Sie
brachte inzwischen notdürftig ein Becken voll warmen Kaffee zusammen, welchen mit ihr zu teilen sie den Geliebten zwang. »Also
übermorgen mußt du hier weg?« sagte Sali, »was soll denn ums Himmels willen werden?« – »Das weiß ich nicht«, sagte Vrenchen,
»ich werde dienen müssen und in die Welt hinaus! Ich werde es aber nicht aushalten ohne dich, und doch kann ich dich nie bekommen,
auch wenn alles andere nicht wäre, bloß weil du meinen Vater geschlagen und um den Verstand gebracht hast! Dies würde immer
ein schlechter Grundstein unserer Ehe sein und wir beide nie sorglos werden, nie!« Sali seufzte und sagte: »Ich wollte auch
schon hundertmal Soldat werden oder mich in einer fremden Gegend als Knecht verdingen, aber ich kann doch nicht fortgehen,
solange du hier bist, und hernach wird es mich aufreiben. Ich glaube, das Elend macht meine Liebe zu dir stärker und schmerzhafter,
so daß es um Leben und Tod geht! Ich habe von dergleichen keine Ahnung gehabt!« Vrenchen sah ihn liebevoll lächelnd an; sie
lehnten sich an die Wand zurück und sprachen nichts mehr, sondern gaben sich schweigend der glückseligen Empfindung hin, die
sich über allen Gram erhob, daß sie sich im größten Ernste gut wären und geliebt wüßten. Darüber schliefen sie friedlich ein
auf dem unbequemen Herde, ohne Kissen und Pfühl, und schliefen so sanft und ruhig wie zwei Kinder in einer Wiege. Schon graute
der Morgen, als Sali zuerst erwachte; er weckte Vrenchen, so sacht er konnte; aber es duckte sich immer wieder an ihn, schlaftrunken,
und wollte sich nicht ermuntern. Da küßte er es heftig auf den Mund und Vrenchen fuhr empor, machte die Augen weit auf, und
als es Sali erblickte, rief es: »Herrgott! ich habe eben noch von dir geträumt! Es träumte mir, wir tanzten miteinander auf
unserer Hochzeit, lange, lange Stunden! und waren so glücklich, sauber geschmückt und es fehlte uns an nichts. Da wollten
wir uns endlich küssen und dürsteten darnach, aber immer zog uns etwas auseinander, und nun bist du es selbst gewesen, der
uns gestört und gehindert hat! Aber wie gut, daß du gleich da bist!« Gierig fiel es ihm um den Hals und küßte ihn, als ob
es kein Ende nehmen sollte. »Und was hast du denn geträumt?« fragte es und streichelte ihm Wangen und Kinn. »Mir träumte,
ich ginge endlos auf einer langen Straße durch einen Wald und du in der Ferne immer vor mir her; zuweilen sahest du nach mir
um, winktest mir und lachtest und dann war ich wie im Himmel. Das ist alles!« Sie traten unter die offengebliebene Küchentüre,
die unmittelbar ins Freie führte, und mußten lachen, als sie sich ins Gesicht sahen. Denn die rechte Wange Vrenchens und die
linke Salis, welche im Schlafe aneinander gelehnt hatten, waren von dem Drucke ganz rot gefärbt, während die Blässe der anderen
durch die kühle Nachtluft noch erhöht war. Sie rieben sich zärtlich die kalte bleiche Seite ihrer Gesichter, um sie auch rot
zu machen; die frische Morgenluft, der tauige stille Frieden, der über der Gegend lag, das junge Morgenrot machten sie fröhlich
und selbstvergessen, und besonders in Vrenchen schien ein freundlicher Geist der Sorglosigkeit gefahren zu sein. »Morgen abend
muß ich also aus diesem Hause fort«, sagte es, »und ein anderes Obdach suchen. Vorher aber möchte ich einmal, nur einmal recht lustig sein, und zwar mit dir; ich möchte recht herzlich und fleißig mit dir tanzen irgendwo, denn das Tanzen aus dem
Traume steckt mir immerfort im Sinn!« – »Jedenfalls will ich dabei sein und sehen, wo du unterkommst«, sagte Sali, »und tanzen
wollte ich auch gerne mit dir, du herziges Kind! aber wo?« – »Es ist morgen Kirchweih an zwei Orten nicht sehr weit von hier«,
erwiderte Vrenchen, »da kennt und beachtet man uns weniger; draußen am Wasser will ich auf dich warten, und dann können wir
gehen, wohin es uns gefällt, um uns lustig zu machen, einmal, einmal nur! Aber je, wir haben ja gar kein Geld!« setzte es traurig hinzu, »da kann nichts draus werden!« – »Laß nur«, sagte Sali,
»ich will schon etwas mitbringen!« – »Doch nicht von deinem Vater, von – von dem Gestohlenen?« – »Nein, sei nur ruhig! Ich
habe noch meine silberne Uhr bewahrt bis dahin, die will ich verkaufen!« »Ich will dir nicht abraten«, sagte Vrenchen errötend,
»denn ich glaube, ich müßte sterben, wenn ich nicht morgen mit dir tanzen könnte.« – »Es wäre das beste, wir beide könnten
sterben!« sagte Sali; sie umarmten sich wehmütig und schmerzlich zum Abschied, und als sie voneinander ließen, lachten sie
sich doch freundlich an in der sicheren Hoffnung auf den nächsten Tag. »Aber wann willst du denn kommen?« rief Vrenchen noch.
»Spätestens elf Uhr mittags«, erwiderte er, »wir wollen recht ordentlich zusammen Mittag essen!« »Gut, gut! komm lieber um
halb elf schon!« Doch als Sali schon im Gehen war, rief sie ihn noch einmal zurück und zeigte ein plötzlich verändertes verzweiflungsvolles
Gesicht. »Es wird doch nichts daraus«, sagte sie bitterlich weinend, »ich habe keine Sonntagsschuhe mehr! Schon gestern habe
ich diese groben hier anziehen müssen, um nach der Stadt zu kommen! Ich weiß keine Schuhe aufzubringen!« Sali stand ratlos
und verblüfft. »Keine Schuhe!« sagte er, »da mußt du halt in diesen kommen!« – »Nein, nein, in denen kann ich nicht tanzen!«
– »Nun, so müssen wir welche kaufen?« – »Wo, mit was?« – »Ei, in Seldwyl da gibt es Schuhläden genug! Geld werde ich in minder
als zwei Stunden haben.« – »Aber ich kann doch nicht mit dir in Seldwyl herumgehen, und dann wird das Geld nicht langen, auch
noch Schuhe zu kaufen!« – »Es muß! und ich will die Schuhe kaufen und morgen mitbringen!« – »O du Närrchen, sie werden ja
nicht passen, die du kaufst!« – »So gib mir einen alten Schuh mit, oder halt, noch besser, ich will dir das Maß nehmen, das
wird doch kein Hexenwerk sein!« – »Das Maßnehmen? Wahrhaftig, daran hab ich nicht gedacht! Komm, komm, ich will dir ein Schnürchen
suchen!« Sie setzte sich wieder auf den Herd, zog den Rock etwas zurück und streifte den Schuh vom Fuße, der noch von der
gestrigen Reise her mit einem weißen Strumpfe bekleidet war. Sali kniete nieder und nahm, so gut er es verstand, das Maß,
indem er den zierlichen Fuß der Länge und Breite nach umspannte mit dem Schnürchen und sorgfältig Knoten in dasselbe knüpfte.
»Du Schuhmacher!« sagte Vrenchen und lachte errötend und freundschaftlich zu ihm nieder. Sali wurde aber auch rot und hielt
den Fuß fest in seinen Händen, länger als nötig war, so daß Vrenchen ihn, noch tiefer errötend, zurückzog, den verwirrten
Sali aber noch einmal stürmisch umhalste und küßte, dann aber fortschickte.
Sobald er in der Stadt war, trug er seine Uhr zu einem Uhrmacher, der ihm sechs oder sieben Gulden dafür gab; für die silberne
Kette bekam er auch einige Gulden, und er dünkte sich nun reich genug, denn er hatte, seit er groß war, nie so viel Geld besessen
auf einmal. Wenn nur erst der Tag vorüber und der Sonntag angebrochen wäre, um das Glück damit zu erkaufen, das er sich von
dem Tage versprach, dachte er; denn wenn das Übermorgen auch um so dunkler und unbekannter hereinragte, so gewann die ersehnte
Lustbarkeit von morgen nur einen seltsamem erhöhten Glanz und Schein. Indessen brachte er die Zeit noch leidlich hin, indem
er ein Paar Schuhe für Vrenchen suchte, und dies war ihm das vergnügteste Geschäft, das er je betrieben. Er ging von einem
Schuhmacher zum andern, ließ sich alle Weiberschuhe zeigen, die vorhanden waren, und endlich handelte er ein leichtes und
feines Paar ein, so hübsch, wie sie Vrenchen noch nie getragen. Er verbarg die Schuhe unter seiner Weste und tat sie die übrige
Zeit des Tages nicht mehr von sich; er nahm sie sogar mit ins Bett und legte sie unter das Kopfkissen. Da er das Mädchen heute
früh noch gesehen und morgen wieder sehen sollte, so schlief er fest und ruhig, war aber in aller Frühe munter und begann
seinen dürftigen Sonntagsstaat zurechtzumachen und auszuputzen, so gut es gelingen wollte. Es fiel seiner Mutter auf und sie
fragte verwundert, was er vorhabe, da er sich schon lange nicht mehr so sorglich angezogen. Er wolle einmal über Land gehen
und sich ein wenig umtun, erwiderte er, er werde sonst krank in diesem Hause. »Das ist mir die Zeit her ein merkwürdiges Leben«,
murrte der Vater, »und ein Herumschleichen!« – »Laß ihn nur gehen«, sagte aber die Mutter, »es tut ihm vielleicht gut, es
ist ja ein Elend, wie er aussieht!« – »Hast du Geld zum Spazierengehen? woher hast du es?« sagte der Alte. »Ich brauche keines!«
sagte Sali. »Da hast du einen Gulden!« versetzte der Alte und warf ihm denselben hin, »du kannst im Dorf ins Wirtshaus gehen
und ihn dort verzehren, damit sie nicht glauben, wir seien hier so übel dran.« – »Ich will nicht ins Dorf und brauche den
Gulden nicht, behaltet ihn nur!« – »So hast du ihn gehabt, es wäre schad, wenn du ihn haben müßtest, du Starrkopf!« rief Manz
und schob seinen Gulden wieder in die Tasche. Seine Frau aber, welche nicht wußte, warum sie heute ihres Sohnes wegen so wehmütig
und gerührt war, brachte ihm ein großes schwarzes Mailänder Halstuch mit rotem Rande, das sie nur selten getragen und er schon
früher gern gehabt hätte.
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