Ihr beleidigt meine Freundschaft, wenn ihr mich auf eine solche Art verlaßt.
Romeo. Still! Ich habe mich selbst verlohren, ich bin nicht hier; das ist nicht Romeo, er ist sonst irgendwo.
Benvolio. – –3 Aber wer ist dann die Person, die du liebst?
Romeo. Ich will dir's sagen, Vetter; ich liebe – – ein Weibsbild.
Benvolio. Das errieth ich, sobald ich merkte, daß ihr verliebt wäret.
Romeo. Du hast eine vortreffliche Gabe zum Errathen – – und sie ist schön, die ich liebe.
Benvolio. Ein schönes Ziel ist desto leichter zu treffen.
Romeo. Aber sie wird von Cupido's Pfeile nicht getroffen werden; sie hat Dianens Sprödigkeit, und lebt in der wolgestählten Rüstung
ihrer Keuschheit sicher vor Amors kindischem Bogen. Sie sezt sich keinen nachstellenden Bliken aus, sie öffnet ihr Ohr keinen
Liebes-Erklärungen, noch ihren Schooß dem Golde, das sonst oft die Heiligen selbst verführt. O! Sie ist reich an Schönheit,
und allein darinn arm, daß der ganze Schaz der Schönheit, in ihr versammelt, sterblich ist.
Benvolio. Hat sie denn geschworen, daß sie in ewiger Jungfrauschaft leben will?
Romeo. Sie hat, und macht sich durch diese Sparsamkeit einer ungeheuren Verschwendung schuldig. Denn Schönheit, die durch ihre
eigne Strenge umkommt, vernichtet auf einmal die Schönheit einer ganzen Nachkommenschaft. Sie ist zu weise um so schön, oder
zu schön um so weise zu seyn; und es ist grausam an ihr, den Himmel damit verdienen zu wollen, daß sie mich zur Verzweiflung
treibt – –
Benvolio. Laßt euch einen guten Rath geben, und vergeßt, an sie zu denken.
Romeo. O lehre mich erst, wie ich vergessen kan, mich meiner selbst zu erinnern.
Benvolio. Gieb deinen Augen ihre Freyheit wieder; lenke deine Aufmerksamkeit auf andre Schönheiten.
Romeo. Das wäre das Mittel, alle Augenblike an den Vorzug der ihrigen erinnert zu werden. Diese glüklichen Schleyer, die die Stirne
schöner Damen küssen, erheben durch ihre Schwärze, die Schönheit, so sie verbergen. Wer durch einen Unfall blind worden ist,
kan nicht vergessen, was für einen kostbaren Schaz er mit seinem Gesicht verlohren hat. Zeigt mir ein Frauenzimmer, das unter
tausenden die schönste ist; wozu kan mir ihre Schönheit dienen, als zu einem Spiegel, worinn ich diejenige erblike, die noch
schöner als die schönste ist? Lebe wohl, und gieb' es auf, mich sie vergessen zu lehren.
Benvolio. Ich will diesen Unterricht bezahlen, oder als Schuldner sterben.
(Sie gehen ab.)
Dritte Scene
Capulet, Paris, und ein Bedienter treten auf.
Capulet. Montague ist so gut gebunden als ich; er hat die nemliche Straffe zu befürchten; und für alte Leute wie wir sind, sollt'
es nicht schwer seyn, Frieden zu halten.
Paris. Ihr seyd beyde rechtschaffne Männer, und es ist recht zu bedauren, daß ihr so lang in Mißhelligkeit gelebt habt – – Aber
nun, gnädiger Herr, was sagt ihr zu meiner Anwerbung?
Capulet. Ich kann euch nichts anders sagen, als was ich schon gesagt habe: Mein Kind ist noch ein neu angekommener Fremdling in der
Welt, sie hat noch nicht vierzehn Jahre gesehen; laßt wenigstens noch zween Sommer verblühen, eh wir denken können, daß sie
zum Braut-Stande reif sey.
Paris. Jüngere als sie, sind schon glükliche Mütter geworden.
Capulet. Und verderben auch desto früher, je frühzeitigere Früchte von ihnen erzwungen werden. Die Erde hat alle meine andern Hoffnungen
verschlungen; ich habe kein Kind als sie; sie ist das einzige Vergnügen meines Alters, indeß bewirb dich bey ihr selbst um
sie, mein lieber Paris, such ihr Herz zu gewinnen; wenn du ihren Beyfall hast, so hast du meine Einwilligung. Diese Nacht
geb' ich, einer alten Gewohnheit nach, ein Gastmahl, wozu ich viele werthe Freunde eingeladen habe: Vermehret ihre Anzahl,
unter allen soll mir keiner willkommner seyn. Ihr werdet diese Nacht in meinem armen Haus irdische Sterne sehen, welche die
himmlischen selbst verdunkeln können.4 Ihr werdet mit dem Vergnügen, das muntre junge Leute fühlen wenn der schmuke April den hinkenden Winter vor sich hertreibt,
unter einem Frühling voll neu entfalteter Mädchen-Knospen wandeln; betrachtet sie alle, höret alle, und laßt euch diejenige
am besten gefallen, die es am meisten verdient; ihr werdet so viele liebenswürdigere finden, daß die meinige sich unbemerkt
in der Menge verliehren wird.
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