gesichter schön und edel,
Aber fahl und welk von Siechtum.
Waren ganz zerlumpt, fast nackend,
Und die magern Leibchen trugen
Wunde Spuren der Mißhandlung;
Beide schüttelte das Fieber.
Aus der Tiefe ihres Elends
Schauten sie zu mir empor,
Wie mit weißen Geisteraugen,
Daß ich schier darob erschrocken.
»Wer sind diese Jammerbilder?«
Rief ich aus, indem ich hastig
Don Diegos Hand ergriff,
Die gezittert, wie ich fühlte.
Don Diego schien verlegen,
Sah sich um, ob niemand lausche,
Seufzte tief und sprach am Ende,
Heitern Weltmannston erkünstelnd:
»Dieses sind zwei Königskinder,
Früh verwaiset, König Pedro
Hieß der Vater, und die Mutter
War Maria de Padilla.
Nach der großen Schlacht bei Narvas,
Wo Henrico Transtamare
Seinen Bruder, König Pedro,
Von der großen Last der Krone
Und zugleich von jener größern
Last, die Leben heißt, befreite:
Da traf auch die Bruderskinder
Don Henricos Siegergroßmut.
Hat sich ihrer angenommen,
Wie es einem Oheim ziemet,
Und im eignen Schlosse gab er
Ihnen freie Kost und Wohnung.
Enge freilich ist das Stübchen,
Das er ihnen angewiesen,
Doch im Sommer ist es kühlig,
Und nicht gar zu kalt im Winter.
Ihre Speis' ist Roggenbrot,
Das so schmackhaft ist, als hätt es
Göttin Ceres selbst gebacken
Für ihr liebes Proserpinchen.
Manchmal schickt er ihnen auch
Eine Kumpe mit Garbanzos,
Und die Jungen merken dann,
Daß es Sonntag ist in Spanien.
Doch nicht immer ist es Sonntag,
Und nicht immer gibt's Garbanzos,
Und der Oberkoppelmeister
Regaliert sie mit der Peitsche.
Denn der Oberkoppelmeister,
Der die Ställe mit der Meute
Sowie auch den Neffenkäfig
Unter seiner Aufsicht hat,
Ist der unglücksel'ge Gatte
Jener sauren Zitronella
Mit der weißen Tellerkrause,
Die wir heut bei Tisch bewundert,
Und sie keift so frech, daß oft
Ihr Gemahl zur Peitsche greift –
Und hierher eilt und die Hunde
Und die armen Knaben züchtigt.
Doch der König hat mißbilligt
Solch Verfahren und befahl,
Daß man künftig seine Neffen
Nicht behandle wie die Hunde.
Keiner fremden Mietlingsfaust
Wird er ferner anvertrauen
Ihre Zucht, die er hinfüro
Eigenhändig leiten will.«
Don Diego stockte plötzlich,
Denn der Seneschall des Schlosses
Kam zu uns und frug uns
Höflich: ob wir wohlgespeist? – –
Der Ex-Lebendige
Brutus, wo ist dein Cassius,
Der Wächter, der nächtliche Rufer,
Der einst mit dir, im Seelenerguß,
Gewandelt am Seineufer?
Ihr schautet manchmal in die Höh',
Wo die dunklen Wolken jagen –
Viel dunklere Wolke war die Idee,
Die ihr im Herzen getragen.
Brutus, wo ist dein Cassius?
Er denkt nicht mehr ans Morden!
Es heißt, er sei am Neckarfluß
Tyrannenvorleser geworden.
Doch Brutus erwidert: »Du bist ein Tor,
Kurzsichtig wie alle Poeten –
Mein Cassius liest dem Tyrannen vor,
Jedoch um ihn zu töten.
Er liest ihm Gedichte von Matzerath –
Ein Dolch ist jede Zeile!
Der arme Tyrann, früh oder spat
Stirbt er vor Langeweile.«
Der Ex-Nachtwächter
Mißgelaunt, sagt man, verließ er
Stuttgart an dem Neckarstrand,
und zu München an der Isar
Ward er Schauspielintendant.
Das ist eine schöne Gegend
Ebenfalls, es schäumet hier,
Geist- und phantasieerregend,
Holder Bock, das beste Bier.
Doch der arme Intendante,
Heißt es, gehet dort herum
Melancholisch wie ein Dante,
Wie Lord Byron gloomy, stumm.
Ihn ergötzen nicht Komödien,
Nicht das schlechteste Gedicht,
Selbst die traurigsten Tragödien
Liest er – doch er lächelt nicht.
Manche Schöne möcht erheitern
Dieses gramumflorte Herz,
Doch die Liebesblicke scheitern
An dem Panzer, der von Erz
Nannerl mit dem Riegelhäubchen
Girrt ihn an so muntern Sinns –
»Geh ins Kloster, armes Täubchen«,
Spricht er wie ein Dänenprinz.
Seine Freunde sind vergebens
Zu erlust'gen ihn bemüht,
Singen: »Freue dich des Lebens,
Weil dir noch dein Lämpchen glüht!«
Kann dich nichts zum Frohsinn reizen
Hier in dieser hübschen Stadt,
Die an amüsanten Käuzen
Wahrlich keinen Mangel hat?
Zwar hat sie in jüngsten Tagen
Eingebüßt so manchen Mann,
Manchen trefflichen Choragen,
Den man schwer entbehren kann.
Wär der Maßmann nur geblieben!
Dieser hätte wohl am End'
Jeden Trübsinn dir vertrieben
Durch sein Burzelbaumtalent.
Schelling, der ist unersetzlich!
Ein Verlust vom höchsten Wert!
War als Philosoph ergötzlich
Und als Mime hochgeehrt.
Daß der Gründer der Walhalla
Fortging und zurücke ließ
Seine Manuskripte alle,
Gleichfalls ein Verlust war dies!
Mit Cornelius ging verloren
Auch des Meisters Jüngerschaft;
Hat das Haar sich abgeschoren,
Und im Haar war ihre Kraft.
Denn der kluge Meister legte
Einen Zauber in das Haar,
Drin sich sichtbar oft bewegte
Etwas, das lebendig war.
Tot ist Görres, die Hyäne.
Ob des heiligen Offiz
Umsturz quoll ihm einst die Träne
Aus des Auges rotem Schlitz.
Dieses Raubtier hat ein Sühnchen
Hinterlassen, doch es ist
Nur ein giftiges Kaninchen,
Welches Nonnenfürzchen frißt.
Apropos! Der erzinfame
Pfaffe Dollingerius –
Das ist ungefähr sein Name –
Lebt er noch am Isarfluß?
Dieser bleibt mir unvergeßlich!
Bei dem reinen Sonnenlicht!
Niemals schaut ich solch ein häßlich
Armesünderangesicht.
Wie es heißt, ist er gekommen
Auf die Welt gar wundersam,
Hat den Afterweg genommen,
Zu der Mutter Schreck und Scham.
Sah ihn am Karfreitag wallen
In dem Zug der Prozession,
Von den dunkeln Männern allen
Wohl die dunkelste Person.
Ja, Monacho Monachorum
Ist in unsrer Zeit der Sitz
Der Virorum obscurorum,
Die verherrlicht Huttens Witz.
Wie du zuckst beim Namen Hutten!
Ex-Nachtwächter, wache auf!
Hier die Pritsche, dort die Kutten,
Und wie eh'mals schlage drauf!
Geißle ihre Rücken blutig,
Wie einst tat der Ullerich;
Dieser schlug so rittermutig,
Jene heulten fürchterlich.
Der Erasmus mußte lachen
So gewaltig ob dem Spaß,
Daß ihm platzte in dem Rachen
Sein Geschwür und er genas.
Auf der Ebersburg desgleichen
Lachte Sickingen wie toll,
Und in allen deutschen Reichen
Das Gelächter widerscholl.
Alte lachten wie die Jungen –
Eine einz'ge Lache nur
War ganz Wittenberg, sie sungen
»Gaudeamus igitur!«
Freilich, klopft man faule Kutten,
Fängt man Flöh' im Überfluß,
Und es mußte sich der Hutten
Manchmal kratzen vor Verdruß.
Aber »Alea est jacta!«
War des Ritters Schlachtgeschrei,
Und er knickte und er knackte
Pulices und Klerisei.
Ex-Nachtwächter, Stundenrufer,
Fühlst du nicht dein Herz erglühn?
Rege dich am Isarufer,
Schüttle ab den kranken Spleen.
Deine langen Fortschrittsbeine,
Heb sie auf zu neuem Lauf –
Kutten grobe, Kutten feine,
Sind es Kutten, schlage drauf!
Jener aber seufzt, und seine
Hände ringend er versetzt:
»Meine langen Fortschrittsbeine
Sind europamüde jetzt.
Meine Hühneraugen jücken,
Habe deutsche enge Schuh',
Und wo mich die Schuhe drücken,
Weiß ich wohl – laß mich in Ruh'!«
Plateniden
Iliaden, Odysseen
Kündigst du uns prahlend an,
Und wir sollen in dir sehen
Deutscher Zukunft größten Mann.
Eine große Tat in Worten,
Die du einst zu tun gedenkst! –
Oh, ich kenne solche Sorten
Geist'ger Schuldenmacher längst.
Hier ist Rhodus, komm und zeige
Deine Kunst, hier wird getanzt!
Oder trolle dich und schweige,
Wenn du heut nicht tanzen kannst.
Wahre Prinzen aus Genieland
Zahlen bar, was sie verzehrt,
Schiller, Goethe, Lessing, Wieland
Haben nie Kredit begehrt.
Wollten keine Ovationen
Von dem Publiko auf Pump,
Keine Vorschußlorbeerkronen,
Rühmten sich nicht keck und plump.
Tot ist längst der alte Junker,
Doch sein Same lebt noch heut –
Oh, ich kenne das Geflunker
Künftiger Unsterblichkeit.
Das sind Platens echte Kinder,
Echtes Platenidenblut –
Meine teuern Hallermünder,
Oh, ich kenn euch gar zu gut!
Mythologie
Ja, Europa ist erlegen –
Wer kann Ochsen widerstehen?
Wir verzeihen auch Danäen –
Sie erlag dem goldnen Regen!
Semele ließ sich verführen –
Denn sie dachte: eine Wolke,
Ideale Himmelswolke,
Kann uns nicht kompromittieren.
Aber tief muß uns empören
Was wir von der Leda lesen –
Welche Gans bist du gewesen,
Daß ein Schwan dich konnt betören!
In Mathildens Stammbuch
Hier, auf gewalkten Lumpen, soll ich
Mit einer Spule von der Gans
Hinkritzeln ernsthaft halb, halb drollig,
Versifizierten Firlefanz –
Ich, der gewohnt mich auszusprechen
Auf deinem schönen Rosenmund,
Mit Küssen, die wie Flammen brechen
Hervor aus tiefstem Herzensgrund!
O Modewut! Ist man ein Dichter,
Quält uns die eigne Frau zuletzt,
Bis man, wie andre Sangeslichter,
Ihr einen Reim ins Album setzt.
An die Jungen
Laß dich nicht kirren, laß dich nicht wirren
Durch goldne Äpfel in deinem Lauf!
Die Schwerter klirren, die Pfeile schwirren,
Doch halten sie nicht den Helden auf.
Ein kühnes Beginnen ist halbes Gewinnen,
Ein Alexander erbeutet die Welt!
Kein langes Besinnen! Die Königinnen
Erwarten schon kniend den Sieger im Zelt.
Wir wagen, wir werben! besteigen als Erben
Des alten Darius Bett und Thron.
O süßes Verderben! o blühendes Sterben!
Berauschter Triumphtod zu Babylon!
Der Ungläubige
Du wirst in meinen Armen ruhn!
Von Wonnen sonder Schranken
Erbebt und schwillt mein ganzes Herz
Bei diesem Zaubergedanken.
Du wirst in meinen Armen ruhn!
Ich spiele mit den schönen
Goldlocken! Dein holdes Köpfchen wird
An meine Schulter lehnen.
Du wirst in meinen Armen ruhn!
Der Traum will Wahrheit werden,
Ich soll des Himmels höchste Lust
Hier schon genießen auf Erden.
Oh, heil'ger Thomas! Ich glaub es kaum!
Ich zweifle bis zur Stunde,
Wo ich den Finger legen kann
In meines Glückes Wunde.
K.-Jammer
Diese graue Wolkenschar
Stieg aus einem Meer von Freuden;
Heute muß ich dafür leiden,
Daß ich gestern glücklich war.
Ach, in Wermut hat verkehrt
Sich der Nektar! Ach, wie quälend,
Katzenjammer, Hundeelend
Herz und Magen mir beschwert!
Zum Hausfrieden
Viele Weiber, viele Flöhe,
Viele Flöhe, vieles Jucken –
Tun sich heimlich dir ein Wehe,
Darfst du dennnoch dich nicht mucken.
Denn sie rächen, schelmisch lächelnd,
Sich zur Nachtzeit – Willst du drücken
Sie ans Herze, lieberöchelnd,
Ach, da drehn sie dir den Rücken.
Jetzt wohin?
Jetzt wohin? Der dumme Fuß
Will mich gern nach Deutschland tragen;
Doch es schüttelt klug das Haupt
Mein Verstand und scheint zu sagen:
›Zwar beendigt ist der Krieg,
Doch die Kriegsgerichte blieben,
Und es heißt, du habest einst
Viel Erschießliches geschrieben.‹
Das ist wahr, unangenehm
Wär mir das Erschossenwerden;
Bin kein Held, es fehlen mir
Die pathetischen Gebärden.
Gern würd ich nach England gehn,
Wären dort nicht Kohlendämpfe
Und Engländer – schon ihr Duft
Gibt Erbrechen mir und Krämpfe.
Manchmal kommt mir in den Sinn,
Nach Amerika zu segeln,
Nach dem großen Freiheitstall,
Der bewohnt von Gleichheitsflegeln –
Doch es ängstet mich ein Land,
Wo die Menschen Tabak käuen,
Wo sie ohne König kegeln,
Wo sie ohne Spucknapf speien.
Rußland, dieses schöne Reich,
Würde mir vielleicht behagen,
Doch im Winter könnte ich
Dort die Knute nicht ertragen.
Traurig schau ich in die Höh',
Wo viel tausend Sterne nicken –
Aber meinen eignen Stern
Kann ich nirgens dort erblicken.
Hat im güldnen Labyrinth
Sich vielleicht verirrt am Himmel,
Wie ich selber mich verirrt
In dem irdischen Getümmel. –
Altes Lied
Du bist gestorben und weißt es nicht,
Erloschen ist dein Augenlicht,
Erblichen ist dein rotes Mündchen,
Und du bist tot, mein totes Kindchen.
In einer schaurigen Sommernacht
Hab ich dich selber zu Grabe gebracht;
Klaglieder die Nachtigallen sangen,
Die Sterne sind mit zur Leiche gegangen.
Der Zug, der zog den Wald vorbei,
Dort widerhallt die Litanei;
Die Tannen, in Trauermänteln vermummet,
Sie haben Totengebete gebrummet.
Am Weidensee vorüber ging's,
Die Elfen tanzten inmitten des Rings;
Sie blieben plötzlich stehn und schienen
Uns anzuschaun mit Beileidsmienen.
Und als wir kamen zu deinem Grab,
Da stieg der Mond vom Himmel herab.
Er hielt eine Rede. Ein Schluchzen und Stöhnen,
Und in der Ferne die Glocken tönen.
Solidität
Liebe sprach zum Gott der Lieder,
Sie verlange Sicherheiten,
Ehe sie sich ganz ergebe,
Denn es wären schlechte Zeiten.
Lachend gab der Gott zur Antwort:
»Ja, die Zeiten sich verändern,
Und du sprichst jetzt wie ein alter
Wuchrer, welcher leiht auf Pfändern.
Ach, ich hab nur eine Leier,
Doch sie ist von gutem Golde.
Wieviel Küsse willst du borgen
Mir darauf, o meine Holde?«
Alte Rose
Eine Rosenknospe war
Sie, für die mein Herze glühte;
Doch sie wuchs, und wunderbar
Schoß sie auf in voller Blüte.
Ward die schönste Ros' im Land,
Und ich wollt die Rose brechen,
Doch sie wußte mich pikant
Mit den Dornen fortzustechen.
Jetzt, wo sie verwelkt, zerfetzt
Und verklatscht von Wind und Regen –
»Liebster Heinrich« bin ich jetzt,
Liebend kommt sie mir entgegen.
Heinrich hinten, Heinrich vorn,
Klingt es jetzt mit süßen Tönen;
Sticht mich jetzt etwa ein Dorn,
Ist es an dem Kinn der Schönen.
Allzu hart die Borsten sind,
Die des Kinnes Wärzchen zieren –
Geh ins Kloster, liebes Kind,
Oder lasse dich rasieren.
Autodafé
Welke Veilchen, stäub'ge Locken,
Ein verblichen blaues Band,
Halb zerrissene Billette,
Längst vergeßner Herzenstand –
In die Flammen des Kamines
Werf ich sie verdroßnen Blicks;
Ängstlich knistern diese Trümmer
Meines Glücks und Mißgeschicks.
Liebeschwüre, flatterhafte
Falsche Eide, in den Schlot
Fliegen sie hinauf – es kichert
Unsichtbar der kleine Gott.
Bei den Flammen des Kamines
Sitz ich träumend, und ich seh,
Wie die Fünkchen in der Asche
Still verglühn – Gut' Nacht – Ade!
Lazarus
1.
Weltlauf
Hat man viel, so wird man bald
Noch viel mehr dazubekommen.
Wer nur wenig hat, dem wird
Auch das wenige genommen.
Wenn du aber gar nichts hast,
Ach, so lasse dich begraben –
Denn ein Recht zum Leben, Lump,
Haben nur, die etwas haben.
2.
Rückschau
Ich habe gerochen alle Gerüche
In dieser holden Erdenküche;
Was man genießen kann in der Welt,
Das hab ich genossen wie je ein Held!
Hab Kaffee getrunken, hab Kuchen gegessen,
Hab manche schöne Puppe besessen;
Trug seidne Westen, den feinsten Frack,
Mir klingelten auch Dukaten im Sack.
Wie Gellert ritt ich auf hohem Roß;
Ich hatte ein Haus, ich hatte ein Schloß.
Ich lag auf der grünen Wiese des Glücks,
Die Sonne grüßte goldigsten Blicks;
Ein Lorbeerkranz umschloß die Stirn,
Er duftete Träume mir ins Gehirn,
Träume von Rosen und ewigem Mai –
Es ward mir so selig zu Sinne dabei,
So dämmersüchtig, so sterbefaul –
Mir flogen gebratne Tauben ins Maul,
Und Englein kamen, und aus den Taschen
Sie zogen hervor Champagnerflaschen –
Das waren Visionen, Seifenblasen –
Sie platzten – Jetzt lieg ich auf feuchtem Rasen,
Die Glieder sind mir rheumatisch gelähmt,
Und meine Seele ist tief beschämt.
Ach, jede Lust, ach, jeden Genuß
Hab ich erkauft durch herben Verdruß;
Ich ward getränkt mit Bitternissen
Und grausam von den Wanzen gebissen;
Ich ward bedrängt von schwarzen Sorgen,
Ich mußte lügen, ich mußte borgen
Bei reichen Buben und alten Vetteln –
Ich glaube sogar, ich mußte betteln.
Jetzt bin ich müd' vom Rennen und Laufen,
Jetzt will ich mich im Grabe verschnaufen.
Lebt wohl! Dort oben, ihr christlichen Brüder,
Ja, das versteht sich, dort sehn wir uns wieder.
3.
Auferstehung
Posaunenruf erfüllt die Luft,
Und furchtbar schallt es wider;
Die Toten steigen aus der Gruft,
Und schütteln und rütteln die Glieder.
Was Beine hat, das trollt sich fort,
Es wallen die weißen Gestalten,
Nach Josaphat, dem Sammelort,
Dort wird Gericht gehalten.
Als Freigraf sitzet Christus dort
In seiner Apostel Kreise.
Sie sind die Schöppen, ihr Spruch und Wort
Ist minniglich und weise.
Sie urteln nicht vermummten Gesichts;
Die Maske läßt jeder fallen
Am hellen Tage des Jüngsten Gerichts,
Wenn die Posaunen schallen.
Das ist zu Josaphat im Tal,
Da stehn die geladenen Scharen,
Und weil zu groß der Beklagten Zahl,
Wird hier summarisch verfahren.
Das Böcklein zur Linken, zur Rechten das Schaf,
Geschieden sind sie schnelle;
Der Himmel dem Schäfchen fromm und brav,
Dem geilen Bock die Hölle!
4.
Sterbende
Flogest aus nach Sonn' und Glück,
Nackt und schlecht kommst du zurück.
Deutsche Treue, deutsche Hemde,
Die verschleißt man in der Fremde.
Siehst sehr sterbebläßlich aus,
Doch getrost, du bist zu Haus.
Warm wie an dem Flackerherde
Liegt man in der deutschen Erde.
Mancher leider wurde lahm
Und nicht mehr nach Hause kam –
Streckt verlangend aus die Arme,
Daß der Herr sich sein erbarme!
5.
Lumpentum
Die reichen Leute, die gewinnt
Man nur durch platte Schmeichelein –
Das Geld ist platt, mein liebes Kind,
Und will auch platt geschmeichelt sein.
Das Weihrauchfaß, das schwinge keck
Vor jedem göttlich goldnen Kalb;
Bet an im Staub, bet an im Dreck,
Vor allem aber lob nicht halb.
Das Brot ist teuer dieses Jahr,
Jedoch die schönsten Worte hat
Man noch umsonst – Besinge gar
Mäcenas' Hund, und friß dich satt!
6.
Erinnerung
Dem einen die Perle, dem andern die Truhe,
O Wilhelm Wisetzki, du starbest so fruhe –
Doch die Katze, die Katz' ist gerettet.
Der Balken brach, worauf er geklommen,
Da ist er im Wasser umgekommen –
Doch die Katze, die Katz' ist gerettet.
Wir folgten der Leiche, dem lieblichen Knaben,
Sie haben ihn unter Maiblumen begraben –
Doch die Katze, die Katz' ist gerettet.
Bist klug gewesen, du bist entronnen
Den Stürmen, hast früh ein Obdach gewonnen –
Doch die Katze, die Katz' ist gerettet.
Bist früh entronnen, bist klug gewesen,
Noch eh' du erkranktest, bist du genesen –
Doch die Katze, die Katz' ist gerettet.
Seit langen Jahren, wie oft, o Kleiner,
Mit Neid und Wehmut gedenk ich deiner –
Doch die Katze, die Katz' ist gerettet.
7.
Unvollkommenheit
Nichts ist vollkommen hier auf dieser Welt.
Der Rose ist der Stachel beigesellt;
Ich glaube gar, die lieben holden Engel
Im Himmel droben sind nicht ohne Mängel.
Der Tulpe fehlt der Duft. Es heißt am Rhein:
Auch Ehrlich stahl einmal ein Ferkelschwein.
Hätte Lucretia sich nicht erstochen,
Sie wär vielleicht gekommen in die Wochen.
Häßliche Füße hat der stolze Pfau.
Uns kann die amüsant geistreichste Frau
Manchmal langweilen wie die Henriade
Voltaires, sogar wie Klopstocks Messiade.
Die bravste, klügste Kuh kein Spanisch weiß,
Wie Maßmann kein Latein – Der Marmorsteiß
Der Venus von Canova ist zu glatte,
Wie Maßmanus Nase viel zu ärschig platte.
Im süßen Lied ist oft ein saurer Reim,
Wie Bienenstachel steckt im Honigseim.
Am Fuß verwundbar war der Sohn der Thetis,
Und Alexander Dumas ist ein Metis.
Der strahlenreinste Stern am Himmelzelt,
Wenn er den Schnupfen kriegt, herunterfällt.
Der beste Äpfelwein schmeckt nach der Tonne,
Und schwarze Flecken sieht man in der Sonne.
Du bist, verehrte Frau, du selbst sogar
Nicht fehlerfrei, nicht aller Mängel bar.
Du schaust mich an – du fragst mich, was dir fehle?
Ein Busen, und im Busen eine Seele.
8.
Fromme Warnung
Unsterbliche Seele, nimm dich in acht,
Daß du nicht Schaden leidest,
Wenn du aus dem Irdischen scheidest;
Es geht der Weg durch Tod und Nacht.
Am goldnen Tore der Hauptstadt des Lichts,
Da stehen die Gottessoldaten;
Sie fragen nach Werken und Taten,
Nach Namen und Amt fragt man hier nichts.
Am Eingang läßt der Pilger zurück
Die stäubigen, drückenden Schuhe –
Kehr ein, hier findest du Ruhe,
Und weiche Pantoffeln und schöne Musik.
9.
Der Abgekühlte
Und ist man tot, so muß man lang
Im Grabe liegen; ich bin bang,
Ja, ich bin bang, das Auferstehen
Wird nicht so schnell vonstatten gehen.
Noch einmal, eh' mein Lebenslicht
Erlöschet, eh' mein Herze bricht –
Noch einmal möcht ich vor dem Sterben
Um Frauenhuld beseligt werben.
Und eine Blonde müßt es sein,
Mit Augen sanft wie Mondenschein –
Denn schlecht bekommen mir am Ende
Die wild brünetten Sonnenbrände.
Das junge Volk voll Lebenskraft
Will den Tumult der Leidenschaft,
Das ist ein Rasen, Schwören, Poltern
Und wechselseit'ges Seelenfoltern!
Unjung und nicht mehr ganz gesund,
Wie ich es bin zu dieser Stund',
Möcht ich noch einmal lieben, schwärmen
Und glücklich sein – doch ohne Lärmen.
10.
Salomo
Verstummt sind Pauken, Posaunen und Zinken.
An Salomos Lager Wache halten
Die schwertgegürteten Engelgestalten,
Sechstausend zur Rechten, sechstausend zur Linken.
Sie schützen den König vor träumendem Leide,
Und zieht er finster die Brauen zusammen,
Da fahren sogleich die stählernen Flammen,
Zwölftausend Schwerter, hervor aus der Scheide.
Doch wieder zurück in die Scheide fallen
Die Schwerter der Engel. Das nächtliche Grauen
Verschwindet, es glätten sich wieder die Brauen
Des Schläfers, und seine Lippen lallen:
»O Sulamith! Das Reich ist mein Erbe,
Die Lande sind mir untertänig,
Bin über Juda und Israel König –
Doch liebst du mich nicht, so welk ich und sterbe.«
11.
Verlorene Wünsche
Von der Gleichheit der Gemütsart
Wechselseitig angezogen,
Waren wir einander immer
Mehr als uns bewußt gewogen.
Beide ehrlich und bescheiden,
Konnten wir uns leicht verstehen;
Worte waren überflüssig,
Brauchten uns nur anzusehen.
O wie sehnlich wünscht ich immer,
Daß ich bei dir bleiben könnte
Als der tapfre Waffenbruder
Eines Dolcefarniente.
Ja, mein liebster Wunsch war immer,
Daß ich immer bei dir bliebe!
Alles, was dir wohlgefiele,
Alles tät ich dir zuliebe.
Würde essen, was dir schmeckte,
Und die Schüssel gleich entfernen,
Die dir nicht behagt. Ich würde
Auch Zigarren rauchen lernen.
Manche polnische Geschichte,
Die dein Lachen immer weckte,
Wollt ich wieder dir erzählen
In Judäas Dialekte.
Ja, ich wollte zu dir kommen,
Nicht mehr in der Fremde schwärmen –
An dem Herde deines Glückes
Wollt ich meine Kniee wärmen. – –
Goldne Wünsche! Seifenblasen!
Sie zerrinnen wie mein Leben –
Ach, ich liege jetzt am Boden,
Kann mich nimmermehr erheben.
Und Ade! sie sind zerronnen,
Goldne Wünsche, süßes Hoffen!
Ach, zu tödlich war der Faustschlag,
Der mich just ins Herz getroffen.
12.
Gedächtnisfeier
Keine Messe wird man singen,
Keinen Kadosch wird man sagen,
Nichts gesagt und nichts gesungen
Wird an meinen Sterbetagen.
Doch vielleicht an solchem Tage,
Wenn das Wetter schön und milde,
Geht spazieren auf Montmartre
Mit Paulinen Frau Mathilde.
Mit dem Kranz von Immortellen
Kommt sie, mir das Grab zu schmücken,
Und sie seufzet: »Pauvre homme!«
Feuchte Wehmut in den Blicken.
Leider wohn ich viel zu hoch,
Und ich habe meiner Süßen
Keinen Stuhl hier anzubieten;
Ach! sie schwankt mit müden Füßen.
Süßes, dickes Kind, du darfst
Nicht zu Fuß nach Hause gehen;
An dem Barrieregitter
Siehst du die Fiaker stehen.
13.
Wiedersehen
Die Geißblattlaube – Ein Sommerabend –
Wir saßen wieder wie eh'mals am Fenster –
Der Mond ging auf, belebend und labend –
Wir aber waren wie zwei Gespenster.
Zwölf Jahre schwanden, seitdem wir beisammen
Zum letzten Male hier gesessen;
Die zärtlichen Gluten, die großen Flammen,
Sie waren erloschen unterdessen.
Einsilbig saß ich.
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