Wie wir nun an einander waren, so kamen immer mehr Leute, und fochten zu beyden Seiten, bis der Fürst kam, und
uns aus einander sezte.
Lady. O wo ist Romeo? Habt ihr ihn heute nie gesehen? Ich bin recht froh, daß er nicht bey dieser Schlägerey war.
Benvolio. Madam, eine Stunde eh die1 Sonne aufgieng, trieb mich ein beunruhigtes Gemüth aufzustehen, und vor die Stadt hinaus zu gehen; und da traf ich auf der
West-Seite der Stadt euern Sohn einsam unter einem Gang von Egyptischen Feigen-Bäumen an. Ich gieng auf ihn zu; aber kaum
ward er mich gewahr, so schlich er sich in das dichteste Gehölze. Ich urtheilte von seiner Gemüths-Beschaffenheit nach der
meinigen, (denn wir sind innerlich nie mehr beschäftigst, als wenn wir die Einsamkeit suchen,) und anstatt ihm nachzugehen,
gieng ich meinen Gedanken nach, und war so vergnügt, daß er mich ausgewichen hatte, als er selbst.
Montague. Schon manchen Morgen ist er dort gesehen worden, wie er den frischen Morgenthau mit seinen Thränen, und die Morgen-Wolken
mit tieffen Seufzern vermehrte; aber kaum fängt die alles erfreuende Sonne an, im fernsten Osten die Vorhänge von Aurorens
Bette wegzuziehen, so schleicht sich der schwermüthige Jüngling vom Licht nach Hause und kerkert sich in sein Zimmer ein,
versperrt seine Fenster, schließt das schöne Tageslicht hinaus, und macht sich selbst eine erkünstelte Nacht. Er muß nothwendig
in einen schwarzen und Unglük-brütenden Humor verfallen wenn nicht bey Zeiten darauf gedacht wird, die Ursache des Uebels
wegzuräumen.
Benvolio. Mein edler Oheim, kennt ihr die Ursache?
Montague. Ich kenne sie nicht, und kan sie auch nicht aus ihm herausbringen.
Benvolio. Habt ihr schon in ihn gedrungen?
Montague. Durch euch selbst und durch viele andre Freunde, aber vergebens; seines eignen Herzens geheimer Rathgeber, ist er gegen
sich selbst, ich will nicht sagen so getreu, aber doch so geheim und verschwiegen, so entfernt sich selbst zu verrathen, oder
nur einer Muthmassung Grund zu geben, als eine Blumen-Knospe, die von einem inwendig verborgnen Wurm gebissen worden, eh sie
ihre zarten Schwingen an der Luft ausspreiten, und ihre Schönheit der Sonne wiedmen konnte. Könnt' ich nur erfahren, woher
sein Kummer entspringt, es sollte ihm augenbliklich abgeholfen werden.
Romeo tritt auf.
Benvolio. Hier kommt er selbst; wenn's euch beliebt, so gehet bey Seite; ich will sein Geheimniß ausfündig machen, oder ich müßte
mich sehr betrügen.
Montague. Ich wünsche, daß du so glüklich seyn mögest – – Kommt Madam, wir wollen gehen.
(Sie gehen ab.)
Benvolio. Guten Morgen, Vetter.
Romeo. Ist der Tag noch so jung?
Benvolio. Es hat eben neune geschlagen.
Romeo. Weh mir! Wie lang scheinen uns Kummer-volle Stunden! War das mein Vater, der so eilfertig sich entfernte?
Benvolio. Er war's; aber was für ein Kummer verlängert Romeo's Stunden?
Romeo. Der Kummer, das nicht zu haben, was sie verkürzen würde.
Benvolio. Seyd ihr verliebt?
Romeo. Ohne Hoffnung wieder geliebt zu werden.
Benvolio. Wie Schade, daß die Liebe, die von Ferne so reizend anzusehen ist, so grausam und tyrannisch seyn soll, so bald sie uns
erreicht!
Romeo. Wie Schade, daß die Liebe, mit verbundnen Augen, Pfade zu ihrem Unglük sehen soll! – – Wo werden wir zu Mittag essen? – –
Weh mir! – – Was für ein Tumult war vorhin? – – Doch sagt mir nichts davon, ich hab alles schon gehört. Der Haß macht hier
viel zu thun, aber die Liebe noch mehr: Wie dann, o mißhellige Liebe! o liebender Haß! O unwesentliches Etwas, und würkliches
Nichts! So leicht und doch zu Boden drükend! So ernsthaft und doch Tand! Du ungestaltes Chaos von reizenden Phantomen! Bleyerne
Feder, glänzender Rauch, kaltes Feuer, kranke Gesundheit, immer-wachender Schlaf – – o! du wunderbares Gemisch von Seyn und
Nichtseyn! – – Das ist die Liebe die ich fühle, ohne in dem was ich fühle die Liebe zu erkennen – – Lachst du nicht?
Benvolio. Nein, Vetter, ich möchte lieber weinen.
Romeo. Du gutes Herz! Worüber?
Benvolio. Dein gutes Herz so beklemmt zu sehen.
Romeo. Du vermehrest meinen Kummer durch den deinigen, anstatt ihn zu erleichtern.2 – – Liebe ist ein Rauch, der vom Hauch der Seufzer erregt wird, aber gereinigt ein Feuer das in der Liebenden Augen schimmert
– – Unglükliche Liebe ist eine See, die mit den Thränen der Liebenden genährt wird; was ist sie noch mehr? Eine vernünftige
Tollheit, eine erstikende Galle, eine erquikende Herzstärkung – – Lebt wohl, Vetter.
(Er will gehen.)
Benvolio. Sachte, ich will mitgehen.
1 comment