Schloss Gripsholm
Kurt Tucholsky
Schloss Gripsholm
Eine Sommergeschichte
Erstes Kapitel
1
Ernst Rowohlt Verlag Berlin W 50 Passauer Straße 8/9
8. Juni
Lieber Herr Tucholsky,
schönen Dank für Ihren Brief vom 2. Juni. Wir haben
Ihren Wunsch notiert. Für heute etwas andres.
Wie Sie wissen, habe ich in der letzten Zeit allerhand
politische Bücher verlegt, mit denen Sie sich ja
hinlänglich beschäftigt haben. Nun möchte ich doch
aber wieder einmal die »schöne Literatur« pflegen.
Haben Sie gar nichts? Wie wäre es denn mit einer kleinen
Liebesgeschichte? Überlegen Sie sich das mal! Das Buch soll
nicht teuer werden, und ich drucke Ihnen für den Anfang
zehntausend Stück. Die befreundeten Sortimenter sagen mir
jedesmal auf meinen Reisen, wie gern die Leute so etwas lesen. Wie
ist es damit?
Sie haben bei uns noch 46 RM gut -- wohin sollen wir Ihnen die
überweisen?
Mit den besten Grüßen Ihr (Riesenschnörkel)
Ernst Rowohlt
10. Juni
Lieber Herr Rowohlt,
Dank für Ihren Brief vom 8. 6.
Ja, eine Liebesgeschichte ... lieber Meister, wie denken Sie
sich das? In der heutigen Zeit Liebe? Lieben Sie? Wer liebt denn
heute noch? Dann schon lieber eine kleine Sommergeschichte.
Die Sache jst nicht leicht. Sie wissen, wie sehr es mir
widerstrebt, die Öffentlichkeit mit meinem persönlichen
Kram zu behelligen -- das fällt also fort. Außerdem
betrüge ich jede Frau mit meiner Schreibmaschine und erlebe
daher nichts Romantisches. Und soll ich mir die Geschichte
vielleicht ausdenken? Phantasie haben doch nur die
Geschäftsleute, wenn sie nicht zahlen können. Dann
fällt ihnen viel ein. Unsereinem...
Schreibe ich den Leuten nicht ihren Wunschtraum (»Die
Gräfin raffte ihre Silber-Robe, würdigte den Grafen
keines Blickes und fiel die Schloßtreppe hinunter«),
dann bleibt nur noch das Propplem über die Ehe als Zimmer-
Gymnastik, die »menschliche Einstellung« und all das
Zeug, das wir nicht mögen. Woher nehmen und nicht bei Villon
stehlen?
Da wir grade von Lyrik sprechen:
Wie kommt es, daß Sie in § 9 unseres Verlagsvertrages
15 % honorarfreie Exemplare berechnen. Soviel Rezensionsexemplare
schicken Sie doch niemals in die Welt hinaus! So jagen Sie den
sauren Schweiß Ihrer Autoren durch die Gurgel -- kein Wunder,
daß Sie auf Samt saufen, während unsereiner auf harten
Bänken dünnes Bier schluckt. Aber so ist alles.
Daß Sie mir gut sind, wußte ich. Daß Sie mir
für 46 RM gut sind, erfreut mein Herz. Bitte wie
gewöhnlich an die alte Adresse. Übrigens fahre ich
nächste Woche in Urlaub.
Mit vielen schönen Grüßen Ihr Tucholsky
Ernst Rowohlt Verlag Berlin W 50 Passauer Straße 8/9
12. Juni
Lieber Herr Tucholsky,
vielen Dank für Ihren Brief vom 10. d. M.
Die 15 % honorarfreien Exemplare sind -- also das können
Sie mir wirklich glauben -- meine einzige
Verdienstmöglichkeit. Lieber Herr Tucholsky, wenn Sie unsere
Bilanz sähen, dann wüßten Sie, daß es ein
armer Verleger gar nicht leicht hat. Ohne die 15 % könnte ich
überhaupt nicht existieren und würde glatt verhungern.
Das werden Sie doch nicht wollen.
Die Sommergeschichte sollten Sie sich durch den Kopf gehen
lassen.
Die Leute wollen neben der Politik und dem Aktuellen etwas
haben, was sie ihrer Freundin schenken können. Sie glauben gar
nicht, wie das fehlt. Ich denke an eine kleine Geschichte, nicht zu
umfangreich, etwa 15-16 Bogen, zart im Gefühl, kartoniert,
leicht ironisch und mit einem bunten Umschlag. Der Inhalt kann so
frei sein, wie Sie wollen.
Ich würde Ihnen vielleicht insofern entgegenkommen,
daß ich die honorarfreien Exemplare auf 14 % heruntersetze.
Wie gefällt Ihnen unser neuer Verlagskatalog? Ich wünsche
Ihnen einen vergnügten Urlaub und bin mit vielen
Grüßen
Ihr (Riesenschnörkel) Ernst Rowohlt
15.
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