Zahlen!
Er nannte ihnen vor allem einmal Zahlen: Jahreszahlen und
Größenangaben und Preise und Zahlen, Zahlen, Zahlen...
Falsch konnten sie sein. Mit uns sprach er von Tag zu Tag
fließender deutsch, aber es wurde immer amerikanischer.
»Fourteen days ago« hieß eben »Virrzehn
Tage zerrick«, und so war alles. »Drei Wochen
zerrick«, sagte er, als wir grade wieder von einer
ergebnislosen Expedition zurückgekommen waren und zu Abend
aßen, »drei Wochen zerrick -- da war eine amerikanische
Familie in Stockholm. Ich habe zu ihnen gesagt, wenn man nur einmal
in Emerrika gewesen ist, dann meint man, die ganze andre Welt ist
eine Kolonie von Emmerika. Ja. Danach haben mich die Leute sehr
gähn gehabt. Prost!« -- Prost? Wir waren hier in
Schweden, der Mann hatte »Skål!« zu sagen. Und
»Skål«, das ist eigentlich »Schale«.
Und weil die Prinzessin eine arme Ausländerin war, die uns
Schweden nicht so verstand, so sagte ich »Schale auf
Ihnen!«, und das verstanden wir alle drei. Der Dicke
bestellte sich noch einen kleinen Schnaps. Träumerisch sah er
ins Glas. »In Göteborg wohnt ein Mann, der hat einen
großen Keller -- da hat er es alles drin: Whisky und
Branntwein und Cognac und Rotwein und Weißwein und Sekt. Und
das trinkt der Mann nicht aus -- das bewahrt sich der Mann alles
auf! Ich finde das ganz grroßartig --!« Sprach's und
kippte den seinigen.
Aber nun verging ein Tag nach dem andern, und wir hatten viele
Gespräche mit angehört, hatten unzählige Male
vernommen, wie die Leute sagten, was die Schweden immer sagen, in
allen Lagen des menschlichen Lebens: »Jasso ...« und
auch ihr »Nedo« und was man so spricht, wenn man nichts
zu sagen hat. Und der Dicke hatte uns in viele schöne Gegenden
geführt, durch wundervolle, satte Wälder. -- »Hier
sind schöne Läube!« sagte er, und das war die
Mehrzahl von »Laub« -- und nun fing die Prinzessin an,
aufzumucken. »He lacht sik 'n Stremel«, sagte sie.
»Meinen lieben guten Daddy! Wi sünd doch keine
Rockefellers! Nu ornier doch endlich mal enägisch ne
Dispositschon an, daßn weiß, woanz un woso!«
Was nun --? Der Dicke ging nachdenklich, aber mit der Welt
soweit ganz zufrieden, vor uns hin; er stapfte mit seinem Stock auf
das Pflaster und dachte emsig nach; man konnte an seinem breiten
Rücken sehen, wie er dachte. Dann brummte er, denn er hatte
etwas gefunden. »Wir fahren nach Mariefred«, sagte er.
»Das ist ein kleiner Ort... das ist all right! Morgen fahren
wir.« Die Prinzessin sah mich unheilverkündend an.
»Wenn wir da nichts finden, Daddy, dann stech ich dir inne
Kleinkinnerbiewohranstalt und kutschier bei mein Alten nach
Abbazia. Dor kannst du man upp aff!«
Aber am nächsten Tag sahen wir etwas.
Mariefred ist eine klitzekleine Stadt am Mälarsee. Es war
eine stille und friedliche Natur, Baum und Wiese, Feld und Wald --
niemand aber hätte von diesem Ort Notiz genommen, wenn hier
nicht eines der ältesten Schlösser Schwedens wäre:
das Schloß Gripsholm.
Es war ein strahlend heller Tag. Das Schloß, aus roten
Ziegeln erbaut, stand leuchtend da, seine runden Kuppeln knallten
in den blauen Himmel -- dieses Bauwerk war dick, seigneural, eine
bedächtige Festung. Bengtsson winkte dem Führer ab,
Führer war er selber. Und wir gingen in das Schloß.
Viele schöne Gemälde hingen da. Mir sagten sie nichts.
Ich kann nicht sehen. Es gibt Augenmenschen, und es gibt
Ohrenmenschen, ich kann nur hören. Eine Achtelschwingung im
Ton einer Unterhaltung: das weiß ich noch nach vier Jahren.
Ein Gemälde? Das ist bunt. Ich weiß nichts vom Stil
dieses Schlosses -- ich weiß nur: wenn ich mir eins baute, so
eins baute ich mir.
Herr Bengtsson erklärte uns das Schloß, wie er es
seinen Amerikanern erklärt hätte, der Spiritus sang aus
ihm, und nach jeder Jahreszahl sagte er: »Aber so genau
weiß ich das nicht«, und dann sahen wir im Baedeker
nach, und es war alles, alles falsch -- und wir freuten uns
mächtig. Ein Kerker war da, in dem Gustav der Verstopfte Adolf
den Unrasierten jahrelang eingesperrt hatte, und so dicke Mauern
hatte das Schloß, und einen runden Käfig für die
Gefangenen gab es und ein schauerliches Burgloch oder eine Art
Brunnen ... Menschen haben immer Menschen gequält, heute sieht
das nur anders aus.
Aber am allerschönsten war das Theater. Sie hatten in der
Burg ein kleines Theater -- vielleicht damit sie sich während
der Belagerungen nicht so langweilen mußten.
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