Juni
Lieber Meister Rowohlt,
auf dem neuen Verlagskatalog hat Sie Gulbransson ganz richtig
gezeichnet: still sinnend an des Baches Rand sitzen Sie da und
angeln die fetten Fische. Der Köder mit 14 % honorarfreier
Exemplare ist nicht fett genug -- 12 sind auch ganz schön.
Denken Sie mal ein bißchen darüber nach und geben Sie
Ihrem harten Verlegerherzen einen Stoß. Bei 14 % fällt
mir bestimmt nichts ein -- ich dichte erst ab 12 %.
Ich schreibe diesen Brief schon mit einem Fuß in der Bahn.
In einer Stunde fahre ich ab -- nach Schweden. Ich will in diesem
Urlaub überhaupt nicht arbeiten, sondern ich möchte in
die Bäume gucken und mich mal richtig ausruhn.
Wenn ich zurückkomme, wollen wir den Fall noch einmal
bebrüten. Nun aber schwenke ich meinen Hut, grüße
Sie recht herzlich und wünsche Ihnen einen guten Sommer! Und
vergessen Sie nicht: 12 %!
Mit vielen schönen Grüßen Ihr getreuer
Tucholsky
Unterschrieben -- zugeklebt -- frankiert -- es war genau acht
Uhr zehn Minuten. Um neun Uhr zwanzig ging der Zug von Berlin nach
Kopenhagen. Und nun wollten wir ja wohl die Prinzessin abholen.
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Sie hatte eine Altstimme und hieß Lydia.
Karlchen und Jakopp aber nannten jede Frau, mit der einer von
uns dreien zu tun hatte, »die Prinzessin«, um den
betreffenden Prinzgemahl zu ehren -- und dies war nun also die
Prinzessin; aber keine andre durfte je mehr so genannt werden.
Sie war keine Prinzessin.
Sie war etwas, was alle Schattierungen umfaßt, die nur
möglich sind: sie war Sekretärin. Sie war Sekretärin
bei einem unförmig dicken Patron; ich hatte ihn einmal gesehn
und fand ihn scheußlich, und zwischen ihm und Lydia... nein!
Das kommt beinah nur in Romanen vor. Zwischen ihm und Lydia bestand
jenes merkwürdige Verhältnis von Zuneigung, nervöser
Duldung und Vertrauen auf der einen Seite und Zuneigung, Abneigung
und duldender Nervosität auf der andern: sie war seine
Sekretärin. Der Mann führte den Titel eines
Generalkonsuls und handelte ansonsten mit Seifen. Immer lagen da
Pakete im Büro herum, und so hatte der Dicke wenigstens eine
Ausrede, wenn seine Hände fettig waren.
Der Generalkonsul hatte ihr in einer Anwandlung fürstlicher
Freigebigkeit fünf Wochen Urlaub gewährt; er fuhr nach
Abbazia. Gestern abend war er abgefahren -- werde ihm der
Schlafwagen leicht! Im Büro saßen sein Schwager und
für Lydia eine Stellvertreterin. Was gingen mich denn seine
Seifen an -- Lydia ging mich an.
Da stand sie schon mit den Koffern vor ihrem Haus --
»Hallo!«
»Du bischa all do?« sagte die Prinzessin -- zur
grenzenlosen Verwunderung des Taxichauffeurs, der dieses für
Ostchinesisch hielt. Es war aber Missingsch.
Missingsch ist das, was herauskommt, wenn ein Plattdeutscher
Hochdeutsch sprechen will. Er krabbelt auf der glatt gebohnerten
Treppe der deutschen Grammatik empor und rutscht alle Nase lang
wieder in sein geliebtes Platt zurück. Lydia stammte aus
Rostock, und sie beherrschte dieses Idiom in der Vollendung. Es ist
kein bäurisches Platt -- es ist viel feiner. Das Hochdeutsch
darin nimmt sich aus wie Hohn und Karikatur; es ist, wie wenn ein
Bauer in Frack und Zylinder aufs Feld ginge und so ackerte. Der
Zylinder ischa en finen statschen Haut, över wen dor nich mit
grot worn is, denn rutscht hei ümmer werrer aff, dat deit
he... Und dann ist da im Platt der ganze Humor dieser
Norddeutschen; ihr gutmütiger Spott, wenn es einer gar zu toll
treibt, ihr fest zupackender Spaß, wenn sie falschen Glanz
wittern, und sie wittern ihn, unfehlbar ... diese Sprache konnte
Lydia bei Gelegenheit sprechen. Hier war eine Gelegenheit.
»Kann mir gahnich gienug wunnern, dasse den Zeit nich
verschlafen hass!« sagte sie und ging mit festen, ruhigen
Bewegungen daran, mir und dem Chauffeur zu helfen.
Wir packten auf. »Hier, nimm den Dackel!« -- Der
Dackel war eine fette, bis zur Albernheit lang gezogene
Handtasche.
Und so pünktlich war sie! Auf ihren Nasenflügeln lag
ein Hauch von Puder.
Wir fuhren.
»Frau Kremser hat gesagt«, begann Lydia, »ich
soll mir meinen Pelz mitnehmen und viele warme Mäntel -- denn
in Schweden gibt es überhaupt keinen Sommer, hat Frau Kremser
gesagt. Da war immer Winter. Ische woll nich möchlich!«
Frau Kremser war die Haushälterin der Prinzessin,
Stubenmädchen, Reinmachefrau und Großsiegelbewahrerin.
Gegen mich hatte sie noch immer, nach so langer Zeit, ein leise
schnüffelndes Mißtrauen -- die Frau hatte einen guten
Instinkt. »Sag mal... ist es wirklich so kalt da
oben?«
»Es ist doch merkwürdig«, sagte ich.
»Wenn die Leute in Deutschland an Schweden denken, dann
denken sie: Schwedenpunsch, furchtbar kalt, Ivar Kreuger,
Zündhölzer, furchtbar kalt, blonde Frauen und furchtbar
kalt. So kalt ist es gar nicht.« -- »Also wie kalt ist
es denn?« -- »Alle Frauen sind pedantisch«, sagte
ich. -- »Außer dir!« sagte Lydia.
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