Man rechnet, daß tausend Millionen Menschen zu gleicher Zeit auf der Erde leben, und bei dem lieben Gott in die Kost gehen, ohne das Getier. Aber es kommt noch besser.
Denn zweitens: die Sonne, so nahe sie zu sein scheint, wenn sie früh hinter den Bergen in die frische Morgenluft hinauf schaut, so ist sie doch über zwanzig Millionen Meilen weit von der Erde entfernt. Weil aber eine solche Zahl sich geschwinder aussprechen, als erwägen und ausdenken läßt, so merke: Wenn auf der Sonne eine große scharf geladene Kanone stünde, und der Konstabler, der hinten steht und sie richtet, zielte auf keinen andern Menschen als auf dich, so dürftest du deswegen in dem nämlichen Augenblick, als sie losgebrannt wird, noch herzhaft anfangen ein neues Haus zu bauen, und könntest: darin essen und trinken und schlafen, oder du könntest ohne Anstand noch geschwinde heiraten, und Kinder erzeugen und ein Handwerk lernen lassen, und sie wieder verheiraten und vielleicht noch Enkel erleben. Denn wenn auch die Kugel in schnurgerader Richtung und immer in gleicher Geschwindigkeit immer fort und fort flöge, so könnte sie doch erst nach Verfluß von 25 Jahren von der Sonne hinweg auf der Erde anlangen, so doch eine Kanonenkugel einen scharfen Flug hat, und zu einer Weite von 600 Fuß, nicht mehr als den sechzigsten Teil einer Minute bedarf.
Daß nun weiters die Sonne auch nicht bloß eine glänzende Fensterscheibe des Himmels, sondern wie unser Erdkörper eine schwebende Kugel sei, begreift man schon leichter. Aber wer vermag mit seinen Gedanken ihre Größe zu umfassen, nachdem sie aus einer so entsetzlichen Ferne solche Kraft des Lichts und der Wärme noch auf die Erde ausübt, und alles segnet, was ihr mildes Antlitz bescheint? Der Durchmesser der Sonne ist 114mal größer als der Durchmesser der Erde. Aber im Körpermaß beträgt ihre Masse anderthalb Millionen mal so viel als die Erde. Wenn sie hohl wäre inwendig, so hätte nicht nur unsere Erde in ihr Raum, auch der Mond, der doch 50000 Meilen von uns absteht, könnte darin ohne Anstoß auf- und untergehn, wie so, ja er könnte noch einmal so[12] weit von uns entfernt sein als er ist, und doch ohne Anstoß um die Erde herumspazieren, wenn er wollte. So groß ist die Sonne, und geht aus der nämlichen allmächtigen Hand hervor, die auf der Erde das Magsamen- oder Mohnsamenkörnlein in seiner Schale bildet und zur Reife bringt, eins so unbegreiflich, wie das andere. Der Hausfreund wenigstens wüßte keine Wahl, wenn er eine Sonne, oder ein Magsamenkörnlein machen müßte mit einem fruchtbaren Keim darin.
Lange nun glaubten selbst die gelehrtesten Sternforscher, diese ganze unermeßliche Sonnenmasse sei nichts anders, als eine glühende Feuerkugel durch und durch. Nur konnte keiner von ihnen begreifen, wo dieses Feuer seine ewige Nahrung faßt, daß es in tausend und aber tausend Jahren nicht abnimmt, und zuletzt, wie ein Lämplein verlöscht; denn die gelehrten Leute wissen auch nicht alles, und reiten manchmal auf einem fahlen Pferd. Wer alles wissen will, dem ist schlecht zu trauen, sondern er treibt's mit seinen Antworten, wie der Matheis, der das Eis bricht. »Hat er keins, macht er eins« nach dem Sprichwort.
Deswegen will es nun heutzutag den Sternforschern und andern verständigen Leuten scheinen, die Sonne könne an sich wohl wie unsere Erde ein dunkler und temperierter, ja ein bewohnbarer Weltkörper sein. Aber wie die Erde ringsum mit erquickender Luft umgehen ist, so umgibt die Sonne ringsum das erfreuliche Licht, und es ist nicht notwendig, daß dasselbe auf dem Sonnenkörper selbst eine unausstehliche zerstörende Hitze verursachen müsse, sondern ihre Strahlen erzeugen die Wärme und Hitze erst, wenn sie sich mit der irdischen Luft vermischen, und ziehen dieselbe gleichsam aus den Körpern hervor. Denn daß die Erde eine große Masse von verborgener Wärme in sich selbst hat, und nur auf etwas warten muß, um sie von sich zu geben, das ist daran zu erkennen, daß zwei kalte Körper mitten im Winter durch anhaltendes Reiben zuerst in Wärme, hernach in Hitze, und endlich in Glut gebracht werden können. Und wie geht es zu, je weiter man an einem hohen Berg hinaufsteigt, und je näher man der Sonne kommt, daß man immer mehr in die Hände hauchen muß, und zuletzt vor Schnee und Eis nimmer[13] weiterkommt, fragen die Naturkundiger, wenn die Sonne ein sprühendes Feuer sein soll?
Also wäre es wohl möglich, daß sie an sich ein fester mit mildem Licht umflossener Weltkörper sei, und daß auf ihr jahraus jahrein wunderschöne Pfingstblumen blühen und duften, und statt der Menschen fromme Engel dort wohnen, und ist dort, wie im neuen Jerusalem, keine Nacht und kein Winter, sondern Tag und zwar ein ewiger freudenvoller Sabbat und hoher Feiertag. Schon Doktor Luther hat einmal so etwas verlauten lassen, und der gelehrige Leser begreift's ein wenig, aber doch nicht recht.
[1812]
Die Fortsetzung folgt [hier].[14]
Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande
1
In der Türkei, wo es bisweilen etwas ungerade hergehen soll, trieb ein reicher und vornehmer Mann einen Armen, der ihn um eine Wohltat anflehte, mit Scheltworten und Schlägen von sich ab, und als er ihn nicht mehr erreichen konnte, warf er ihn noch mit einem Stein. Die es sahen, verdroß es, aber niemand konnte erraten, warum der arme Mann den Stein aufhob, und ohne ein Wort zu sagen, in die Tasche steckte, und niemand dachte daran, daß er ihn von nun an so bei sich tragen würde. Aber das tat er. Nach Jahr und Tag hatte der reiche Mann ein Unglück, nämlich er verübte einen Spitzbubenstreich, und wurde deswegen nicht nur seines Vermögens verlustig, sondern er mußte auch nach dortiger Sitte zur Schau und Schande, rückwärts, auf einen Esel gesetzt, durch die Stadt reiten. An Spott und Schimpf fehlte es nicht, und der Mann mit dem rätselhaften Stein in der Tasche stand unter den Zuschauern eben auch da, und erkannte seinen Beleidiger. Jetzt fuhr er schnell mit der Hand in die Tasche; jetzt griff er nach dem Stein; jetzt hob er ihn schon in die Höhe, um ihn wieder nach seinem Beleidiger zu werfen, und[14] wie von einem guten Geist gewarnt, ließ er ihn wieder fallen, und ging mit einem bewegten Gesicht davon.
Daraus kann man lernen: Erstens, man soll im Glück nicht übermütig, nicht unfreundlich und beleidigend gegen geringe und arme Menschen sein. Denn es kann vor Nacht leicht anders werden, als es am frühen Morgen war, und »wer dir als Freund nichts nützen kann, der kann vielleicht als Feind dir schaden«. Zweitens, man soll seinem Feind keinen Stein in der Tasche, und keine Rache im Herzen nachtragen. Denn als der arme Mann den seinen auf die Erde fallen ließ und davonging, sprach er zu sich selber so: »Rache an dem Feind auszuüben, solange er reich und glücklich war, das war töricht und gefährlich; jetzt, wo er unglücklich ist, wäre es unmenschlich und schändlich.«[15]
2
Ein anderer meinte, es sei schön, Gutes zu tun an seinen Freunden, und Böses an seinen Feinden. Aber noch ein anderer erwiderte: das sei schön, an den Freunden Gutes zu tun, und die Feinde zu Freunden zu machen.
3
Es ist doch nicht alles so uneben, was die Morgenländer sagen und tun.
Einer, namens Lockmann, wurde gefragt, wo er seine feinen und wohlgefälligen Sitten gelernt habe? Er antwortete: »Bei lauter unhöflichen und groben Menschen. Ich habe immer das Gegenteil von demjenigen getan, was mir an ihnen nicht gefallen hat.«
4
Ein anderer entdeckte seinem Freund das Geheimnis, durch dessen Kraft er mit den zanksüchtigen Leuten immer im guten Frieden ausgekommen sei. Er sagte so: »Ein verständiger Mann und ein törichter Mann können nicht einen Strohhalm miteinander zerreißen. Denn wenn der Tor zieht, so läßt der Verständige nach, und wenn jener nachläßt, so zieht dieser. Aber wenn zwei Unverständige zusammenkommen, so zerreißen sie eiserne Ketten.«
[1804][16]
Erstes Rechnungsexempel
Man sollte nicht glauben, daß ein Mensch, der auf leichtfertigen Wegen sein Glück sucht, mit lauter Gewinnen immer verlieren, und zuletzt um Habe und Vermögen dabei kommen kann. Aber die Sache hat Grund.
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