Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes

Johann Peter Hebel
Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
Zeno.org
Vorrede
Die Veranlassung zur Herausgabe dieses Büchleins muß seinen Titel rechtfertigen, und der Titel die Herausgabe. Der Verfasser hat nämlich seit vier Jahren die Lesestücke des Badischen Landkalenders, genannt Der rheinländische Hausfreund, geliefert, und die Cottaische Buchhandlung in Tübingen hegte die gute Meinung, es wäre schade, wenn die besten Aufsätze darin, innerhalb des Marktkreises des Kalenders und mit dem nämlichen Jahr, wofür sie geschrieben sind, wieder untergehen sollten, und druckt sie daher für ein eigenes Büchlein, samt den mittelmäßigen ab, damit sich jene besser herausheben.
Der geneigte Leser wird sich gefällig erinnern, mehrere der eingebrachten Erzählungen und Anekdoten anderswo auch schon gehört oder gelesen zu haben, wäre es auch nur im Vademecum, von welcher Allmende oder Gemeinwiese sie der Verfasser zum Teil selber gepflückt hat. Doch ließ er's nicht beim bloßen Abschreiben bewenden, sondern bemühte sich, diesen Kindern des Scherzes und der Laune auch ein nettes und lustiges Röcklein umzuhängen, und wenn sie darin dem Publikum wohlgefallen, so ist ihm ein schöner Wunsch gelungen, und er macht auf die Kinder selbst keine weiteren Ansprüche.
Übrigens, sagt die Verlagshandlung, findet sich das Beste nicht sogleich am Anfang, sondern in der Mitte, und wie an einem Ballen Tuch am Ende des Büchleins, von welchem auch das letzte Muster im Morgenblatt abgeschnitten ist. Sie rechnete auf viele Leser, die, wie die Bekenner des mosaischen Gesetzes, dort zu lesen anfangen, wo andere aufhören.[7]
Allgemeine Betrachtung über das Weltgebäude
Dem geneigten Leser, wenn er zwischen seinen bekannten Bergen und Bäumen daheim sitzt bei den Seinigen, oder bei einem Schöpplein im Adler, so ist's ihm wohl, und er denkt just nicht weiter. Wenn aber früh die Sonne in ihrer stillen Herrlichkeit aufgeht, so weiß er nicht, wo sie herkommt, und wenn sie abends untergeht, weiß er nicht, wo sie hinzieht, und wo sie die Nacht hindurch ihr Licht verbirgt, und auf welchem geheimen Fußpfad sie die Berge ihres Aufgangs wiederfindet. Oder wenn der Mond einmal bleich und mager, ein andermal rund und voll durch die Nacht spaziert, er weiß wieder nicht, wo das herrührt, und wenn er in den Himmel voll Sterne hinaufschaut, einer blinkt schöner und freudiger als der andere, so meint er, sie seien alle wegen seiner da, und weiß doch nicht recht, was sie wollen. Guter Freund, das ist nicht löblich, daß man so etwas alle Tage sieht, und fragt nie, was es bedeutet. Der Himmel ist ein großes Buch über die göttliche Allmacht und Güte, und stehen viel bewährte Mittel darin gegen den Aberglauben und gegen die Sünde, und die Sterne sind die goldenen Buchstaben in dem Buch. Aber es ist arabisch, man kann es nicht verstehen, wenn man keinen Dolmetscher hat. Wer aber einmal in diesem Buch lesen kann, in diesem Psalter, und liest darin, dem wird hernach die Zeit nimmer lang, wenn er schon bei Nacht allein auf der Straße ist, und wenn ihn die Finsternis verführen will, etwas Böses zu tun, er kann nimmer.
Also will jetzt der Hausfreund eine Predigt halten, zuerst über die Erde und über die Sonne, darnach über den Mond, darnach über die Sterne.
Die Erde und die Sonne
Nach dem Augenschein und nach dem allgemeinen Glauben wäre die Erde mit allen ihren Bergen und Tälern eine große runde Fläche, gleich einer ungheuer großen Scheibe. Am Rande derselben weiter hinaus kommt nichts mehr, dort[9] ist gleichsam der Himmel an sie angefügt, der wie eine große hohle Halbkugel über ihr steht und sie bedeckt. Dort geht am Tag die Sonne auf und unter, bald früher, bald später, bald links an einem gewissen bekannten Berg oder Haus, bald rechts, und bringt Tag und Nacht, Sommer und Winter, und bei Nacht den Mond und die Sterne, und sie scheinen nicht gar entsetzlich hoch über unsern Häuptern zu stehen.
Das wäre nun alles gut, wenn's niemand besser wüßte, aber wir Sternseher und Kalendermacher wissen's besser. Denn erstlich, wenn einer daheim weggeht, und will reisen bis ans Ende der Erde, an den Rand, wo man einen aufgehenden Stern mit der Hand weghaschen und in die Tasche stecken kann, und er geht am 1. April von Hause aus, so hat er den rechten Tag gewählt. Denn er kann reisen, wenn er will durch Deutschland, durch Polen, durch Rußland, nach Asien hinein durch die Muhamedaner und Heiden, vom Land aufs Wasser, und vom Wasser wieder aufs Land, und immer weiter. Aber endlich, wenn er ein Pfeiflein Tobak einfüllt, und will daran denken, wie lang er schon von den Seinigen weg ist, und wie weit er noch zu reisen hat ans Ende der Erde und wieder zurück, auf einmal wird's ihm heimlich in seinem Gemüt, es wird nach und nach alles, wie es daheim war, er hört seine Landessprache wieder sprechen, zuletzt erblickt er von weitem einen Kirchturm, den er auch schon gesehen hat, und wenn er auf ihn hingeht, kommt er in ein wohlbekanntes Dorf, und hat nur noch 2 Stunden oder drei, so ist er wieder daheim, und hat das Ende der Erde nie gesehen. Nämlich er reist um die Erde, wie man einen Strich mit Kreide um eine Kugel herumzieht, und kommt zuletzt wieder auf den alten Fleck, von dem er ausging.
Es sind schon mehr als 20 solcher Reisen um die Erde nach verschiedenen Richtungen gemacht worden. In zwei bis vier Jahren, je nachdem, ist alles geschehen. Ist nicht der englische Seekapitän Cook, in einem Leben zweimal um die ganze Erde herum gereist, und von der anderen Seite her wieder heimgekommen, aber das drittemal haben ihn die Wilden auf der Insel Owai ein wenig totgeschlagen, und gegessen.
Daraus und aus mehrern sicheren Anzeigen erkennen die[10] Gelehrten folgendes: die Erde ist nicht bloß eine ausgebreitete, rund abgeschnittene Fläche, nein, sie ist eine ungeheure große Kugel. Weiters: sie hängt und schwebt frei und ohne Unterstützung, wie seines Orts die Sonne und der Mond, in dem unermeßlichen Raum des Weltalls unten und oben zwischen lauter himmlischen Sternen. Weiters: sie ist rings um und um, wo sie Land hat, und wo die Hitze oder der bittere Frost es erlaubt, mit Pflanzen ohne Zahl besetzt, und von Tieren und vernünftigen Menschen belebt. Man muß nicht glauben, daß auf diese Art ein Teil der Geschöpfe mit dem Kopf abwärts hänge, und in Gefahr stehe, von der Erde weg, und in die Luft herabzufallen. Dies ist lächerlich. Überall werden die Körper durch ihre Schwere an die Erde angezogen, und können ihr nicht entlaufen. Überall nennt man unten, was man unter den Füßen hat; und oben, was über dem Haupt hinaus ist. Niemand merkt oder kann sagen, daß er unten sei. Alle sind oben, solang sie die Erde unter den Füßen, und den Himmel voll Licht oder Sterne über dem Haupte haben.
Aber der geneigte Leser wird nicht wenig erstaunen, wenn er's zum erstenmal hören sollte, wie groß diese Kugel sei: Denn der Durchmesser der Erde beträgt in gerader Linie von einem Punkt der Oberfläche durch das Zentrum hindurch zum andern Punkt, eintausendsiebenhundertundzwanzig deutsche Meilen. Der Umkreis der Kugel aber beträgt fünftausendvierhundert deutsche Meilen.
Ihre Oberfläche aber beträgt über neun Millionen Meilen ins Gevierte, und davon sind zwei Dritteil Wasser, und ein Dritteil Land.
Ihre ganze Masse aber beträgt mehr als zweitausendsechshundertundzweiundsechzig Millionen Meilen im Klaftermaß. Das haben die Gelehrten mit großer Genauigkeit ausgemessen und ausgerechnet, und sprechen davon, wie von einer gemeinen Sache. Aber niemand kann die göttliche Allmacht begreifen, die diese ungeheure große Kugel schwebend in der unsichtbaren Hand trägt, und jedem Pflänzlein darauf seinen Tau und sein Gedeihen gibt, und dem Kindlein, das geboren[11] wird, einen lebendigen Odem in die Nase.
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